Delitzscher Stadtchronik 1207-1990 - Teil VII - 1702-1934

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Delitzscher Stadtchronik - 1702-1934

(Quelle: Delitzscher Stadtchronik, bearbeitet von Prof. Dr. Schirmer nach August Reulecke; Teil VII, 1700-1934; hrsg. vom Kreismuseum Delitzsch 1991.)

Einleitung

Nach den unerhörten Opfern unserer Stadt im 17. Jahrhundert und besonders im Dreißigjährigen Krieg, durch den die Bürger sehr zu leiden hatten und Jahrzehnte benötigten, um das Delitzscher Gemeinwesen wieder zur Blüte zu bringen, erfuhren sie auch im 18. Jahrhundert erneut schwere Belastungen. Die Ursachen dafür waren vor allem die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen insbesondere für Sachsen, be idenen von de rStadt Kontributionen verlangt wurden. Ganze Regimenter und größere militärische Verbände nahmen in Delitzsch Quartier. Sie waren sowohl kurzfristig als auch über längere Zeiträume durch die Stadtbevölkerung zu versorgen. Dafür sprechen die in dieser Chronik ausgewiesenen Tatsachen, von denen zusammenfassend hier einige genannt werden sollen:
Im großen Nordischen Krieg von 1700 bis 1721 beherbergte die Stadt ein schwedisches Dragonerregiment für ein volles Jahr, mußte dafür 31 000 Taler aufbringen und   zusammen mit der dem Lande Sachsen auferlegten Kontribution nochmals 31 000 Taler. Im 1. und 2. Schlesischen Krieg unter Friedrich II. von Preußen mußte Delitzsch neben der zeitweisen Versorgung mehrerer Regimenter auch Soldaten und Pferde stellen. Im Siebenjährigen Krieg steigerten sich dann die Anforderungen nochmals erheblich. Neben der Versorgung hier stationierter Regimenter wurden unerschwingliche Kriegssteuern verlangt. Zeitweise waren 15 000 Preußen in und um Delitzsch einquartiert. 1760 und in den folgenden Jahren waren sowohl Österreicher als auch Preußen zu versorgen und darüber hinaus große Summen an Kriegskosten aufzubringen, so 1760 15 000 Taler und 1762 nochmals 15 000 Taler. Die Stadt mußte die Summen zum großen Teil borgen und war stark verschuldet. Auch im Bayrischen Erbfolgekrieg 1778/79 gab es neuerliche Belastungen durch Kriegsschulden und Stationierungskosten. Es nötigt großen Respekt ab, wie die Bürger der Stadt mit diesen hohen Lasten fertig wurden, bis dann der Magistrat 1786 erklären konnte: "Das Kriegsschuldentilgungssystem ist beendet!". Im gleichen Jahrhundert traten noch andere Probleme auf, die Reulecke sorgsam zusammengetragen hat. Seine Feststellungen nennen Wetterkatastrophen, schlechte Ernten durch Dürre und Hitzeperioden, mehrfache Überschwemmungen bis hin zur Hungersnot wie im Jahre 1720. Der Blitzschlag traf mehrere Male wichtige Gebäude, so den Breiten Turm 1707 und den Schloßturm im Jahre 1789. Zum Glück zündeten die Einschläge nicht. Herausragende Ereignisse dieses Jahrhunderts waren für die Stadt u.a. die Wiederherstellung der Marienkirche 1721; die Errichtung der Postsäule auf dem Roßplatz 1730; das Einebnen des um die Altstadt herum führenden Walles zur Promenade, wie sie noch heute besteht und die Instandsetzung der Stadtmauer. 
Wesentlich für die Stadt dürfte auch gewesen sein, daß sie nach dem Wiederaufbau des Schlosses hohe Persönlichkeiten damaliger Zeit beherbergte, so die Herzoginwitwe Henriette Charlotte, die bis 1734 hier wohnte und hier verstarb. Teilweise nahmen Quartier oder rasteten bei der Durchfahrt Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg mit Gemahlin, Herzog Heinrich von Merseburg, der russische Großfürst Alexius Petrowich und Prinz Heinrich von Preußen. Im 19. Jahrhundert hatte die Stadt im Zusammenhang mit dem Freiheitskrieg gegen Napoleon sehr viele Truppendurchmärsche erlebt und Kontributionen zu erbringen, die in ihrer Summe über die Möglichkeiten der Stadt hinausgingen und erneut zu enormen Verschuldungen führten. Gefordert wurden z. B. von den preußischen und russischen Truppen 1813 100 Pferde, 20.000 Pfund Fleisch, große Mengen an Korn, Hafer, Heu, Branntwein, Hülsenfrüchte. Als französische Truppen in Delitzsch einquartiert waren, gab es unerschwingliche Forderungen an Lebensmitteln. Dann verlangte auch noch die königlich-sächsische Armee vielfältige Lieferungen zur Versorgung ihrer Truppen. Mit jeder dieser Lieferungen geriet die Stadt tiefer in die Schulden. Unmittelbar vor der Entscheidungsschlacht bei Leipzig besetzten drei französische Korps die Stadt. Das führte zu besonders schweren Belastungen. Nach dem Abzug der Franzosen waren fast alle Getreidevorräte sowie alles Vieh verloren. Hinzu kam die Versorgung sehr vieler Verwundeter, ganz Delitzsch glich einem Lazarett. Erneut muß man bewundern, wie die Stadt mit all diesen Problemen fertig wurde, bis 1839 der letzte Rest der Kriegsschulden abgetragen war. Jahre nach dem Befreiungskrieg trat ein enormer Aufschwung in unserem Gemeinwesen ein. Das hing damit zusammen, daß sich die Technik auf Grund zahlreicher Entdeckungen stark entwickelte und sich ein Aufschwung in der kapitalistischen Produktionsweise vollzog. Am 1. Februar 1859 wurde die Eisenbahnlinie Berlin-Magdeburg-Leipzig in Betrieb genommen, der Berliner Bahnhof entstand an der ehemaligen Richtstätte. 1872 kam die Eisenbahnverbindung Halle-SorauGuben hinzu und es entstand der Sorauer Bahnhof. Für die industrielle Entwicklung war bedeutsam, - daß Karl August Freyberg im Jahre 1817 die Apotheke "Zum Weißen Adler" als Keimzelle der späteren chemischen Fabrik übernahm; - daß in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Kreissparkasse, eine Stadtsparkasse und der Vorschußverein, die spätere Vereinsbank gegründet werden; - daß ferner die Walzenmühle entsteht, eine Gasanstalt gebaut wird, die Schokoladenfabrik Böhme-AG 1894 in Erscheinung tritt und 1896 die Dampfmolkerei. Dennoch waren es im Vergleich zu anderen Städten wie z.B. Eilenburg erst bescheidene Anfänge einer industriellen Entwicklung in Delitzsch, aber sie waren von nachhaltiger Bedeutung. Die Stadt erlebte einen beachtlichen Aufschwung. Vieles wurde neu gebaut, so vier Schulen, das Postamt, das Lehrerseminar, das Krankenhaus, die städtische Badeanstalt, die "Herberge zur Heimat". Man befestigte die Straßen, nahm die Straßenbeleuchtung in Angriff, desgleichen die Kanalisation. Das Rathaus erhielt ein 2. Obergeschoß und die "schiefe Brücke" über den Stadtgraben wurde geschaffen. Die Einwohnerzahl erhöhte sich, 1841 betrug ihre Zahl 4533, der Wohlstand wuchs. Beispiele des allgemeinen Aufschwungs waren: der Bau des Forsthauses in der Spröde; zu den 1841 bestehenden 39 Schankstätten, Kaffee- und Weinhäusern, Restaurationen und Gasthöfen kamen hinzu der Gasthof "Zur Grünen Linde", "Stadt Leipzig", "Stadt Berlin" und der "Schützenhof" mit den Schießständen; das "Birkenwäldchen" wurde angepflanzt; der neue Friedhof eröffnet; die Linden auf dem Markt wurden gepflanzt; der Heiligbrunnen wurde erneuert, die Quelle gefaßt, so daß es nun ununterbrochen fließen konnte; das Denkmal des berühmten Sohnes der Stadt Hermann Schulze-Delitzsch, hier 1808 geboren, wurde am 13. September 1891 enthüllt.
Mehrfach trat wieder Hochwasser auf, Stürme und Witterungsunbilden waren zu verzeichnen, zweimal schlug der Blitz in die Stadtkirche ein, ein entstehender Brand konnte gelöscht werden. Durch die Cholera wurden 1866 einundzwanzig Personen dahingerafft. 1845 wurden der erste Turnverein und der erste Gesangsverein gegründet. Das 20. Jahrhundert begann für die Stadt recht verheißungsvoll. Es wurden das Wasserwerk, der Wasserturm und das Rohrnetz für die Wasserversorgung, die Friedhofskapelle sowie die Kläranlage an der Naundorfer Mühle gebaut. Das Reichsbahnausbesserungswerk entstand und bot vielen Arbeitern neue Verdienstmöglichkeiten. Man baute Wohnungen, so im Norden der Stadt (Bläkendorf), in der Bitterfelder Straße, der Angerstraße. Man setzte die Straßenpflasterungen fort, erneuerte die Hospitalkirche, baute die Luisenschule und die Kohltorbrücke. Diese günstige Entwicklung wurde 1914 durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges unterbrochen. Menschenverluste, Hunger und Not waren die Folgen. Die weiteren Ereignisse bestimmten maßgebend das Geschehen in unserer Stadt: Die Revolution von 1918 mit der Abdankung des Kaisers Wilhelm II. von Preußen sowie die krisenhafte Entwicklung bis hin zur Inflation. Die einfachen Bürger der Stadt verloren ihre Ersparnisse, das Arbeitslosenheer wuchs an, die Weltwirtschaftskrise hatte verheerende Auswirkungen und schließlich begann 1933 die Herrschaft der Nationalsozialisten. Vor allem durch die zu zahlende "Wohlfahrtsunterstützung" für die Arbeitslosen verschuldete die Stadt erneut. Im Jahre 1932 waren 346.000 Mark im Haushalt ungedeckt, davon allein 312.000 Mark für Wohlfahrtszwecke. Mit dem Jahre 1934 enden die Aufzeichnungen Reuleckes, dem wir für seine verantwortungsvolle Arbeit viel verdanken. Künftigen Heimatforschern und Chronisten wird es obliegen, die Chronik über das Jahr 1934 hinaus fortzuführen.
Alfred Schirmer
Hinweis: Reulecke hat den vorliegenden Chronikteil 1933 geschrieben. Unter diesem Aspekt muß beachtet werden, wenn er von "heute" spricht.


1700
Der große Nordische Krieg. Rußland unter Peter dem Großen, Polen-Sachsen unter August dem Starken, ferner Dänemark und von 1713 an auch Preußenunter Friedrich Wilhelm l. gegen Schweden unter dem jungen, aber kriegsgewaltigen König Karl XII. Dieser besiegt zunächst die Dänen und zwingt sie zum Frieden, besiegt dann die Russen bei Narva und wendet sich hierauf gegen König August II., genannt der Starke, von Polen, Kurfürsten von Sachsen, schlägt diesen in mehreren Schlachten, dringt durch Schlesien in Sachsen ein und erzwingt 1706 den Frieden zu Altranstädt bei Leipzig, worin August Il. auf Polen verzichtet. Kursachsen hat den Winter über für Unterhalt und Sold des schwedischen Heeres zu sorgen. Delitzsch muß aufgrund dieses Vertrages ein schwedisches Dragonerregiment, das in die Stadt einrückt, ein volles Jahr lang unterhalten, über 31 000 Taler aufbringen und die gleiche Summe zu der dem Kurfürstentum von Karl XII. auferlegten Kontribution zahlen.


1702
Die Ernte verregnet im Sommer dieses Jahres vollkommen, so daß das Getreide auswächst. - König August der Starke wird bei Klissow vom König Karl XII. von Schweden geschlagen.


1703
Karl XII. siegt abermals über August den Starken, bei Pultusk, worauf letzterer als König von Polen für abgesetzt erklärt wird.


1705
Der Monat Mai ist ungewöhnlich kalt. Am 25. und 26. genannten Monats fallen solche Unmassen Schnee, daß das schon in Ähren geschossene Korn zu Boden gedrückt und so bedeckt wird, daß nichts mehr davon zu sehen ist. In den Wäldern werden durch die Schneelast den belaubten Bäumen die Äste herabgebrochen. Trotzdem jedoch ist die Ernte sehr reichlich.


1706
Der Sommer bringt eine langanhaltende Hitze. Fast alle Gewässer trocknen ein, und die Wassermühlen stehen still. An verschiedenen Orten kann man ungehindert durch Mulde und Elbe gehen. - Superintendent Löscher verordnet am 16. September, daß die Pfarrer seiner Ephorie die Kelche, Pateneu, Kirchenrechnungen und neuangeschaffte Bücher in die hiesige Stadtkirche zu bringen haben. Auch die Akten der Superintendentur werden in das Feuergewölbe der Stadtkirchegebracht. Tags darauf (am 17.) rückt unter dem Obersten Dücker ein schwedisches Dragonerregiment in Delitzsch ein und bleibt fast ein ganzes Jahr lang hier liegen. Oberst Dücker nimmt auf dem Schlosse Quartier und brandschatzt die Stadt in empfindlicher Weise. Am 30. Dezember werden einige gestorbene Schweden von ihren Kameraden auf dem Friedhofe verscharrt.


1707
Der Superintendent Dr. Löscher geht als Professor an die Universität Wittenberg. 1709 wird er als Superintendent an die Kreuzkirche nach Dresden berufen. Am 12. Februar 1749 stirbt er dort als Konsistorialrat. Der Blitz schlägt in den Breiten Turm und richtet großen Schaden bei dem Tümer (Stadtpfeifer) und dessen Gesellen an. Am 7. und B. Juni kommt König Karl XII. von Schweden nach Delitzsch zur Besichtigung seines Dragonerregiments Dücker, die auf dem Schützenplatze stattfindet. Einem im hiesigen Ratsarchive aufbewahrten Berichte über des Monarchen Person ist folgendes zu entnehmen: "Aus des Königs kurzem krausem mit kleiner Permque bedecktem Haupthaare, aus seiner sonderbaren Kleidung (Indem er einen schwarzen Flor um den Halß und einen geringen blautuchenen Rock am Leibe, darunter ein gemein ledernes Camisohl und lederne Hosen trog) item seinen sonderlichen Geberden, Reden und Gesichtslineamenten spürte man einen hohen, sonderlichen Humour und Geist in ihm, welchen der Strafhand Gottes seithero zur Zornrute wider Sachsen gebraucht hat" Am 1. September rückt das Dragoner-Regiment Dücker aus Delitzsch ab. Karl XII. wendet sich zurück nach Rußland, wird aber am B. Juli 1709 in der Schlacht bei Pultawa von dem russischen Zaren Peter dem Großen vernichtend geschlagen. Er flüchtet nach der Türkei und bleibt dort 5 Jahre, während welcher Zeit der Krieg im Norden weitergeführt wird. Auch Sachsen beteiligt sich wieder.


1709
Johann Friedrich Böttcher erfindet das Porzellan. Im Januar dieses Jahres tritt eine ungewöhnliche Kälte ein, die vier Monate andauert. Vielen Menschen erfrieren teils Nase und Ohren, teils Hände und Füße. In den Wäldern geht das Wild zugrunde, ebenso Vögel in der Luft und Fische im Wasser.


1710
Gründung der Porzellanmanufaktur Meißen.


1711
Der russische Großfürst Alexius Petrowitz kommt am 19. September nach Delitzsch und wohnt dort im "Goldenen Ring" auf dem Markte. Nach eintägigem Aufenthalte reist er nach Hannover weiter.


1712
Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg, der sich am 2. November 1711 mit der Prinzessin Henriette Charlotte von Nassau-Idstein vermählte, wird mündig und übernimmt die Regierung. Er geht mit seiner Gemahlin nach Delitzsch und verbringt dort den Herbst und Winter. Der sächsische Kurprinz tritt wie sein Vaterzum katholischen Glauben über.


1713
Das junge Herzogspaar reist im Frühjahr nach Dobrilugk in der Niederlausitz und macht von da aus einen Besuch bei seinem Oheim, dem Herzog Heinrich von Spremberg, begibt sich aber bald wieder nach Dobrilugk, und nach einem Aufenthalte von wenigen Wochen im dortigen Schlosse kehrt er nach Delitzsch zurück, wo er den ganzen Rest des Jahres verbleibt.


1714
Im Frühjahr gehen Herzog Moritz Wilhelm und Gemahlin wieder nach Merseburg und bleiben dort ständig, abgesehen von noch einigen Reisen, die sie nach der Lausitz, nach Schkeuditz, Lauchstedt, Lützen und Karlsbad unternehmen.


1715
Am 27. März stirbt Herzog August, der älteste der beiden noch lebenden Oheime des regierenden Herzogs Moritz Wilhelm, in Zörbig ohne männliche Nachkommen.


1716
Am 17. März erscheint ein Nordlicht, das längere Zeit des Nachts sichtbar bleibt und die Häuser rot erleuchtet. Allgemein glaubt man, da man von einer solchen Erscheinung bis dahin nichts gehört und gesehen, der jüngste Tag breche an. Ein von Schönfeld auf Beerendorf zahlt in diesem Jahre 6 Gulden Pacht für Benutzung eines Schüttbodens auf hiesiger Gottesackerkirche.


1717
Von Lindenau auf Döbernitz pachtet den zweiten Schüttboden dieser Kirche.


1718/19
Im Sommer 1718 macht sich eine furchbare Hitze geltend. Fünf Monate lang fällt kein Regen. Im Mai 1719 tritt ebenfalls große Dürre ein, die bis Juli anhält, weshalb ein großer Teil der Ernte verloren geht und die Getreidepreise zu ungewöhnlicher Höhe ansteigen. Jedoch ist der Wein sehr gut.


1720
Estritt in diesem Jahre eine schreckliche Hungersnot ein. Der Scheffel Kom (Delitzseher Maß) gilt 2 Taler 12 Gr. Die Brauerei stellt eine Zeitlang das Brauen ein, da es an Malz fehlt. Viele Arme gehen aufs Land betteln.


1721
Die Stadt wird von einer Heimsuchung betroffen, wie solche seit 60 Jahren nicht erhört wurde. Von einer sehr erheblichen Wasserflut werden ganze Stadtteile überschwemmt, wodurch viele Gebäude zu Schaden kommen.


1722
Der Januar ist so außergewöhnlch warm, daß man in unserer Gegend überhaupt nicht einzuheizen braucht. Im Februar blühen sämtliche Bäume.


1726
In den ersten Monaten herrscht große Kälte vor; dann aber folgt ein sehr dürrer und heißer Sommer, so daß es im Mai heißer ist, als es in den Hundstagen zu sein pflegt. Da es auch den ganzen Sommer über nicht regnet, gibt es einen starken Mißwachs, vornehmlich an Sommergetreide. Dagegen ist wieder ein gutes Weinjahr.


1729
Die nach Angabe von Zeitgenossen damals fast einem finsteren Schafstalle gleichende Marienkirche (heute Kriegergedächtniskirche) wird von dem Dr. jur. utr. Christian Schultze, Syndikus der Ritterschaft in den Aemtern Delitzsch, Bitterfeld und Zörbig, Erbherm auf Niemegk, unter Aufwendung von 2000 Talern vollkommen wiederhergestellt. In seinem Testamente vom 29. März 1729 setzt Dr. Schultze zugleich ein Legat von 6000 Talem aus zum Besten der studierenden Jugend, des Hospitals und der Armen.


1730
Die wiederhergestellt Gottesackerkirche wird am 2. Februar, dem Feste Mariä Reinigung, mit Musik, Gesang und Predigt geweiht. In einem Kodizille vom 16. Februar bedenkt Dr. Schulze die Kirche noch mit 500 Tälern zu einem Baufonds. Am 1. Oktober stirbt dieser freigebige Wohltäter der Kirchengemeinde bereits auf seinem Rittergute Niemegk an Blutsturz. Seine Leiche wird am 4. Oktober mit einem Fackelzuge, jedoch in aller Stille, in dem Erbbegräbnis beigesetzt, daß er sich in der Marienkirche errichtete. Am Hauptportale der Kirche befindet sich sein künstlerisch ausgestaltetes, für unsere Begriffe freilich etwas überladenes Epitaphium. - Inmitten der Esplanade (heute Roßplatz) wird aus Sandstein eine Postsäule errichtet, die den Reisenden als Wegweiser mit Angabe der Orte nach Stundenentfernung dienen soll. Der Platz erhält von da an den Namen "Platz an der Postsäule". (Erst später, im Laufe des vorigen Jahrhunderts, wird dieser Name in "Roßplatz" umgetauft, weil dort die Pferde der Leipzig-Zerbst-Wittenberger Post ausgewechselt wurden, "derweil die Reisenden im "Weißen Roß" zur Weiterfahrt sich stärkten".)


1731
Herzog Moritz Wilhelm stirbt vorzeitig und kinderlos, erst 43 Jahre alt. Im Volke hieß er der "Geigenherzog" wegen seiner Leidenschaft für Geigen allerArt, wovon ereine reichhaltige Sammlung besaß. Seine hinterlasseneGemahlin, die Herzoginwitwe Henriette Charlotte, erwählt sich ebenso wie die Großmutter des Herzogs Schloß Delitzsch zum Witwensitz und bezieht dieses am 30. November.


1732
Der in Leipzig als Lohnkutscher in Diensten stehende Handarbeiter Görlitz aus Holzweißig, der mit 4 Pferden den Obersten de Caila von Leipzig nach Delitzsch gefahren und in der Nacht (vom 24. zum 25. November) zurück reitet, gerät vom Wege ab und im B rodenaundorfer Grunde in die sumpfige Tiefe, noch heute, obwohl vor länger als einem Jahrhundert schon ausgefüllt, genannt "der tote Mann", und versinkt darin mit allen vier Pferden. Letztere zieht man am anderen Morgen heraus, was nur mit Hilfe anderer Pferde geschehen kann. Der Kutscher wird zwar auch dem saugenden Moraste entrissen, stirbt aber, tödlich verletzt, unter den Händen seiner Retter. Das zuständige Gericht (Zschortau) läßt ihn, da seine hinterlassene Witwe und sonstigen Verwandten die Begräbniskosten scheuen, im Beisein vieler Leute unter einem Weidenbaume begraben.


1733
Der Blitz schlägt am Bußtag ein die Hofmeisterei eines Gertitzer Gutes, das dem derzeitigen Superintendenten, Mr. Streng, Nachfolger des 1707 verstorbenen Superintendenten Dr. Löscher, zugehört. Außer der Hofmeisterei brennen auch die Ställe und Scheune nieder.


1734
Am B. April stirbt, erst 40 1/2 Jahre alt, auf hiesigem Schlosse die um ihres wohltätigen Sinnes willen im Volke sehr verehrte Herzoginwitwe Henriette Charlotte. Am 4. Mai, abends, wird sie, ihrem letzten Willen entsprechend, ohne alles Gepränge in der hiesigen Stadtkirche am Altare beigesetzt. Die Kirche erhält bei ihrem Begräbnisse 200 Täler, und die gleiche Summe wirdunter die Armen verteilt- Außerdem macht sie in Gemäßheit eines ihren letztwilligen Verfügungen angehängten Kodizills vom 11. Februar 1734 eine Stiftung von 4000 Talern,deren Zinsen zur Errichtung der Stelle eines Katechismuspredigers dienen sollen.


1735
Am 15. Juni trifft der 71jährige Herzog Heinrich von Merseburg mit seiner Gemahlin Elisabeth in Delitzsch ein, um hier die Brunnenkur zu gebrauchen. Er wird mit großem Gepränge von den Spitzen der Bürgerschaft und den Schützen eingeholt. An einer zu Ehren des Herzogspaars errichteten, 26 Ellen hohen Ehrenpforte stehen 76 festlich geschmücktejunge Mädchen zum Empfange bereit, desgleichen 84 Knaben, letztere mit Gewehr, fliegender Fahne und Musik. Der von sechs Rappen gezogene herzogliche Wagen wird unter schallender Musik von Bürgern, Schützen, Knaben und Mädchen bis auf den Schloßplatz begleitet, wo die Bürger drei Salven abgeben. Hierauf machen die Behörden ihre Aufwartung, und das Kollegium Musicum (Kantorei) bringt eine Abendmusik. Das Fürstenpaar weilt bis zum B. Juli hier, und während dieser Zeit jagt ein Fest das andere. Insbesondere das am 21. Juni veranstaltete Schützenfest, an dem der Herzog teilnimmt und den Königsschuß abgibt, verläuft glanzvoll. Der um die Altstadt herumführende Wall wird zur heutigen Promenade eingeebnet. Sie führt zunächst den Namen "Stadtgrabenweg". Später "Ernteund Heuweg", auch "Stadtgrabenallee", "Lindenallee" oder kurz "Allee".


1738
Herzog Heinrich stirbt auf seinem Lieblingsschlosse Dobrilugk, 77 Jahre alt, am 28. Juli. Vier Wochen darauf folgt ihm seine Gemahlin nach. Mit ihm erlöscht das Herzoglich-Sächsisch-Merseburgische Haus. Stadt und Schloß Delitzsch fallen damit wieder an Kursachsen zurück, wo nach dem 1733 erfolgten Tode August des Starken dessen Sohn Friedrich August Il. Herrscher ist, zugleich auch wie sein Vater König von Polen.


1739/40
Entsetzlicher eisiger Winter. Am 18. November 1739 beginnt es so zu stürmen und zu schneien, daß am nächsten Tage tiefere Stellen manneshoch mit Schneebedeckt und alle Verkehrswege gehemmt sind. Zugleich tritt harter Frost ein, der sich nach dem Weihnachtsfeste verstärkt. Am 9. 11. Januar steigt die Kälte bis zum Unerträglichen. DiehärtestenTage dieses furchtbaren Winters sind 24.-27. Januar und 23.-28. Februar. Vom 29. November 1739 bis in den März 1740 kommt es nicht ein einziges Mal zum Tauen. Zur Erinnerung an diese Notzeit wird eine Denkmünze geprägt.


1740/42
Erster schlesischer Krieg und im Anschlusse an das preußische Vorgehen der Österreichische Erbfolgekrieg, der bis 1748 dauert und dadurch hervorgerufen wird, daß die Kurfürsten von Bayern und Sachsen sowie König Phillipp von Spanien, für den als Sproß des französischen Hauses Bourbon Frankreich eintritt, die sogenannte "Pragmatische Sanktion°, durch die der letzte deutsche Kaiser aus dem Hause Habsburg, Karl VII., in Ermangelung eines männlichen Erben seiner Tochter Maria Theresia die Nachfolge in der Herrschaft über die österreichischen Erblande sichern gewollt, nachdem im Oktober 1740 erfolgten Tode dieses Kaisers nicht anerkennen und selbst Erbansprüche erheben, Kurfürst Friedrich August von Sachsen, z.B. als Gemahl von Maria Josepha, einer Tochter des früheren Kaisers Joseph I. So geschieht es, daß Sachsen zunächst an der Seite des Preußenkönigs steht nach dessen Siege über die Österreicher bei Mollwitz die sächsischen Truppen gleichzeitig mit den Preußen in Böhmen einrücken. Zu diesem kriegerischen Vorgehen müssen auch die Untertanen des Amtes Delitzsch 30 Pferde stellen, und 14 Knechte werden ausgelöst. Da Maria Theresia jedoch mit den Preußen am 9. Oktober 1741 einen Waffenstillstand schließt, vereinigen sich die Sachsen alsbald mit den auch in Böhmen eingedrungenen Franzosen und Bayern und erobern gemeinsam mit denen Prag, wo sich der bayrische Kurfürst Karl Albert als König von Böhmen huldigen läßt. Dieser wird bald darauf (am 24. Januar 1742) auf Betreiben Preußens und Frankreichs in Frankfurt a.M. zum deutschen Kaiser gewählt unter dem Namen Karl Vif. Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen, Friedrich August 11., wünscht nun, da der bayrische Kurfürst ihm zuvorgekommen und Böhmen weggeschnappt, wenigstens Mähren für sich zu retten und dessen König zu werden. Der Preußenkönig Friedrich zeigt sich nach Ablauf des Waffenstillstands bereit, dorthin vorzudringen, und die drei Bastardprinzen, natürl iche Söhne August des Starken (Graf Moritz von Sachsen, Graf von Rutowski und Ritter von Sachsen) als Führer der etwa 20 000 Mann starken sächsischen Truppen erhalten durch den allmächtigen Minister Friedrich Augusts, Grafen Brühl, den Auftrag, sich diesem Vorgehen anzuschließen. Auch die Franzosen wollen teilnehmen, bleibenjedoch schon an der Grenze zurück. Die Sachsen folgen langsam und zögernd und beschweren sich fortgesetzt über die Preußen, die immer voran seien und alles aufzehren, so daß sie hungern müssen. Schließlich kehren sie um und erreichen, nur noch 8000 Mann stark, die Grenze. Friedrich schließt bald darauf, nach einem zweiten Siege über die Österreicher, mit Maria Theresia den für ihn günstigen Frieden von Breslau, worin ihm Schlesien zugesprochen wird.


1744/45
Zweiter schlesischer Krieg. Sachsen hat mit Österreich gleichfalls Frieden gemacht und sogar einen Bündnisvertrag geschlossen in der Erkenntnis, daß es nunmehr, nachdem Schlesien in preußischen Besitz gelangt, endgültig von Polen getrennt bleiben werden. Friedrich IL aber verfolgt mit Besorgnis die seit seinem Fernbleiben vom Kriegsschauplatz in für ihngefährlicher Weise wachsenden Fortschritte der Österreicher, die nicht bloß in Bayern einrücken und den neuen deutschen Kaiser Karl VII. aus seiner Residenz München vertreiben, sondern sogar die französischen Heere über den Rhein zurückdrängen und unter Beistand des mit ihnen verbündeten Königs von England mehrfach besiegen. Nach emster Erwägung entschließt er sich auf dringende Bitten des als Flüchtling in Frankfurt lebenden Kaisers Karl VII. wieder zu den Waffen zu greifen und rückt mit 80 000 Mann, die er als "kaiserliche Hilfstmppen" bezeichnet in Eilmärschen durch Sachsen in Böhmen ein. Sachsen muß wohl oder übel als ein Teil des deutschen Reiches den "reichsverfassungsmäßigen ohnschädlichen" Durchmarsch gestatten. Auch durch Delitzsch geht ein Teil des preußischen Heeres. Am 15. August rückt ein preußisches Kürassierregiment hier ein, muß "mit allem von der Bürgerschaft versehen" werden, bezieht Quartiere und marschiert am anderen Tage erst über Eilenburg weiter, um sich mit andem preußischen Truppen zu vereinigen. Friedrich erobert zwar Prag, muß sich aber aus Mangel an Proviant nach Schlesien zurückziehen. 1745 am 4. Juni schlägt erjedoch die Sachsen und Österreicher entscheidend bei Hohenfriedberg und etliche Monate darauf die Österreicher bei Soor in Nordböhmen. Einen Versuch der Sachsen und Österreicher, durch die Lausitz nach Frankfurt a.0. und Berlin vorzustoßen, vereitelter durch einen glänzenden Sieg bei KatholischHennersdorf, wo er die Sachsen vollständig zersprengt. Ein zweites sächsisches Heer unter dem Herzog von Weißenfels, das vor Leipzig zusammengezogen ist, wird von Großkugel bei Halle aus durch den bewährten Preußenführer, den alten Dessauer, der dort mit etwa 30 000 Preußen steht, in Schach gehalten. Ein sächsischer Oberstleutnant kommt im November in Eile nach Delitzsch und läßt die Stadt in Verteidigungszustand setzen. Das Mauerwerk wird ausgebessert uns soweit nötig mit Schießscharten versehen. Schanzpfähle werden an verschiedenen Stellen aufgepflanzt, z.B. am Schloßpförtchen, an der Hospitalbrücke und der Eckreihe hinterm Gerberplan, die Außenposten von Mitgliedern der Schützengilde besetzt und überhaupt alle waffenfähigen Bürger im Waffenhandwerke geübt. Preußischerseits erfolgt indes kein Angriff auf Delitzsch. Nur nachdem die Preußen endlich am 30. November auf Leipzig vorgerückt und die Sachsen von dort abgezogen sind, kommt plötzlich eine Streifschar von fünf Husaren nach Delitzsch, um, wie sie sagt, den Amtmann von dort gefangen abzuführen. Dajedoch die nunmehr waffengeübte und natürlich stark überlegene Bürgerschaft eine allzu drohende Haltung einnimmt, lassen sich die fünf Mann herbei, mit dem Bürgermeister Seitz zu paktieren, werden auf Kosten der Stadt im "Weißen Roß" bewirtet und ziehen wieder ab, nachdem jeder von ihnen noch ein Geschenk erhalten. Am 15. Dezember tragen die Preußen, diesmal befehligt vom alten Dessauer, über die mit einer österreichischen Heeresabteilung vereinigten Sachsen (bei Kesseldorf unweit Dresden) abermals einen Sieg davon, und hierauf kommt am ersten Weihnachtsfeiertage zu Dresden ein Friede mit Friedrich II. zustande, wonach dieser im ungeschmälerten Besitze von Schlesien bleibt, dafür aber, da Karl VII. inzwischen gestorben, den Gemahl Maria Theresias als Kaiseranerkennt. Sachsen muß für seine Bundeshilfe eine Million Taler Kriegskosten zahlen.


1745
Am 23. Juni geht König Friedrich II. von Preußen durch die hiesige Stadt im Begriffe, seiner Schwester der Markgräfin von Bayreuth, einen Besuch abzustatten.


 1746
Gleich am Neujahrstag (1. Januar) Iangt auf dem Rückmarsche von Dresden ein preußisches Reiterregiment hier an, geht aber am selben Tage noch nach kurzem Aufenthalte weiter. Mit des Herzogs Johann Adolf von Weißenfels Tode, der in diesem Jahre eintritt, stirbt auch diese herzogliche Nebenlinie der Wettiner aus, und das Land wird mit dem Kurfürstentume wieder vereinigt.


1748
Am Ostrande des Schützenplatzes, bisher unbebaut, enisteht, an der Bitterfelder Landstraße vor dem Viehtore gelegen, schon im Vorjahre ein neues Gehöft, dessen Besitzer Koppe alsbald die Erlaubnis zum Gasthalten nachsucht. Vom Rate der Stadt abgewiesen, wendet er sich an den Kurfürsten und erlangt durch höchstes Reskript vom 11. Januar 1748 die nachgesuchte Erlaubnis. Er benennt das Lokal "Wirtshaus zur Weintraube".


1750
Todesjahr des Superintendenten Mg. Johann Paul Streng, der sich durch die Begründung einer Kirchenbibliothek und als Verfasser der ersten Chronik von Delitzsch verdient gemacht hat. Allerdings blieb die Chronik im Beginne stecken, ihr Wert beruht in einer Darstellung der von den Uranfängen der Stadthandelnden Überlieferung. Sein Nachfolger wird 1751 Superintendent Mg. Johannes Christlan Mehlhomaus Weida (+ 1758). In diesem Jahretritt große Hochwassergefahr ein. Die Flüsse schwellen im Juni infolge starker und anhaltender Regengüsse zu beträchtlicher Höhe an und treten über die Ufer. Auch in Delitzsch richten die Wasserfluten großen Schaden an, mehr aber noch in den Muldenstädten, vornehmlich in Grimma, wo ganze Häuser, wie z.B. das des Kornschreibers Körner, der sich mit den Seinen gerade noch im Kahne retten kann, fortgerissen werden.


1755
In kursächsischen Landen wird am 17. Juni das "Commercium" (Handelsverbindung) mit Brandenburg-Preußen verboten, ein Beweis, wie gespannt zwischen beiden Ländern damals schon, ein Jahr vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, die Beziehungen waren. Friedrich IL rächt sich dadurch, daß er von jedem Frachtpferde, das durch Preußen nach Sachsen geht, 22 Groschen Geleitssteuer erheben läßt. Die Folge ist, daß viele Kaufleute den Handelsverkehr durch preußisches Gebiet meiden und eine neue Straße von Hamburg nach Leipzig über den Harz benutzen.


1756-1763
Der Siebenjährige Krieg, veranlaßt durch die Eifersucht der Hauptmächte des europäischen Kontinents (Österreichs, Rußlands, Frankreichs, Sachsens, Polens und Schwedens sowie der meisten übrigen Länder des deutschen Reiches) richtete sich gegen das Emporkommen Preußens. Friedrich der Große, von der Absicht seiner Gegner unterrichtet, spätestens im Frühjahre 1757 über ihn herzufallen, kommt ihnen zuvor und fällt gegen Ende des August 1756 mit 67 000 Mann in Sachsen ein, das nun die ganzen Kriegsjahre über Operationsgebiet bleibt. Er erobert Dresden und schließt das sächsische Heer bei Pima ein. Im Verlaufe des Krieges gewinnt er acht Schlachten (bei Lowositz, Prag, Roßbach, Leuthen, Zorndorf, Liegnitz, Torgau und Burkersdorf), und erleidet drei Niederlagen (bei Kolin, Hochkirch und die schwerste bei Kunersdort). Auch seine Unterfeldherren werden mehrfach geschlagen, siegen aber über die Franzosen bei Krefeld und Minden unter Führung des Herzogs Ferdinand von Braunschweig und am 29. Oktober 1762 (letzte Schlacht des ganzen Krieges) über die Österreicher und Reichstruppen bei Freiberg unter Führung des Prinzen Heinrich.-Am Sonntag, dem 29. August 1756, kommt auch nach Delitzsch -unter der Nachmittagskirche" eine Abteilung des preußischen Heeres, nämlich der größte Teil (2500 Mann) des von Wietersheim'schen Infanterieregiments und bezieht auf zwei Tage Quartier. Sie gehört zur Kolonne des Herzogs von Braunschweig. Der Aufenthalt kostet der Stadt 143 Taler 23 Groschen 7 Pfg.


1758
Am 10. November (einige Wochen nach der Niederlage bei Hochkirch) nachts gegen 2 Uhr, rücken in Delitzsch etwa 300 Mann Preußen ein. Fußvolk mit 10 Mann schwarzen Husaren und einem Geschütz. Da sie Kriegskassengelder nach Düben zu bringen haben, gehen sie dorthin weiter und kehren 5'/2 Uhr über Delitzsch nach Leipzig zurück, das auch nach Hochkirch in Händen der Preußen geblieben ist, und an dessen Festungswerken die letzteren sehr ernstlich arbeiten. Am 1. Dezember geht das ganze Dohna'sche Korps, 15 000 Mann stark, durch die Stadt, dessen gesamte Feldequipage schon am Tage vorher hier eingetroffen war. In diesen Tagen muß es gewesen sein, daß vor den hier anwesenden Offizieren die schwedischen Reitersignale vom Breiten Turnte herab geblasen wurden. Nach Mitteilung von Dr. Bitthorn in dessen "Geschichte der Schwedischen Reitersignale" steht in einem Almanach aus jenem Jahre zu lesen: "Die preisische Offisiers machte die Schwedische Musike auff den breitte Thurm vill Pläsir". Delitzsch wird in dieser Zeit ganz besonders stark und mit fast unerschwinglichen Kriegssteuern belastet.


1759
Im Beginne des August langen Reichstruppen und Österreicher vor Leipzig an, um dieser Stadt Entsatz zu bringen. Da deren preußische Besatzung nur noch sehr gering ist, weicht diese in der Tat dem feindlichen Andrange und zieht ab, nicht ohne jedoch, daß es beim Abzuge zu einem kleinen Gefechte zwischen den Preußen und den zwangsweise bei ihnen dienenden Sachsen, die heidenweise davonlaufen, gekommen wäre. Am 30. August kommt der österreichische General Ried mit 2500 Kroaten und Husaren in die Delitzscher Pflege. Er schlägt sein Lagerbei Döbemitz auf, wo ein Kroat stirbt, den man an einem Feldraine begräbt. Die in Leipzig freudig begrüßten Befreier erfreuen sich aber nicht lange des Besitzes der Stadt. Am 13. September schon kehren die Preußen zurück und verjagen die feindliche Besatzung. Leipzig wird nun aufs empfindlichste gestraft und mit erheblicher Kriegssteuerbelegt. Es wird auch dort ein preußisches Magazin eingerichtet, wohin unter andem Städten auch Delitzsch Fouragelieferungen zu leisten hat. Die preußische "Prästanda" (Abgabe) beträgt für unsere Stadt 557 Taler 19 Gr., darunter 223 Taler 6 Gr. an den Deputierten "des Leipziger Kreises" Heinrich von Witzleben.


1760
Nach Delitzsch kommen in diesem Jahre Truppen aus aller Herren Länder. Zuerst im September der österreichische Oberst Fetzer mit 3000 Württembergern und Pfälzern, Infanterie und Kavallerie. Sie beziehen ein Lager bei den Windmühlen nordöstlich der Stadt und rücken dann auf Düben ab. Diese Truppen treten am bescheidensten von all den die Stadt berührenden Kriegsleuten auf. Sie kaufen alles, was sie nötig haben, für ihr eigenes Geld. Nur Holz muß die Stadt liefern. Etliche Wochen danach findet sich der österreichische General Wetzey mit 12 000 Panduren ein, die vor dem Kohltore ein Lager beziehen. Sie betragen sich weit anmaßender, hauen die Bäume um, und man ist froh, sie anderen Tags wieder los zu werden, da sie, obwohl Bundesgenossen der Sachsen, sich viel schlimmer betragen als die Feinde. Die Stadt Leipzig gerät wieder in die Hände der Österreicher und Reichstruppen. Letztere denken bereits daran, hier ihre Winterquartiere aufzuschlagen. Doch Friedrich vereitelt diese Absicht, indem er den General Hülsen, mit ausreichender Truppenmacht versehen, nach Leipzig entsendet. Seine Annäherung wirkt so entmutigend auf die Reichstruppen ein, daß sie ohne Schwertstreich die Stadt preisgeben und den Preußen wieder überlassen. Nach der siegreichen Schlacht bei Torgau (3. November) kommt Friedrich selbst am B. Dezember nach Leipzig und bleibt dort bis zum 17. März des nächsten Jahres. Mehr als je wird die Stadt jetzt mit Kriegssteuern belastet. Sie so] I in Kürze außer den Mitteln für Gefangenenernährung und Verwundetenpflege noch eine Million Taler in bar zahlen. Da die Stadt sich weigert, werden die strengsten Gewaltmaßnahmen angedroht. Doch bringt der Berliner Großkaufmann Gotzkowsky Rettung. Auf seine Verwendung setzt Friedrich die geforderte Summe herab und nimmt seine Bürgschaft für die Zahlung an. In Delitzsch erscheint am 3. Dezember ein preußischer Kommissar mit mehreren Reitern und fordert eine Brandschatzung von 15 000 Talern, von der man nicht weiß, wie sie aufgebracht werden soll. In diesem Jahre findet in der Stadt eine Besichtigung sämtlicher vorhandener Privatmalzdarren statt, weil man beabsichtigt, zur Vermeidung von Feuersgefahr an einem abseits der Häuser gelegenen Ort eine gemeinschaftliche Malzdarre zu erbauen. Eine bei dieser Besichtigung vorgenommene Zählung der mit Malzdarre versehenen brauberechtigten Bürger ergibt die Zahl 78.


1761
Am 30. Juni, "dem zweiten Petri-Pauli-Jahrmarktstage", treffen an 500 preußische Jäger hier ein. Um ihre Forderungen zu erfüllen, muß der Rat 1783 Taler borgen. Die sonstige preußische Prästanda (Kriegsabgabe) beträgt noch 1659 Taler 8 Gr. 4 Pfg. Bei einem furchtbaren Unwetter, das gegen Mittag des 7. August entsteht, werden im Kosebruch von der dort weidenden Vieherde der Frau Becker aus Delitzsch, jedenfalls der Witwe des verstorbenen Besitzers der Gastwirtschaft "Zu den drei Schwänen" (heute "Zum Schwan"), wozu damals eine große Ökonomie gehörte, 75 Schafe erschlagen.


1762
Im Januar soll die Stadt abermals 15 000 Taler Brandschatzung beschaffen, was sich als völlig unmöglich erweist. Jedoch erborgt sie, was zu erlangen möglich ist. Auch muß der Rat einen Wagen mit vier Pferden nach Torgau stellen, ferner Korn von Leipzig nach Oschatz fahren und 640 Rationen Heu und Stroh für ein Dragonerbataillon beschaffen. In der Stadt selbst liegt ein preußisches Karabinierregiment, das gleichfalls erhebliche Aufwendungen erfordert.


1763
Der Friedensschluß nach so langjährigem Ringen kommt endlich am 15. Februar dieses Jahres im sächsischen Jagdschlosse Hubertusburg zustande. Ein paar Wochen vorher schon wird der Deützscher Bürgerschaft bekannt, daß dieser Abschluß nahe sei. Am 1. Februar, nachts um 1 Uhr, nämlich erhält der hier mit etwa 40 Mann einquartierte Leutnant von Schlichting diese Nachricht mit der Weisung, jede weitere Exekution einzustellen und nach Leipzig abzurücken. Amtlich wird der erfolgte Friedensschluß der hiesigen Bürgerschaft erst am 21. Februar auf dem Rathause mitgeteilt, während er in Leipzig bereits am Abend des Abschlusses durch den um 7 Uhr eintreffenden preußischen Postkommissarius Bertram, dem etliche zwanzig blasende Postillone voranreiten, bei brennenden Fackeln verkündet wird. Die Feier des Friedensdankfestes findet am 21. März in hiesiger Stadtkirche statt unter Veranstaltung einer Kollekte für die zerstörten Städte Dresden, Wittenberg und Zittau, die den Betrag von 151 Talem 12 Gr. 8 Pfg. ergibt. Ein besonderer Festgottesdienst ist für die Jungend angeordnet, und Kinder, Jungfrauen und Jünglinge ziehen in Reih und Glied festlich geschmückt zur Kirche. Nach Ausweis einer im hiesigen Ratsarchive befindlichen "Specifieation derer währenden Krieges zu denen Kriegs-Prästationen von der Stadt Delitzsch und Commun, ingleichen von der Raths-und Communkasse erborgten aufgenommenen und verzinsten Capitalien" sind Stadt und Bürgerschaft am Schlüsse des Kriegs verschuldet gewesen mit insgesamt 20 895 Talem 18 Gr. 4 Pfg. In der Erkenntnis, daß man zur Hebung des zu jener Zeit in Delitzsch sehr darniederliegenden Brauereigewerbes etwas Ernstliches tun müsse, schreitet man in diesem Jahre zurErrichung eines Brauerschaftssyndikats, dessen Bemühungen es auch allmählich gelingt, den Ruf des Delitzscher Kuhschwanzbiers wieder etwas zu heben und den Absatz zu steigern. Bald nach seiner Errichtung leitet das Syndikat eine Zählung sämtlicher Brauerbenhäuser in die Wege. Danach gibt es in Delitzsch damals 160 solcher Häuser, deren Besitzer in einem noch vorhandenen Aktenstücke alle namentlich aufgeführt sind. Am 5. Oktober stirbt, an der Hoftafel vom Schlage gerührt, der erst nach dem Friedensschlüsse von Warschau nach Dresden zurückgekehrte Kurfürst Friedrich August II., König von Polen, als solcher der letzte aus dem sächsischen Fürstenhause. Sein ältester Sohn Friedrich Christian übernimmt die Regierung, folgt aber leider nach wenigen Monaten schon seinem Vater im Tode nach. Für den noch nicht dreizehnjährigen Kurprinzen übernimmt seines Vaters ältester Brudcr Xaverals Vormund und Amtsverweser die Regierung. Er führt diese bis 1768 und macht sich verdient durch die Reformen des Heereswesens nach preußischem Muster und durch Verbesserung der Schafzucht. Die von ihm 1765 in Sachsen eingeführten Merinoschafe werden nach ihm Elektoralschafe genannt (vom lateinischen Worte elector-Kurfürst).


1765
Der Rat führt öffentliche Klage über die vielen Schulden, von denen nicht abzusehen, wie sie bezahlt werden sollen. Es erscheint eine landesherrliche Bekanntmachung über Besprechung der Verordnung: "Wiedererhebung der Städte zu ihrem vorigen Flor". Bei der Besprechung führen Rat, Viertelsmeisterund Ausschußpersonen bittere Klage, daß die bürgerliche Nahrung durch Professionisten und Krämer des platten Landes allzu stark beeinträchtigt werde. Die meisten Schwierigkeiten aber entstehen durch das Vorhandensein der vielen Caducitäten (Wüstungen) in der Stadt und den Ratsdörfern. Da genug bereits erbaute Häuser um wenig Geld zu haben sind, so finden sich für ganz wüste, nur mit großen Kosten neu zu errichtende Hausstätten keine Liebhaber.


1766
In diesem Jahr gibt es weder Schnee noch Eis und die Herden können den ganzen Winter über (1765/66) auf der Weide bleiben, weshalb 1 Pfd. Butter nur 2 Gr. kostet. Am 9. April haben die Obstbäume abgeblüht, und der Rog gen hat 4 Wochen später in voller Blüte gestanden. Der Sommer ist sehr warm. Es ist solcher Überfluß an Getreide und Obst, daß man es nicht hat Ioswerden können, und konnten die Bauern die Steuern nicht entrichten.


1768/69
Am 15. September 1768 tritt der Regent Prinz. Xaver zurück und der noch nicht 18jährige Friedrich August III. übernimmt die Regierung. Die Erbhuldigung findet in Delitzsch jedoch erst am 27. September 1769 statt. Vorgenommen wird sie von dem als Kommissar entsandten Reichsgrafen von Einsiedel auf dem hiesigen Schlosse. Die Bürgerschaft hat sich auf dem Schloßhofe versammelt und leistet dort den Eid.


1770/72
In allen dre iJahren Hungerzeit und dürftige Ernte. 1771 mißrät die Ernte infolge anhaltender Nässe und Kälte gänzlich. Mulde und Saale übersteigen ihre Ufer. In Eilenburg kann man nicht in die Kirche und muß den Gottesd ienst auf dem Rathause halten. Durch Bersten des Muldendammes stehen die Post-und Landstraßen unter Wasser. Die Hauptverkehrsstraße zwischen Leipzig und Delitzsch wird vernichtet. Große Teuerung tritt ein. 1772 abermals große Teuerung. Auf der Vorderseite einer Denkmünze neben einer Säule liest man: Sachsens Denkmal 1771 bis 1772; auf der Rückseite: In Sachsen galt 1 Sch. Korn 15 Th., 1 Sch. Weizen 16 Th., 1 Sch. Gerste 12 Th., 1 Sch. Haber 6 TI., l Pfund Butter 8 Gr. Die Teuerung entsteht in diesem dritten Notjahre durch furchtbare Wetterschläge, die im Erzgebirge, wo damals der stärkste Ackerbau des Landes betrieben wurde, niedergingen und so den Erntesegen vernichteten.


1773
Im Sommer dieses Jahres macht sich eine große Mäuseplage geltend. Ein von dem Bauer Bettzieche aus Werben mit Korn bestelltes größeres Ackerstück auf der Gertitzmarkt, wird von den Mäusen vollständig kahl gefressen. Die Ratsgerichte, die auf Verlangen den Acker besichtigen, schätzen den Erntebestand auf eine Garbe, von der sich aber erweist, daß. sie ohne Körner ist.


1774
Am 26. Januar erhält die "Witwe Elisabeth Sophie Riedelin" nach vielen vergeblichen Bemühungen endlich die beschränkte Erlaubnis zu Bier- und Branntweinausschank in ihrem "auf dem Damme, vor dem Hallischen Thore gelegenene Hause". Sie gibt dieser neuen Schankwirtschaft den Namen "Blaue Taube". Diese Erlaubnis wird ihr nicht vom Rat der Stadt zuteil, vielmehr nur gegen dessen stärksten Widerspruch auf Verwendung des damaligen Amtmanns in Delitzsch, des Kammer-Kommissionsrats Sucker, der zunächst vergeblich geltend macht, daß das Haus der Riedelin"unter Amts-Jurisdiktion" stehe und die Bittstellerin, "wenn von denen bey ihr einsprechenden Gästen einige Wein verlangen sollten, sich das Bedürfnis hierzu von dem Raths-Keller erholen und in ihrem Hause ausschenken" werden. Trotz diesem Zugeständnisse verharrt der Rat in seiner abweisenden Haltung. Erst im Jahre 1836 erlangt das Lokal unter dem Besitzer Christian Karl Schmidt die vollen Gasthofsgerechtsame. Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wird das Lokal umgetauft auf den Namen "Bürgergarten". (In den zwanziger Jahren des neuen Jahrhunderts geht diese immerhin alte Gaststätte ein, ebenso wie das Gasthaus "Zur Weintraube". Beide werden ein Opfer der so überaus schwierigen Zeitläufe nach dem Weltkriege.)


1776
Wieder ein sehr strenger und schneereicher Winter. Am 20. Januar übersteigt die Kälte den härtesten Tag des so außerordentlich kalten Winters von 1740 um 3 1/2 Grad. Es kann keine Kommunion gehalten werden. Der Lachsfang in der Mulde und der Lerchenfang sind in diesem Jahre ausgezeichnet. Ein Pfund besten Lachses kostet 8 Pfg. und eine Mandel Lerchen 1 Gr. 6 Pf.


1778/79
Bayrischer Erbfolgekrieg. Veranlassung ist Aussterben der bayrischen Kurlinie mit Max Joseph (1777). Der gleichfalls kinderlose Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, als Haupt der älteren Linie des Hauses Wittelsbach rechtmäßiger Erbe der bayrischen Länder, läßt sich vom Kaiser Joseph 11. bewegen, alte Ansprüche Osterreichs auf Niederbayern und Teile der Oberpfalz anzuerkennen. Dagegen tritt Friedrich der Große auf, der den Erben Karl Theodors, den Herzog von Pfalz-Zweibrücken, zum Widerstande gegen die österreichischen Ansprüche ermutigt. Auch Sachsen wird mit in den Krieg hineingezogen und steht diesmal auf der Seite der Preußen. Der Grund zu den Streitigkeiten zwischen Dresden und Wien ist jedoch ein andrer und schreibt sich daher, daß das reichsgräfliche Haus Schönburg sich für seine in Sachsen gelegenen Herrschaften "als böhmisches Afterlehen" der sächsischen Lehn shoheit zu entziehen sucht und in diesem Bestreben von Österreich unterstützt wird. Ein Nebengrund ist, daß Kurfürst Friedrich Augusts Mutter die einzige Schwester des verstorbenen bayrischen Kurfürsten ist und Erbrecht auf die Wittelsbach'schen Allodien hat, die Österreich für sich beansprucht. Delitzsch erlebt infolgedessen im Zeitraume dieser beiden Jahre fortgesetzt sehr viele Einquartierungen und Truppendurchmärsche. Am 2. Juli 1778 rücken von Halle her 2500 Preußen ein, die tags darauf nach Eilenburg und Torgau gehen. Am 18. Februar 1779 treffen 250 preußische blaue Husaren unter dem Rittermeister Wogatzsch ein, bleiben 10 Wochen hier und rücken dann über Taucha auf Dresden zu. Nach dem am 13. Mai 1779 erfolgten Friedensschlusse (zu Teschen), worin Österreich allen seinen Ansprüchen entsagt, kommen auf dem Rückmarsche abermals starke preußische Truppenteile durch Delitzsch. So am 21. Mai das Niederwesel'sche InfanterieRegiment, das zwei Tage bleibt und dann nach Halle geht. Dafür rückt an diesem Tage noch (1. Pfingstfeiertag) ein anderes Regiment ein, 1900 Mann stark. Es bleibt eine Nacht. Kaum ist es abmarschiert, so folgt, 1500 Mann stark, das Halberstädtische und Braunschweigische Inf.-Regiment, bleibt zwei Nächte, macht in der Stadt Janitscharenmusik und geht nach Zörbig weiter. Am 30. Mai treffen von Eilenburg her 300 Stückknechte ein, bleiben nur eine Nacht und gehen gleichfalls nach Zörbig. Einen Tag später kommt von Eilenburg her auf zwei Nächte das Kalksteinsche Inf.-Regiment nach Delitzsch und Raguhn. Diese vielen Durchzüge verursachen großen Geldaufwand. Am 6. Juni (I.n.Tr.) wird das Friedensdankfest im ganzen Lande gefeiert. Drei Tage vorher, am 3. Juni ziehen die beiden Grenadierkompagnien des sächsischen Musketierregiments "Churfürstin" in Delitzsch ein, das ihnen als Gamisonsort zugewiesen worden ist. Ihre Uniform ist: Weiße Röcke, Westen und Beinkleider, weiße Knöpfe und hellblaue Kragen. Rabatten und Aufschläge.


1782/83
Der Blitz schlägt am 23. August in das Rößlersche Haus hinter der Schule (am Kirchpiatze), zerschmettert einen Sparren und auch einen solchen in dem anliegenden Brauhause, zündet aber nicht. Der Winter von 1782 zu 1783 ist außerordentlich mild. Im darauffolgenden Sommer, von Juni bis Mitte August, zeigt sich unausgesetzt Höhenrauch und trockener Nebel, wobei die Sonne beim Auf- und Niedergange blutig-rot und strahlenlos erscheint. Die Luft ist erschlaffend.


1784
Ende Februar großes Wasser. Es steigt über den Halleschen Steinweg, weshalb der Fastenmarkt auf den 19. und 20. März verlegt werden muß. Am 2. Juli trifft Prinz Heinrich von Preußen auf einer Reise nach Dieskau und Lauchstedt hier ein.


1786
Der Rat macht öffentlich bekannt: "Das Kriegsschulden Tilgungswesen aus der Zeit des siebenjährigen Krieges ist beendet".


1787
Nachdem im Jahre vorher der kurfürstliche Befehl ergangen, "daß alle Weinhändler und Weinschenken des Landes alljährlich einmal ihre Weinvorräte von der betreffenden Stadtbehörde unter Zuziehung des Amts-, Land- und Stadtphysikus probieren lassen sollen, um Verfälschungen vorzubeugen", wird in diesem Jahre vom Physikus Dr. med. Karl Christlieb Bethke eine solche Weinbrobe bei den hiesigen Weinhändlern vorgenommen, nämlich dem Weinschankpächter des hiesigen Rats, Johann Adolf Parthaune und dem Gastwirt zum "Weißen Roß" allhier, Johann Christoph Thielemann. Nach Abgabe der Versicherung, daß die Untersuchung "derer blanken Weine aufs genaueste unternommen", wird beiden Wirten das Zeugnis ausgestellt, daß deren Wein "ächt und ohne beygemischte schädliche Metall-Theilchen gefunden" worden seien.


1788
Am 20. Oktober kommt Prinz Heinrich von Preußen abermals nach Delitzsch, umvon hier die Reise nach Dieskaufortzusetzen. Er reist diesmal mit größerem Gefolge und benutzt eine von 6 Pferden gezogene Extrapost. Während des Pferdewechsels nimmt ereinen kurzen Aufenthalt im "Weißen Roß".


1789
Ein Blitz schlägt am 14. August nachts zwischen 1 und 2 Uhr in den hiesigen Schloßturm. Die meisten Zimmer werden beschädigt, doch zündet der Blitz nicht. Eine halbe Stunde später wird auch das Volkmann'sche Rittergut in Zschortau kurz nacheinander zweimal vom Blitzstrahl getroffen, das erstemal schlägt er ohne Schaden in das Herrenhaus, das zweitemal in den Schafstall, wo er zündet und den Schäfer Kummer erschlägt nebst 199 Schafen. Der Rat gerät in Streitigkeiten und mit dem alten und kränklichen Superintendenten von Wichmannshausen, der in der alten Superintendentur wohnen geblieben ist, sich schon beinahe 30 Jahre lang hier im Amte befindet, nachdem sein Vorgänger, Superintendent Mehlhorn, der Nachfolger des unter 1733 erwähnten Superintendenten Strenge, verstorben. Von Wichmannshausen hat infolge gichtischer Beschwerden seit dem Jahre 1779, also seit 10 Jahren, keine Kanzel mehr betreten und wird von dem Vizesuperintendenten Magister Crüger vertreten, welch letzterer die neue Superintendentur, das vom Rate 1787 erkaufte Amtshaus, bewohnt. Da der Rat den alten Herrn von Wichmannshausen irrtümlich für emeritiert ansieht, will er ihm die Amtswohnung entziehen und läßt ihm auch das Beschneiden der Obstbäume im Garten der alten Superintendentur untersagen. Auf eine Beschwerde des alten Herrn wird dieser jedoch von der Behörde in Schutz genommen und die Stadt durch kurfürstliches Reskript angewiesen, den alten Superintendenten unangefochten in seiner Wohnung zu belassen, da er keineswegs aus dem Amte ausgeschieden und in den Ruhestand versetzt sei, die Stadt also ihm gegenüber zur Belassung der Amtswohnung verpflichtet sei.


1791
Der Kommuneeinnehmer Wecke hat aus seit 48 Jahren geführten Rechnungen schon 1790 nachgewiesen, "daß die Instandhaltung der Elberitzmühle und die auf derselben ruhenden Onera (Lasten) das baare Pachtgeld ganz absorbieren": Da in einem weitern Berichte aus demselben Jahre erklärt wird, daß diese Mühle "an Reparaturen der Stadt viel gekostet und die Einnahmen daraus nicht im Vergleich zu den Kosten stehen, sie also mehr schädlich wie nützlich", so stehn dem Verkauf keine Schwierigkeiten im Wege. Daher wird es dem damaligen Pächter der Mühle, Johann Andreas Freywald, in diesem Jahre nicht schwer, gegen das Angebot einer Kaufsumme von 700 Talern nebst Übernahme aller auf der Mühle haftenden Steuerlasten das ganze Anwesen erb-und eigentümlich zu erstehen. Der Verkauf findet am 4. Juli statt; die Auflassung erfolgt jedoch erst 12 Jahre später.


1792
Die Stadt gerät auch in Mißhelligkeiten mit dem Nachfolger des im Jahre vorher verstorbenen alten Herrn von Wichmannshausen, des Superintendenten Mg. Samuel Gottlieb Crüger, der den "netto 300 schritte" von seiner neuen Amtswohnung bis zur Kirche betragenen Weg zu weit findet und geltend macht, daß "kein Stadt-Geistlicher viel weniger Superintendent in ganz Sachsen zu seiner gewöhnlichen Amtsverrichtung soweit zu gehen" habe und außerdem °der Weg durch die Schloßgasse wegen des vor manchen Häusern sehr abschüssigen Pflasters und der in einer engen Gasse fließenden Rinne bey schlüpfrigem Wetter und besonders im Winter so gefährlich", daß er lieber "durch den tiefen Schnee im Garten" (nämlich der alten Superintendentur) "als jenen unsicheren weg gehen wollen". Er beantragt deshalb, ihm innerhalb der Südseite des Gartens der alten Superintendentur einen gepflasterten Weg herrichten zu lassen, was aber der Rat verweigert. Um zum Ziele zu gelangen, muß der Superintendent das alte Superintendenturgebäude nebst dazugehörigem Garten zum Preise von 450 Talern erkaufen.


1793
Die beiden Delitzscher Grenadierkompagnien rücken zum Reichskriege aus gegen das revolutionäre Frankreich, das sein Königspaar hingerichtet hat. Das Regiment "Churfürstin" zeichnet sich in diesem Kriege mehrfach besonders aus und trägt vornehmlich zu dem glücklichen Ausgange des Treffens bei Wetzlar (15. Juni 1796) sehr viel bei. Mit Ruhm bedeckt kehren die beiden Grenadierkompagnien nach Delitzsch zurück.


1795
Am 19. April. Der Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg in Delitzsch geboren. Er unternahm 1820-26 mit Hemprich Forschungsreisen in Ägypten und dessen Nachbarländern, 1829 mit A.v.Humboldt in Asien, wurde 1839 ord. Prof. in Berlin, wo er am 27. Juni 1876 starb. Namentlich machte er sich verdient um die Erforschung der kleinsten Lebewesen. Eins seiner Hauptwerke: "Mikrogeologie". Nach ihm ist die Ehrenbergpromenade benannt.


1796
Allmählich tritt wieder ein Verfall der sogenannten "Braunahrung" ein. Die bisherige Menge des Breihahn genannten Weißbiers muß in diesem Jahre auf die Hälfte herabgesetzt werden, nämlich von 11 auf 5 1/2 Faß, weil, wie es in dem Beschlusse heißt, zu wenig verschenkt wird, insofern die Umwohner an das Braubier seiner guten Beschaffenheit wegen mehr gewöhnt sind.


1798, 1800 und 1801/02
Der Winter ist in jedem dieser drei Jahre sehr streng und anhaltend, so daß 1798 viele Menschen erfrieren und die Leute im Juni 1800 noch Winterpelze tragen.


 1803-1808
Das Brauereigewerbe gerät wieder von Jahr zu Jahr mehr in Verfall. Fortgesetzt werden Klagen geführt über die schlechte Beschaffenheit des Bierstoffs. Viele Bewohner der innerhalb der Biermeile gelegenen Dörfer suchen sich an Rittergutsbieren der Umgebung schadlos zu halten, was eine Unzahl von Prozessen zur Folge hat.


1806/07
Auf Beschluß des Ratskollegiums vom 14. Mai 1806 und in Übereinstimmung mit den Viertelsmeistem der Stadt werden die Schlagbäume "an den beyden äußeren Thoren, dem Kohl- und Viehthore, allhier, da solche ohnedies, weil doch Thorwärter da sind, keinen Nutzen, vielmehr so manchen Schaden, wie hier allgemein bekannt ist, gehabt haben, ganz hinweggenommen und nach dem Ratsbauhofe gebracht". Unmittelbaren Anlaß zu dieser Maßregel hatte ein Unfall gegeben, den der von Leipzig zu Pferde rückkehrende Bürgermeister Friedrich Christian Schulze, der Großvater des nachmals berühmt gewordenen Schulze-Delitzsch, am Abend vorher nach eben eingetretener Dunkelheit vor dem Kohltore durch zu frühzeitiges Schließen des Schlagbaumes in Beisein des hier gamisonierenden Leutnants von Lichtenhayn erlitten. Im Kriege Preußens gegen Frankreich steht das Kurfürstentum Sachsen anfangs auf preußischer Seite, weshalb die beiden Delitzscher Grenadierkompanien am 14. Oktober unter ihren "Capitainen" von Schönfeld und Woher bei Jena gegen die Franzosen kämpfen. Die Getreidepreise sind sehr niedrig, da die Landleute aus Furcht vor französischer Plünderung ihre Vorräte umjeden Preis verkaufen. Es gibt fast keinen Winter. Um Neujahr 1807 blühen die Kirschbäume. Im Dezember schließt der Kurfürst von Sachsen mit Frankreich Frieden. Sachsen wird Königreich und tritt zum Rheinbund über, wird aber dadurch französischer Vasallenstaat.


1808
Wegen schlechter Beschaffenheit des Delitzscher Biers kommt es in diesem Jahre zu einer aufsehenerregenden Beschwerde. Deren Verfasser ist wohl der damalige Ratskellerwirt, Apotheker Leonhard, dessen Name an der Spitze der Beschwerdeführenden steht. Außer ihm haben nocht unterschrieben die Gastwirte aus Zschernitz und Zschemdorf sowie die Ortsrichter aus Groß- und Klein-Kyhna, Groß- und Klein-Lissa, Doberstau, Klitzschmar, Zwochau, Grabschütz, Kattersnaundorf, Quering, Zaasch, Serbitz, Brodau, Zschortau und Creuma. In der Beschwerde heißt es unter anderm: "Sonst war das Delitzscher Bier von besserer Güte als jetzt, so daß es an weit entlegene Orte abgefahren wurde, jetzt aber ist es in den Kellern der Vervielfältigung und Verwandlung so sehr unterworfen, daß es seine Kraft und Güte verliehrt, und wenn solches, wie gewöhnlich der Fall ist, schon Wochen lang im Keller gelegen hat, alsdann auf dem Fasse sowohl, als auch Bouteillen, welches auch der Landmann jetzt weit lieber trinkt, sich nicht mehr hält, sondern gar bald sauer wird, und sogar der Landmann selbiges nicht mehr trinken kann, daher denn wir, die Schenk- und Hauswirthe, gewöhnlich Delitzscher saure Biere haben und davon großen Schaden leiden". Am 29. August wird der später so berühmt gewordene Politiker und Volkswirt Hermann Schulze, genannt Schulze-Delitzsch, hierselbst geboren. Er studiert in Leipzig Rechtswissenschaft, wird in Naumburg Auskulkator und als Assessor in Dehtzsch zunächst Gehilfe seines Vaters, der Richter an verschiedenen ländlichen sogenannten Patrimonialgerichten war. Zugleich wird er Ratsassessor beim Magistrat der Stadt. Gegen Ende der vierziger Jahre tritt er in den Staatsdienst zurück und wird als Kreisrichter in der Provinz Posen angestellt. Infolge seiner politischen Einstellungverliert er dieses Amt im Jahre 1850 und kehrt alsbald nach Delitzsch zurück, wo er sich sogleich sehr lebhaft sowohl volkswirtschaftlich als auch schriftstellerisch betätigt. Noch 1850 begründet er den ersten Vorschußverein in Delitzsch, und zwei Jahre darauf gibt er auszugsweise die von dem Aktuar G. Lehmann hinterlassene Chronik der Stadt Delitzsch heraus. Auch tritt er als Dichter hervor und veröffentlicht einen Band Gedichte. Seine fachwissenschaftlichen Kenntnisse aber vermag er nur noch als Winkeladvokat auszuüben, da ihm verwehrt wird, als Rechtsanwalt zu praktizieren. Seine große rednerische Begabung läßt ihn 1861 Mitglied des Abgeordnetenhauses werden, von 1867 an auch des Reichstags, wo er der Fortschrittspartei angehört. 1863 siedelt er von Delitzsch nach Potsdam über und stirbt dort am 29. April 1883. Hauptwerke von ihm sind: "Vorschuß-und Kreditvereine als Volksbanken", "Schriften und Reden". Seine Eltern liegen auf dem hiesigen alten Friedhofe begraben.


1809
Am 1. Januar tritt Mg. Friedrich Heinrich Starcke sein neues Amt als Superintendent in Delitzsch an, nachdem dieses im Herbste vorher durch den Tod des Superintendenten Mg. Crüger erledigt war. Vorher war Mg. Starcke mehrere Jahre lang als Superintendent in Bitterfeld tätig. Er war in der ganzen Gegend bekannt nicht nur als hervorragender Theologe und Gelehrter, insbesondere guter Lateiner, sondern vielmehr noch als ein tatkräftiger Vertreter des Deutschtums und grimmiger Franzosenfeind, nebenbei noch und bei Gelegenheit auch als Dichter. In dem Büchlein "Erlebnisse eines sächsischen Landpredigers in den Kriegsjahren 1806-1815", verfaßt von dem damaligen Pfarrer in Großzschocher, wird erwähnt, daß nach der Schlacht bei Leipzig, im November 1813 "auf die Verwendung des herzhaften Superintendenten Starcke in Delitzsch" von dem russischen Generalgouverneur Fürsten Repnin den sächsischen Pfarrern die außerordentlich drückenden Lasten und Kriegssteuern erlassen wurden, "während der altersschwache Rosenmüller" (Superintendent in Leipzig) "seine Pfarrer preisgegeben hatte". Feierlich eingeführt in sein Amt wird er jedoch erst am 16. Oktober 1809, und zwar von den vorbenannt "Domherrn Seiner Hochwürden Magnifizenz, Konsistorial-Assessor und Superintendent in Leipzig. Dr. Rosenmüller".


1810
Die beiden Grenadierkompagnien des Regiments "Churfürstin" wurden aufgelöst. Sie verlassen die Stadt. Vordem Scheiden läßt der eine der beiden Hauptleute von Schönfeld eine Gedenktafel anfertigen, die zunächst an einer Linde am Stadtgraben vor dem Breiten Tore befestigt wird und auf schwarzem Grunde in goldener Schrift folgende Verse aufweist:

So lebt denn wohl, ihr angenehmen Fluren,
Nicht lange wart ihr uns die Wohnungen der Ruh.
Das Schicksal führt uns auf entfernte Spuren
Und deckt uns eure Reize zu.
So oft ihr grünt, wird der Verlust uns kränken
Gleich einem Liebenden, der die Geliebte mißt,
Bei derem Schwur er hofft, daß sie sein Angedenken
Bei fremden Küssen nie vergißt.
Nachhall froh verklungener Stunden;
Die der Stadt Delitzsch stets ergebenen
Grenadier-Compagnien 1810.

Im Frühjahr 1863, als diese Linde umgeschlagen werden muß, befestigt man eine neue Tafel an einer Linde des kleinen Schutzes, diesmal von Weißblech mit schwarzer Schrift auf weißem Grunde. Da diese im Laufe der Zeit verwittert, wird sie in den achtziger Jahren entfernt und erst 1910 am hundertjährigen Jubiläum in der ursprünglichen Form wiederhergestellt.


1811
Als Kometenjahr ist dieses Jahr außerordentlich fruchtbar. Besonders der Wein ist reichlich und gut. Der Rat der Stadt zieht die Anstellung eines Stadtförsters, dem die Aufsicht über den Forst in der Spröde unterliegen soll, in Erwägung. Bisher hatte diese Aufsicht derjedesmalige Rittergutspächter in Beerendorf zu führen gehabt. Im Beginne des neuen Jahrhunderts ist Pächter dieses Ritterguts ein Herr mit Namen Kohlmann. Dieser kümmert sich fastgar nicht um den Delitzscher Stadtforst, so daß sich dort in unheimlicher Weise die Holzdiebstähle mehren. Verdächtig dieser Diebstähle sind hauptsächlich zahlreiche Bewohner der Grünstraße sowie "die liederliche Möbsin allhier", die, wie ein Ratsmitglied ausführt, `egen dieser straffälligen Holzdeuben und Holzhandels schon mit Gefängniß bey -Wasser und Brod von uns bestraft worden ist". Der Rat beschließt daher, von dem Anerbieten eines im Forstwesen von Jugend auf bewanderten wohlhabenden Delitzscher Bürger namentlich Karl Wilhelm Becker Gebrauch zu machen, wonach der Stadt zum Bau eines Forsthauses auf dem Gelände der wüsten Mark Görlitz die Summe von 800 Tälern vorgeschossen werden soll, die im Zeitraume von 18 Jahren (bis 1828) abzutragen wäre. Als Gegenleistung begehrt Becker neben der Anstellung als Stadtförster bei einer Besoldung von 25 Gulden in bar, freier Bewirtschaftung von 8 Morgen Ackerland sowie dem Ertrage einer an der Straße anzulegenden Kirschallee und sonstiger aus der Forsthegung sich ergebender Deputate - vor allem auch die Übertragung der auf der einstigen Schenke des wüsten Dorfes Görlitz noch ruhende Schankgerechtigkeit von Bier und Branntwein auf das Forsthaus. (Schreiben Beckers vom Heiligabend - 24. Dezember).


1812
Bei dem sogenannten Augustusbüschchen wird auf Grund und Boden in Görlitzmark das Forsthaus erbaut, wo es heute noch steht. Dem Bürger Bekker, der seinem Wunsche gemäß dort als Stadtförster einzieht, wird die gewünschte Schankgerechtigkeit erteilt.- Es tritt ein kalter und früher Winter ein, wodurch die große in Rußland auf dem Rückzuge befindliche französische Armee vernichtet wird.


1813
Während des ersten der Freiheitskriege hat Delitzsch außerordentlich viel unter Truppendurchmärschen, gewaltsamen Beitreibungen und Quartierlasten zu leiden. Schon in den ersten Tagen des April rücken Russen in Delitzsch ein, die anfänglich in der Hoffnung, den sächsischen König zu gewinnen, strengste Manneszucht beobachten. Am 25. April halten diese Truppen in der hiesigen Stadtkirche ihr Osterfest nach griechischem Ritus. Der Gottesdienst beginnt früh 5 Uhr und dauert bis 11 Uhr, wobei die Russen Ostereier in den Händen tragen. Die Einwohnerschaft bemüht sich den russischen Ostergruß: "Cristos wos kres!" (Christ ist erstanden), auswendig zu lernen, um von den Russen den Gegengruß zu erhalten: "Wo istinoi wos kres!" (Er ist wahrhaftig auferstanden), verbunden mit Umarmung und Kuß und Beschenkung mit einem Osterei. Manche Härte macht sich jedoch schon fühlbar. In der Nacht zum 18. April erhält der auf dem Schlosse wohnhafte Justizamtmann Wendler den Befehl, der Amtbezirk Delitzsch solle sofort, lieferbar bis zum 20. April nach Borna, 100 Pferde stellen, unter Androhung schwerer Strafe bei Nichtausführung des Befehls. Am 21. April treffen preußische und russische Truppen hier ein "zur Übung". Für sie wird gefordert, das Amt habe binnen 24 Stunden zu liefern: 600 Scheffel Korn, 3000 Scheffel Hafer, 2000 Zentner Heu, 8000 Quart Branntwein, 30 000 Pfund Erbsen, Grütze und Graupen, 40 000 Pfund Salz und 20 000 Pfund Fleisch. Ein hier zu Tode kommender vornehmer Kosak wird auf einem Hügel vor dem Kohltore (Ecke Wiesen-und Elberitzstraße) begraben. Der Hügel erhält den Namen Kosakenberg. Das Grab wird gekennzeichnet durch drei Steine. Nach Erbauung der Chausseestraße (heute Hindenburgstraße) führt die heutige Wiesenstraße eine Zeitlang den Namen "Weg nach dem Kosakenberge". Kurze Zeit vor der Schlachtbei Großgörschen hat der Führer des russisch-preußischen Heeres, Fürst Wittgenstein, sein Hauptquartier auf hiesigem Schlosse. Nach dieser Schlacht rücken Franzosen in Delitzsch ein. Und nun folgt eine Bedrückung der andern. Unerschwinglich hohe Lieferungen an Hornvieh, Getreide aller Art, Erbsen und Graupen, Heu und Stroh, sowie an Branntwein sollen erfolgen zunächst in der Zeit vom 16.-18. Mai nach Torgau, sodann Ende Mai an das Kommando der Kgl. sächsischen Armee, das außerdem noch 19 Pferde fordert, ferner im Juni zur Auffüllung eines beträchtlichen Magazins in der Pleißenburg zu Leipzig. Am 28. Mai ergeht ein 'Allerhöchster" Befehl, wonach vonjeder sog. Magazinhufe (genannt nach der Getreideabgabe - eine Metze - im Gegensatz zu Spann- bzw. Marschhufen) 2 Taler 16 Gr. in bar aufzubringen sind und 'im niedem Distrikte des Leipziger Kreises"durch Major und Kreiskommissar von Bünau erhoben werden. Um das Unglück voll zu machen, langt am 29. Mai, als die Franzosen eben die Stadt verlassen haben, ein Exekutionskommando von 50 Kosaken an, abgesandt von dem russischen General Graf von Orowk, der mit einer größeren Heeresabteilung in und um Roßlau stand, und verlangt gleichfalls unerschwingliche Lieferungen, die bis zum 1. Juni in dem Proviant- und Fouragemagazin eintreffen sollen. Man glaubt jedoch, diesen Befehl umgehen zu können, da man die Franzosen in der Nähe weiß. Kurzerhand aber ergreifen die Kosaken den Amts-Vizeaktuar Claus und führen ihn als Geisel mit nach Roßlau. Einige Tage später, am 5. Juni, früh 4 Uhr kommt ein erneuter Befehl des russischen Oberkommandos an das Amt, ohne den mindesten Verzug 40 vierspännige Wagen, auf 4 Tage mit Munition versehen, nach Roßlau zu stellen. Im Weigerungsfalle wird strenge Strafe angedroht. Diese russisch-braunschweigische Heeresabteilung kommt schließlich gar am 7. Juni, dem ersten Pfingstfeiertage, in voller Stärke durch Delitzsch marschiert in der Absicht, auf Leipzig vorzustoßen, um die französische Verbindungslinie zwischen Dresden und Erfurt zu durchbrechen. Der Vorstoß gelingt auch vollkommen. Mit Mühe rettet sich der zum Stadtkommandanten Leipzig ernannte gewalttätige Herzog von Padua Arrighi, Verwandter der Bonaparte, vor den unvermutet andringenden Russen. Dagegen wird Marschall Marmont, Herzog von Ragusa, gefangengenommen und nach Delitzsch abgeführt. Er muß aber wieder freigegeben werden, und die ganze Unternehmung verläuft ohne Wirkung, weil inzwischen der russische Führer, General Graf von Woronzow, die ihm bis dahin noch nicht übermittelte Nachricht erhält, daß am 5. Juni bereits zu Poischwitz (Schlesien) ein Waffenstillstand abgeschlossen worden sei. Die russisch-braunschweigische Heeresabteilung zieht sich darauf in ihre frühere Stellung zurück. Während des Waffenstillstands, der bis zum 15. August dauert, hat die Stadt einigermaßen Ruhe. Nur einige Pferdelieferungen, desgleichen solche an Heu und Stroh müssen vom Amtsbezirke ausgeführt werden. Laut Amtspatent vom 2. August werden zur "Peräquation" (Ausgleichung derSchulden) aufjede Hufe 2 Taler 16 Groschen an das Kreiskommissariat eingezahlt. Der auf den 15. August fallende Geburtstag Napoleons, der in diesem Jahre laut Verordnung wegen der bevorstehenden Wiedereröffnung der Feindseligkeiten bereits am 10. August gefeiert wird, vereinigt mehrere französische Truppenteile auf dem hiesigen Schützenplatze, wo seit etlichen Tagen eine Abteilung Infanterie in Biwak liegt. Auch die in Bitterfeld liegenden französischen Truppen werden dorthin befehligt. Vom Oberbefehlshaber dieser Truppen ergeht an die hiesige Geistlichkeit der Befehl, einen Feldgottesdienst abzuhalten, und zwar in lateinischer Sprache. Superintendent Starcke als großer Franzosenfeind wünscht die Predigt dem Archidiakonus Mg. Morgenstern zu überlassen. Beide kommen überein zu losen, und das Los fällt auf den letztern, der wohl oder übel den Gottesdienst abhalten muß. Vorahnend hatte Sup. Starcke, der die beiden Lose gemacht, auf das mit seinem Namen versehene geschrieben: "Sup. Starke silebit" (wird schweigen), auf das andere: "M. Morgenstern praedicabit" (wird den Lobredner machen). Nach Ablauf des Waffenstillstands tritt auch Österreich auf die Seite der Verbündeten, und der Krieg entbrennt heftiger als vorher. Von Einquartierungslast bleibt Delitzsch zwar vorerst verschont, bekommt dagegen die Lieferungslast um so schlimmer zu kosten. Ein Amtspatent jagt das andere. In der Zeit von MitteAugustbis Ende September müssen gehefertwerden nach Wittenberg je 2800 Zentner Heu und Stroh; am 23. August nach Leipzig an das Lazarettkomitee 32 1/2 Zentner Fleisch in lebendem Vieh ('/, Zentner auf die Hufe, wovon Delitzsch 130 besaß); am gleichen Tage nachTorgau an denfranzösischen Gouverneur General Lebrun gegen Bezahlung von 2 Tlr. 8 Gr. pro Scheffel 1190 Scheffel Hafer; am 25. Aug. nach Leipzig, Pleißenburg, pro Hufe 1/2 Scheffel Hafer und'/, Scheffel Korn; am 4. September nach Torgau pro Hufe 1 Scheffel Korn oder 126 Pfund Mehl, 2 Metzen trockenes Gemüse, 1 Scheffel Hafer und 10 Pfund eßbares Fleisch in lebendem Schlachtvieh; am B. Sept. nach Dresden an die kaiserl. franz. Amee-Administration 4900 Ztr. Roggenmehl, 1650 Ztr. Weizenmehl gegen Bezahlung; am 18. September nach Torgau an General Lebrun je 1190 Scheffel Korn und Hafer, 1190 Ztr. Heu, 119 Schütten Stroh und 119 Stück Schlachtochsen, zu deren Transport 50 Mann der Besatzung beordert sind; am 30. September nach Leipzig in das Etappenmagazin pro Hufe 1 Scheffel Hafer und 1/2 Schock Stroh. Da Delitzsch den größten Teil dieser Proviantlieferungen auf dem Lande zusammenkaufen muß, so gerät die Stadt mitjeder Lieferung tiefer in Schulden, zumal die Kreisdeputation die Zahlung für die gelieferten Vorräte schuldig bleibt. Ende August beträgt die Schuld bereits mehr als 5200 Taler. Der Rat sendet daher schließlich den Kämmerer Weidenhammer nach Leipzig, um bei der Kreisdeputation bzw. dem Steuerrevisor Kraft endliche Bezahlung zu erwirken. Die Herren erklären jedoch, für Delitzsch kein Geld übrig zu haben; man habe kaum genug, um die täglichen Bedürfnisse der Stadt Leipzig zu bestreiten. Oberhaupt sei Delitzsch noch lange nicht am Ende seiner Leistungsfähigkeit. Es habe gute Nahrung, starken Ackerbau und im Beginne des Krieges wenig gelitten. Weidenhammer bestreitet dies alles, erklärt die Nahrungszweige für gänzlich gesunken und die Bürger infolge der schweren Kontributionen und unaufhörlichen Einquartierung für völlig verarmt. Er erreicht jedoch nichts, nicht einmal das Zugeständnis, daß man es bei Unerfüllbarkeit der Forderungen nicht zur Exekution kommen lassen werde. Es muß also weitergeliefert werden. Die Folge ist: Aufnahme neuer Anleihen. Weidenhammer bemerkt in seinen Aufzeichnung: "Stündlich dachte ein jeder, die Masse des Elends sei nun auf den Gipfel gestiegen, und dabei wuchs sie stündlich höher und immer höher bis ins Ungeheure". Die schlimmste Zeit beginnt erst, als die Franzosen unter General Bertrand, am 3. Oktober bei Wartenburg von General York geschlagen, auf dem Rückzuge der am 4. Oktober über Gräfenhainichen und Jeßnitz-Raguhn geht, in größeren Massen unter Marschall Ney ihren Marsch durch Bitterfeld nehmen und Delitzsch überfluten. Zwei Divisionen biwakieren zwischen Holzweißig und Delitzsch, die sächsische Division lagert bei Benndorf, Kavallerie zwischen Zsehernitz und Landsberg. Glücklicherweise verweilen diese Truppen nicht lange in der Gegend. Beunruhigt durch die Vortruppen des russischen Korps von Wintzingerode, die sogar in den Rücken der Franzosen gelangen, zieht Marschall Ney seine ganze Armee, darunter auch die bei Cletzen im Biwak gelegene württembergische Division, bei Delitzsch zusammen und verläßt noch in der folgenden Nacht auf Befehl Napoleons zur großen Erleichterung der Delitzscher Bürgerschaft die Stadt und ihre Umgebung, um zunächst nach Eilenburg zu gehen und die bereits gegen Düben vordringende Blücher'sche Armee wo möglich zurückzuwerfen. Die nachstenTage über, bis zum 12. Oktober, wird Delitzsch fortgesetzt durch kleinere, zur Aufklärung vorgeschickte Abteilungen der verbündeten Heeresgruppen beunruhigt. Diese Streifscharen halten sich nie lange in der Stadt auf, ersteigen gelegentlich die höchsten Türme, um von dort aus etwaige feindliche Bewegungen festzustellen und streifen weiter, meist nach den östlich gelegenen Dörfern, ihr Erkundigungsgeschäft fortzusetzen. Am 10. ist Delitzsch von Kosaken und preußischen Husaren besetzt. Von vorgeschobenen Streifscharen wird festgestellt, daß auf der Leipzig-Dübener Straße ein starkes feindliches Korps heranzieht, sich am Posthof Roten hahn (Crensitz) teilt, wovon die eine Hälfte auf Düben weitermarschiert, die andere sich über Hohenroda nach Delitzsch wendet. Da in unmittelbarer Nähe der Stadt gerade beim Herannahen des Feindes ein russisches Korps unter General Emanuel vorbeizieht, daß sich auf dem Marsche nach Zorbig befindet, stellt der Feind zwische Beerendorf und Delitzsch seinen Vormarsch ein, begnügt sich, einige Kanonenkugeln nach der Stadt zu schicken, und zieht sich zurück. Etliche der Kugeln, sowie das in einer Vorstadtscheune steckengebliebene Stück einer Granate werden im hiesigen Heimatmuseum aufbewahrt. Not und Elend erreichenden Höhepunkt, als am 12. Oktober drei französische Korps in Delitzsch einfallen, teils dort Quartier beziehen, teils auch in den Straßen der Stadt sowie in der Umgebung biwakieren. Zuerst kommt in zwei Kolonnen, die eine über Sausedlitz und Laue, die andere über Lindenhayn, Brinnis und Spröda, das mehr als 20 000 Mann starke 6. Korps unter Marschall Marmont, Herzogvon Ragusa, an. Der Marschall nimmt Quartier in dem Huske'schen Mühlengrundstücke, an dessen Stelle heute das Haus Bitterfelderstraße 39 steht. Seine Truppen liegen in Biwak auf dem Schützenplatze und nach Westen zu bis Kühnes Garten, nach Osten hin gar bis nach Werben. Chausseurs werden einquartiert auf dem Gerberplane, jedoch ohne die Pferde, die im Biwak untergebracht werden. Nicht lange danach trifft das unter Führung des Fürsten Poniatowski stehende, rein polnisehe achte Korps ein, das zwar kaum halb so stark ist wie das sechste, aber durch sein Erscheinen die Not auf das äußerste steigert. Der edelgesinnte Fürst quartiert sich im Gasthaus zur Weintraube ein, wo der die Nacht angekleidet auf Stroh verbringt. Außerdem kommen auch starke Abteilungen des aus neun schwachen Regimentern in Gesamtstärke von etwa 3000 Mann bestehenden dritten Kavalleriekorps, die der schon länger auf Rittgut Döbernitz liegende General Arrighi, Herzog von Padua, als deren Führer zwischen der Spröde und Beerendorf aufgestellt hat, um über sie Musterung zu halten, als schlimme Quälgeister in die Stadt, hierin ihrem gewalttätigen Führer ähnlich. Die hungernde Soldateska quält und mißhandelt die bürgerlichen Quartiergeber häufig auf unerträgliche Art. Unter Anwendung brutaler Gewalt werden alle erreichbaren Lebensmittel geraubt, alle Holzbestände, auch die Möbel, Bettstellen nicht ausgeschlossen, sogar Dielen und Holztreppen, desgleichen Türen, Fensterrahmen und Dachsparren aus den Gehöften entnommen und als Brennstoff für die Wachfeuer verwertet. Aus den Scheunen werden nicht nur alle noch vorhandenen Stroh und Heuvorräte entfernt, sondern auch die noch unausgedroschenen Getreidegarben, um sich damit im Biwak Strohhütten herzurichten und sie als Lagerstätte zu benutzen oder den Pferden unterzustreuen. Dabei liegen in allen Wohnräumen bis in die Dachböden hinauf die ungebetenen Gäste wie die Heringe dicht nebeneinander, sogar in den Schlafzimmern der unglücklichen Hausbewohner, die sich auf dem kalten, oft der Dielen beraubten Erdboden zu Bett legen müssen, dicht neben sich auf Strohschütten die wilden, in ihre Mäntel gehüllten Kriegergestalten. In und um die Dörfchenmühle haben sich um die gleiche Zeit übrigens Kosaken cingenistet, die am Abend die feindlichen Vorposten beunruhigen, ,ja keck bis in die vorderen Linien des Franzosenheeres eindringen. Fürst Poniatowski sendet ihnen eine Abteilung polnischer Lanciers entgegen, die an der "Kosebruch" mit ihnen ein Scharmützel haben und sie vertreiben. In der Nacht zum 13. geht dem Marschall Marmont von Napoleon, der von Dresden aus über Wurzen und Eilenburg Blücher nachgefolgt war und sich seit dem 10. in dem von Blücher rechtzeitig geräumten Düben aufhält, der Befehl zu, sich mit allen in und um Delitzsch befindlichen Truppen auf Leipzig zu ziehen, um seinen Schwager Murat, den König von Neapel, zu verstärken, der dort der aus Böhmen heranrückenden Hauptarmee der Verbündeten gegenübersteht. Demgemäß rückt Marmont mit den gesamten Scharen des Franzosenheeres, die Delitzsch wie ein Schwarm Heuschrecken überfallen haben, auf Taucha zu am 13. vormittags ab. Die Stadt kann aufatmen, hat aber fast alle Getreidevorräte sowie alles Vieh verloren. Die sonst so sauberen Straßen sind mit verschmutztem Stroh und, was das Ärgste ist, mit gänzlich verdorbenen, noch unausgedroschenen Getreidegarben, deren abgeknickte Ähren im Straßenschmutz verkommen, fußhoch bedeckt. Viele Wohngebäude sind des nötigsten Hausrats beraubt, und es fehlen ihnen die Haus-und Zimmertüren, deren Öffnungen die Bewohner durch Vorhänge zu schließen suchen. Wochenlang ist in der Stadt kein Brot mehr zu haben. Man nährt sich eine Zeitlang von den elendsten Speisen. Aus den Dörfern ringsum sind Schafe und Rindvieh zur Seltenheit geworden. An Pferden fehlt es ganz. Am 14.,16.und 18. ,ja auch noch am Vormittagedes 19. Oktober durchdröhnt der furchtbare Schlachtendonner von Leipzig her die Stadt. Am schlimmsten macht er sich den 18. bemerkbar, an dem auf beiden Seiten fast 2000 Feuerschlünde stundenlang in Tätigkeit sind. Die Erde scheint zu beben, die Häuser schüttern, und Fensterscheiben klirren leise. Bereits nach dem zweiten der Schlachttage langen von Leipzig her auf Leiter- und Kastenwagen lange Verwundetentransporte in derStadt an, wo schon seit dem Mai drei Lazarette eingerichtet sind, die gerade damals mit 366 französischen Soldaten belegt waren. Nunmehr müssen aufs schleunigste noch drei neue Lazarette hergerichtet werden, und man sieht sich zur Anstellung eines besonderen Lazarettarztes genötigt. Nach dem letzten Tage der Schlacht mehren sich die Verwundetentransporte derart, daß man alle öffentlichen Gebäude und leeren Bürgerhäuser mit wunden und kranken Soldaten belegen muß, von letzteren auch das leere Haus des Bürgers Rohr, in der Leipziger Straße gelegen (heute Nr. 3, Eisenhandlung Apitzsch), und dies gegen den Willen des Inhabers. Auch sieht sich der Rat schon am 18. und 19. gezwungen, von jeder Hufe die Lieferung eines halben Dresdner Scheffels "Erdbirnen" (Kartoffeln) auszuschreiben, "da zur Verpflegung der sich stündlich mehrenden Blessierten und Gefangenen täglich eine beträchtliche Quantität Zugemüse erforderlich ist, die Dorfschäften aber ausfouragiert sind". Allein der Unterhalt der Lazarette in den Jahren 1813-1815 verursacht der Stadt einen Aufwand von 3 306 Talem 1 Gr. 6 Pfg. In dieser Zeit tun sich die Frauen und Jungfrauen der Stadt durch ihre opferwillige Tätigkeit besonders rühmenswert hervor. Selbst solche von "Disünktion zupften Scharpie und lieferten Leinwand zu Verbänden". Zwei Tage nach der furchtbaren Schlacht wird von Kosaken und Preußen begleitet, neben zahlreichen Verwundeten auch eine größere Schar französischer Gefangener, bestehend aus 1500 Mann und 200 Stabsoffizieren vorübergehend hierher gebracht. Ohne auch nur ein Strohlager zu haben, müssen sie auf dem Schloßplatze kampieren, von Preußen bewacht. Die Bewohner der Stadt müssen ihnen gekochte Speisen liefern, die von den Halbverhungerten gierig verschlungen werden. Ihre unter Geldangebot vorgebrachte Bitte um ein Stück Brot kann frei lich nicht erfüllt werden, da seit dem unglücksehgen 12. in der ganzen Stadt noch immer kein Brot vorhanden ist. Etwas besser daran als diese Unglücklichen ist der auch in Gefangenschaft geratene und auf kurze Zeit hier untergebrachte General Arrighi, Herzog von Padua. Man hat ihn in der Marktapotheke einquartiert, wo er aber auf Streu inmitten zweier ihn bewachender Kosaken schlafen muß. Eine größere Zahl von in der Gottesackerkirche auf Stroh gebetteten verwundeten Franzosen wird von Kosaken bewacht. Diese verzehren die für die Verwundeten bestimmten Speiseportionen meist selbst und lassen die Bejammernswerten hungern. Die Preise der aus größerer Ferne von Landleuten und spekulierenden Marketendern herangebrachten Lebensmittel sind übrigens in den ersten Wochen nach der Schlacht unerschwinglich hoch. Ein Stück Butter, sonst für 2 Groschen zu haben, beispielsweise muß mit 10 Groschen bezahlt werden. Auch die Holzbauern aus der Dübener Heide bringen ihr Holz zu Wucherpreisen in Handel und nehmen für ein Fuder 26 Täler, während vorher eine Klafter Kiefernholz 3 und eine solche Buchenholz 4 Täler kostete. Am 22. Oktober wird von den verbündeten Mächten der russische Generalmajor Fürst Reprint zum Generalgouverneur im Königreiche Sachsen, Herzogtume Altenburg und den Preußischen Landen ernannt. Der König von Sachsen, der sich während der Schlacht in Leipzig aufgehalten, war schon gleich nach der Flucht der Franzosen und der Einnahme der Stadt durch die Verbündeten zum Gefangenen des Königs von Preußen erklärt worden. Er wird am 23. frühmorgens 4 Uhr mit seiner Gemahlin und der PrinzessinTochter nebst einigen Herren seines Hofstaates unter Begleitung von 120 Kosaken in zwei Karossen von Leipzig nach Berlin abgeführt. Schon am 25. Oktober findet sich preußische Landwehr in Delitzsch ein, und nun beginnt wieder eine Kette von Fouragelieferungen einzusetzen. Zunächst werden zur Verpflegung des preußischen 4. Armeekorps, das Torgau belagert, vom Amte Delitzsch verlangt: 40 000 Pfd. Brot, 10 000 Pfd. Gemüse, 1250 Pfd. Salz, 10 000 Pfd. Fleisch in lebendem Vieh, 2000 Quart Branntwein, 888 Scheffel Hafer, 100 Zentner Heu, 13 3/4 Schock Stroh. Alles soll binnen 2 bis 3 Tagen an das in Düben eingerichtete Proviant-und Fourage-Magazin abgeliefert werden. Eineweitere Lieferung an Korn, Mehl, Hafer, Heu und Stroh, wird soweit entbehrlich, am 9. November von Leipzig an ein von Vorräten gänzlich entblößtes Magazin verlangt. Kurz darauf werden auf Befehl des Kommandeurs der Belagerungsgruppe von Torgau, Generalleutnants von Tauentzien, angefordert: 34 zweispännige und 17 vierspännige mit Lebensmitteln und Futter auf drei Tage versehene Wagen, ohne den geringsten Verzug nach Dommitzsch in das preußische Hauptquartier zu gestellen. Bereits am 16. November muß auf Verlangen des Generalgouverneurs ein stehender Wagenpark errichtet werden zur Erleichterung des Fuhrwesens im Leipziger Kreise. Daher sollen im ganzen Kreise von je 15 zu 15 Hufen zwei Pferde, ein Wagen und ein Knecht gestellt werden, die bis zum Friedensschlusse an den Etappenorten zur Ausführung der Etappenfuhren zu stehen haben. Außerdem wird bald darauf dem Amte Delitzsch im besondern auferlegt, zur "Evacuation" (Räumung) der Leipziger Lazarette, "um die sich verbreitenden Epidemien zu unterdrücken", 100 zweispännige Wagen zu stellen, übrigens unter Verschonung der Gegend von Landsberg. Desgleichen befiehlt Graf Hohenthal dem Amte, sofort 22 zweispännige Wagen und 4 Holzleiterwagen nach Süptitz bei Torgau zu schaffen, auch muß das Amt wieder einmal nach Dommitzsch liefern, diesmal 14 250 Rationen und 43 973 Portionen, zugleich 180 Spaten, 20 Beile, 5 Äxte, 30 Schlägel und 4 große Holzsägen. Da die Stadt mit zwei Lieferungen im Rückstande bleibt, rücken nach vergeblicher Androhung des Justizamtmanns Wendler (Amtshauptmann auf dem Schlosse) mit Zwangsbeitreibung am 30. November gleich zwei Exekutionskommandos ein, die bis zur vollkommenen Entrichtung des Geforderten die Lieferungspflichtigen belästigen. Noch einletztes Mal vor der Einnahme von Torgau, die am 16. Dezember erfolgt, müssen von der Stadt nach Dommitzsch 30 Scheffel Kohlen geliefert werden. Da nach dem Fall von Torgau das Tauentziensche Korps sofort auf Wittenberg abrückt, das dortige Belagerungskorps (von Dobschütz) zu verstärken, wird aber das Amt schon am 2. Weihnachtsfeiertage angewiesen, 185 vierspännige große und breite Lieferwagen mit Körben, und auf wenigstens 6 Tage mit Futter versehen, nach Kemberg zu stellen. Errichtet wird am 31. Oktober das sogenannte "Banner der freiwilligen Sachsen", daja der Krieg gegen Napoleon fortdauert. Den Freiwilligen wird zugesagt, sie sollen Gefreitenrang einnehmen, mit "Sie" angeredet werden und von körperlichen Strafen befreit sein. Außerdem erhalten sie das Vorrecht, daß nur Leute aus ihren Reihen zu Offizieren bzw. Unteroffizieren der Landwehr befördert werden können. Sie haben sich im allgemeinen selbst auszurüsten (grüner Waffenrock) und zu bewaffnen. Für unbemittelte soll gesammelt werden. Durch Patent vom 9. November wird auch die Errichtung einer Landwehr verlangt. Alle wehrbaren Männer vom 18. bis zum 45. Lebensjahre einschließlich, ohne Rücksicht auf Stand, haben sich zu melden. Auch sie sollen sich selbst kleiden (mit dunkelblauem Uniformrock). Nur im Unvermögensfalle haben Stände der Gemeinden für sie einzutreten. Waffen und Munition erhalten sie, sofern sie nicht in den Kreisen beschafft werden können, vom General Gouvernement überwiesen. In Delitzsch geht die Meldung der Freiwilligen und Aushebung der Landwehr am Freitag, dem 3. Dezember, vonstatten, und zwar unter großer Feierlichkeit. Vom Rathause, auf dessen Hofe sich die Stellungspflichtigen früh um 8 Uhr versammelt haben, zieht man nach einem vom Balkon gegebenen Trompetensignale um 9 Uhr unter dem Geläute aller Glocken in die Kirche, und zwar in folgender Ordnung: 1. Ein Kommando Jäger von der Schützenkompanie, 2. die auswärtige Zivilobrigkeit, 3. die auswärtigen Geistlichen, 4. das hiesige Amts-und Ratspersonal, 5. die Diakonen, 6. das Expeditionspersonal, 7. die Deputierten, in deren Mitte der Superintendent, B. Gendarmen, 9. ein Detachement Jäger, 10. die einberufenen Landwehrpflichtigen von Delitzsch und Landsberg sowie aus den Dorfschaften. In der Kirche spricht nach dem Choralgesange zuerst der Superintendent vom Altar aus, sodann nach einem weiteren Gesange der Deputierte, der am Schlüsse seiner Rede zur freiwilligen Gestellung aufruft. Es melden sich 18 Mann, die an den Altar herantreten und dort laut ihre Erklärung abgeben. Der Deputierte hält an sie eine kurze Ansprache und übergibt ihnen das grüne Kreuz, womit jeder Freiwillige geziert sein soll. Sodann werden sie sogleich vereidet, dies unter dem Geläute aller Glocken. Nach einem Schlußworte des Deputanten und dem Absingen eines Schlußchorals kehrt der Zug in der vorigen Ordnung unter klingender, vom Balkon herabschallender Musik zum Rathause zurück, wo die Aushebung der Landwehrleute vor sich geht. Deren Zahl beläuft sich auf 376 Mann. Zur Ausrüstung der Delitzscher Landwehr hat die Bürgerschaft 978 Taler gesammelt, wozu die Bewohner der Amtsvorstadt Grünstraße noch 165 Taler 14 Gr. beisteuern. Ohne Entgelt liefern die Frauen und Mädchen der Stadt außerdem der auszurüstenden Mannschaft 189 Paar Socken von bester Beschaffenheit. Die Geistlichkeit des Delitzscher Kirchenkreises sammelt 220 Taler. Im ganzen Amte Delitzsch kommen zum Zwecke der Landwehrausrüstung ein 10 857 Taler. Leider werden von den in Delitzsch Ausgehobenen später 13 Mann, wahrscheinlich aus Treue zu ihrem gefangenen König, fahnenflüchtig, darunter 3 Freiwillige.


1814
Obwohl die Stadt Delitzsch durch die Truppenmassen der Marschälle Ney (4. u. 5. Oktober) und Marmont (12. u. 13. Oktober) völlig ausgesogen ist und der Krieg nunmehr fernab im Feindeslande geführt wird,bedrängt man noch fortgesetzt die Stadt mit Lieferungsforderungen. Auch hat sie noch viel unter Truppendurchmärschen zu leiden, insbesondere von russischen Ersatzmannschaften, die nach dem Kriegsschauplatze herangezogen werden. Um die bei den starken Durchmärschen erforderlichen Vorspanne bezahlen zu können, läßt man ein Steuerausschreiben auf das andere folgen. So wird einmal von jeder Hufe 1 Taler 12 Groschen verlangt, ein andermal 2 Taler, und dann wieder gar 3 Taler. Dem durch die massenhaften Truppenansammlungen und gewaltigen Kampfhandlungen völlig erschöpften Sachsenlande springt man jedoch nunmehr von allen Seiten bei, um der großen Not zu steuern. Im Lande selbst bildet sich die "Hilfs- und Wiederherstellungskommission", der viele Gaben von mildtätiger Hand aus dem Inlande zufließen. Ferner wird in einzelnen deutschen Städten außerhalb Sachsens für dieses unglückliche Land gesammelt. Aus Wien und Bremen senden die Vereine edler Frauen namhafte Beiträge zur Linderung der Nöte, desgleichen die Stadt Oldenburg. Und das britische Parlament bewilligt "für die in dem letzen Krieg Verunglückten Sachsens" 100 000 Pfund Sterling (2 Millionen Mark). Von dieser Summe werden der Stadt Delitzsch 100 Pfund zugebilligt. (Als Verunglückter gilt, wer durch den Krieg in Armut und Not geraten ist.) Vom General-Gouverneur wird als "angenehme Nachricht" bekanntgemacht, daß am 13. Januar früh um 2 Uhr die Festung Wittenberg mit Sturm genommen und die ganze Besatzung kriegsgefangen sei. Das Ergebnis der Einnahme von Paris (31. März) wird auf Anordnung des General-Gouvernements am 17. April "in sämtlichen hiesigen Landen durch ein allgemeines Dankfest gefeiert und in allen sächsischen Kirchen der Ambrosianische Lobgesang angestimmt". Auch ordnet der General-Gouverneur Fürst Repnin an, daß der erste Jahrestag der Schlacht bei Leipzig (18. Oktober) als eine Totenfeier zum Gedächtnis der im Kampfe um Deutschlands Freiheit Gefallenen, der 19. Oktober aber in den Kirchen als ein religiöses Dank-und Siegesfest feierlichst begangen werden soll. Einige Wochen vorher, noch im September, erfolgt von seiten der Leipziger Kreisdeputation eine letze große Ausschreibung auf Getreidelieferung an alle 112 Hufenbesitzer der Stadt, deren Grundbesitz allein 22 5/6 Hufen beträgt. Diese bitten, da das Ausdreschen des Getreides noch nicht erledigt, um Aufschub und schließen mit den beweglichen Worten: "Wir wollen liefern, schenken Sie, Hochwohlgeborene Herren, schenken Sie uns nur vier Wochen Zeit. Wir wollen alles, alles nachtragen". - Im November geht die Verwaltung des Sachsenlandes an den König von Preußen über. Mit der Verwaltung wird der Staatsminister Freiherr v.d. Reck betraut. Die Militärgewalt erhält Generalmajor Freiherr von Gaudi. In den Kirchen muß fortan im allgemeinen Kirchengebete für die "Hohe Landesherrschaft" gebetet werden, was eine "grenzenlose Aufregung der Gemüter" hervorruft.


1815
Durch Beschluß des schon seit dem Vorjahre in Wien tagenden Kongresses wird dem König von Preußen die nördliche Hälfte des Königreichs Sachsen, darunter auch Delitzsch, zugesprochen nebst einem großen Teile der sächsischen Oberlausitz im ganzen 397 Quadratmeilen mit damals 864 000 Seelen. König Friedrich August von Sachsen muß sich fügen, um wenigstens den Rest seines Landes für sich zu retten, und verabschiedet sich von seinen bisherigen Untertanen durch die Abschiedsproklamation vom 22. Mai. Am gleichen Tage erläßt König Friedrich Wilhelm von Preußen einen "Zuruf` an die neuen Untertanen. Die Erbhuldigung des preußischen Königs findet an dessen Geburtstage (3. August) in Merseburg statt. Entsandt sind von Delitzsch dazu die von der gesamten Bürgerschaft am Sonntag, dem 16. Juli, gewählten zwei Deputierten, der Gerichtsdirektor und Advokat Hildebrandt und der Viertelsmeister Depalmer. Die Huldigung nimmt nach einem im Dome abgehaltenen Gottesdienste auf dem Schlosse der Kriegsrat Mey entgegen, der die Huldigungsformel und den Treueid verliest. Auch die Delitzscher Bürgerschaft feiert diesen Tag zunächst frühmorgens durch feierlichen Gottesdienst in der festlich geschmückten Kirche und sodann des Nachmittags durch große Schützenparade nebst angeschlossenem Lustschießen nach einer mit passenden Sinnbildern bemalten Scheibe, wobei sich auch die Einwohnerschaft in buntem Treiben auf dem Schützenplatze ergeht. Am Abend ist Zapfenstreich und Illumination sämtlicher Häuser der Stadt. Am 8. Oktober erfolgt unter besonderer Feierlichkeit die Befestigung des preußischen Adlers nach Beseitigung des sächsischen Wappens an den beiden Toren der Stadt. Die Weihe empfangen die Wappenadler vor dem Rathause, wo auch die Schützenkompanie ihnen ihre "Honneurs macht". Hierauf geht es im Zuge nach dem Breiten Tore, wo der Adler an der Ostseite des Turms befestigt wird und Bürgermeister Ideler eine kurze, in einem Hoch auf den König ausklingende Ansprache hält. Sodann bewegt sich der Zug nach dem Halleschen Tore, wo das Anbringendes Wappenadlers in gleicher Weise erfolgt. Auf Betreiben des seit mehreren Jahren schon an die Spitze des Brauereisyndikats, das sich jetzt "Brauerschaftsdeputation" nennt, getretenen Senators Johann Gottfried Ehrenberg, des Vaters des berühmt gewordenen Weltreisenden und Naturforschers Prof. Dr. Christian Ehrenberg, wird von der Brauerschaft das der Kirche gehörige Marktbrauhaus am B. September zum Preise von 500 Talern preuß. Kurant erkauft und mit vollständig neuzeitlichen Werkzeugen und Öfen versehen unter Einbau eines neuen Kühlschiffs sowie einer Malztenne. Das Brauwesen nimmt infolge dieser Bemühungen, leider wieder nur vorübergehend, einen erneuten Aufschwung, zumal Senator Ehrenberg als bisher in Norddeutschland noch wenig geübte Neuerung durch einen von Erlangen herangezogenen Braumeister ein tiefgekühltes untergäriges Bier nach Erlanger Art brauen läßt. Von Mitte des Jahres an kommt das 7. preußische Ersatzbataillon vorübergehend hier in Garnison.


1816
Das Friedensdankfest wird an dem für den preußischen Staat denkwürdigen 18. Januar auch in Delitzsch sehr feierlich begangen. Schon am Tage zuvor hat man Feierlichkeiten stattfinden lassen, nachmittags Gottesdienst und am Abend einen glänzenden Fackelzug der Schützengilde, der vor dem Rathause mit dem Gesange der Nationalhymne "Heil dir im Siegerkranz" endet. Am Festtage selbst wird schon um 4 Uhr morgens, also bei herrschendem Nachtdunkel, mit allen Glocken geläutet, worauf große Reveille der Schützenkompagnie folgt. Zwei Stunden darauf, um 6 Uhr, werden dreimaldrei Böllerschüsse abgefeuert. Und bei eintretender Morgendämmerung versammelt sich alles Volk auf dem Markte, wo unter Musikbegleitung der auf dem Balkon befindlichen Stadtkapelle der Choral "Nun danket alle Gott" gesungen wird. Um 8 Uhr großer Festzug vom Rathause nach der Kirche. Voran ziehen die Schulkinder, auch die der drei Ratsdörfer Werben, Gertitz und Kertitz. Daran anschließend folgen die Geistlichkeit, die Beamten der Stadt und des Amtes, die Offiziere der Garnison sowie auch die Bürger unter Führung ihrer Viertelsmeister. Die Schützen bilden Spalier, und es wird wieder mit allen Glocken geläutet. In der Kirche wird ein von dem Stadtkantor Ahner eigens vertontes Tedeum von einem gemischten Chore vierstimmig gesungen, währenddessen von der Garnison auf dem Marktplatze eine dreimalige Salve abgegeben wird. Der Festgottesdienst, währenddessen das Tedeum nochmals gesungen wird, ist auf den Nachmittag verlegt worden. Die Festpredigt hält Superintendent Starcke. Von abends 6 Uhr an findet große Festtafel in dem vor mehr als einem Jahrzehnte von dem damaligen Ratskellerwirte und Apothekenbesitzer Leonhardt hinter dessen Hause, der Apotheke zum weißen Adler, erbauten Saale statt, wobei Bürgermeister Ideler die Festansprache hält und nach der Melodie "Bekränzt mit Laub" ein noch heute erhaltenes, im Heimatmuseum aufbewahrtes Tafellied gesungen wird. Der Gastwirt Becker, Besitzer des Gasthofes "zu den drei Schwanen" (heute "zum Schwan"), erbaut, nachdem er mehrere Jahre vor den Freiheitskriegen sein im Jahre 1806 vollständig niedergebranntes Haus neuerrichtet, für seinen jüngeren Sohn Gottlob auf seinem mit ausreichender Schankgerechtigkeit versehenen Grund und Boden ein weiteres Schanklokal, das er "Gasthof zum goldenen Löwen benennt. Der junge Gottlob Becker richtet hier als gelernter Kaufmann zugleich ein Kolonialwarengeschäft ein. Am 13. November, abends 7 Uhr, ereignet sich ein schwerer Unglücksfall. Der 52 Jahre alte Diakonus Möhring befindet sich bei sehr stürmischen Wetter und dicker Finsternis vom Gerberplane her auf dem Wege nach seiner Wohnung. Auf der damals "Allee" genannten Promenade kommt er dem Stadtgraben zu nahe, und das dessen Ufer ohne Schutzschranke, stürzt er den steilen Abhang hinab und ertrinkt.


1817
Die (Leonhardt'sche) Apotheke zum weißen Adler geht durch Kauf in die Hände von Karl August Christian Freyberg über, der auch in den ersten Jahren nach dem Kaufe (bis 1825) die Ratskellerwirtschaft pachtweise übernimmt. Nach Auflösung des 7. Ersatzbataillons kommt im Mai dieses Jahres der Stamm des 1. Bataillons 32. Landwehrregiments nach Delitzsch in Garnison. Sein Befehlshaber ist in diesem ersten Jahre der alte, an der Gicht leidende Oberst Graf von Schönburg. Drei Wochen später (am 31. Mai) folgt ihm der Kommandeur der dem Bataillon beigegebenen Eskadron, Major von Dietz, nach mit dem Stamm von 5 Unteroffizieren und Gemeinen. Oberst Graf von Schönburg stirbt freilich noch im selben Jahre an einem Gichtleiden. Sein Nachfolger wird Oberst Schlegell.


1818
Der Rat der Stadt führt bittere Klage: mit demVerfall des bürgerlichen Gewerbes, insbesondere der Haupnahrungszweige der Stadt, der Brauerei, Strumpfwirkerei und Tuchmacherei, sei auch der Verfall der Häuser verbunden. Esentstehen immer neue Wüstungen. So seien zwei Häuser subhastiert, und nicht eins sei an den Mann gekommen. Man werde sie nun abtragen lassen, die Baumaterialien verauktionieren und das gelöste Geld zur Bezahlungvon Schulden verwenden. DieUrsache zu der Unlust, W üstungen zu erwerben, liege lediglich im Verfall der bürgerlichen Nahrung. Man kaufe lieber für 1500 Taler ein bewohnbares Haus, das zu bauen vielleicht 5000 Taler gekostet habe, als daß man selber baue. Die Kgl. preußische Regierung schlägt zwar die aus der Franzosenzeit noch zu liefernden jedoch immer noch rückständigen Kontributionsteste nieder. Es lastet aber auf der Stadt noch weiter eine Kriegsschuld von rund 22 000 Tälern, die in Teilzahlungen von Jahr zu Jahr abgetragen werden muß.-Bei dem Übergange in preußische Oberhoheit macht die Stadt auf vielfache, in sächsischer Zeit den Fürstlichkeiten geleisteten Vorschüsse eine Restforderung von 9402 Tälern 2 Gr. 6 Pfg. beim preußischen Fiskus geltend. Dieser zeigt sich zur Deckung bereit und trägtnunmehrdie fremde Schuldsumme in zwei Raten ab. Auch ein der Leipziger Universität auf alte Kapitalien (von 1501 und 1505) gezahltes Agio im Betrage von 711 Talern 16 Gr. 3 Pfg. wird infolge einer an den König gerichteten Immediateingabe aus der Staatsschulden-Tilgungskasse voll und ganz zurückgezahlt. In diesem Jahre wird der Galgen, der an der Stelle des heutigen Berliner Bahnhofs stand, weggenommen.


1819
Inder Nacht vom B. zum 9. Juli, zwischen 11 und 12 Uhr, geht ein furchtbares Gewitter über die Stadt nieder. Der ganze Himmel scheint ständig in Flammen zu stehen. vor den krachenden Donnerschlägen erzittern die Fenster, und der Boden scheint zu wanken. Dazu setzt plötzlich ein orkanartiger Sturm ein, der die stärksten Linden entwurzelt und ganze Scheunen umwirft und Windmühlen. Man schreibt diese von den ältesten Leuten nicht erlebte grausige Naturerscheinung einem damals sichtbaren Kometen zu, von dem die Gelehrten behaupten, er sei der Sonne zu nahe gekommen und verursache so die in diesentJahre übrigens vielfach auftretenden schweren Gewitter. In der Amtsvorstadt Grünstraße, wo bisher, und zwar seit unvordenklichen Zeiten, von je zweien der 72 Hausbesitzer durch das Los erwählten Berechtigten ständig auf ein Jahr (von Pfingsten bis wieder Pfingsten) sogenannter Reihenausschank von Bier, Wein, Branntwein und andern Getränken ausgeübt wurde, wird in diesem Jahre auf Vorschlag des derzeitigen Schulzen Märtzschke in dem üblichen Verlosungstermine (3. Osterfeiertage) dem Reihenschank dadurch ein Ende bereitet, daß man, da gerade das 36. Jahr abgelaufen, sämtliche noch vorhandene 70 Lose (zwei Häuser waren wüste geworden) an einen einzelnen Hausbesitzer, den Gärtner Bretschneider, vorläufig auf 10 Jahre verpachtet. Die Pachtsumme wird festgesetzt auf 10 Täler nebst einer Tonne Freibier, welch letztere am Freitag nach Pfingsten bei Gelegenheit des in der Grünstraße üblichen sogenannten Lindentanzes zum besten gegeben werden soll. (Der Lindentanz, das einstige Volksfest der Grünstraßenbewohner, ging um die Dorflinde herum vor sich, die sich am Eingange der Querstraße befand, und an der der Bäckermeister der Straße eine Würfelbude unterhielt. Dem Tanze voraus ging stets ein Umzug durch die ganze Amtsvorstadt, wobei ein mitjungen Mädchen und Burschen sowie einer Musikkapelle überladener Lastwagen voranfuhren. Vorjedem Hause, dessen Besitzer eine Geldspende opferte, wurde Halt gemacht und der Spender durch eine in einem "Hoch" gipfelnde Ansprache geehrt). In diesem Jahr wird in Preußen eine gesetzmäßige starke Versteuerung des Malzschrotes festgesetzt (der Zentner mit 16 guten Groschen = 20 Gr.= 2/3 Talern), was sich für das Brauereigewerbe als verhängnisvoll erweist und das Eingehen vieler Brauerschaften zur Folge hat.


1820
Am 10. Mai zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags wird die Stadt wieder von einem schweren Unwetter heimgesucht. Ein Blitz schlägt in die nördliche Turmspitze der Stadtkirche, geht auf dem Kirchenfirst entlang und entzün det auf dem Dache über dem Altare ein Dohlennest. Die benachbarten Holzteile fangen Feuer, indes geistesgegenwärtig erstickt dieses der zum Brandherde schnell hinaufgeeilte Maurermeister Rose mit einem "Hute" (d.h. einem ledernen Feuereimer) voll Wasser.


1821
Durch Versetzung des seit 1812 in Delitzsch amtierenden Rektors Georg Erdmann Ebeling zum Pfarrerin Balgstedt wird Ende 1820 die Rektorstelle an der Knabenschule in Delitzsch frei. Neubesetzt wird diese durch den bisherigen Stadtkantor Friedrich Wilhelm Ahner, der letzteres Amt bereits seit 21 Jahren versehen und sich als Vertoner von kirchlichen Gesängen mehrfach hervorgetan hat, am 1. April dieses Jahres. Auf Betreiben des Vorsitzenden der Brauerschafts-Deputation, des Senators Ehrenberg, erwirbt die Brauerschaft in diesem Jahre zu dem schon 1815 erkauften Marktbrauhause auch das "hinter den Bänken" gelegene sog. Kommunebrauhaus, wohin alsbald die Braupfanne zum Weißbierbrauen verlegt wird, zum Preise von gleichfalls 500 Talern. Desgleichen wird in diesem Jahre von der Brauerschaft auch noch die Kommune-Malzdarre (heute Mauergasse 19) erworben. Der Magistrat, gewarnt durch den tödlichen Unglücksfall des im Stadtgraben ertrunkenen Diakonus Möhring, läßt am östlichen Ufer des Stadtgrabens und einem Teile des nördlichen Ufers, vom kleinen Schutz bis zum Breiten Tore und von da bis zur Stadtmühle hölzerne Schutzschranken, Barrieren genannt, auf der Promenade anbringen.


1822
Der Nachfolger des nunmehrigen Rektors Ahner im Kantoramte, Karl August Christian Golz, begründet am 31. August eine neue "Cantorey-Gesellschaft", die als erster moderner Gesangsverein von Delitzsch anzusehen ist. Ihre Satzungen sind außer von Kantor Golz von noch folgenden aktiven Mitgliedern unterzeichnet: Friedr. Wilh. Delzner, Friedr. Aug. Lorenz, Joh. Gott]. Zieger, Organist. Gottfr. Benj. Hoffmann, Wolfg. Heinr. Braune, Christian August Preil, Aug. Wilh. Kühne, Joh. Sigism. Kühne jun., Joh. Christ. Mülzierstadt, Joh. Benj. Krippner, Friedr. Meißner, Christian Karl Schmidt, Joh. Christ. Heinr. Heinze.


1823
Die königliche Regierung in Merseburg erklärt das alte, in unmittelbarer Nähe der Kirche schon vor 1446 erbaute Knabenschulhaus für unzureichend und fordert einen Neubau. Der Rat und die sogenannten Kommunerepräsentanten (Stadtverordnete) erklären sich mit der Forderung grundsätzlich einverstanden, werden aber von vornherein dahin vorstellig, angesichts der üblen Finanzlage der Stadt von der bisher fünfklassigen Knabenschule eine Klasse einzuziehen, im Neubau also nur vier Klassen herrichten zu dürfen, was die Regierung genehmigt, da geltend gemacht wird, die Zahl der Schüler betrage nicht mehr als 240, und es könne vier tüchtigen Lehrkräften wohl zugemutet werden, diese Zahl in vier Klassen zu unterrichten. Die Beratungen über den Neubau ziehen sieh trotzdem noch sehr in die Länge, und es verstreichen Jahre, ehe er in Angriff genommen wird. Der Breite Turm wird ausgebessert und bis zur Bedachung angestrichen. Die Breitetorbrücke, von der am ersten Fastenmarkttage ein Teil eines Bogens einstürzt, wird im April und Mai neuerbaut. Dies geschieht in der Weise, daß sie in gerader Richtung aufgeführt und auf Pfahlrost erbaut wird, während die alte Brücke krumm verlief und auf zwei Bogen errichtet war. Auch wird das Wachhaus, das auf der letzten stand, abgerissen und nicht wiedererrichtet. Die Kostendes Baues betragen 1149 Täler 9 gute Groschen.


1825
Die Beratungen über den Schulbau treten insofern in ein neues Stadium, als beschlossen wird, als Baustelle die in der Hintergasse (heute Schulstraße) gelegene Walter'sche Wüstung in Verbindung mit dem angrenzenden, den Eheleuten Schumann gehörigen Hause, das die Stadt erkaufen will, der Königlichen Regierung in Vorschlag zu bringen. Letzterezeigtsich auch diesem Ansinnen geneigt, obschon sich Superintendent Starcke, der den Neubau an der Stelle der alten Schuleerrichtet sehen möchte, dagegen erklärt, wobei er leider verspätet auch geltend macht, daß es bedenklich sei, vom füntklassigen auf ein vierklassiges Schulsystem zurückzugehen, da 1826 nach dem Urteil des Rektors Ahner die Schülerzahl sichbereits auf etwa 290 erhöhen werde. Das Jahr ist außerordentlich fruchtbar wie auch schon das vorhergehende 1824 gewesen. Es waren die fruchtbarsten seit der Jahrhundertwende.


1826
Ein sehr heißer Sommer mit vielen Gewittern und Hagelschlag. Der von ängstlichen Gemütern sehr gefürchtete Bielasche Komet erscheint in diesem Jahre. Selbst in der Gelehrtenwelt waren etliche des Glaubens, daß er einen Weltuntergang veranlassen werde. Zu Michaelis dieses Jahres sieht sich die Brauerschaft in der Nachbarstadt Bitterfeld gezwungen, ihr Brauwesen an einen einzelnen Pächter in Pacht zu geben, was die Städte Zorbig und Schkeuditz schon im Jahre vorher tun mußten, um nicht rettungslos in Schulden zu geraten. Dank der durch Senator Ehrenberg getroffenen zeitgemäßen Einrichtungen vermag die Delitzscher Brauerschaft die Selbstverwaltung trotz der hohen Steuerlast vorderhand noch aufrecht zu erhalten.


1827
Die Wintermonate Januar, Februar und März sind streng und hart. Im April erreichen die Getreidepreise fast die doppelte Höhe wie die früherer Jahre. Der Scheffel Weizen kostet 1 TIr. r. 21 Gr., Roggen 1 TIr.15 Gr., Gerste 1 Tlr., Hafer 28 Gr. Den gleichen Preis hat ein Zentner Heu, das Schock Stroh zu 1200 Pfund dagegen 3 TIr. 15 Gr. In diesem Jahre wird endlich auf der Walther'schen Wüstung in der Hintergasse unter Einbeziehung des nebenstehenden, von der Stadt erkauften Schumannschen Hauses, das aber fast ganz abgetragen werden muß, der Neubau der Knabenschule in Angriff genommen. Ausgeführt wird der Bau von den Maurermeistern Rose und Meieund dem Zimmermeister Friedrich August Holzweißig. Zur Deckung der Baukosten hat der Rat neben der Aufnahme verschiedener Darlehn aus Privathänden auch die Versteigerung mehrerer städtischer Gebäude vorgenommen, insbesondere die der vormaligen, jetzt vom Rektor der Knabenschule bewohnten Stadtschreiberwohnung in der Ritterstraße, sowie die der alten Knabenschule. Die bereits am 22. Dezember des Vorjahres erfolgte Versteigerung hat das Ergebnis, daß der damalige Kreissekretär Securius, der spätere Bürgermeister der Stadt, zum Preise von 975 Tälern das Stadtschreiberhaus und der Maurermeister Gottsching aus Selben für 350 Täler die alte Knabenschule erwirbt, letztere mit der Verbindlichkeit, sie alsbald abzutragen. Die Auflassung geht den neuen Besitzern schon am 13. Februar des neuen Jahres zu. Der Schulneubau wird so rasch gefördert, daß am 2. Juli bereits die Einweihung der neuen Schule erfolgen kann. Sie wird vom Superintendenten Starcke vollzogen in Gegenwart der übrigen Geistlichen der Stadt, der Lehrerschaft, des Stadtrats und der Kommunerepräsenlanten sowie sämtlicher Schüler. Eröffnet wird der Weiheakt durch einen Chorgesang der neugegründeten Kantoreigesellschaft, und im Anschluß an die Weiherede des Superintendenten werden nach einem gemeinsam gesungenen Festliede noch Ansprachen gehalten von Rektor Ahner, dem Ratsdeputierten, der Schulinspektion Dr. med. Gerber, sowie dem ersten Schüler der Schule Karl Robert Parreidt. Vor diesem feierlichen Akte war unter Ansprachen des Superintendenten und des Kantors Golz Abschied genommen worden von der alten Schule, von wo sich die ganze Teilnehmerschaft in feierlichem Zuge nach dem neuen Schulgebäude begab. Die zu der Feier des Abschieds von der alten Schule sowie zum Weiheaktus der neuen gedichteten, gedruckt vorliegenden Festlieder haben den Superintendenten Starcke zum Verfasser. Die Kosten des Schulhausbaus betragen 8202 Tlr. 28 Sgr. 2 Pfg., die der Nebengebäude und des Pflasters 555 Tlr. 7 Sgr. 9 Pfg., insgesamt also 8758 Tlr. 5 Sgr. 11 Pfg.


1828
Während der Baumblüte im Mai fällt ein anhaltender Frost ein, so daß sie fast ganz verdirbt und nach vielen vergeblichen Bemühungen, für die städtischen Obstpflanzungen einen Pächter zu finden, einem Öbster die gesamte Obsternte für 3 Taler Pacht überlassen werden muß. Auch verregnet die Getreideernte. Am 18. Juni, abends 9 Uhr, trifft der am Tage zuvor schon angemeldete Leichenzug des in Graditz bei Torgau verstorbenen Großherzogs Karl August von Sachsen-Weimar, begleitet von Eskadron Husaren, einem Weimarischen Major und Kammerherrn (von Germer) nebst dessen Adjutanten, dem Leibarzt und dem Leibchirurgus des Verstorbenen, ferner dem preuß. Oberzeremonienmeister v. Buch und dem preuß. General von Krauseneck unter dem Geläute aller Glocken in Delitzsch ein, wo in der "Breiten Gasse" das gerade zur Übung eingezogene 1. Bataillon des 32. Landwehrregiments spalierbildend mit präsentiertem Gewehr aufgestellt ist und der Trauerzug an der Kirche von den beiden preußischen Generalen von Jagow und von Natzmer, dem Landrat von Pfannenberg und sämtlichen Ratsmitgliedern der Stadt empfangen und zum westlichen Hauptportale der Kirche geleitet wird. Hier wird der Sarg durch Unteroffiziere der Landwehr vom Leichenwagen genommen, durch den schwarzverhangenen Eingang in die mit schwarzen Teppichen ausgelegte und mit weißen Rosen bestreute Vorhalle getragen und in deren Mitte beigesetzt. Vor dem Eingange wird eine militärische Ehrenwache aufgestellt, die, mehrfach abgelöst, die ganze Nachtunterhalten wird. Des anderen Morgens um 5 Uhr bricht der Zugwieder auf, um die Trauerfahrt nach Weimar über Schkeuditz, Naumburg, Ekkartsberga fortzusetzen. Und solange er vom Turme aus sichtbar ist, tönt ihn das Geläut aller Glocken der Stadtkirche nach. Der neue Großherzog, Karl Friedrich, läßt zum Danke für die weihevolle Aufnahme der väterlichen Leiche der Delitzscher Stadtkirche ein bei der Merseburger RegierungsHauptkasse zu erhebendes Geschenk von 100 Talern anweisen.


1829
Der Winter ist härter und anhaltender als der von 1827. Zur Steuerung der drohenden Hungersnot läßt der Pächter des Kommunegutes Einwald an die Armen Kartoffeln austeilen. Das gleiche tun die Rittergüter Storckwitz und Schenkenberg. Die Gemeinde Beerendorf sammelt für die Armen Geld. Das Erntewetter ist auch in diesem Jahre ungünstig. Der preußische Staat übernimmt die durch die hiesige Vorstadt führende Landstraße (heutige Bitterfelder-Kohlstraße), wodurch die Erhebung von Pflastergeleit an den beiden Hebestellen (Vieh- und Kohltor) endlich in Wegfall kommt und die im Jahre 1815 auf Veranlassung des General-Akzise- Ober- und Haupt-Gleits Einnehmers Franke wiederhergestellten Schlagbäume nunmehr endgültig entfernt werden. Von den Anwohnern der Viehgasse wird die Straße an den Seiten mit Bäumen bepflanzt. Am 11. Dezember wird gelegentlich einer vom Delitzscher Postmeister Hauptmann a.D. von Bünau veranstalteten Treibjagd in der Nähe von Gertitz der dem 20. Inf.-Rgt. in Torgau angehörige Sekonde-Leutnant von Mauderode durch Unvorsichtigkeit beim Aufsteigen auf den Wagen von den gleich ihm hier auf Besuch weilenden Hauptmann von Griesheim, seinem Freunde, infolge von Kopfschuß erschossen. Die Beerdigung findet am 14. abends unter Beteiligung der hier befindlichen Militärpersonen, der Geistlichkeit und der Zivilbehörden statt. Dem Trauerzuge geschlossen voran geht die Schützengilde. Der Sarg wird von den Gefreiten des Landwehrstammes aus der Kirchenhalle auf den Friedhof getragen. Am 26. und 27. August brennen durch mutmaßliche Brandstiftung drei mit Getreide gefüllte Scheunen am Gerberplane ab- desgleichen am 4.Oktober ein Schuppen und am 30. November der "Kommune-Schafstall" am Viehtore (dem heutigen Armenhaus). 300 Schafe kommen dabei um und verbrennen.


1830
Der schon gleich nach Beendigung des in der Hintergasse zur Ausführung gebrachten Schulneubaus ins Auge gefaßte Erweiterungsbau des ebenso wie die einstige alte Knabenschule an der Stadtkirche gelegenen Mädchenschulhauses, erhält in diesem Jahre festere Gestalt. Die bisher nur von einem Lehrer betreute Kinderschar dieser Schule (annähernd 300) soll künftig in zwei Klassen unterrichtet und dazu noch eine Schulklasse und eine Amtswohnung für den neuen Lehrer eingefügt werden. Nach Einholung eines Gutachtens des Bauinspektors Flachmann werden die Vorarbeiten zur Ausführung des Baues dem Zimmermeister Krause in Verbindung mit Maurermeister Meie übertragen. Die Ausführungzieht sichjedoch sehrin die Länge und kommt erst nach mehreren Jahren zustande. Der Winter des Jahres ist in seiner ersten Hälfte wieder hart (meist 16 bis 21 Grad Reaumur), der Sommer ist naß. Im Oktober beschließt in einer Vollversammlung die Brauerschaft, nach dem Vorgange der Nachbarstädte vom Beginne des nächsten Jahres an, ihre Braugerechtsame an einen Braumeister zu verpachten. Zugleich wird beschlossen,beim Magistrat die Schankerlaubnis für noch etliche brauberechtigte Bürger der Stadt nachzusuchen, damit der Ausschank in der Stadt dem Brauer nicht allein überlassen bleibe. Der Rat leistet dem Ansuchen Folge und erteilt die gewünschte Erlaubnis dem Böttcher Beyer und der Böttcherswitwe Dietzel, beiden gegen die Verpflichtung, einen jährlichen Pachtpreis von je 30 Talern zu entrichten.


1831
Am 16. Januar erläßt die Brauerschafts-Deputation im "Nachrichtenblatte für den Delitzscher und Bitterfelder Kreis" eine Bekanntmachung, worin mitgeteilt wird, daß die Brauerei hierselbst an den Braumeister Joh. Kaspar Gürth auf 6 Jahre verpachtet und diesem Pächter die Ausübung der Bier zwangsgerechtsame auf seine Pachtzeit übertragen worden sei. Brauereipächter Gürth, der aus Landsberg stammt, hat dem Pachtvertrage gemäß eine Pachtsumme von 825 Talern zu zahlen und eine Kaution von 600 Talern zu stellen. Der bisherige Kommandant der Stadt und Befehlshaber des hiesigen Landwehrbataillons, Oberstvon Schlegell, verläßt Delitzsch und geht nach Halle. An seine Stelle tritt der Major v.d. Chevallerie, der sich aber nicht lange hier aufhält. Die Anwohner auf der Ostseite der Töpfergasse bitten um Erlaubnis, auf dem durch Schuttablagerungen seit 1816 beinahe zugefüllten Vorstadtgraben hinter ihren Häusern Gärten anlegen zu dürfen. Die Erlaubnis wird gegeben, gegen die Verpflichtung, den Graben vollständig auszufüllen, zu planieren, eine Wasserrinne zum Abfluß des Regenwassers nach dem Leber hinter der Scharfrichterei herzustellen, und jährlich 4 Taler Erbzins zu zahlen. Auf diese Weise entstehen die Gärten am Stakenwege.


1832
Am 1. Januar wird ein neugebildetes Ratskollegium, das gemäß der "revidierten" Städteverordnung vom 17. März 1831 nunmehr "Magistrat" heißen muß, durch den damaligen Landrat von Pfannenberg feierlich eingeführt. Vorerst besteht es aus 4 Mitgliedern, nämlich dem neugewählten Bürgermeister (frühern Kreissekretär) Securius und drei Stadtratsmitgliedern, diese zunächst noch Assessoren genannt. Schon im Vorjahre hatten die sogenannten Kommunerepräsentanten zurücktreten müssen, und die Bürger an deren Stelle am 9. und 10. Oktober Stadtverordnete gewählt. Im Mai wird die Kirschallee rings um die Stadt auf 10 Jahre verpachtet fürjährlich 38 Taler 15 Sgr. Im Juni setzt eine afrikanische Gluthitze ein. Es wird eine neue Militärordnung im ganzen preußischen Staate eingeführt, wonach jede Garnison eine besondere Militärgemeinde zu bilden hat. An die Stelle des mit einem andern Kommando betrauten Majors v.d. Chevallerie tritt Major Ehrhardt. Laut Bekanntmachung des Kommandos des Delitzscher Landwehrbataillons versteigert dieses am Freitag und Sonnabend, den 7. und B. Dezember "im Zeughaus-Lokale des Bataillons" (Schloß) mehrere ausrangierte Effekten, als Mäntel, Montierungen, Czakos, Überzüge, Brotbeutel, Tornister, Riemen, Patronentaschen, Säbel-Troddeln, Schuhe, Colletts, Reit-und Stallhosen, Cartouchen, Bandeliere, Kavallerie-Säbelgehenke usw. an den Meistbietenden gegen gleich bare Bezahlung". Der Bau einer "Kieschaussee" von Bitterfeld über Delitzsch bis an die sächsische Grenze wird vom Staate (Straßenbaufiskus) begonnen und die Straße zunächst bis Delitzsch geführt.


1833
In diesem Jahre treten sehr heftige und häufige Gewitter auf, verbunden mit orkanartigen Stürmen, so am 16., 17. und 18. Mai, wobei Torflügel und Torpfeiler zerbrochen, fast alle Dächer abgedeckt werden, die Schulwand umgeworfen, in der um die Stadt führenden Allee die größte Linde und an der Stadtmühle die stärkste Pappel entwurzelt wird. Am ersten der drei Tage fallen Hagelstücke von Walnußgröße und zertrümmern eine Menge Fensterscheiben. Gewaltige Stürme toben auch am 17. und 18. Dezember. Fast alle städtischen Gebäude bedürfen der Ausbesserung. Der Straßenbau nach der sächsischen Grenze wird beendet. In Delitzsch entsteht dadurch die (vorerst noch unbenannte) Chausseestraße, heute Hindenburgstraße. Die schon im Vorjahre baufällig gewordene und darum polizeilich gesperrte Brücke rechts von dem Halleschen Tore über den Flutgraben des Lober soll von der Stadt erneuert werden, was diese verweigert, da die Brücke bisher vom Königlichen Rentamte unterhalten wurde. Der Minister des Innern befiehlt aber die Herstellung seitens der Stadt. Diese läßt eine hölzerne Brücke erbauen. Auch der Neubau der Kohltorbrücke erfolgt in diesem Jahre. Am 10. September abends 10 Uhrwird Superintendent Starcke im Alter von 73 Jahren aus dieser Welt abgerufen und am 13. nachmittags 4 Uhr begraben. Sein Grab befindet sich am Westeingange der Kriegergedächtniskirche neben dem seiner im März des Vorjahres verstorbenen Gattin. Archidiakoaus Morgenstern hält ihm die Grabrede über das Bibelwort: "Ei, du frommer und getreuer Knecht' usw. Begleitet wird der Sarg von der Knabenschule mit Lehrern, von Geistlichen und Lehrern des Kirchenkreises, dem Magistrat, dem Gerichtsamtmann und Aktuarius. Am Breiten Turnte wird von der Stadtkapelle "Jesus, meine Zuversicht` geblasen und am Grabe "Auferstehen, ja auferstehen". Die Schützen machen die Honneurs. Am 23. des gleichen Monats, früh 10 Uhr, soll nach einer Bekanntmachung des Landrats von Bitterfeld, die dieser auch im Auftrage der Landräte des Delitzscher, Wittenberger und Torgauer Kreises erläßt, die Versteigerung von 80 Stück sehr guten Pferden, die zum Gebrauch der Delitzscher Landwehr-Eskadron während der diesjährigen Herbstmanöver von den genannten vier Kreisen angekauft wurden, in Delitzsch vorgenommen werden. Es ist dies das erste Mal, daß für die Eskadron Pferde für die Ubungszeit kauf lieh erworben werden. Bisher wurden sie alljährlich von Besitzern aus jenen Kreisen für täglich einen Taler gemietet und nach erfolgtem Gebrauche zurückgegeben. Ausgewählt wurden sie vom Kommando auf dem Delitzscher Marktplatze, wohin die angebotenen Tiere von den Besitzern zu bestimmten Terminen gebracht werden mußten.


1834
In der Neujahrsnacht tobt ein furchtbarer Orkan, der viele Gebäudebeschädigt und die Fahne des Breiten Turms in den Stadtgraben wirft. Das Kgl. Konsistorium in Magdeburg überträgt am 11. März dem Archidiakon Morgenstern die Seelsorge bei der hiesigen Militärgemeinde, wobei ihm die Parochialrechte eines Garnisonpredigers zugesichert werden. In der Kirche werden den Militärpersonen und deren Familien besondere Plätze eingeräumt. Die Offiziersfamilien benutzen wie die übrigen Kgl. Beamten das fürstliche Betstübchen oder die Amtskapelle; die Mannschaften erhalten Plätze auf dem oberen Chor hinter der Kanzel (letztere damals noch-bis zudem 1889/90 erfolgenden großen Umbau des Kircheninnern - an einem Pfeiler der Nordseite befindlich). Betreffs des Schulbesuchs der zur Militärgemeinde gehörigen Kinder bestimmt der Militäroberpfarrer des IV Armeekorps, Dr. Große, Magdeburg, daß künftighin kein Militärkind mehr in die so dürftige Hühnelsche (Privat-) Elementarschule oder gar in die vorstädtische Armenschule geschickt werden dürfe. Auf Betreiben des Garnisonpfarrers Morgenstern einigen sich Garnison- und Ortsschulinspektion dahin, daß gegen ein von der Garnisonskasse fürjedes schulpflichtige Militärkind zu erlegende Schulgeld vonjährlich 2 Talern diese Kinder die Stadtschule besuchen können. Als Personalbestand beim Stamm des Delitzscher Bataillons 32. Landwehr-Regiments werden nachgewiesen 29 Männer, darunter auch der in Bitterfeld wohnhafte Bezirksfeldwebel Gärtner und sein Schreiber, Gefreiter Albrecht, ferner 16 Frauen und 30 Kinder. Unter den Männern werden genannt Major Ehrhardt, verheiratet, kinderlos; Eskadronführer Premierleutnant von Strachwitz, unverheiratet, katholisch; Leutnant und Adjutant von Schmidt, unverheiratet, vom Befehlshaber zum Mitglied der Schulkommission ernannt; Bataillonsarzt Dr. Bertram, verheiratet, 3 Söhne und 1 Tochter u.a. Im Mai wird das Schlagzieherhaus am Kohltore, da es infolge staatlicher Übernahme des in die Bitterfeld-Leipziger Kieschaussee einbezogenen Wegs vom Vieh-bis zum Kohltore überflüssiggeworden ist, öffentlich meistbietend verkauft. Erstanden wird es für den Preis von 253 Talern von dem Kattunfabrikanten Seidel, der es noch vor der Übergabe an den Gürtler Auerbach abtritt. Auch dieser veräußert es noch im selben Jahre, und zwar an den Drechsler Petzsche. Das Schlagzieherhaus am Viehtore wird dem Pächter des "Kommungutes", Amtmann Küster, bis zu dessen 1848 erfolgten Tode zur Benutzung überlassen. Die bisher vom Straßenbaufiskus unterhaltene Gertitzer Straße wird der Stadt zugesprochen. Sie erhält zunächst den Namen "Weg vor den Hallischeu Scheunen". Dieses Jahr ist das Geburtsjahr des preußischen Zollvereins, der sich auch für Stadt und Kreis Delitzsch segensreich erweist. Die innerhalb des Kreises an der sächsischen Grenze (in Schladitz b.K. und Gordemitz) errichteten Hauptzollämter werden aufgehoben und ihre Gebäude öffentlich versteigert.


1835
Am 5. Juni, abends zwischen 6 und 7 Uhr, kommt Prinz Wilhelm, der nachmalige Kaiser Wilhelm I., damals 38 Jahre alt, nach Delitzsch, kehrt aber nirgends ein, sondern ergeht sich während des Pferdewechsels auf dem Roßplatze (zu jener Zeit noch "Platz an der Postsäule" genannt). Nach 1 '/, jähr. Vakanz., während der unter andern der Kandidat theol. Ahner, ein Sohn des derzeitigen Rektors, in der Kirche mehrfach predigt, wird im Mai Superintendent Dr. phil. Karl Friedrich Rudel nach Delitzsch berufen und hält am Sonntag Jubilate (10. Mai) seine Antrittspredigt, die er drucken läßt. Die neue Wetterfahne, die, an Stelle der sächsischen Kurschwerter mit dem preußischen Adler geziert, als Ersatz für die vom Sturm herabgerissene auf der Höhe des Breiten Turms schon im Vorjahre befestigt worden war, läßt ein Wiederabbrechen befürchten, da sie bei heftigem Winde immer bedenklich schwankt. Man nimmt sie daher wieder ab und befestigt sie besser durch eine hölzerne, mit vier Streben versehene Spindel. Und statt des (übrigens jetzt im Heimatmuseum befindlichen) Adlers, der sich für die leichte Fahne als zu schwer erwiesen, wird ein eisernes Kreuz angebracht.


1836
Als kommandierender General des vierten Armeekorps kommt am 22. Juni vormittags von Leipzig her, wo er mit seinem Bruder Wilhelm und seinerjüngeren Schwester, der Großherzogin von Mecklenburg, zusammengetroffen, Prinz Karl von Preußen nach Delitzsch, um vor seiner Weiterreise nach Magdeburg über das hiergerade zur Übungvollzählig versammelte Landwehrbataillon und die diesem angeschlossene Eskadron eine "Revue" (Besichtigung) abzuhalten. Nachdem diese beendet und auch auf dem Platze an der Postsäule (Roßplatz) der Vorbeimarsch der Truppen in Parade erfolgt, findet ein schon am Tage vorher bestelltes Diner im "Weißen Roß" statt, dessen Besitzer damals Friedrich Eduard Sänger war. Geladen sind dazu außer den Offizieren, dem Bataillonsarzt und dem Geistlichen (M. Morgenstern) der Garnison noch Bürgermeister Securius, die drei Ratsassessoren Trusther, Mehner und Meißner und desgleichen als ehemaliger Offizier der Postmeister von Bünau. Da dienstlich abwesend, ist Landrat von Pfannenberg nicht unter den Geladenen. in einem Trinkspruch gibt der Prinz seiner Freude Ausdruck über das gute Einvernehmen zwischen Militär und Stadtgemeinde. Der längst geplante Erweiterungsbau der Mädchenschule wird endlich in diesem Herbste in Angriff genommen, aber noch nicht zu Ende geführt. Den Bau führen aus Zimmermeister Krause und Maurermeister Meie. Es ist eine zweite Schulklasse herzurichten und in dem bisher von dem dritten Lehrer der Knabenschule, dem "Tertius" Lorenz, allein bewohnten anliegenden Hause eine Amtswohnung für den neuanzustellenden zweiten Mädchenlehrer einzubauen. Da in diesem Jahre drei Viertel der Einwohnerschaft vom Wechselfieber befallen werden und die Arzte der durch den Stadtgraben verursachten Sumpfluft die Schuld daran beimessen, ordnet die Königliche Regierung dessen Reinigung an. Maurermeister Meie und Kaufmann Hoffmann erbieten sich, die Schlämmung der südlichen Hälfte des Grabens gegen 50 Taler in bar und Überlassung des Schlammes vorzunehmen, finden aber trotz der Fürsprache des Bürgermeisters Securius bei den Stadtverordneten, denen die Schlämmung für Rechnung der Stadtkasse billiger erscheint, kein Entgegenkommen. Da nun aber gleich nach der am 5. Oktober begonnenen Arbeit sich herausstellt, daß, um den Wasserzufluß zu hindern, zwei Dämme gebaut werden müssen, nämlich einer am kleinen und einer am großen Schutz, was allein 70 Taler Kosten macht, und außerdem am Halleschen Tore, wo die Schleuse befindlich, zur Ableitung des allzu reichlich strömenden Quellwassers der Alleedamm durchstoßen werden muß, so stellt sich selbst nach Abrechnung der aus dem Schlammverkauf erzielten Einnahme, an Unkosten der erhebliche Betrag von 516 Talern 8 Sgr. 8 Pfg. heraus. Die Schlämmung des Stadtgrabens kann übrigens erst am 28. Januar des folgendenJahres beendet werden. Im Frühjahr entstehen in Delitzsch zwei neue Gasthöfe, am 20. März in der Halleschen Straße der "Gasthof zum Stern", dessen Besitzer Seilermeister Wilhelm Dörfel ist, und am 12. April in der damaligen Hintergasse (Ecke Pfortenstraße) der "Gasthof zur Stadt Berlin" (Besitzer Drechslermeister Johann Heinrich Ufer).


1837
Am 1.Januar übernimmt nach Ablauf der Pachtzeit des Braumeisters Gürth die Pachtung der hiesigen Genossenschaft-Brauerei der Brauerssohn Karl Adolf Hein aus Wittenberg. Er zahlt eine Pachtsumme von 835 Talern und muß eine Kaution von 1000 Talern stellen. Der Erweiterungsbau der Mädchenschule wird beendet Die Tafeln und Bänke für die neue Klasse fertigt der Tischlermeister Schultheis. Die Gesamtkosten des Baus belaufen sich auf 614 Taler 11 Gr. 1 Pfg. Zum zweiten Lehrer dieser Schule wird Lehrer Petermann berufen. Erster bleibt Lehrer Zieger, der zugleich Organist an der Stadtkirche ist. Im Herbst muß die Schlämmung auch der zweiten Hälfte des Stadtgrabens in Angriff genommen werden. Da innerhalb der Bürgerschaft der Unwille über die verkehrten Beschlüsse der Stadtverordneten, durch die der Stadt so erhebliche Mehrkosten erwachsen, außerordentlich groß ist und mehrfach erregte Auseinandersetzungen stattgefunden haben, wird nunmehr die Schlämmung dem Maurermeister Meie übertragen, der aber jetzt viel mehr fordert als im Vorjahre, nämlich 350 Taler nebst Überlassung des Schlamms und Darleihung der Schlämmungsgeräte. Dem Stadtmüller Trommler müssen außerdem für die während der Schlämmung von ihm benötigte Unterbrechung seiner Mahltätigkeit von der Lieferung seines Getreideerbzinses monatlich 4 Scheffel Roggen und 8 Metzen Weizen nachgelassen werden. Maurermeister Meie beginnt mit der Schlämmung am 13. November, beendet sie aber erst am 13. Februar des folgenden Jahres. Auf höhere Anordnung wird am 12. September die nächtliche Torsperre aufgehoben und damit zugleich die Erhebung des Toreinlaßgelds. Der Magistrat ersucht die Kgl. Regierung um Genehmigung, nunmehr die den Verkehr einengenden Torpfeiler abzutragen und die Torflügel wegnehmen zu dürfen.


1838
Die Genehmigung zur Beseitigung der Torpfeiler und Torflügel wird seitens des Kriegsministeriums erteilt, weshalb der Magistrat in den ersten Tagen des Mai die vierTor-und Türpfeiler am Breiten Tore, ferner die beiden Torpfeiler am Halleschen Tore sowie die Tor-und Türflügel, auch die des Pfortentores, wo aber die Pfeiler stehen bleiben, wegnehmen läßt. Die Eingänge der Altstadt werden dadurch ebenso wie die der Vorstadt vollkommen frei. Es bildet sich ein "Verein zur Erbauung eines neuen Tores auf der Mittagsseite der Stadt". Die Genehmigung zum Bau wird erteilt unter der Bedingung, daß der Verein für alle Kosten aufkommt, die durch den Bau entstehen, auch diesen selbst ausführt. Man will damit beginnen, nachdem auch das Kriegsministerium die Erlaubnis zur Niederlegung des notwendigen Stücks Stadtmauer erteilt. Da aber erheben die Bewohner der Vorstadt Einspruch, wie sie schon mehrere Jahre vorher beim ersten Auftauchen des Gedanken getan, "weil sie einen Nachteil für ihre Nahrung befürchteten". Mit ihrer Beschwerde wenden sie sich diesmal an das Ministerium. Infolgedessen vergeht das ganze Jahr, ohne das dem Bau nähergetreten werden kann. Der Winter ist sehrkaltund hält an vom 6. Januar bis Ende Februar. Auf dem Wege von Benndorf nach Werben wird am 21. Januar der 28 Jahre alteHausbesitzer Schütze erfroren aufgefunden. Der Schnee liegt sehr hoch und muß zur Stadt hinausgefahren werden. Die Armen der Stadt und Grünstraße werden reichlich unterstützt. In der Erntezeit herrscht so nasse Witterung, daß das Getreide auswächst. Am 23. Juli läßt der Magistrat die von den Toren weggenommenen Torflügel sowie die beiden Gattertüren des Breiten Tores und einige Schlösser mit Schlüsseln von nachmittags 4 Uhr an öffentlich versteigern. Im Barth'schen Saale (Gasthof zur Weintraube) findet zur 25. Wiederkehr des Jahrestages der Schlacht bei Leipzig (18. Oktober) eine einfache Feier statt bei Festessen, Tafelreden und Deklamationen.


1839
Mit Beginn dieses Jahres gibt der bisherige Braumeister Hein seine Tätigkeit auf und läßt an seiner Statt den Braumeister Georg Derbfuß aus Zöbigker als Unterpächter in sein Pachtverhältnis einsteigen. Nach Abweisung der Beschwerde der Vorstadtbewohner kann endlich mit dem Durchbruch der Stadtmauer zur Errichtung des neuen Tores sowie dem Bau der Brücken über Stadtgraben und Lober begonnen werden. Dies geschieht am 15. März. Doch bereits am 25. muß der Bau auf mehr als einen Monat unterbrochen werden, weil von den Gegnern bei der Kgl. Regierung Anzeige erstattet war, daß wider die Vorschrift das Kämmereivermögen zur Dekkung der Baukosten herangezogen worden sei. Erst als eine schleunige Untersuchung die Nichtigkeit dieser Beschwerde ergeben hat, kann am 29. April die Bauarbeit wieder aufgenommen werden. Der Verein hat, um die neue Straße breit genug anlegen zu können, das Georgi'sche Haus nebst Garten und eine Wiese gekauft und Stadtverordnetenvorsteher Kühne zum gleichen Zwecke einen Teil seines Zwingers unentgeltlich abgetreten. Am 13. Mai wird der Rost zu dem ersten Brückenpfeiler jenseits des Lobers eingesetzt, was von den beiden Baumeistern Meie und Krause ausgeführt wird. Diese Arbeit vollzieht sich unter einer gewissen Feierlichkeit. Das Nachrichtenblatt berichtet darüber: "Während der Grundstein des so wichtigen Baues gelegt und von den Komiteemitgliedem die drei Schläge mit dem Hammer auf demselben vollführt wurden, brachte Postkommissar Päßler (auch die Post hatte eine Beihilfe von 100 Tälern gewährt!) ein dreimaliges Lebehoch auf seine Maj. Friedrich Wilhelm 111. unter Abfeuerung der hiesigen Schützenkanonen und unter Trompeten-und Paukenschall aus. Diesem Trinkspruche folgten mehrere auf den Kgl. Landrath, den hiesigen Magistrat, wobei es an Jubel, Freude, Wein und Musik nicht fehlte". Die notwendigen Stein- und Schuttfuhren werden von "Pferde haltenden Bürgem der Stadt" sowie von Gutsbesitzern und Anspännern benachbarter Ortschaften, wobei sich besonders das Dorf Zaasch rühmlich hervortut, unentgeltlich ausgeführt. Jedoch vergehen 1 1/2 Jahre, bis der Straßenbau zu Ende gebracht werden kann. Von der Kgl. Regierung wird nunmehr auch das alte Schulgebäude der Vorstadt, das außer den Kindern dieses Stadtteils zugleich noch von den Schulkindern der Grünstraße (Knaben und Mädchen ungetrennt) besucht wird und daher von der Amtsvorstadt Grünstraße mitunterhalten werden muß, als nicht mehrgebrauchsfähig beanstandet und der Bau eines neuen Schulhauses gefordert. Stadt und Grünstraße zeigen sich auch dazu bereit. Indes dauert es auch diesmal wieder mehrere Jahre, bis der Bau zur Ausführung kommt. In diesem Jahr wird der letzte Rest derKriegsschuld abgetragen, und zwar in der Weise, daß jeder Bürger auf je 100 Taler Einkommen 34 Silbergroschen abführen muß. Bürgermeister Securius bemerkt dazu: "Wir wurden mit diesem Jahre eine Last Ios, welche für unsere Stadt sehr drückend gewesen war." Der Winter ist weniger streng als der des Vorjahres, dauert aber bis Anfang Mai. Der Sommer bringt viele Gewitter mit sich, zum Teil mit Hagelschlag. Auch macht sich eine furchtbare Raupenplage geltend. Die Vertilgung dieses Ungeziefers auf dem Pflaumenanger erfordert allein einen Kostenaufwand von 162'/2 Tälern. Am 18. Dezember feiert der hier allgemein verehrte und hochgeschätzte Dr. med. Ideler sen. sein 50jähriges Doktorjubiläum, bei welcher Gelegenheit dem Jubilar vielfache Ehrungen und Huldigungen zuteil werden. Einer seiner Verehrer widmet ihm im Nachrichtenblatte folgenden gutgemeinten Vierzeiler:

Wer so wie Du der Welt genützt,
Mit Wissenschaft und Kraft und Zeit.
Hat schönsten Nachruhm fest gestützt,
Gewirket für die Ewigkeit.


1840
Superintendent Dr. Rudel stirbt nach längerem Kranksein an einem schweren Leberleiden irr eben vollendeten 59. Lebensjahre am 4. Januar und wird am 7., jedenfalls auf seinen Wunsch, in aller Stille beigesetzt. Die Amtsgeschäfte des Superintendenten werden in Vertretung dem Pfarrer Krüger in Schenkenberg übertragen. Am 12. Januar werden dem Hausbesitzer Johann Traugott Götsching, dem jüngsten Sohne des Maurermeisters Götsching in Gertitz, auf sein am Platze an der Postsäule, Ecke Steinweg, gelegenes neuerrichtetes Haus von der Merseburger Regierung und gegen den Widerspruch des Magistrats die vollen Gasthofsgerechtsame zuerteilt. Götsching gibt dem Neubau den Namen "Gasthof zum eisernen Kreuz". Im Mai dieses Jahres wird zum ersten Male die Vereinigung der Grünstraße mit der Stadt angeregt. Man kommt aber nicht zum Ziele, weil hauptsächlich der Ortsschutze der Amtsvorstadt, Gerichtsexpedient Schulze, sich als Gegner der Einverleibung erweist.


1841
Nach einer von der Kgl. Regierung verlangten Zusammenstellung aller öffentlichen Lokale ergibt sich der Nachweis, daß die Stadt am 1. Januar dieses Jahres besitzt: 10 Schankstätten (Branntwein und Bier), 14 Kaffee-und Weinhäuser, 2 Schankstätten mit ausschließlichem Bierausschank, 4 Restaurationen bzw. Konditoreien, 9 Gasthöfe mit Ausspannung. Die Einwohnerzahl beträgt demselben Nachweis zufolge bei Ausschluß der Grünstraße damals 4533. Am 2. Februar nachmittags trifft der neue Superintendent, Karl Friedrich Förster aus Lützen, über Leipzig kommend, hier ein. In Lemsel, wo sich das Grenzpostamt befand, wird er von einigen vierzig Personen des Kirchenkreises empfangen und nach einem im dortigen Gasthofe eingenommenen Frühstück zur Stadt geleitet. Man hat sich in sechszehn Kutschen verteilt. Vor Beginn des Frühstücks begrüßt ihn Postkommissarius Päßler mit kurzer Anrede. Unter Vorritt von zwei Postillonen kommt die Gesellschaft, den Gefeierten in der Mitte, um 5 Uhr nachmittags in Delitzsch an. Von der Kantorei wird der neue Geistliche im Flur der Superimendentur mit einem passenden Gesänge empfangen, worauf er von den gleichfalls erschienenen Magistratspersonen und Stadtverordneten begrüßt und jeder von diesen Körperschaften ihm durch Bürgermeister Securius vorgestellt wird. Wie gut er sich einzuführen versteht, wird aus folgendem im Nachrichtenblatte vom 13. Februar erschienenen Inserate deutlich: Frommer Wunsch. Daß unser hochverehrter Herr Superintendent Förster die am vergangenen Sonntag gehaltene Antrittspredigt drucken lassen möchte, wünschen viele, welche dieselbe gehört haben; aber auch Mehrere, welche durch Unpäßlichkeit und durch die strenge Kälte abgehalten wurden. Im Anfange des März tritt auf fast eine Woche Hochwassergefahr ein, wodurch die Schafbrücke fortgerissen wird. Orkanartige Stürme toben am B. Juni und am 28. Juli und entwurzeln Pappeln und Obstbäume. Im Juli stirbt der um die Wohlfahrt des Kreises Delitzsch hochverdiente Landrat von Pfannenberg. Mehrere Ortsschulzen des Kreises widmen ihm im Nachrichtenblatte vom 17. Juli einen warmempfundenen Nachruf. Der Herbst erweist sich als außergewöhnlich reich an Pflaumen, deren Verpachtung 195 Taler einbringt. Am 12. November nachmittags 3 Uhr erfolgt die Abnahme der endlich ausgebauten neuen Leipzigerstraße in Gegenwart des Landratsverwesers von Schönfeld, des Bauinspektors Müller, des Magistrats und der Stadtverordneten. Da fast alle Baufuhren kostenlos geleistet wurden, betragen die Kosten dieses Straßenbaus nicht mehr als 4 187 Täler, 29 Sgr. 3 Pfg. Das vom Straßenbauvereine miterbaute Pflastergeleitshäuschen am neuen Tore wird vom Magistrat dem Pflastergeleitspächter Hoffmann gegen einejährlich zur Kommunkasse zu entrichtende Pachtsumme von 15 Talern überwiesen.


1842
Das Jahr ist ein sehr trockenes, weshalb infolge schlimmsten Futtermangels das Vieh in Massen zum Verkauf angeboten wird. Schon für einen Silbergroschen ist ein Pfund Rindfleisch zu haben. Schafe sind überhaupt nicht los zu werden, der mangelnden Käufer wegen. Dank der Trockenheit und Hitze gerät aber der Wein besonders gut. Anstelle des ausscheidenden Majors Ehrhardt tritt als Kommandeur des Landwehrbataillons Major von Beczwarzewsky hierein. Die erste Kompanie des Bataillons hält gemäß einer Bekanntmachung des Landratsverwesers von Schönfeld ihre diesjährigen Schießübungen bei Delitzsch am 17. April und B. Mai, von 6 bis 8 und 10 bis 12, bei Klitzschmar am 24. April und 22. Mai von 6 bis 10 und bei Klein-Wölkau am 1. Mai und 19. Juni von 6 bis 10 Uhr ab, für welche Zeiträume vor der Annäherung an die Schießstände gewarnt wird. Desgleichen macht die Kgl. Res.-Magazin-Verwaltung zu Weißenfels bekannt, daß für die zur 14tägigen Übung nach Delitzsch eingezogenen Mannschaften und Pferde an den Mindestfordemden verdungen werden sollen: 21 000 Stück Brote zu je 10 Pfund, 10 Wispel Hafer zu je 24 Scheffel, 70 Zentner Heu- und 10 Schock Stroh, das Bund zu 20 Pfund. Termin dazu wird anberaumt auf dem Rathause zu Delitzsch am 4. April, vorm. 10 Uhr. Nach beendeter Übung der Landwehr-Eskadron findet, wie der Bitterfelder Landrat von Stülpnagel bekannt gibt, eine Versteigerung von 18, in diesem Jahr wieder einmal gekauften und nicht gemieteten Pferden statt, am 6. Juni vormittags 9 Uhr im "Weißen Roß". Am 1. August beginnt, nachdem Rektor Ahner schon am 1. April wegen Altersschwäche in den Ruhestand getreten, der von Mücheln hierher berufene Rektor Feodor Alexander Stützer seine schulamtliche Tätigkeit in Delitzsch. Vier Tage später, am 4. August, wird Artur von Pfannenberg, Sohn des im Vorjahre verstorbenen Landrats, durch den Oberregiernngsrat von Hinckeldey aus Merseburg in sein neues Amt als Landrat des Kreises Delitzsch eingeführt. Am 29. September kann endlich die Einweihung des schon im Vorjahre begonnenen Schulneubaus in der Vorstadt erfolgen. Schüler und Schülerinnen dieser von den Kindern der Grünstraße sowie von unbemittelten Schulkindern der Stadt besuchten Schule (daher auch Armenschule genannt) sind vormittags mit ihrem Lehrer (Haase) zu einem Gottesdienste in der Stadtkirche gewesen und sodann in der Begleitung sämtlicher Lehrer der Stadt zunächst nach der alten Vorstadtschule gezogen. Diesem Zuge schließen sich unmittelbar an die Geistlichkeit der Stadt, der Magistrat und die Stadtverordneten, desgleichen der Schulvorstand und die Vorsteher der Gemeinde Grünstraße, voran die Stadtmusikkapelle, einen Choral blasend. Die Abschiedsrede am alten Schulhause hält nach einem Scheidegesänge der Ortsschulinspektor Archidiakonus Walcker. Hierauf begeben sich alle Festteilnehmer in der frühern Ordnung zum nahegelegenen, von den Schulkindern mit Blumen, Kränzen und Girlanden festlich geschmückten neuen Schulhause, wo nach einem Weihgesange Superintendent Förster die Weihrede hält und nach dem Gesange der Schlußstrophen des Weihliedes Bürgermeister Securius unter kurzer Ansprache dem "treuverdienten" Lehrer Haase im Namen der beiden Gemeinden den Hausschlüssel übergibt und damit das Haus unter dessen spezielle Aufsicht stellt. Die Feier endet mit einem von Archidiakonus Walcker gesprochenen Gebete und eine daran angeschlossenen, dem Berichte nach "sehr ergreifenden" Schluß- und Wechselgesänge. Mittags werden dann noch sämtliche 123 Schulkinder auf Kosten von Schul- und Kinderfreunden gespeist und schließlich gar noch unter den Klängen heiterer Tanzweisen mit einigen Scheffeln Pflaumen herrlich bewirtet. Die Kosten für die Musik und den Druck des Festliedes gehen zu Lasten der Stadtkasse. Die Brauereigenossenschaft legt im Herbst auf Betreiben des Unterpächters Derbfuß hinter Kühnes Garten an der Stelle des heutigen Judenkirchhofs einen Eiskeller an.


1843
Mit Jahresbeginn übernimmt der bisherige Unterpächter derm Brauerei, Georg Derbfuß, die Pachtung als vollberechtigter Eigenpächter. Er muß wieder mit 1000 Tälern Sicherheit leisten, zahlt aber nur noch 655 Täler Pacht. Gemäß höherer Anordnung wird eine neue Einteilung der Kompaniebezirke des Delitzscher Landwehrbataillons vorgenommen. Künftighin werden hiernach die zum Kreise Delitzsch gehörenden Ortschaften östlich der Mulde, einschließlich der Stadt Eilenburg, zum 2. Kompaniebezirk geschlagen, wogegen sämtliche Ortschaften westlich der Mulde dem 1. Kompaniebezirk verbleiben. Schießplätze der 1. Kompanie sind von nun an Beerendorf, das zugleich Kontrollpaltz wird, Sietzsch und Klein-Wölkau b.E. Im Juli wird ein von dem Böttchermeister Gottfried Schumann und dessen Ehefrau Marie Rosine in deren neben der neuen Knabenschule gelegenem Wohnhause zu ebener Erde hergerichtetes Klassenzimmer seitens der Stadt mietweise übernommen. Desgleichen ein im Oberstocke dieses Hauses gelegenes geräumiges Zimmer mit Alkoven und Kochgelegenheit, was als Lehrerwohnung dienen soll. Der Mietspreis für diese Wohnung und das Klassenzimmer wird auf 60 Talerjährlich festgesetzt. Der Magistrat beabsichtigt, auf diese Weise unter Anstellung eines neuen Lehrers eine gemischte Elementarklasse einzurichten, da sich herausgestellt hat, daß die unteren Klassen der beiden städtischen Schulen überfüllt sind. Das so erhebliche Anwachsen der Schülerzahl in den städtischen Schulen wird zum Teil auf den Umstand zurückgeführt, "daß der Privatlehrer Hühnel alhier seine concessionirte Schule (wie er am 27. März bekannt gibt) aus freier Entschließung Ostern dJ. aufgeben und von seiner Concession keinen weitern Gebrauch machen wil I,"Die Kinder, die dieser Privatschule angehörten, müssen also in den verschiedenen Klassen der Stadtschulen untergebracht werden. Der im Jahre darauf berufene Lehrer dieser gemischten Klasse heißt Robert Hoffmann.


1844
Der Magistrat der Stadt verliert zu seiner Genugtuung die im Jahre 1819 verliehene Polizeigewalt über die Amtsvorstadt Grünstraße. Der Wonnemonat zeitigt eine schlimme Maikäferplage. Die Schädlinge fressen die Bäume kahl wie Besenreis. Der nasse und kalte Sommer schädigt die Ernte des Getreides, weshalb dieses im Preise steigt. Am Himmel wird ein Komet sichtbar. Am 23. August wird das bisher im Ordonnanzhause untergebrachte Militärlazarett in das obere Stockwerk des Pfortenwärterhauses verlegt und dem hiesigen Bataillon übergeben.


1845
Am 10. Januar stirbt der hier wohnhafte pensionierte Gendarm Stroy den Hungertod. Der Winter ist in seiner zweiten Hälfte streng. Noch am 2. März beträgt die Kälte 14 Grad Reaumur. Hunger treibt die Hasen in die Gehöfte. Durch einen am 1. Osterfeiertage (23. März) einsetzenden anhaltenden Regen kommt der fußhohe Schnee plötzlich zum Schmelzen. Infolgedessen entsteht in der Zeit vom 25. zum 29. März großes Wasser, das die Dämme vor dem Halleschen Tore durchbricht und vom Stadtgraben aus die Promenade in der Nähe der Stadtmühle überflutet. Auf allgemeinen Wunsch der Wehrmänner wird mit höherer Genehmigung die Kontrollversammlung von Beerendorf wieder nach Delitzsch verlegt. Rektor Stützer begründet am 24. Mai in Delitzsch den ersten Turnverein, den ervorerst" Turnanstalt" nennt. Schon im Herbste wird von ihm das erste Schauturnen auf dem Schützenplatze abgehalten. Aus diesem Verein ist der "Turnverein Delitzsch 1845" hervorgegangen. Die hölzerne Fahrbrücke an der Stadtmühle wird mit kiefemen Pfosten belegt. Ein grausiger Gewittersturm erhebt sich am 9. Juli früh 6 Uhr. In Menge fällt unter entsetzlichem Sturmgeheul der Hagel. Der Tag verwandelt sich in finstere Nacht. Den Anfang hat das Unwetter schon in Frankreich genommen, hat ganz Deutschland durchrast und sich erst in Rußland ausgetobt. Die Obsternte ist in diesem Herbste eine sehr geringfügige. In diesem Jahre entstehen wieder neue Gasthöfe und zwar deren zwei, der Gasthof zur "Grünen Linde", dessen Besitzer, der Seiler Friedrich August Brettschneider, als Grünstraßenbewohner die Gasthofsgerechtsame vom Landratsamte zuerkannt erhält (21. Mai), und der Gasthof zur "Stadt Leipzig", letzterer freilich mit vorerst nur auf Branntwein-, Bier- und Weinausschank beschränkte Erlaubnis. Seinen Namen erhält dieser Gasthof erst 1874 mit der Erlaubnis zur Ausübung des vollen Gasthofbetriebes. In den ersten Jahren nach Erteilung der Schankerlaubnis inseriert der Besitzer im Kreisblatte unter dem Namen "August Schleicher vor dem neuen Tore".


1846
Der außergewöhnlich milde Winter macht den Landwirten eine zeitige Frühjahrsbestellung des Ackerlandes möglich. Jedoch mißrät die Ernte vollständig. Infolgedessen stellen sich im fortschreitenden Jahre Teuerung und Hungersnot ein, zwei Obel, die sich allerdings erst im folgenden Jahre als besonders unheilvoll auswirken und die härtesten Formen annehmen. Im März wird von dem Prinzen Karl als kommandierendem General des 4. Armeekorps in Verbindung mit dem Oberpräsidenten der Provinz Sachsen, von Bonin, dem Landrat von Pfannenberg der Auftrag zuteil, für Erbauung zweckmäßiger Schießbuden für die Landwehrübungen die besondere Zufriedenheit und den Dank der Herren Auftraggeber auszudrücken 1. dem Privatförster Pabst in Beerendorf, 2. dem Schenkwirt Schulze in Sietzsch und 3. dem Erbrichter Stichel in Sprotta, letzterem auch noch fürdie "mit erheblichen Geldopfern" verknüpfte Erbauung und den Unterhalt eines Kugelfangs. Am 26. Mai kommt von Graditz bei Torgau her, wohin er am Tage zuvor von Sanssouci aus unter Verwendung von Stafetten geritten, in Begleitung seines um sechs Jahrejungeren Bruders, des Prinzen Karl, König Friedrich Wilhelm IV nach Delitzsch, um das zur Übung versammelte Landwehrbataillon nebst der dazugehörigen Eskadron zu besichtigen und sodann am selben Tage noch den Stafettenritt über Brehna und Karlsfeld nach Halle fortzusetzen, von wo er andern Tags mit der Bahn nach Berlin zurückreist. Auf geradem Wege über Eilenburg trifft er in der mit Girlanden und Kränzen reichgeschmückten Stadt bereits um 11 1/4 Uhr ein und begibt sich, umjubelt von der dichtgedrängten Menschenmenge, nach dem Gasthofe zum "Weißen Roß", wo er sich die versammelten Behörden und gleichfalls anwesenden Kreisstände vorstellen läßt, um nach einem schnell eingenommenen Gabelfrühstück sich in einem von der Post gestellten Galawagen mit dem im "Eisemen Kreuz" abgestiegenen Prinzen Karl nach dem hinter Benndorf zwischen der Paupitzscher Straße und dem Dorfe Werben gelegenen Exerzierplatze zu begeben, wo auch die dort zur Absperrung des Platzes aufgestellte Schützengilde sich seiner Huld zu erfreuen hat. Nach einstündiger Besichtigung kehrt er zum "Weißen Roß" zurück und verläßt die Stadt durch die Breite und Hallesche Gasse nach weiteren kurzen Aufenthalte. (Einer der drei Postillone, die den König zum Truppenübungsplatze und zurück gefahren hatten, und zwar dieser als Spitzenreiter dieses Sechsgespanns, hieß August Kitzing und war späterhin, nach dem Kriege 1870/71, längereJahre hindurch Kastellan an der zu jener Zeit noch "Höhere Bürgerschule" genannten naehmaligen Oberrealschule). Der schon im Jahre zuvor neuernannte Kommandeur des Landwehrbataillons, Major v Boreke und Landrat von Pannenberg machen am 11. November bekannt, daß bei eintretendem Kriege während der Abwesenheit der Männer die den Militärfamilien zu gewährenden Unterstützungen auch den Familien der aus den Stabsquartieren abgerückten, noch nicht mobil gemachten Landwehren zuerkannt werden sollen. Eintretendenfalls sollen unter Mitwirkung der Landräte Vereine gebildet werden, zu denen Kreisstände, Bürgermeister, Pfarrer, Ärzte, Schullehrer, Ortsvorsteher und angemessene Einwohner heranzuziehen sind, um die erforderlichen Bedürfnisse aufzubringen. Als solche werden bezeichnet: Befreiung von allen Gemeindelasten, auch vom Schuldgelde, unentgeltliche ärztliche Behandlung und Hergabe von Arzneien, unentgeltliche Verabreichung von Brennholz, Streulaub, Viehweide usw., Unterstützung durch Bearbeitung von Grundstücken, Unterstützung an Kartoffeln, Brotkom und Geld. Im Spätherbste und Beginn des Winters machen sich Teuerung und Hungersnot bereits in hohem Maße bemerklich. Um die schlimmsten Nöte abzuwenden, berufen Oberlandgerichtsassessor Dr. Schulze und Diakonus Baltzer am 28. Dezember nach dem Gasthofe zum goldenen Ring eine öffentliche Versammlung ein in der Absicht, einen Hilfsverein zu errichten. Dieser kommt zustande; an seiner Spitze tritt Superintendent Förster. Rektor Stützer fügt seinem im Vorjahre gegründeten Turnvereine eine Altersriege ein, deren Mitgliederzahl alsbald auf 18 steigt, und die unter andern folgende, noch heute bekannte Namen aufweist: Donath, Bäckergeselle; Fröde, desgleichen; Kuntze, Bürogehilfe; Pörschmann, Fleischergeselle; Kreutzer, Fleischergeselle; Bier, Horndrehergeselle; Ufer, Expedient; Hoffmann, Präparand; Held, Kaufmannslehrling; Krause, Gürtlerlehrling.


1847
Die Hungersnot nimmt vor Beginn der neuen Ernte die schlimmsten Formen an und steigt auf den Gipfel. Der Sack Korn kostet 11 Taler und der Weizen 11 1/z Taler. Die Regierung zu Merseburg sendet 100 Taler, jedoch nur zur Verwendung für die Armen der Grünstraße, während vom Delitzscher Hilfskomitee und dem Magistrat kein Unterschied gemacht wird zwischen den städtischen und den Grünsträßer Armen. Landrat von Pfannenberghält am 4. Mai einen Kreistag ab, worin von den Kreisständen für Rechnung des Kreises 20 000 Taler bewillig twerden. Allerdings kommen von dieser Summe bis zur eintretenden Ernte nur 2000 Taler zur Verwendung. Der Minister Rother stellt für die Provinz Sachsen 300 Wispel Roggen zur Verfügung, den Wispel zum Preise von 106 Talern gerechnet. Glücklicherweise ist die neue Ernte eine reich gesegnete. Auch kommt sie glücklich ein, so daß die Not ihr Ende erreicht. Am Abend des 17. September ist ein prächtiges Nordlicht zu sehen, das beim ersten Eindrucke zu der Annahme führt, es sei ein großes Feuer in der Nähe.


1848
Mit Beginn dieses Jahres tritt an Stelle des in Delitzsch beliebt gewesenen Georg Derbfuß als Brauereipächter Wilhelm Ferdinand Sänger, weil er zur Erlangung der Pachtung das höchste Gebot im Betrage von 602 Talern getan. Die von ihm gestellte Kaution beläuft sich nur noch auf 600 Taler. Im übrigen bringt dieses Jahr, besonders nach Bekanntwerden der Berliner Märzkämpfe, viel Unruhe und Aufregung auch nach Delitzsch. Im Beginne des April bildet sich ein Ausschuß, bestehend aus sechs Personen, dem Zimmermeister Krause, Gürtlermeister Kretzschmar, Schneidermeister Kreutzer, Strumpffabrikant Pabst, Assessor Schulze und Rektor Stützer. Dieser Ausschuß beruft zum 9. April nachmittags 3 Uhr eine Volksversammlung auf den Markt ein, die sich zu einer machtvollen Kundgebung auswächst. Außer einer äußerst zahlreichen Volksmenge, die sich schon lange vorher eingefunden, kommen zur festgesetzten Zeit in feierlichem Zuge, voran das von wehenden Fahnen begleitete Stadtmusikchor, vom Schützenplatze her die Vereine und Innungen der Stadt heran, dicht hinter der mit schmetternden Klange aufspielenden Musik die vor kurzem von Assesor Schulze begründete Liedertafel, sodann die Mitglieder der von Rektor Stützer 1845 ins Leben gerufenen "Turnanstalt", und hieran angeschlossen die Innungen mit ihren Bannern, die der Schuhmacher, Tischler, Böttcher, Stellmacher, Bäcker, Maurer und Zimmerleute, Weber, diese mit eigenem Musikchor, und Strumpfwirker mit ihren Abzeichen (einer Zitrone mit Spille). Sie stellen sich im Viereck um die mit zwei seidenen Nationalfahnen gezierte und schwazrotgoldenem Tuch umkleidete Rednertribüne auf, von der Assessor Schulze nunmehr die Versammlung eröffnet mit einem Hoch auf das deutsche Vaterland. Die auf dem Rathausbalkon plazierte Kapelle intoniert "Sei Lob und Ehr", in welches Lied die Versammlung andächtig einstimmt. Hierauf folgen mehrere Ansprachen. Zunächst spricht Assesor Schulze, der dann noch mehrfach das Wort ergreift. Ferner sprechen Rektor Stützer, Dr. Fiebiger, Zimmermeister Krause und Pfarrer Dittmann aus Zschortau. Mit einem Hoch auf den "konstitutionellen König" schließt Schulze die Versammlung, worauf vom Rathausbalkon herab der Choral "Nun danket alle Gott" ertönt. Am 16. April wird im Saale des Gasthofes zum Schwan, wo eine von 500 Teilnehmern besuchte Versammlung stattfindet, ein politischer Verein gegründet, der sich den Namen "Deutscher Volksverein" beilegt. Hauptredner bei Gelegenheit dieser Gründung ist diesmal Pfarrer Krüger aus Schenkenberg, der als Hauptforderung des Vereins den Grundsatz aufstellt, man wolle ein einiges starkes Deutschland, geleitet von einem gemeinsamen Oberhaupte, und ein freigewähltes volkstümliches Parlament an seiner Seite. Dabei aber auch in diesem Deutschland ein großes starkes Preußen unter seinem angestammten Könige und an dessen Seite freigewählte, mit den umfassendsten Befugnissen ausgestattete Volksvertreter. In den Vorstand dieses "Deutschen Volksvereins" werden gewählt: Land- und Stadtgerichtsdirektor Bodenstein; Pfarrer Dittmann, Zschortau; Dr. Fiebiger, Zimmermeister Krause, Gürtlermeister Kretzschmar, Pfarrer Krüger, Schenkenberg, Landrat von Pfannenberg, Referendar Reil, Assessor Schulze und Rektor Stützer. Als Kandidaten für die in Aussicht stehende Nationalversammlung in Berlin wählt man ohnejede Einrede Assessor Schulze und für die in Frankfurt a.M. für das deutsche Reich bevorstehende, gleichfalls ohne Widerspruch, den Kommerzienrat Degenkolb, Eilenburg. Am 25. April wird dem Stützer'schen Turnvereine durch Jungfrauen der Stadt und Umgebung eine neue Fahne überreicht, die am gleichen Tage feierlich geweiht wird. Der die Weihe vollziehende Festredner beginnt seine Rede mit folgenden Worten: "Turngenossen, ein großes,jaein sehrgroßes Glück ist uns heute zuteil geworden. Wir haben, wie ihr alle wißt, eine deutsche Freiheits- und Einheitsfahne geschenkt erhalten, und zwar aus den Händen deutscher Jungfrauen!" Ein vom Freiheitstaumel besonders ergriffenes Mitglied des Tumvereins, Komatzki, Schenkenberg, stellt um die Osterzeit beim Turnrat den schriftlichen Antrag, regelmäßige Übungen im Bajonettfechten einzurichten, und zeigt sich bereit, zu diesem Zwecke einen monatlichen Beitrag von 10 Sgr. zu opfern. Unter seinem Namen vermerkt er: "Am 3. deutschen Ostertage des gewaltigen Jahres 1848". Der Turnrat greift die Anregung auf und läßt, da der Oberpräsident der Provinz Sachsen seinen Antrag auf Hergabe von 50 Militärgewehren ablehnt, durch Kornatzki eine Zeittang Bajonettierübungen mit hölzernen Flinten vornehmen. Am 8. Mai finden im Delitzscher Kreise die Wahlen für die preußische Nationalversammlung statt. Mit großer Mehrheit (79 Stimmen von 94) wird Assessor Schulze zum Abgeordneten, mit geringer Mehrheit (52 Stimmen) Dr. med. Bernhardi, Eilenburg, zu seinem Stellvertreter von selten der Wahlmänner erwählt. Als Abgeordneter der am 22. Mai in Berlin zur Beratung der Verfassung zusammengetretenen Nationalversammlung erwirbt sich Assessor Schulze unter der Bezeichnung "Schulze-Delitzsch" gar bald einen Namen als geistig bedeutender, schlagfertiger Redner, der auch nicht versagt, als es im November zu ernsten Kämpfen zwischen der Nationalversammlung und dem neugebildeten Ministerium Brandenburg-Manteuffel kommt, dem die Versammlung des Recht der Steuererhebung und der Verwendung von Staatsgeldern abspricht, worauf die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden, inzwischen aber (5. Dezember) vom Ministerium eine Verfassung dem Volke "oktroyiert" (aufgezwungen) wird. Im ganzen Lande entbrennt hierauf ein mächtiger Wahlkampf, natürlich auch in Delitzsch, das diesmal, was vorher nicht der Fall, mit Bitterfeld zu einem Wahlkreise vereinigt wird. Wie überall, scheiden sich auch hier die Geister in zwei große Richtungen, konservativ und liberal. Führer der letzteren Partei sind im Kreise Delitzsch Assessor Schulze und Dr. Bemhardi, der ersteren Superintendent Förster, Delitzsch und Ökonomierat Wernicke, Eilenburg. Bedauerlicherweise greift die allgemeine Erregung der Gemüter auch auf militärische Kreise über und gibt Anlaß zu Widersetzlichkeiten. Als am 21. und 22. November die zur Obung einberufenen Mannschaften des hiesigen Landwehrbataillons auf dem Schlosse eingekleidet werden sollen, zeigt sich, aufgereizt durch freiheitlich gesinnte Bürger, die überwiegende Mehrheit davon äußerst widerspenstig, verweigert die Einkleidung und zwingt gar schon eingekleidete Kameraden zur Rückgabe der Sachen, ja einem von diesen wird der Uniformrock vom Leibe gerissen. Die Offiziere sind machtlos. Es bleibt nicht übrig, als die Meuterer vorderhand zu entlassen. Unverweilt aber fordert der Befehlshaber, Major von Borcke, einen Zug der in Düben gamisonierenden Zietenhusaren sowie von Torgau her 400 Mann Infanterie an, nach deren Erscheinen die Einkleidung in vollster Ruhe und ohne Reibung vor sich geht. Die Rädelsführerjedoch werden streng bestraft, und da sich während der kurzen Untersuchung herausstellt, daß sie durch die Bürger der Stadt aufgereizt wurden, bildet diese Meuterei die Grundursache, weshalb der Stadt die für die Geschäftswelt so vorteilhafte Garnison verloren geht. Vorerst wird unmittelbar nach den meuterischen Vorgängen das Bataillon nach Wittenberg in Marsch gesetzt, wo die sich anschließenden Übungen abgehalten werden. Südlich vom Breiten Tore schwindet im Laufe dieses Jahres in der Mauergasse ein großes Stück Stadtmauer, an deren Stelle Häuser bzw. auch Schuppen eingerichtet werden, eine bedauerliche Maßnahme, die auch noch im kommenden Jahre fortgesetzt wird. Die Viehgasse erhält den Namen Bitterfelder Straße.


1849
Bereits am 5. Januar fährt das Delitzscher Landwehrbataillon von der in Wittenberg ausgeführten Übung zurück. Die Delitzscher Schützenkompanie zieht ihm bis Berndorf entgegen und holt es mit fliegender Fahne heim. Die nach heftigem Wahlkampfe am 22. Januar statthabenden Urwahlen der Wahlmänner für die Landtagsabgeordneten ergeben eine erdrückende Mehrheit für den liberalen Kandidaten. In Delitzsch werden nur freisinnige Wahlmänner gewählt, nämlich im 1. Wahlbezirke: Referendar Reil, Böttchermeister Georgi, Fleischermeister Pörschmann jun., Kaufmann Mulert sen., Tischlermeister Krause; im 2. Wahlbezirke: Schneidermeister Balke sen., Webermeister Fuchs, Schneidermeister Kreuzer sen., Instrumentenmacher Moriz, Kreischirurg Rudloff, Klempnemeister Luckian; im 3. Wahlbezirke: Justizkommissar Hassert, Fleischermeister Pörschmann sen., Kaufmann Haakke, Töpfermeister Herfurth. In dem am 5. Februar nachfolgenden Wahlakte der Wahlmänner werden gewählt Assessor Schulze mit 233 und Pastor Hildenhagen, Quetz, der zweite Wahlkandidat, mit 225 von je 316 Stimmen. Im Monat März wird eine zwei Kompanien starke Bürgerwehr ins Leben gerufen. Die vom Markte, der halleschen und breiten Gasse sowie dem Steinwege nach Süden zu wohnhaften Bürgemehmänner bilden die erste Kompanie, die von da nach Norden zu wohnhaften die zweite. Bei einer am 24. März, nachmittags, vorgenommenen Wahl wird Hauptmann der ersten Kompanie Zimmermeister Krause und deren Oberzugführer Kaufmann Mulert sen. Das politische Leben hält noch immer die Gemüter in Bewegung. Bei gelegentlichen Volksversammlungen wird von den Konservativen der "Schwan", von den Liberalen der "Ring" oder das "Schützenhaus" benutzt. Am l. April verläßt der um die Turnsache so hochverdiente Rektor Stützer die Stadt, um als Rektor nach Bitterfeld zu gehen. Er zieht diese Stellung der hiesigen vor, weil er hier an den noch lebenden Rektor ein. Ahner einen erheblichen Teil des Rektoreinkommens abgeben muß und in Bitterfeld wesentlich besser gestellt ist. An seiner Stelle wird zum 1. Juni der Rektor Johann Gottfried Barthel, der ebenso wie seinerzeit Rektor Stützer von Mücheln kommt, hierher berufen. In der Zwischenzeit hat auf Vorschlag des Superintendenten der Kandidat Knauth aus Zschepen die Rektorgeschäfte vertretungsweise geführt. Da die Stadt in diesem Jahre ein Kreisgericht erhält, muß zu dessen Unterbringung ein Vergrößerungsbau des Rathauses vorgenommen und dieses mit einem zweiten Oberstockwerk übersetzt werden. Der Bau wird ausgeführt von den Mauremeistem Meie und Rose, leider nicht im Stile der unteren Stockwerke. Die Schlosserarbeiten werden den Schlossermeistern Pflug und Sander übertragen, die Tischlerarbeiten den Tischlemeistern Bormann und Rülke, die Glaserarbeiten den vier Glasern der Stadt: Semau, Leiser, Schubert und Scheibe, die Schmiedearbeiten dem Schmiedemeister Aug. Naumann (an dem neuen Tore), die Klempnerarbeiten den Klempnemeistern Kripene und Winkler, die Malerarbeiten dem Dekorationsmaler Gustav Brandes, das Setzen der Öfen den Töpfermeistem Schulze, Herfurth und Gätzschmann, die Stukkaturarbeiten dem Stukkateur Karl Herrmann zu Leipzig. Die Harkortsche Eisengießerei in Leipzig wird mit der Lieferung von 4 Balkonsäulen, 4 Kapitalen dazu, dem Balkongeländer und dem Stadtwappen betraut. Zum Bauschreiber war Sparkassenrendant Thaerigen ernamtt worden. Abgenommen wird der Bau von Kgl. Bauinspektor Schönwald. Er wird bis auf die Freitreppe vor dem Rathause in diesem Jahre noch fertiggestellt. An der Mädchenschule wird ein dritter Lehrer, Eduard Keller mit Namen, angestellt. Die 1821 am östlichen Stadtgraben entlang errichteten hölzernen Schutzschranken (Barrieren) werden, da sie stark verwittert sind, weggenommen und dafür von den Hausbesitzern der Kohlgasse die Promenade entlang kleine freundliche Gärten angelegt, die diesem Promenadenteile ein farbenfreudiges Aussehen verleihen, jedoch nur wenige Jahrzehnte bestehen bleiben (die letzten verschwinden um 1905). Der Herbst dieses Jahres bringt der Stadt eine sehr schätzenswerte Neuerung, nämlich eine öffentliche Straßenbeleuchtung, die es bisher noch nicht gab. Bürgermeister Securius schreibt darüber: "Auch wurden Vorbereitungen getroffen, um Stadt und Vorstadt mit Straßenlaternen zu erleuchten. Die Fertigungderselben wurde dem Schlossermeister Bier jun. als Unternehmer überfragen. Der Verfertiger war aber hauptsächlich der Klempnermeister Luckian. Es wurden teils Hängelaternen, teils Pfahllaternen angeschafft. Der Aufwand für die Laternen, 39, betrug gegen 400 Taler. "Zum erstenmale angezündet werden sie einer kurz vorher im Nachrichtsblatte erschienenen Bekanntmachung zufolge am 15. Oktober, dem Geburtstage des Königs. In diesem Jahre wird auch der innerhalb einer Bannmeile um die brauberechtigten Städte herum noch geübte lästige Bierzwang im ganzen preußischen Staate aufgehoben, eine notwendige Folge der 1845 zur Einführung gekommenen neuen Gewerbeordnung, worin dem freien Wettbewerb offene Bahn geschaffen wurde. Bürgermeister Securius, seit Jahren von einem schweren Leberleiden geplagt, sieht sich am Schlusse des Jahres genötigt, von seinem Amte zurückzutreten. Er wird in den Ruhestand gesetzt mit einem Ruhegehalt von 350 Talern.


1850
Schon am 2. Januar wird der Nachfolger von Bürgermeister Securius, der bisherige Polizeisekretär Hagedorn zu Roßla am Harz, im neuen Rathaussaale, der zugleich eingeweiht wird, durch den Landratsverweser und Kreisdeputierten Major von Rauchhaupt auf Queis feierlich eingeführt. Der letztere muß den feierlichen Akt vornehmen, da Landrat von Pfannenberg abwesend ist und sich als Mitglied des Herrenhauses in Berlin aufhält. Ein widerwärtiger Vorfall, der sich im April dieses Jahres in Delitzsch abspielt, wird die unmittelbare Ursache zum Verluste der Garnison für die Stadt. Ein Delitzscher Bürger, Kürschnemteister Podehl zugleich Wehrmann 2. Aufgebots, muß vom Bataillons-Kommandeur, Major von Borcke, mit drei Tagen Mittelarrest bestraft werden, weil er der Frühjahreskontrollversammlung ohne genügende Entschuldigung fern geblieben, übrigens, wie sich später herausstellt, um einer politischen Versammlung in Eilenburg beiwohnen zu können. Seine Angabe, die Strafe nicht ableisten zu können, da er krank sei, wird nach eingehender ärztlicher Untersuchung durch den Bataillonsarzt Dr. Saatz, seit dem Vorjahre Nachfolger von Dr. Bertram, vollkommen widerlegt, so daß er drei Tage absitzen muß, nebenbei im geheizten Arrestlokale und unter Behändigung einer wollenen Decke. Die guten Freunde des Gemaßregelten innerhalb der Bürgerschaft aber regen sich über die Arretierung eines, wie sie erklären, "charakterfesten" Bürgers mächtig auf, rühren stark die Lärmtrommel, ja verbreiten sogar absichtlich unwahre Behauptungen, so daß sich Major von Borcke genötigt sieht, den wahren Sachverhalt öffentlich bekannt zu geben und Verwahrung einzulegen. Gleichzeitig veranlaßt er nun die endgültige Verlegung des Bataillons, dessen Garnison nunmehr Merseburg wird. Dr. Ideler bemerkt dazu in seinen chronistischen Aufzeichnungen: "Bei den gewerblichen und Verkehrsverhältnissen dieser Stadt ist die Verlegung des Bataillonsstabes ein großer Verlust". Am 10. Mai wird infolge der Bemühungen von Assessor Schulze im Köppig'schen Saale ("Ring") unter dem Namen "Vorschußverein" ein Spar- und Darlehensverein begründet, der noch heute unter dem Namen "Vereinsbank" besteht. Dessen Ausschußmitglieder waren damals: Assessor Schulze, Vorsitzender; E A. Schmidt, Kassierer; Bürgermeister Hagedom, Schriftführer; Georgi, Zimmermeister Krause, Kreutzer sen., Luckian, Mulert sen., Dr. Pfotenhauer, Registrator Richter, Kaufmann Sander, Kaufmann Aug. Schrnidt jun. als Beisitzer. Im Mai und Juni des Jahres wird die Freitreppe vor dem Rathause hergerichtet. Die dazu benötigten Granitplatten liefern Gebrüder Ehmig und E. Fikkenwirth, Leipzig. Angefahren werden sie von dem Fuhrmann Schreckenberger, Delitzsch. Zur Deckung der weit über 9000 Täler betragenden Kosten des Rathaus-Erweiterungsbaus wird bei der Stadtsparkasse zum Zinsfuße von 41/2 % eine Anleihe von 9500 Tälern erhoben, die durch jährliche Rückzahlung vonje 500-900 Tälern im Zeitraume von 15 Jahren (bis 1865) amortisiert werden soll. Die Obsternte des Jahres ist schlecht. Ein Schock Pflaumen kostet 2 1/2 Groschen.


1851
An Stelle des in den Ruhestand versetzten bisherigen Magistrats-Registrators Richter wird am 26. Mai der vormalige Bezirksfeldwebel Pönicke aus Bitterfeld mit dem Prädikate eines "Stadtsekretär" vom Magistrat ernannt und verpflichtet. Am 28. Juni, nachmittags 3 Uhr, ist eine bei klarem Himmel gut zu beobachtende große Sonnenfinsternis. Der Brauereipächter Sänger tritt am 1. August mit Genehmigung der Brauerschaft vorzeitig die Pachtung an zwei Afterpächter ab, den Schmiedemeister Naumann und den Bauer Nepomuk Schamagel. Auch diese arbeiten, ebenso wie vorher er selbst, mit Verlusten. Wie wenig lohnend die Brauereinahrung um diese Zeit geworden, geht daraus hervor, daß nach einer Bekanntmachung der Brauerschaftsdeputation vom 25. Februar des Vorjahres von den Brauereipachtgeldern an jeden Genossenschafter nur noch der geringe Jahresbetrag von 1 Täler. 15 Sgr. zur Auszahlung gelangen kann, weil andernfalls die bedungene Entschädigung für die durch Schutzrecht gewährleisteten Freibiere weder an die Schützengilde, noch an den Bürgermeister, noch auch an den Steuererheber aufgebracht zu werden vermag. Der Bürgermeister Hagedorn bittet die "Pferde haltenden" Bürger um unentgeltliche Anfuhr von Kies und Sand für die Promenadenwege. 36 Pferdebesitzer stellen sich zur Verfügung. Der Hefigbrunnen wird von Grund aus erneuert. Nach den chronistischen Aufzeichnungen des Dr. Ideler "strömt die Quelle jetzt aus einem fast zwei Zoll starken eisernen Rohre und wirft, da nichts mehr verloren gehen kann, in der Minute neun bis zehn Eimer Wasser". Damals übrigens fährt noch immer mit einem kleinen, schon 1835 auf Veranlassung des Postsekretärs Güttlig erbauten Wasserwagen der arme Schuhmachermeister Dietrich hausierend in den Straßen der Stadt umher, wegen seiner kleinen Statur allgemein der "kleine Wassergott" genannt, und bietet gegen geringes Entgelt Wasser vom Heifigbrunnen an. Der Delitzscher Turnverein, der seit dem Abgange des Rektors Stützer allem Anschein nach ganz in demokratisches Fahrwasser geraten ist, wie der Umstand, daß auf Vereinskosten die "Hallische Zeitung, Organ der Demokratie", gehalten wird, vermuten läßt, wird der Regierung verdächtig, so daß diese in einem Dekret vom 7. August zum Ausdruck bringt, gleich dem Eilenburger verfolge wohl auch der Delitzscher Turnverein dieselben sozialen Tendenzen, die sich auch andernorts als Zweck der Turnvereine herausgestellt haben. Das Turnen wird daher auf mehrere Jahre untersagt, wenngleich der Verein nicht zur Auflösung kommt, seine Tätigkeit vielmehr nur lahmgelegt wird. Die Vereinsfahne wird von dem damals auf dem Pfortenplatze wohnhaften Lehrer und Organisten Grellmann auf dem Bodenraume seines Wohnhauses zwischen Dachsparren und -balken versteckt gehalten. Der Herbst zeichnet sich durch eine reiche Obsternte aus. Die Pflaumen auf dem Anger werden mit 168 Tälern verpachtet. Jedoch läßi die Getreide-wie auch die Kartoffelernte zu wünschen übrig.


1852
Am 5. Januar stirbt, 63 Jahre alt, Bürgermeister Securius. Dr. Ideler sagt in seinen Aufzeichnungen von ihm: "Er war in jeder Beziehung ein edler Mensch, ein trefflicher Gatte und Vater, ein treuer Freund, ein Christ in Wort und Tat, ein Mann von festem Charakter, ein gewissenhafter Beamter und ein stiller Wohltäter der Armen". Zu Grabe geleitet wird er am B. Januar unter großer Beteiligung der Bürgerschaft. Der frühere Schenkenberger Weg ist nach ihm Securiusstraße benannt. In diesem Jahre erhält die Gottesackerkirche eine aus milden Gabengestiftete Orgel, die von dem hiesigen Orgelbauer Löwe erbaut und am 1. August nachmittags 1 Uhr, durch Superintendent Förster unter Mitwirkung der beiden andern Geistlichen der Stadt geweiht wird. An Stelle der 1821 geschaffenen hölzernen Barrieren stellt man jetzt zwischen dem Breiten Tore und der Pfortenbrücke am Stadtgraben entlang starke Stempel von Sandstein auf, die man mit eingegipsten Eisenstangen verbindet. Die Kosten der Anlage betragen 540 Taler. Außer den bereits vorhandenen Straßenlaternen, die übrigens unter ehrenamtlicher Aufsicht zweier Bürgersleute von drei Laternenputzern gegen Entgelt von jährlich einem Taler pro Laterne unterhalten, zuerst mit Rüböl und später mit sogenanntem, aus erdharzigem Schiefer gewonnenem Photogen gespeist werden, bringt man jetzt noch zwei Laternen mit Armen aus Gußeisen am Rathause an. Der Sommer ist zwar bis in den September sehr heiß, jedoch mit öfteren Gewitterregen untermischt, weshalb das Jahr fruchtbar ist und die Ernte vorzüglich gerät. Infolge eines schändlichen Wuchers der Kornjuden werden indes die Preise auf unverantwortliche Art in die Höhe getrieben, so daß trotz des reichlich vorhandenen Kornsegens Teuerungbesteht. Die Preise sind für den Scheffel Weizen 5 TIr. 10 Sgr., Roggen 4 Tlr. 5 Sgr., Gerste 3 Tlr., Hafer 2 TIr. Die Obsternte freilich ist infolge eines starken Frühjahrsfrostes höchst dürftig, so daß der Pflaumenanger nicht mehr als einen Taler Pacht einbringt. Der Herbst ist reich an orkanartigen Stürmen und Gewittern.


1853
Im Winter herrscht mildes Frühlingswetter vor. Um Neujahr blühen im Freien Veilchen, Stiefmütterchen und andere Gewächse. Erst Mitte Februar setzt der Winter mit starkem und anhaltendem Schneefalle ein, der bis Mitte März fast keinen Tag aussetzt. Sodann folgt auf kurze Zeit Tauwetter, das aber bald genug wieder umschlägt. Abermals folgt Schnee fast täglich und in Massen. Im April endlich und während der Zeit der Obstblüte tritt warmes Frühlingswetter ein, welcher Umstand trotz bald wiedereinsetzender kalter Winterluft eine reiche Obsternte herbeiführt, wie solche seit dem Kriegsjahre 1813 nicht dagewesen. An Stelle des in Treuenbrietzen zum Bürgermeister gewählten Magistratsassessors Catholy wird der bisherige Polizeibüroassistent Heinze in Halle nach Delitzsch berufen. Er tritt sein Amt am 9. Aug. an. Im Oktober kommt eine neue Städteordnung hier zur Einführung, wonach fortan die Klassenwahlen in drei Abteilungen nach Maßgabe des Steuersatzes stattzufinden haben und Stellvertreter für die Stadtverordneten in Wegfall kommen. Auch muß an den Stadtverordnetensitzungen zum mindesten stets ein Magistratsmitglied teilnehmen. Die Sladtverordnetenzahl bleibt auf 12 bestehen. Im Herbste wird hier eine neue, sehr leistungsfähige Bierbrauerei an der Bitterfelder Straße eröffnet. Ihr Begründer ist Ferdinand Offenhauer, vorheriger Braumeister und Pächter der Rittergutsbrauerei Klein-Krostitz. Die Genossenschaftsbrauerei wird Ende des Jahres neu verpachtet. Pächter wird Braumeister Gottlob Fritzsche aus Glesien, da er das Höchstgebot abgibt. Dieses beträgt jedoch nur noch 160 Taler, ein Beweis, wie sehr es mit diesem einst so blühenden Erwerbszweige der Bürgerschaft abwärts geht. Für die überfüllte Vorstadtschule muß die Anstellung eines zweiten Lehrers in Aussicht genommen werden, weshalb die Schule durch Einbau einer neuen Klasse und eines Wohnzimmers für den zweiten Lehrer erweitert wird. Die Baukosten betragen 285 Tlr. - Sgr. 4 Pfg.


1854
Als zweiter Lehrer wird an der Vorstadtschule der Lehrer Romanus aus Wellaune angestellt. Von Ende Mai bis Anfang Juli regnet es fast täglich. Ein furchtbares Unwetter bricht in der Nacht zum 9. Juli über fast ganz Deutschland herein. In der Nähe der Stadtmühle überflutet der Stadtgraben die Promenade. Am Tage darauf zerreißt die um 5 Ellen über den gewöhnlichen Wasserstand gesstiegene Mulde bei Gruna den Damm, und ihre Fluten zerstören binnen kurzem 20 Wohnhäuser, Ställe und Scheunen. Zugleich geht ein großer Teil der Heuernte verloren. Auf die Regengüsse erfolgt erschlaffende Hitze, die auf 40 Grad in der Sonne steigt. Trotz der reichen Ernte sind die Preise wieder hoch, was zum großen Teile wohl auf den im nahen Osten tobenden sogenannten Krimkrieg (England, Frankreich und die Türkei gegen Rußland) zurückzuführen ist, jedoch auch auf den wiedereinsetzenden schändlichen Kornwucher. Durch Polizeiverordnung vom 20. Juli wird angeordnet, daß die Straßenreinigung, namentlich die der Gosse, wöchentlich zweimal, Mittwochs und Sonnabends, zu erfolgen habe. Zur Besserung des Straßenpflasters werden 1000 Taler in den Haushaltungsplan eingestellt, die insbesondere zur Herstellung der Leipzigerstraße dienen sollen. Unter dem 21. September macht der Magistrat bekannt: "Das Straßenstück vom Galgtore bis an die Töpfergasse wird Eilenburgerstraße benannt. Die Totengasse am alten Friedhofe wird in Mariengasse, der Platz an der Postsäule in Roßplatz umbenannt." Am gleichen Tage wird bekanntgegeben, daß die Häusernummern der Stadt (einschließlich Vorstadt und einzelnen umliegenden Gehöften)neu numeriert worden seien, zwar wieder durch die ganze Stadt durchlaufend, jedoch auch in jeder Straße auf deren beiden Seiten fortlaufend (früher zählten die Nummern vom Breiten Turme an, und zwar 1. Viertel Breite Gasse, Mittagsseite, Markt, Morgenseite, und alles was südlich davon in der Altstadt gelegen Nr. 1-85; 2. Viertel Mittagsseite des Marktes und der Halleschen Gasse, und was südlich davon gelegen, Nr. 86-112; 3. Viertel Mitternachtseite der Halleschen Gasse und des Marktes, und was nördlich davon gelegen Nr. 286-374; Vorstadt ohne Einteilung nach Vierteln Nr. 375-618. Auf Anregung der Kgl. Regierung zu Merseburgwird von der Inspektion des Delitzscher Bürgerhospitals beschlossen, dieses so zu erweitern und umzubauen, daß künftighin 30 Hospitaliten darin Aufnahme finden können. Da reichlich Mittel vorhanden sind (das Stift besaß ein Vermögen von 50 000 Talern), wird bereits im Herbste mit dem Um- und Vergrößerungsbau begonnen. Dabei wird zugleich Bedacht genommen auf Herstellung zweckentsprechender Räume für eine Kleinkinder-Bewahrungsanstalt, deren Begründung man schon imJahre 1848 aus Überschüssen der Sammlungen zur Linderung der 1846/47 eingetretenen Hungersnot ins Auge gefaßt hatte.


1855
Eine höchst seltene Naturerscheinung zeigt sich am 5. März zwischen 8 und 10 Uhr. Um die Sonne herum werden 4 Nebensonnen sichtbar, 2 weiße und 2 regenbogenfarbene, alles von einem weißen und einem regenbogenfarbe nen Kreise umgeben. Infolge eines nassen und kalten Frühjahrs bleibt die Saat zurück, und die Ernte ist mittelmäßig. Der schmachvolle Kornwucher treibt auch in diesem Jahre seine unheilvollen Blüten. Der Scheffel Weizen steigt auf 8, Roggen auf 7, Gerste auf 4 1/3, Hafer auf 3 Taler. Landrat von Pfannenberg erkrankt schwer und anhaltend. Sein Stellvertreterwird zunächst Landratsverweser von Schönfeld. ln der letzten Hälfte des Jahres wird der von den Kreisständen der Regierung präsentierte Regierungsassessor Wilhelm von Rauchhaupt in Liegnitz, Sohn des Majors a.D. v. Rauchhaupt auf Rittergut Queis, mit der interimistischen Leitung des Landratsamtes betraut. Am Montag, dem 3. September, findet die Einweihung des erneuerten und erweiterten Bürgerhospitals und der damit in Verbindung gebrachten Kinderbewahranstalt statt. Beginn der Feier vormittags 9 Uhr in der Hospitalkirche, wo Diakonus Scharr die einleitende krichliche Andacht hält. Im Anschlusse daran wird vor dem Hospitale, wo die Festteilnehmer in einem Halbkreise Aufstellung genommen, von Superintendent Förster die Weihe vollzogen. Sodann begibt sich der Festzug um das Seitengebäude des Hospitals zu den hinteren Räumen, wo die Kinderbewahranstalt durch Archidiakonus Dr. Burekhardt feierlich eröffnet wird. Jeder dieser drei Teile der Feier beginnt und schließt mit einem kurzen Gesange. Gleich nach Fertigstellung dieses Baus macht die Kgl. Regierung der Hospitalinspektion zur Pflicht, das noch vorhandene Kapital durch Ankauf von Feldgrundstücken sicher zustellen. Infolgedessen kauft diese 2 1/2 Hufen Feld in der Werbener Mark für 12 000 Taler von der Gastwirtswitwe Barth, sodann noch ein Akkergrundstück in der Rubachmark und eine Wiese am Hospitalgarten.


1856
Am 18. März wird die kleine Spröde von einem großen Brandunglücke heimgesucht. Zwei Morgen einer jungen Kiefempflanzung werden vernichtet. Das Kgl. Landratsamt, das sich nach Verlegung der Garnison allein noch auf dem Schlosse befand, wird, zumal die von den Gemeinden abzuführenden Getreidelieferungen schon acht Jahre vorher in Geld umgewandelt sind, am l. Juli aufgehoben bzw. mit der Forstkasse verbunden. Nunmehr tritt der Domänenfiskus das Schloß an den Polizeifiskus ab, der beschließt das Schloß in eine Strafanstalt für weibliche Gefangene umzuwandeln. Bereits am 20. März treffen von Lichtenberg 32 Strafgefangene (Bauhandwerker) ein, die zunächst das obere Stockwerk einrichten und den Ostflügel abbrechen, an dessen Stelle der eigentliche Gefängnisbau errichtet werden soll. Mitte Juni langen von Lichtenberg weitere 46 Züchtlinge an, und der Bau wird nun so schnell gefördert, daß bereits am 10. Juli, vormittags 10 Uhr, der Grundstein (ein Sandsteinquader) gelegt werden kann, bei welcher Feier Superintendent Förster die Weiherede hält und gemeinsam mit den anwesenden Baubeamten die üblichen drei Hammerschläge tut. Jedoch wird der Bau in diesem Jahr nicht zu Ende geführt, ruht vielmehr einige Jahre lang. Superintendent Förster verläßt Delitzsch und hält am 31. August seine Abschiedspredigt. Einige Tage vorher, am 25. August, wird Assessor Wilhelm von Rauchhaupt endgültig zum Landrat des Kreises Delitzsch ernannt. Das Jahr ist äußerst fruchtbar, die Ernte daher ausgezeichnet, die des Obstes allerdings geringer. Als Nachfolger des Superintendenten Förster wird der ebenso wie dieser vorher in Lützen wirksame Superintendent Weinrich ausersehen, der am I. Advent in der Stadtkirche Probepredigt hält.


1857
Ein Jahr, in dem wieder einmal der Untergang der Welt erwartet wird. Das unheilvolle Ereignis solIte einer alten Prophezeiung gemäß am 13. Juni frühmorgens Punkt 3 Uhr eintreten. Viele treffen vorher letztwillige Verfügun gen; andere verprassen oder verschleudern ihr Hab und Gut. Allgemein erwartet man in der Nacht zum 13. Juni den verhängnisvollen Zeitpunkt, ohne an Schlafengehen zu denken. Jedoch wird es drei Uhr, und die unter Angst und Bangen erwartete Katastrophe bleibt aus. Infolge einer großen, um Mitte Mai eintretenden Dürre bleiben übrigens Futterkräuter und Sommergetreide sehr zurück, so daß wieder einmal Teuerung eintritt und gar mancher aus Futtermangel seinen Viehstand verringern muß. Am SonntagLätare (22. März) findet die feierliche Einführung des Superintendenten Weinrich statt, und er hält seine Antrittspredigt. Da die Zahl der Schulkinder fortwährend im Steigen begriffen ist und sich die zur Verfügung stehenden Schulgebäude trotz mehrfacher Neubauten noch immer als unzureichend erweisen, wird auf dem sogenannten Bleichplatze am Gerberplane in diesem Jahre abermals ein Schulbau ausgeführt. Begonnen wird damit am 15. August und die Ausführung dem Maurermeister Wilhelm Voigt übertragen, nach dessen Voranschlage der Kostenaufwand für Maurerarbeiten auf 13 000 Taler bemessen wird. 40 000gewöhnliehe und 40 000 Verblendungsziegel werden dazu von der Nicolaischen Ziegelei bei Leipzig bezogen. 200 000 weitere Mauerziegel liefert Ziegeleibesitzer Bauermeister, Bitterfeld, aus seiner bei der deutschen Grube gelegenenZiegelei. Nicolai liefert das Tausend für 14'/2, Bauermeister für 12 1/2 Taler. Die Zimmerarbeiten führt Zimmermeister Curwy, Delitzsch, zum Voranschlagspreisevon 489 Talern, 2 Sgr. 2 Pfg. aus. Die Klempnerarbeiten werden von den Klempnermeistern Winkler, Krippene, Hopfer und Heinrich geliefert, die Tischlerarbeiten von den Tischlermeistern Troitzsch, Rülke, Scheiding, Schneider und Winktet, die Glaserarbeiten von den Glasermeistern Leiser, Zorn, Ferdinand und Gottlieb Scheibe, die Schlosserarbeiten von den Schlossermeistern Sander und Schmellinsky. Die von der Bauermeisterschen Ziegelei erkauften Bausteine werden angefahren von den Fuhrleuten Krüger, Mietzsch, Leuther, Scharf und Fritzsche. Zum Herbste wird das schon Ende April von Braumeister Fritzsche der Brauerschaft vertragsmäßig (weil unbenutzt gelassen) zurückgegebene Brauhaus in der Ritterstraße zum Preise von 405 Tälern an den Schmiedemeister Naumann verkauft. Den Braukessel erwirbt Kupferschmiedemeister Voigt für 510 Taler. Als zweiter Elementarlehrer muß, da die Schülerzahl in der gemischten Elementarklasse allzusehr gestiegen ist, der junge Lehrer Diedicke angestellt werden.


1858
Die aus Holz ausgeführte Fahrbrücke an der Stadtmühle wird mit eichenen Pfosten belegt und mit Steinen gepflastert. Am 21. Juni findet die Einweihung der neuerbauten Knabenschulestatt. Vor der alten Schule, wo die Knaben und eine Abteilung Schulmädchen aufgestellt sind und sich auch die Ehrengäste versammelt haben, hält nach dem unter Musikbegleitung gesungenen Liede "Sei Lob und Ehr" Archidiakonus Dr. Burckhardt die Abschiedsrede. Hierauf bewegt sich der Festzug unter Glockengläute zum neuen Schulgebäude, wo als Festchoral zunächst die beiden ersten Strophen von "Nun danket alle Gott" angestimmt werden und sodann Superintendent Weinrich in eindrucksvoller Rede die Weihe vollzieht. Alsdann findet die Schlüsselübergabe statt, die in etwas umständlicher Weise vor sich geht. Maurermeister Voigt, der den Schlüssel auf einem Samtkissen getragen, übergibt diesen unter geeigneten Worten an Kreisbaumeister Gericke, der ihn an Bürgermeister Hagedorn weitergibt. dieser händigt ihn an Landrat von Rauchhaupt aus und dieser wieder an Superintendent Weinrich, der ihn endlich in die Hände des neuberufenen Rektors Giesel niederlegt, welcher damit die Haupttüre öffnet, durch die sich nun der Festzug finden von Schulmädchen mit Laubgewinden geschmückten Festsaal begibt. Hier nehmen die Behörden und Festgäste Platz, während die Schulkinder sich in den nebenan liegenden Klassen versammeln. Nach dem Gesange der 3. Strophe von "Nun danket alle Gott" ergreift nun Superintendent Weinrich abermals das Wort, um das Lehrerpersonal einzuführen. Rektor Giesel als Leiter des gesamten städtischen Schulwesens, Rektor Barthel, dessen Stellvertreter, die neuen Lehrer Becker, Gelpke und Schneider und die Lehrerin Fräulein Eppner. Lehrer Theodor Berger fehlt wegen Krankheit. Rektor Giesel reicht, der Stadt treue Dienste gelobend, Bürgermeister Hagedorn die Hand, sodann geloben die Lehrer und die Lehrerin sowie auch die obersten Knaben und Mädchen durch Handschlag ihrem Rektor Gehorsam und treue Pflichterfüllung. Ein kurzes Schlußwort des Superintendenten endet hierauf diesen Teil des Festaktes. In einem zweiten Teile folgt dann nach einer durch die Kantoreigesellschaft vorgetragenen Motette die Antrittsrede des Rektors Giesel, worauf mit dem Gesange der drei letzten Strophen von "Ach, bleib' mit deiner Gnade" geschlossen wird. Die Mädchenschule wird nach der Schulstraße in die alte Knabenschule verlegt. Die bisherige Mädchenschule an der Kirche wird zu Beamtenwohnungen umgeschaffen. Die zuerst aussichtsreiche Ernte wird leider durch eine bereits Anfang Juni eingetretene anhaltende Dürre zunichte gemacht, so daß sie die Lebensmittelpreise wieder einmal verteuern. Vom 10. September an zeigt sich am nördlichen Himmel ein prachtvoller Komet, benannt nach dem Florentiner Donati. Im Herbste wird der Versuch unternommen, den hintern Teil des Schießplatzes und die angrenzenden Kommunegrundstücke mit Apfel- und Birnenbäumen zu bepflanzen. Es glückt jedoch nicht. Vielmehr verkümmern die Bäume größtenteils infolge zu großer Feuchtigkeit.


1859
Der von der Anhalter Eisenbahngesellschaft in den letzten beiden Vorjahren bereits in Angriff genommene Bau der Berlin- (Magdeburg-)Leipziger Eisenbahnstrecke wird im ersten Monat dieses Jahres zu Ende geführt, so daß die Strecke am 1. Februar in Betrieb genommen werden kann. Das Bahnhofsgebäude in Delitzsch ist an der Stätte des frühern Hochgerichts (Galgens) errichtet worden. Auf Antrag von Dr. Gerber läßt der Magistrat den Weg von der neuen Schule an zwischen dem Turnplatze und den Scheunen an der Pferdeschwemme (heute Spielplatz an der Knabenvolksschule) wie auch der Pflaumenplantage (Schäfergraben) entlang bis zur Grünstraße mit Linden und Kastanien bepflanzen. Der seit 1826 an den Seiten mit Birken eingefaßte Weg vom Gerberplan nach dem Heiligbrunnen wird verbreitert und nachdem man die Birken bis auf einige, unmittelbar am Heiligbrunnen stehende gefällt, seitlich mit Kastanien bepflanzt. So wird die schöne Alleegeschaffen, die für die Besucher der Anlagen noch heute eine Freude ist. Der Turnverein nimmt in diesem Jahre wieder seine Übungen auf. Er nennt sichjetzt ausdrücklich "Turnverein Delitzsch". Seine Mitgliederzahl beträgt 87. Vorsitzender ist Druckereibesitzer B. Meyner. Vom Polizeifiskus wird der Ausbau des Schlosses zu einer Strafanstalt wiederaufgenommen. Von Lichtenburg treffen am 1. September 36 Strafgefangene ein, die den kleinen sechsseitigen Schloßturm (inmitten des alten Hauptgebäudes befindlich) abtragen und den großen mit steinernen Stufen und einem Blitzableiter versehen.


1860
Am 6. Feburar stirbt der langjährige Ortsschutze der Amtsvorstadt Grünstraße, Polizeianwalt Schulze, der sich stets als ein heftiger Gegner der Einverleibung erwiesen. Bereits einen Monat später, am B. März, findet eine "Konferenz der Stadtbehörden mit dem Königlichen Landrat von Rauchhaupt wegen der späteren Vereinigung der Grünstraße mit der Stadtgemeinde" statt. Da die Grünstraßenbewohner große Schwierigkeiten haben, einen neuen Ortsschutzen zu finden, zeigen sie sich einer Einverleibung in die Stadt nicht abgeneigt. Bedenken der Stadtbehörde werden durch ein Entgegenkommen des Fiskus beseitigt, der zur Ausgleichung der geringen Steuerkraft der Amtsvorstadt sich bereit finden läßt, für die Polizeiverwaltung des neuen Stadtteils eine jährliche Entschädigung von 120 Talern zu zahlen und durch Inanspruchnahme des Kreisarmenverbandes einen jährlichen Zuschuß zur Armenverwaltung von 500 Talern für die Grünstraße und 200 Talern für die Stadt auf einen Zeitraum der nächsten zehn Jahre zuzusagen. So wird nun die Eingemeindung der Grünstraße endgültig beschlossen und alsbald höheren Orts beantragt. Die Brauereigenossenschaft, die auf das ehrwürdige Alter von wenigstens sechs Jahrhunderten zurückzublicken vermag, beschließt, mit Ablauf von Braumeister Fritzsches Pachtperiode (1. April d. Js.) sich aufzulösen. Der Eiskeller wird abgebaut und der dazu benutzte Bauplatz von der Stadt zu einem Preise von 15 Talern zurückgenommen. Schon am 20. Februar war im Sitzungszimmer des Magistrats zwischen der Brauerschaft als Verkäuferin und dem Braumeister Gottlob Fritzsche als Käufer ein Kauf zustande gekommen, worin von vereideten Taxatoren als Preis festgesetzt wurde: Für Immobilien (Marktbrauhaus und Malzdarre) 3723 Tr. 6 Sgr. 3 Pfg.; für Mobilien 748 Tlr. 14 Sgr. 6 Pfg., Ablösungswert für die Gerechtsame (abzüglich der schon zur Ablösung gekommenen Verpflichtungen) 2785 Tlr. 10 Sgr.Pfg., Summa 7257 Tlr. 10 Sgr. 9 Pfg. Braumeister Fritzsche verlegt alsbald die Brauerei in das von ihm schon früher erkaufte Ehrenberg'sche Gehöft (gegenüber vom Halleschen Turne). Am 1. Dezember findet die Überführung von 275 weiblichen Gefangenen von Lichtenburg nach dem hiesigen Schlosse statt, auf dessen Ostseite das Zuchthaus inzwischen völlig hergerichtet wurde und nun unter dem Namen "Königliche Strafanstalt" seiner Bestimmung übergeben wird. Von Lichtenburg hat man "die armen Sünderinnen" auf Planwagen bis Wittenberg befördert und von da mit der Bahn nach Delitzsch, wo sie durch die Straßen der Stadt unter Begleitung von Gendarmen und Aufseherinnen geführt werden, für die Delitzscher bei dem Gedanken, daß früher das Schloß Wohnsitz von Fürstinnen war, unbedingt kein freudiger Anblick.


1861
Am 2. Januar stirbt König Friedrich Wilhelm IV und wird am 7. gleichen Monats beigesetzt, dem kältesten Tage in diesem harten Winter, nämlich bei 14 Grad Reaumur. Sein um 1 1/a Jahre jüngerer Bruder folgt ihm als König -Wilhelm 1. in der Regierung. Der neue Brauereibesitzer Fritzsche veräußert am 1. Mai das Marktbrauhaus an Johann Gottlob Robitsch aus Gertitz und das an der Stadtmauer gelegene Malzdarrgebäude an Kalkfuhrmann Frey. Beide reißen die alten Gebäude nie-der und führen an deren Stelleje einen Neubau auf, Frey unter Beseitigung des sein Grundstück begrenzenden Stadtmauerteils. Dieser Bau trägt heute die Nummer 19, der des Robitsch ist das heutige Kaufhaus Frejtag, Markt 19. Am 25. Mai verkauft der Magistrat das Pforteneinnehmerhaus für 916 Taler an August Jahn. Der Weg vom Gasthof zur "Grünen Linde" bis zum Bahnhofe wird mit Platanen und Kastanien bepflanzt. Im Herbste erreicht die hauptsächlich unter Leitung des Königl. Landes-Oekonomierates Wernicke seit Jahren begonnenes sogenannte Separation (Aufteilung und Zusammenlegung unserer Stadtfluren) ihr Ende. Die Stadt geht daraus hervor mit einem separierten Grundbesitz von 108 Morgen und 140 Quadratruten. Mit Einschluß des Privatbesitzes und der Holzung umfaßt jedoch das Gemeindegebiet der Stadt 6010,52 Morgen (=1533,30 ha, wovon der Stadt über 382 1/2 ha gehören). An Stelle des im Vorjahre abgerissenen Schafstalles wird ein neues Kranken- und Armenhaus errichtet. Die Vorstadtschule wird mit einem Oberstockwerke und einer dritten Lehrkraft versehen.


1862
Eine Freiwillige Feuerwehr wird innerhalb des Turnvereins Delitzsch begründet, der in diesem Jahre neue Satzungen erhält. Am 2. März genehmigt der König die Vereinigung der Grünstraße mit der Stadt, und am 15. Oktober wird diese in aller Stille vollzogen. Es findet sogleich eine neue Nummerierung sämtlicher Wohnhäuser der Stadt einschließlich der Grünstraße statt. Die Zahl der Stadtverordneten wird von 12 auf 18 erhöht und ein dritter Magistratsassessor in den Magistrat gewählt. Die bisher halb städtische, halb ländliche Vorstadtschule wird nun rein städtisch. Auch steigt die Stadt aus der 3. in die 2. Steuerstufe, wodurch sich die von Gewerbetreibenden zu zahlende Gewerbesteuer umjährlich etwa 1000 Taler erhöht. Am 20. August stirbt im 82. Jahre der frühere Bürgermeister, Verwalter mehrerer Patrimonialgerichte, August Wilhelm Schulze, Vatervon Schulze-Delitzsch. 40 Jahre lang hat er in Delitzsch eine Rolle gespielt und großes Ansehen genossen, wie auch die Inschrift seines Grabdenkmals bezeugt. Die alte, 18 Zentner schwere Glocke des Breiten Turms hat seit einiger Zeit einen Riß bekommen, wozu in den letzten Monaten des Jahres ein zweiter tritt. Um Gefahren abzuwenden, wird der Guß einer neuen beschlossen. Glockengießer Jauck aus Leipzig zerschlägt oben im Stuhlgehänge die alte Glocke und wirft die einzelnen Stücke in den Zwinger. Er gießt eine neue Glockevon 12 Zentnern Gewicht und nimmt dafür die alte in Kauf unter Berechnungeines Zentners Glockengut mit 34 Tälern; sogar zahlt er bei Lieferung der neuen der Stadt noch 7 Täler heraus. Am 30. Dezember, Punkt 12 Uhr, wird die Glocke auf den Turm gezogen, jedoch erstdrei Tage darauf (am 2. Januar) in Gebrauch genommen. An den Gastwirt Zeidler ("Grüne Linde") verkauft übrigens bereits am 10. März der Magistrat das der Stadt gehörige, bisher dem Totengräber als Wohnung zugewiesene Galgtorhaus für 80 Täler auf Abbruch.


1863
Die Brücke am Leipziger Tore wird mit einem Aufwande von 91 Tälern 11 Sgr. 4 Pfg. umgebaut. Dem Brunnenarbeiter Thier wird die Instandhaltung der Stadtbrunnen gegen eine Entschädigung von jährlich 24 Tälern übertragen. Eine auf Einführung von Gasbeleuchtung errichtete Vorlage des Magistrats wird am 19. Juni von den Stadtverordneten rundweg abgelehnt. Am 2. September, dem Tage der spätern Sedanfeier, begründet sich in der Vorstadt ein neuer Turnverein, der sich "Männerturnverein" nennt. Vorübergehend war dieser schon 1860 zustande gekommen. Da aber die Stadt dem Turnverein Delitzsch ein Stück des Schützenplatzes zu ausschließlicher Ausübung der Tumerei im Jahre 1861 überließ, einigten sich die beiden Vereine wieder und turnten zusammen. Nunmehr jedoch wird die Trennung endgültig, und der neue Männerturnverein, der anfänglich in °Stadt Leipzig" turnte, schlägt seine Heimstätte im "Bürgergarten" für die Dauer auf. Der ersten Mädchenbürgerschule wird auf Grund einer durch Schulrat Frobenius erfolgten Revision der Name "Höhere Töchterschule" verliehen. Zum Gedächtnis an die vor fünfzig Jahren durchgekämpften Freiheitskriege finden in diesem Jahre zwei große Gedächtnisfeiern statt: Am 17. März, dem Tage, an dem 1813 König Friedrich Wilhelm III. den Aufruf an sein Preußenvolk erließ, die sog. Veteranenfeier, die sich auf das Königreich Preußen beschränkt, also auch in Delitzsch zu Ehren der hier wohnhaften Veteranen begangen wird, und zwar hierorts mit Festgottesdienst, Paradieren der Schützen auf dem Markte vor den Veteranen und Festessen von 1 Uhr an im "Schwan". Sodann am Gedächtnistage der großen Leipziger Schlacht die großzügig angelegte Nationalfeier in Leipzig, an der sich 188 Städte, darunter auch Delitzsch, mit 461 Deputierten und 972 Veteranen beteiligen, und die in der Grundsteinlegung zu dem fünzig Jahre später geweihten Völkerschlachtdenkmale gipfelt. Im Beginne des Oktobers verläßt Assessor Schulze, damals schon SchulzeDelitzsch genannt, seine Vaterstadt und nimmt mit seiner Familie dauernden Wohnsitz in Potsdam. In den am 20. und 28. Oktober nachfolgenden Wahlen der Landtagsabgeordneten wird er als einer der bedeutendsten Führer der Fortschrittspartei mit größter Mehrheit wiedergewählt. Im Dezember trägt auch hier die Schleswig-holsteinsche Frage zur Erregung der Gemüter bei.


1864
Am 3. Januar bildet sich in der Stadt ein Hilfskomitee zur Unterstützung der Volksgenossen in Schleswig-Holstein. Dieses dehnt sein Hilfswerk nach Kriegsbeginn, von der letzten Januarwoche an, vor allem auf die Fürsorge für die im Felde stehenden Krieger aus und sammelt Gaben, um sie mit warmer Winterkleidung zu versehen. Die Erstürmung der Düppeler Schanzen wird hier durch Extrablatt verbreitet. Am 28. Oktober wird im "Schwan" ein neuer politischer Verein gegründet, dessen Mitglieder der konservativen Richtung angehören, und der sich "Patriotischer Verein" nennt. Im Frühjahr wird der "Männergesangverein" gegründet, der am 11. Dezemher erstmalig an die Öffentlichkeit tritt Seine Darbietung wird mit einem Prologe eröffnet, dessen Verfasser kein Geringerer als der Dichter der "Gartenlaube", Albert Träger, ist. Am 2. und 3. Juni weilt hier ein 70 Jahre alter muhammedanischer Derwisch, mit Namen Hadji Said Mahmoud aus Jerusalem. Er macht eine Streife durch Deutschland, nachdem er das Grabmal eines in Budapest bestatteten türkischen Heiligen besucht, und fällt hier besonders dadurch auf, daß er um den Turban den grünen Schleier der Mekkapilger und um den Leib einen Teppich trägt, den er zur Verrichtung der im Koran vorgeschriebenen Gebete auf die Erde breitet. Der Friede mit dem besiegten Dänemark kommt am 30. Oktober zustande. Das Friedensfest wird vom König Wilhelm auf den 18. Dezember festgesetzt. Zum Festgottesdienste wird allerhöchster Bestimmung gemäß der Choral "Nun danket alle Gott" gesungen, und zwar hier unter Posaunenbegleitung. Die Festrede hält Superintendent Weinrich. Am Abend haben eine Anzahl Bürger, zum Teil sehr glänzend, illuminiert. Der Sommer dieses Jahres brachte eine außergewöhnlich starke Hitze. Behufs endlicher Einführung von Gasbeleuchtung hatte sich schon im Mai eine Gasaktiengesellschaft gebildet. Am 13. Dezember beschließt nun endlich die Stadtverordnetenversammlung den Bau einer städtischen Gasanstalt. Am Ende des Jahres sind bereits 636 Privatflammen gezeichnet worden.


1865
Der am 13. Dezember des Vorjahres gefaßte Beschluß zum Bau einer Gasanstalt wird am 14. Februar dieses Jahres erneut und endgültig bestätigt, da die erforderliche Flammenzahl gezeichnet wurde. Von einer mit der Ausführung des Beschlusses betrauten Konmüssion, bestehend aus 2 Magistratsmitgliedern, 2 Stadtverordneten und dem Ingenieur Westerholz, Direktor der Leipziger Gasanstalt, wird der Bau in Angriff genommen. Während der Bauzeit kommt Ingenieur Westerholz, der die Aufsicht führt, wöchentlich zweimal von Leipzig hierher. Erforderlich für den Bau sind: 221 Tausend hartgebrannte Mauersteine, von denen mindestens 2/3 mit Holzund Steinkohlenfeuer gebrannt sein müssen; ferner 66 Schachtruten Bruchsteine und 3050 Kubikfuß gelöschten Kalkes. Die Gasometerglocke liefert eine Aachener Firma, die Leitungsrohre Firma Hahn & Huldschinsky in Berlin und die Gasuhren Siry, Lipars & Co. in Leipzig. 104 Stück Straßenlaternen fertigt Klempnemteister Hopfer, Delitzsch; das Gasometerwasserbecken nebst Syphonbrunnen und den Schornstein baut Maurermeister Taurek, das Wohnhaus mit Schuppen Maurermeister Rose, alle drei aus Delitzsch; die Zimmerarbeiten liefert Zimmermeister Felix von hier. Zur Dekkung der 33 500 Taler betragenden Kosten wird von der Lebensversicherungsbank in Leipzig ein Kapital von 30 000 Talern zu 4'/z % aufgenommen. Am Sonnabend, dem 7. Oktober, beginnt die neue Gasfabrik die Bereitung des Leuchtgases, und am Abend des S. leuchtet zum ersten Male das Gaslicht in den Straßen und auf den Plätzen der Stadt. Die Leitung des Werks wird vorerst dem Gasmeister Herrfurth übertragen. Am 14. Mai sucht abermals ein großer Waldbrand die Spröde heim. Drei Morgen 20jährigen Holzes werden in Asche gelegt. Der greise Kommunförster Pabst, der im Beerendorfer Forsthause gewohnt und 40 Jahre in städtischen Diensten gestanden hat, tritt nach dem Brande in Ruhestand. Der neue Ratsförster, Köring, muß das städtische Forsthaus wieder beziehen. In der Nähe des Realschulgebäudes werden Kugelakazien angepflanzt, und eine im Süden der Stadt befindliche "krüppelhafte, schattenlose, 60 Jahre alte Kirschallee" wird auf Vorschlag von Dr. Gerber durch eine Walnußallee ersetzt.


1866
Das Pflastergeleit wird aufgehoben. Der Magistrat vermietet das Geleithaus am Leipziger Tore an Heinrich Hoffmann, der dieses später auf Abbruch kauft und auf gleicher Stelle ein ansehnliches Gebäude errichtet. Die Wintermonate verlaufen sehr milde. Es gibt weder Schnee noch Eis. Jedoch ein in den Morgenstunden des 19. Mai eintretender Frost verdirbt vollkommen die Baumblüte und die des Wintergetreides, so daß Pflaumen und Kirschen nicht verpachtet werden können und die Getreidepreise steigen. Obschon es am Siebenschläfer (27. Juni) trocken und heiß, folgt ihm ein 40tägiger Regen. Die von Tag zu Tage gespannter werdenden Beziehungen Preußens m Österreich und dem größten Teile der deutschen Bundesstaaten beginnen sich auch in Stadt Delitzsch auszuwirken. Obwohl dieBürger der Stadt mit wenigen Ausnahmen fortschrittlich gesinnt sind, billigt man doch nicht das österreichische Vorgehen, besonders seit dieses (im März) mobilisiert, seine Regimenter in Böhmen zusammenzieht und zugleich die ihm ergebenen Höfe (Sachsen, Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt) auffordert, gleicherweise zu rüsten. In Bezug auf das Streitobjekt, die Zukunft der Herzogtümer Schleswig und Hostein, steht die öffentliche Meinung im Lande, und natürlich auch in Delitzsch, in starkem Widerspruche zu den Absichten Bismarcks, der die Einverleibung durchführen will, während die übermächtige Fortschrittpartei für Schaffung eines neuen Mittelstaates unter Herrschaft der Augustenburger Herzöge eintritt, ebenso wie Österreich und der ausschlaggebende Teil der übrigen deutschen Bundesstaaten. Aus diesem Grunde verweigert auch das Abgeordnetenhaus der Regierung die Mittel zur Kriegsführung. Doch mit derselben Kühnheit, mit der er in den Jahren vorher (der sog. Konfliktszeit) dieLandtagsauflösung zweimal erwirkte, läßt Bismarck auch diesmal (am 9. Mai) den Landtag auflösen. Von Truppendurchmärschen bleibt die Stadt diesmal gänzlich verschont; dagegen wird auf höhern Befehl hier ein Reservelazarett errichtet, und zwar auf dem Schlosse. Am 10. Juli treffen zwei Extrazüge mit zusammen 724 Verwundeten ein, Preußen, Sachsen und Österreicher. Sieben von den Schwerverletzten sterben, ein Sachse namens Eduard Zothe aus Leipzig, zur schweren Reiterei gehörig, dessen Leiche am 25. Juli vom gramgebeugten Vater auf einem Wagen nach Leipzig überführt und dort bestattet wird, sodann noch vier Österreicher und zwei Preußen, die alle sechs im westlichen Teile des alten Friedhofs unter militärischen Ehren kurz nacheinander beerdigt werden, so daß einer neben dem andern die ewige Ruhe findet. Ein etwa zwei Meter hoher Obelisk aus Sandstein ziert die Grabstätte und gibt Aufschluß über Namen und Herkunft der Tapfern, die nach wildem Kampfe hier friedlich in geweihter Erde gebettet liegen. Am 27. Juni wird der von König Wilhelm für das ganze Land angesetzte Kriegsbettag auch in Delitzsch feierlich begangen, und zwei Tage früher (25.) haben die Urwahlen für den neu zu wählenden Landtag stattgefunden. die durch Wahlmänner vorgenommene Abgeordnetenwahl, die sich gerade am 3. Juli, dem Tage der siegreichen Schlacht bei Königgrätz, vollzieht, bringt eine erhebliche Schwächung der Fortschrittspartei und für die Konservativen einen Gewinn von 100 Mandaten. Unter den Gewählten dieser Rechtspartei ist diesmal auch Landrat von Rauchhaupt als Vertreter seines heimatlichen Kreises. Er schwingt sich bald zu einem Führer der Konservativen auf. Der Krieg mit Österreich wird schon einen Monat nach seinem Ausbruche durch den Frieden von Nikolsburg beendet. Der Friede mit Sachsen kommt allerdings erst am 21. Oktober zustande. Die vom Kreise Delitzsch für das 7. schwere Landwehr-Reiterregiment gestellten Pferde werden am Freitag, dem 14. September, vorm. 9 Uhr, auf dem Schützenplatze öffentlich meistbietend verkauft. Um diese Zeit macht sich auch die von den heimkehrenden siegreichen Truppen von Böhmen hereingeschleppte unheimliche Choleraseuche in unsrer Gegend bemerklich und fordert namentlich in Halle und Leipzig viele Opfer. Auch Delitzsch bleibt davon nicht verschont. In der Zeit vom 3. bis 18. Oktober sterben daran 27 Personen. Glücklicherweise erlischt dann mit dem letzten dergenannten Tage hier die Seuche und fordert keine weitern Opfer. Das Friedensfest wird am 11. November (24. Sonntag n. Trin.) gefeiert. Superintendent Weinrich hält die Festpredigt, und von der Kantorei wird eine Motette von Mendelssohn-Bartholdy zur Aufführung gebracht. Im Anschluß an den Gottesdienst findet vor der Realschule die Pflanzung einer Friedenseiche statt. Abends ist große Illumination, woran sich die ganze Bürgerschaft beteiligt.


1867
Nach Aufhebung des Pflastergeleitzolls auch an den inneren Toren wird nunmehr in diesem Jahre das Breitetorhaus von der Stadt veräußert, nämlich an den Schuhmachermeister Gottlob Kunze zum Preise von 1600 Talern. Kunze läßt es abbrechen und an gleicher Stelle ein mit einem Oberstock übersetztes Wohnhaus erbauen. Gleichzeitig wird (im gleichen Bietungstermine) das Hallesche Torhaus für 130 Taleran den Glasermeister Ferdinand Scheibe auf Abbruch verkauft. Behufs Anlegung der heutigen Lindenstraße und Abtretung von Baustellen erwirbt der Magistrat an der Ziegelbreite, in deren Mitte bis zum Jahre 1817 "des Rates Ziegelscheune" gestanden, die alsdann auf Abbruch verkauft wurde, ein drei Morgen umfassendes Feldgrundstück zwischen der Dübener und dem damals "Lindenstraße" benannten östlichen Teile der Eilenburger Straße für 2200 Täler. Innerhalb der städtischen Körperschaften wird ernstlich die sehr nötige Umpflasterung aller Straßen der Stadt erwogen. Nur die Münze und die Mauergasse als verkehrsarme Seitengassen sollen noch ausgeschlossen bleiben. Mit Anfertigung des Kostenanschlags zu dieser Neupflasterung wird Zimmermeister W. Beyer betraut. Bei Gelegenheit dieser Beschlußfassung (2. Mai) erörtert auch Bürgermeister Hagedom die Notwendigkeit einer gleichzeitigen Kanalisierung wenigstens der Hauptstraßen, findet aber kein Entgegenkommen, zumal da der um seine Meinung befragte Kreisbaumeister Lipke als Sachverständiger sich gegen den Plan erklärt, dessen Ausführung zwecklos und kostspielig sei, letzteres auch wegen der Schwierigkeit der Kanalreinigung. Leider wird Bürgermeister Hagedorn durch einen vorzeitigen Tod verhindert, diesen für die Entwicklung der Stadt so vorteilhaften Gedanken aller Gegnerschaft zum Trotz doch noch zur Durchführung zu bringen. Erstirbt in diesem Jahre bereits, am 15. Oktober, noch keine 50 Jahre alt. Kurze Zeit vor seinem Tode (1. August) wird durch seine Einwirkung seitens der städtischen Behörden die Leitung der Gasanstalt mit einem i ährlichen Gehalte von 500 Tälern nebst freier Wohnung dem Gastechniker Friedrich Bendert übertragen unter Verleihung des Titels "Gasinspektor". Die Obsternte an Äpfeln, Birnen und Pflaumen ist in diesem Jahre eine hervorragend gute.


1868
Der bereits am 20. Dezember des Vorjahres von den Stadtverordneten zum neuen Bürgermeister erwählte Stadtrat und Gerichtsassessor a.D. Woldemar Born wird am 2. April in sein Amt eingeführt. Fast zur gleichen Zeit ernennt der Magistrat den früheren Kanzlisten Eduard Braune zum Stadtsekretär. Bürgermeister Born weilt nur vorübergehend in Delitzsch. Schon nach kaum dreimonatiger Tätigkeit bewirbt er sich mit Erfolg um die Bürgermeisterstelle in Zeitz und wird als solcher bestätigt. Durch den bischöflichen Stuhl in Paderborn wird in der Elisabethstraße der schon im Vorjahre begonnene Bau der katholischen Kirche nebst Schule und Pfarrwohnung beendet. Der Bau machte sich notwendig, weil sich schon vor zehn Jahren (1858) hier eine katholische Gemeinde begründet hatte, die zuerst von einem Missionsgeistlichen und später vom katholischen Pfarramt in Eilenburg seelsorgerisch versehen wurde. Erster Pfarrer in Delitzsch wird der vorherige Kaplan Friedrich Schröder in Adersleben bei Oschersleben. Mit dem l. Mai tritt nach einem milden, jedoch regnerischen Winter plötzlich anhaltendes Sommergewitter mit erheblichen Hitzegraden ein, wird nur viermal durch Gewitterregen unterbrochen und dauert bis zum 11. September an. Das Reifen des Getreides wird dadurch sehr beschleunigt, so daß die dennoch gut ausgefallene Ernte (ein dem reichlichen Regenfall der Wintermonate und des April zugeschriebener Glücksumstand!) bereits Ende Juli eingebracht ist. Ganz besonders groß ist in diesem Schaltjahre die Maikäferplage, so daß ein förmlicher Vernichtungsfeldzug dagegen eröffnet werden muß. Infolge des beständigen Sommerwetters fällt auch die Weinernte vortrefflich aus, ebenso die des sonstigen Obstes; indes läßtdie der Hackfrüchte sowieder Futterkräuter sehr zu wünschen übrig, weshalb auch die Butter im Preise steigt, und zwar auf 7 Sgr. das Stück. Der höheren Bürgerschule werden behördlicherseits die Rechte einer Realschule erster Ordnung zuerkannt. Rektor Giesel verläßt am 1. Juli Delitzsch und geht in gleicher Eigenschaft nach Leer in Ostfriesland. An seine Stelle tritt Dr. Barthels, der am 14. September durch Superintendent Weinrich in der Aula der höheren Bürgerschule feierlich in sein neues Amt eingeführt wird. Dem neuen Rektor wirdjedoch die höhere Bürgerschule nicht mit unterstellt. Sie wird vielmehr selbständig und ihr Rektor der schon länger an ihr wirksame Oberlehrer Kayser. Auch Superintendent Weinrich verläßt übrigens in diesem Jahr Delitzsch, um die Pfarrein Wolmersleben zu übernehmen und hält am Sonntag, den B. November, seine Abschiedsrede. Es entstehen wieder zwei neue Schankstätten, in der Halleschen Straße die von Selma Krause begründete Koburger später Kulmbacher Bierhalle, zuletzt Beatenhof genannt, sodann in der Bitterfelderstraße "Deutsche Kaiser" (heute Monopol) eröffnet von Krüger. Am 6. Dezember, von früh 1 Uhr an, sucht ein furchtbares Unwetter, aus Westen kommend, die Stadt heim. Zuerst ein starkes Gewitter mit Regen und sodann ein rasender Orkan, der die stärksten Bäume entwurzelt, Planken umwirft, Dächer abdeckt und dergl. In der Brauerei Offenhauer z.B. wird das neue Pappdach eines Seitengebäudes in die Höhe gehoben und samt Dachsparren und Brettern in Trümmer gerissen. Erst nachmittags gegen 2 Uhr hat sich der Sturm ausgetobt.


1869
Der schon im Vorjahre von den Stadtverordneten erwählte Bürgermeister Heinrich Bernhard Reiche, bisher Stadtrat in Guben, wird am 11. Januar durch Landrat von Rauchhaupt in sein Amt eingeführt. Er findet sogleich Gelegenheit, sich als ein Förderer des Schulwesens zu betätigen. Der neue Rektor Dr. Barthels weist in einer an den Magistrat gerichteten Eingabe die völlige Unzulänglichkeit derin der Stadtvorhandenen Schulräume nach, die dazu zwinge, füreinzelne Klassen den Unterricht zu verkürzen und Klassenteilung vorzunehmen, so zwar, daß der eine Teil zu früherer, der andere zu späterer Stunde bestellt werden müsse, und beantragt den Bau einer neuen Knabenschule. Das Lehrerkollegium schließt sich diesem Antrage an mit dem Hinzufügen, daß die Zahl der Schulkinder zehn Jahre vorher (1859) 974 betragen habe, jetzt sich aber auf 1382, also 408 Schüler mehr, belaufe und infogedessen die damals noch vierklassige, in den Räumen der höheren Bürgerschule mituntergebrachte Knabenschule mit 70-90 Schülern pro Klasse überfüllt sei. Das neue Stadtoberhaupt zeigt Verständnis für diese Nöte und führt innerhalb des Schulvorstandes einen Beschluß herbei, wodurch die Notwendigkeit zum Bau einer neuen Schule erkannt wird. Als geeignete Baupläne kommen in Frage: 1. die nach der ersten Scheunengasse hinausgehende Nordecke vom Gehöfte des Landwirts Scharf, der seine dort noch befindliche Scheune abbrechen will, für den Bauplatz jedoch den hohen Preis von über 4000 Talern verlangt; 2. die zwischen der äußeren Leipziger Straße und der damals noch "Steinchaussee" genannten Chausseestraße (heute Hindenburgstraße) befindliche sog. Schillingsche Wiese, den Seilermeister Schilling'schen Eheleuten in Schmiedeberg gehörig; 3. der Platz an der sog. Pferdetränke, auf dem die alte, der Stadt zugehörige Rohrscheune steht. In der Komnüssionssitzung vom 10. Septembereinigt man sich endlich auf letzteren Platz, indem man außer dem Abbruch der Scheune zugleich die Auffüllung der Pferdetränke und deren spätere Verwendung zum Spielplatze der Schuljugend beschließt. Doch wird auch der Erwerb der Schilling'schen Wiese beschlossen, die später den Bauplatz zur heutigen Mädchenbürgerschule hergegeben hat. In der nachfolgenden Stadtverordnetensitzung werden diese Beschlüsse gebilligt mit der Maßgabe, daß zunächst die auf dem geplanten Bauplatze stehenden Gebäude auf Abbruch verkauft und mit dem Neubau im kommenden Jahre begonnen werden soll. Inzwischen wird eine teilweise Kostendeckung des beabsichtigten Neubaus dadurch erreicht, daß die Verwendung der Zinsgewinnüberschüsse des Reservefonds der städtischen Sparkasse bereits jetzt an höherer Stelle in Vorschlag gebracht und vom Oberpräsidenten von Witzleben auch bereitwillig zugestanden wird. Ein anderer wichtiger Bau wird jedoch in diesem Jahre schon in Angriff genommen und mit Eifer gefördert, nämlich der der Halle-Sorau-Gubener Ei-senbahn, deren Erbauer der damals vielgenannte Eisenbahnkönig Strousberg ist. Der an der Südseite der Stadt entlang führende Bahndamm wird errichtet; doch dauert es noch ganze drei Jahre, bis die Bahn in Betrieb treten kann. Zur Neubesetzung der erledigten Superintendentur wird der bisherige Gesandtschaftsprediger in Rom, Pfarrer Leipold ausersehen, der am 29. Mai seine Probepredigt und am 18. Juli seine Antrittspredigt hält, an welch letzterm Tage er durch den Superintendenturvikar Pfarrer Mag. Krüger in Schenkenberg in sein Amt als Oberpfarrer der Stadtkirche eingeführt wird. Die Geschäfte der Superintendentur werden ihm bis auf weiteres nur vikarisch übertragen, und es dauert länger als zwei Jahre, bis er (nach dem deutsch-französischen Krieg) die Ernennung zum Königlichen Superintendenten erhält. In diesem Jahre wird dreimal zu verschiedenen Zeiten ein Nordlicht sichtbar, zuerst in der Nacht vom 15. zum 16. April, dann am Abend des 13. Mai, das sich besonders prächtig ausnimmt und den ganzen Himmel in Feuerglut taucht, und zuletzt am 29. September, abends gegen acht Uhr. Obst gibt es diesmal wenig; der Wein ist vor Säure kaum genießbar. Der Spätsommer und der ganze Herbst verregnen.


1870
Durch Bekanntmachung vom 18. März werden verschiedene Straßen der Stadt teils neu - teils umbenannt. Der Teil der Steinchaussee von der Kohlbrückebis zur Leipziger Straße bis zur Unterführung des Dobernitzer Fußsteigs "Elberitzstraße", der Weg nach dem Kosakenberg "Wiesenstraße", die Fortsetzung des Schäfergrabens über die zu jener Zeit Angerstraße genannte Albert-Böhme-Straße (Lindenstraße) hinaus "Elisabethstraße". Der Marienplatz wird mit einer Anlage von Gras- und Blumenbeeten versehen. Im Juni wird mit dem Bau der neuen Kn abenschulebegonnen. Am 3. desselben Monats wird Fabrikbesitzer Schmidt, Bitterfeld, mit einer Lieferung von 200 000 Ziegelsteinen beauftragt. Der Preis beträgt 7 Tlr. 17 Sgr. 6 Pfg. für das Tausend. Auch werden außer den Maurer- und Zimmerarbeiten durch schriftlichen Vertrag sogleich auch die Schlosser- und Glasarbeiten vergeben, die letzteren an die Glasermeister Scheibe und Dörfel, die Schlosserarbeiten an Schlossermeister Bier. Mit Ausführung der Maurerarbeiten wird Maurermeister Taurck betraut, mit der der Zimmerarbeiten die Zimmermeister Felix und Berthold, die jedoch alle drei der Bauleitung eines durch die Zeitung gesuchten Baumeisters unterstellt werden. Letzterer, namens Karl Schlodewsky aus Pöpelwitz bei Breslau, trifft am 1. Juli hier ein. Es wird ihm zunächst ein Monatsgehalt von 50 Talern bewilligt, das aber seinem Ansuchen gemäß auf 75 Taler erhöht wird. Durch den bald darauf beginnenden Krieg mit Frankreich wird die Bautätigkeit zwar nicht aufgehoben, jedoch beeinträchtigt, so daß noch fast das ganze nächste Jahr vergeht, bis das neue Schulgebäude geweiht und bezogen werden kann. DieKriegserklärung Frankreichs löst, ebenso wie in ganz Deutschland, auch in Delitzsch eine große Kriegsbegeisterung aus. Sogleich bildet sich wieder ein Hilfsverein zur Unterstützung verwundeter Krieger, der sich diesmal aber nicht nur auf die Stadt beschränkt, vielmehr den ganzen Kreis umfaßt. Auch ergeht durch Zeitungsinserat an alle Bewohner von Stadt und Land die Aufforderung zu einer Sammlung für die von den Reserve- und Landwehrleuten zurückgelassenen Frauen und sonstigen Angehörigen mit dem Zusatze, daß für diesen Zweck Gaben bei Bürgermeister Reiche, Ratshaus, Zimmer Nr. 6, abzugeben seien. Die angesehensten Frauen der Stadt (Frau Kreisgerichtsdirektor Hesse, Frau Bürgermeister Reiche, Frau verw. Bürgermeister Hagedorn und Frau Oberpfarrer Leipold) erlassen einen Aufruf zur Hergabe von altem Leinen jeglicher Art oder Scharpie. Gleicherweise kommt die Begeisterung auch in gebundener Rede im Kreisblatte mehrfach zum Ausdrucke. Insbesondere ist es der Kantor Albin Thierbach, Nachfolger des am 1. Oktober 1853 in den Ruhestand getretenen verdienten Kantors Golz, der sich auf diese Art hervortut und Kriegsgedichte ernster und launiger Art im Kreisblatte zur Veröffentlichung bringt. Vom ersten, das gerade am Kriegsbettage (27. Juli) von ihm erscheint, sei die Anfangsstrophe wiedergegeben:

Warte, warte! Bonaparte!
Alter Schalk, was fällt dir ein?
Spielst wohl gar mit falscher Karte,
Möchtest wohl den deutschen Rhein?
Tumpf aus! Du sollst nicht gewinnen!
Trumpf aus! Es ist lauter Coeur!
Trumpf aus! was hilft dein Besinnen?
Trumpf aus! Ha, du kannst nicht mehr?

Als Ausdruck vaterländischer Gesinnung mag man sich diese etwas mittelmäßigen Verse gern gefallen lassen. Thierbachsche Kriegslieder sind damals in der Schule und Haus, auch auf der Straße, von Schulkindem der Stadt und deren Umgebung viel gesungen worden. Die Schlag auf Schlag einander folgenden Siegesberichte werden natürlich in der Stadt mit größtem Jubel aufgenommen, die entscheidenden Siege, insbesondere der bei Sedan und die Gefangennahme Napoleons, durch Gottesdienst und Illumination feierlich begangen. Den Heldentod auf dem Schlachtfelde erleiden in diesem Kriege nur zwei Delitzscher Bürger: Am 18. August bei St. Privat der Seitermeister Wilhelm Schmidt, Unteroffizier im Kaiser Franz-Garde-Grenadierregiment Nr. 2, und am 30. August bei Beaumont der Uhrmacher Otto Lattermann. Füsilier im 2. Mägde.-Inf.-Rgt. Nr. 27. Allgemein beklagt man hier das in diesem Jahre besonders rauhe und regnerische Herbstwetter, das den tapferen Truppen im Feindesland die Belagerung der Festungen (Metz, Straßburg, Paris) sehr erschwert und ihre Mühseligkeiten erheblich steigert. Auch der Umstand, daß in diesem Kriegsjahre am Himmel nicht weniger als neunmal ein Nordlicht erscheint, nämlich bereits im Januar viermal: 1., 6., 20. und 30., sodann am 5. April, femer ein besonders prächtiges in derNacht vom 24. zum 25. September und dann noch eins am Abend des 24. Oktobers, das, wenn auch schwächer, am nächstfolgenden Abend nochmals sichtbar wird, bringt die Gemüter unter dem Volke eine Erregung, das in dieser Erscheinung, ob auch die Gelehrten sie für eine Entladung der atmosphärischen Elektrizität in stark verdünnter Luft erklären, ein Zeichen für die Anteilnahme des Himmels an dem Blutvergießen und den in Feindesland sich abspielenden Kriegsereignissen erblickt. In ihren abergläubischen Sorgen werden diese ängstlichen Gemüter noch bestärkt durch das Eintreten plötzlicher starker Erderschütterungen. Unstimmigkeiten mit dem Bauleiter veranlassen die städtischen Körperschaften, am 17. November dem Maurermeister Taurck die Weiterführung der Mauerarbeiten am Schulneubau zu entziehen, Ersatz für ihn findet sich erst im nächsten Jahre durch den Maurerpolier Richard Thier, der sich den Anordnungen des Bauleiters willig fügt.


1871
Der Winter von 1870/71 ist als einer der härtesten des Jahrhunderts anzusehen. Er erweist sich als anhaltend und streng. Am 2. Januar liest man am Thermometer des Morgens 7 Uhr über 27 Grad Kälte ab. Diese Kälte, wenn auch um einige Grade verringert, hält bis zum 15. Februar an, an welchem Tage Tauwetter eintritt. Die wieder einmal nötig gewordene Schlämmung des Stadtgrabens, die schon am 7. November des Vorjahres begonnen wurde, und zwar diesmal von dem Drainiermeister Neumann, wird, nachdem der südliche Teil des Grabens gereinigt ist, am 28. März abgebrochen und die Schlämmung des nördlichen Teils auf spätere Zeit verschoben. Mit Lieferung granitner Treppenstufen für den Schulneubau wird Steinsetzmeister Zwanzig beauftragt. Der vertraglich dafür festgelegte Preis beträt je Quadratfuß 26 Sgr. Die zum Bau nötigen Bruchsteine liefert für 7 T1r. 20 Sgr. je Schachtrutefrei Baustelle Eduard Kohl, Landsberg, Dampfziegelei Deutsche Grube (Bauermeister) noch 100 000 Preßsteine, das Tausend zu 8 Tälern, und 60 000 gestrichene Steine, je Tausend zu 7 1/2 Talern. Die Lieferung des Restbedarfs an Mauersteinen wird der Firma Schreyer, Coswig, übertragen. Die Schmiedearbeiten werden von Schmiedemeister Klickermann ausgeführt, die Klempnerarbeiten von den Klempnermeistern Reyher und Hopfer, die Dachdeckerarbeiten von Schieferdeckermeister Heinrich Fleischmann, Leipzig. Zur Ausfüllung des Tränkteichs muß Seilermeister A. Thier mit seinem Gespanne von der städtischen Sandgrube im Kosebruch 100 Schachtruten Sand anfahren, wofür ihm je Schachtrute 1 Täler 12 1/2. entschädigt werden. - Die Neuerrichtung des Deutschen Reiches wird auch in Delitzsch mit viel Jubel aufgenommen und feierlich begangen. Nach dem Falle von Paris tritt endlich Waffenruhe ein, worauf dann zu Frankfurt a.M. am 10. Mai der Friede zustande kommt. Das Friedensdankfest wird am 18. Juni gefeiert. Auf allerhöchste Anordnung muß am Abend vorher mit allen Glocken geläutet und während des Gottesdienstes ein Tedeum gesungen werden. Auf Vorschlag Kantor Thierbachs wird dazu das `Alleluja" aus Handels Messias gewählt. Zum ersten Male wird der 2. September durch feierliche Umzüge, Ansprachen und Festessen als Volksfest gefeiert. RektorJohann Gottfried Bartel, Stützers Nachfolger, der sich als Schulleiter wenig bewährt hatte und darum von 1858 an immer nur den Stellvertreter des jeweiligen Rektors abgeben mußte, stirbt am 28. September, zu einer Zeit, in derseine zwangesweise Versetzungin den Ruhestand erwogen wird. Am 5. Dezember endlich kamt die Einweihung des neuen Schulhauses stattfinden, desen Bau einen Gesamtaufwand von reichlich 30 000 Talern erfordert hat. Um 9 1/2 Uhr versammeln sich die Knaben der 1. Bürgerschule in den alten Schulräumen; die oberen Klassen werden in die Aula der höheren Bürgerschule geführt, wo Rektor Dr. Bartels die Abschiedsrede hält und die Schüler "Unsern Ausgang segne Gott" singen. Hierauf ziehen sie in geordnetem Zuge über den Roßplatz unter Glockengeläut zum neuerbauten Schulhause. Auf letzerm Platze stoßen von der Vorstadtschule her, wo nunmehr die Mädchenbürgerschule untergebracht wird, die vier Klassen der zweiten Bürgerschule zu ihnen, und auch die unteren Klassen der ersten Bürgerschule schließen sich an. Vor dem neuen Schulhause wird von den Schülern und versammelten Gästenein Halbkreis gebildet und der Choral "Lobe den Herren" gesungen, worauf Archidiakonus Goedicke ein Gebet spricht und Zimmermeister Berthold den auf einem Samtkissen getragenen Schlüssel dem Bürgermeister Reiche übergibt, der ihn unter kurzer Ansprache an Rektor Dr. Bartels weiterreicht. Dieser öffnet damit die Haupttür zu dem festlich geschmückten Hause. Die Schüler werden zunächst in ihre Klassen geführt, die der zweiten Bürgerschule in die unteren Räume, die der ersten in die des Mittelgeschosses. (Das Obergeschoß bleibt zunächst noch unbenutzt.) Von da begeben sich die Schüler mit ihren Lehrern in die Aula, wo die Ehrengäste, darunter auch Regierungs-und Schulrat Haupt aus Merseburg, bereits Platz genommen haben. Eröffnet wird die nachfolgende Feier durch ein von Kantor Thierbach gedichtetes und vertontes Festlied, das vom Schülerchor gesungen wird. Die erste Strophe davon lautet:

Nun weile der Friede an diesem heil'gem Ort!
Nun leite, Allgüt'ger, der treuen Lehrer Wort!
Nun segne du alle, die gehen ein und aus!
Nun kröne mit Gnade der Kleinen großes Haus!

Hierauf hält Superintendenturvikar Leipold die Weiherede, und im Anschlusse daran ergreifen noch das Wort Rektor Dr. Bartel, sowie Regierungsund Schulrat Haupt. Mit dem Schlußgesange "Lob, Ehr und Preis sei Gottendet diese Feier, findet jedoch eine Fortsetzung durch ein Festessen im "Schwan", wozu sich nachm. 2 Uhr die Festversammlung zusammenfindet. Durch kaiserliche Order wird am 11. Dezember endlich Oberpfarrer Leipold zum Superintendenten ernannt, nachdem er bereits mehr als zwei Jahre lang die Geschäfte eines solchen auftragsweise geführt hat. In diesem Jahr wird auch die Ratskellerwirtschaft, die Jahrhunderte lang bestanden und den Bürgern als Erholungsort gedient hat, von seiten des Magistrats aufgehoben, angeblich, weil sie zur Spielhölle herabgesunken. Der letzte Ratskellerwirt heißt Köppe. Da die Regierung kurz nach dem Kriege keine Schwierigkeiten betreffs Konzessionserteilung macht, entstehen in der Stadt eine ganze Anzahl neuer Schankstätten, von denen die meisten allerdings keine lange Lebensdauer haben. Die bedeutendsten davon sind: In der Breiten Straße Restaurant Wilsdort, genannt "Reichskrone", und das mit einer Fleischerei verbundene Restaurant Bär, heute noch fortbestehend als Konditorei Lampe; auf dem Markte Restaurant Richter (heute Fleischerei Schleicher); auf dem Pfortenplatze Restaurant Hofmeister; Zschrngasse "Spanische Weinstube"; Holzstraße, Ecke Kreuzgasse Ziebrichs Restaurant "Gambrinus"; am Kohltor (zwischen Promenade und Kohlstraße, Auguste-Viktoria-Ring 10) Füssels Kaffeegarten; Ecke Dübener-Bitterfelderstraße Winkelmanns Restaurant "Zur Börse". Noch heute bestehende Schankstätten aus dem Jahre 1871 sind: "Rußbutte `, Leipzigerstraße, begründet von Wilh. Krause, und "Reichskanzler", Bitterfelderstraße. Die Obsternte des Jahres ist eine höchst geringfügige und bedeutungslose, Frühling und Sommer sind rauh, unfreundlich und regnerisch.


1872
1. Januar Einführung der neuen Maße und Gewichte sowie der neuen Wahrung. Am 15. Januarwird durch Generalsuperintendent Moeller, Magdeburg, Superintendent Leipold feierlich in sein Amt geführt, und letzterer hält seine Einführungspredigt. Ein von den städtischen Körperschaften auf Gutachten des Stadtförsters Köring am 13. Oktober des Vorjahres gefaßter Beschluß, wonach die westliche Hälfte der städtischen Hartobstanlage (hinter dem Schützenplatze) im Umfange von etwa 2 Morgen unter Beseitigung der verkümmerten Hartobstbäume mit Birken bepflanzt werden soll, kommt nunmehr zur teilweisen Ausführung. Am 6. März, nachmittags 4 Uhr, wird ganz urplötzlich unsere Gegend von zwei wellenfännigen Erdstößen heimgesucht, deren jede sechs Sekunden dauert und von einem unterirdischen Getöse, ähnlich dem Rollen eines schnellfahrenden Wagens, begleitet ist. Die Zimmermöbel geraten ins Schwanken, und die Pendeluhren bleiben stehn. Im höchsten Maße erschreckt, eilen die Bewohner auf die Straße und besprechen erregt den Vorgang.Den meisten Grund zum Erschrecken aber hatten wohl die Türmer der Stadt, da die Tumtwände beängstigend hin-und herschwankten. Zum Glück kommt es nirgends zum Einsturze eines Gebäudes. Man führt diese Erschütterung auf einen zwei Tage vorher erfolgten starken Vesuvausbruch zurück. Durch Bischof Dr. Konrad Martin, Paderborn, wird am 16. Juli die hiesige katholische Kirche geweiht. Pfarrer ist jetzt Adolf Bäseler, vorher in KI.-Badersleben. Am 1. Juli findet die Betriebseröffnung der Halle-Sorau-Gubener Bahn statt. Als sehr erheblicher Übelstand stellt sich in diesem Jahr ein beinahe völliges Versagen des Gaslichts heraus. Die Ursache wird in dem zu engen Durchmesser der Hauptrohre gefunden. Man ersetzt also von der Gasanstalt an die Eilenburger und Breite Straße entlang und weiter über den Markt und die Hallesche Straße hin bis zum Turme die bisher vierzölligen Gasrohre durch eiserne sechszöllige, was einen Kostenaufwand von 2354 Talern verursacht, eine Ausgabe, die auf das Schuldkonto des Leipziger Gasdirektors Westerholz, der die Anlagegeschaffen, zu setzten ist. Nach der kostspieligen Reparatur brennt das Gaslicht bei weitem heller als jemals. Im Herbste muß die Pflaumenpachtung unterbleiben, weil der Frost nicht nur die Baumblüte, sondern auch zahlreich die Bäume selbst vernichtet hat. Am 27. November geht die Erde mitten durch die Bitaschen Kometen, weshalb es Sternschnuppen förmlich regnet. Es sollen an 4000 Meteore niedergegangen sein. In diesem Jahre entsteht noch das Schanklokal "Goldene Kugel" in der Grünstraße, begründet von Hoppe.


1873
Die Schlämmung des nördlichen und östlichen Teils des Stadtgrabens wird am 25. März begonnen und am 3. Mai beendet. Am 28. des letzern Monats erliegt Kantor Thierbach, 53 Jahre alt, bei Gelegenheit eines Schülerausflugsunweit der DörIchenmühle einem Herzschlage. Auf einem von Schenkenberg schnell herbeigeholten Wagen wird die Leiche zur Stadt gefahren. Die Schüler gehen trauernd neben- und hinterher. Kurz zuvor, am 1. April, war ein Wechsel in der Leitung der Bürger-und höheren Töchterschule eingetreten. Dr. Bartels, der einem Rufe als Bürgerschulrektor nach Gera gefolgt, hatte Delitzsch verlassen und an seine Stelle war Rektor August Niebecker aus Ellrich getreten. Im Mai wird die schon im April abgebrochene hölzerne Fahrbrücke an der Stadtmühle durch eine mit zwei Bogen versehene steinerne ersetzt. Die Birkenpflanzung an Stelle der zumeist beseitigten Hartobstanlage wird fortgesetzt und beendet. Auch faßt man die Anlage eines neuen Friedhofs ins Auge, für den man vorerst ein Gelände hinter der Offenhauerschen Brauerei, also an der Bitterfelder Straße, in Aussicht nimmt. Ein dort verkäufliches Ackergrundstück wird unter Zustimmung des Stadtverordnetenkollegiums seitens des Magistrats zu diesem Zwecke erworben. Eine Friedhofsanlage an dieser Stelle stößt jedoch nach dem Ankaufe auf starke Bedenken und unterbleibt deshalb dort. Schwere Gewitter suchen in diesem Sommer die Gegend heim. Am 7. Juni schlägt der Blitz in Zschortau in das dortige Schulgebäude ein und betäubt die Mutter des 2. Lehrers. Im Creuma tötet er fünf Stück aus einer Schafherde. Gewaltige Orkane, die im Spätherbst toben und schweren Schaden anrichten, werden als die Vorwehen eines Erdbebens angesehen, das im Zeitraume vom 20. bis 23. Dezember in der Gegend von Darmstadt stattfindet. Am 22. Juli wird das Königliche Lehrerseminar begründet und zunächst in dem obersten Stockwerke der neuen Knabenbürgerschule untergebracht. Erster Seminardirektor ist Trinius, erster Oberlehrer Schöppa. Eine private Präparandenanstalt war schon mehrere Jahre vorher durch Rektor Dr. Bartels ins Leben gerufen.


1874
Der sehr milde Winter weist nur einen kalten Tag auf, den 11. Februar, mitelwas über 12 Grad Celsius. Am 10. und 12. Februar zeigt das Thermometer je 3 Grad Celsius. Im Juni wird die alte krumme, wegen ihrer steilen Auffahrt für Pferde und Wagen gefährliche Hospitalbrücke abgebrochen und an ihrer Stelle eine neue, breite, massive und gerade gelegte, mit zwei Bogen versehene Brücke erbaut. Die Kosten einschließlich des eisernen Geländers und der Pflasterarbeiten betragen 1349 Tlr. 5 Sgr.


1875
Sonnabend, den 16. Oktober, vorm. 10 Uhr, löst sich beim Stundenschlage des Türmers Rehfeld der 7 Pfund schwere Hammer der Glocke des Breiten Turms und fällt auf das Straßenpflaster herab, glücklicherweise ohne Scha den anzurichten. Es wird ein neuer, 8 Pfund schwerer, aus Stahl beschafft, und man befestigt ihn noch an einer Sicherheitskette, an der er bei etwaigem Wiederabfalle hängen bleiben muß. Der Sommer ist trocken und arm an Futterkräutern, weshalb die Butterpreise steigen. Wein und Obst hingegen geraten gut.


1876
Die Promenade wird vom Schlosse bis zur Halleschen Straße verlängert. Die Halle-Sorau-Gubener Eisenbahn wird verstaatlicht und geht mit dem 1. April in die Hände des Eisenbahnfiskus über. Am 6. August stirbt der seit 1868 emeritierte Lehrer (Tertius) Lorenz, 80 Jahre alt. Bei einer unverhofft unternommenen Kassenüberprüfung ergibt sich, daß der Kämmerer und Hospitalvorsteher Ufer aus der Kämmereikasse 1400 und aus der Hospitalkasse 300 Taler unterschlagen hat. Die Witterungsverhältnisse in diesem Jahre sind ungünstige. Nach starken Schneefällen im Januar tritt im Februar Tauwetter ein, das infolge von anhaltenden Regengüssen zu Hochwasser ausartet und Überschwemmungen herbeiführt. Ein in der Nacht zum 18. Märzwütender Orkan deckt Häuser ab und entwurzelt viele Bäume. Bis Mitte Mai ist die Witterung rauh, und Nachtfröste schaden der Baumblüte. Juli und August sind zwar regenfrei, dann aber gießt es den ganzen September hindurch.


1877
Magistrat und Stadtverordnete beschließen, die in fast unerträglichem Zustand befindlichen Straßen der Stadt neu pflastern zu lassen. Mit der Eilenburger Straße soll begonnen werden. Die Ausführung der Arbeiten wird dem Steinmetzmeister Knöchel in Halle übertragen, der auch nunmehr Bürgersteige anlegen soll. Die zu letzter Anlage benötigten Granitplatten werden aus Kamenz in Sachsen bezogen. Vom Verschönerungsverein wird zu den Seiten des Döbernitzer Fußwegs die schöne Lindenallee angelegt. Behufs Anlage des notwendig gewordenen neuen Friedhofs einigt man sich endlich auf ein der Hospitalverwaltung gehöriges, an der Dübener Straße gelegenes Ackergrundstück, wovon der Magistrat auf Beschluß der Stadtverordneten 10 Morgen (2,5530 ha) erwirbt, und zwar im Austausch gegen das anfänglich zur Friedhofsanlage in Aussicht genommene, 15 Mrg. (3,83 ha) umfassende Grundstück an der Bitterfelder Straße. Für das Mehr an Bodenfläche zahlt die Hospitalinspektion an die Stadt 2700 Mark. Am 21. August stirbt, 76 Jahre alt, Dr. med. August Ferdinand Ideler, der bis zu seinem Tode die Stadtchronik in der Nachfolge des 1852 verstorbenen Bürgermeisters Securius gewissenhaft weitergeführt hat. Auch in diesem Jahre verdirbt starker Frost die Baumblüte. Der Sommer zeigt sich in der Erntezeit regnerisch und reich an heftigen Gewittern. Am 17. August schlägt ein Blitz in die Stadtkirche, ein anderer tötet während des gleichen Gewitters in Spröda die 13jährige Haustochter der Familie Beinstein, die gerade vollzählig am Mittagstisch sitzt. Am 26. August wird unter Sturm und mit Hagel vermischtem Regen das südliche Dach des Sorauer Bahnhofsgebäudes emporgehoben und auf die andere Dachhälfte geworfen, und überhaupt werden viele Dächer und Mühlen beschädigt.


1878
Die Neupflasterung wird fortgesetzt und das Pflaster in der Eilenburger Straße vom Breiten Torebis zur Angerstraße (heute Albert-Böhme-Straße, vorher Lindenstraße) fertiggestellt. Gleichzeitig wird auch die Marienstraße makadamisiert und die Angerstraße reguliert. Am 28. Juli findet durch Superintendent Leipold die Einführung des bisherigen Lehrers an der Gewerbeschule in Dortmund Ferdinand Paasch als Rektor der hiesigen Töchterschule und der Bürgerschulen statt. Seit dem Tode des Rektors Niebecker hatte die Rektorgeschäfte in Vertretung Archidiakonus Meinhardt geführt. Nachdem am 30. und 31. Juli die letzten Bestattungen (zwei Kinderleichen, Emil Franz Kutter und Auguste Anna Daß) auf dem alten Friedhofe vor sich gegangen sind, erfolgt dessen Schließung. Nur für Erbbegräbnisse bleibt er vorerst noch offen. In den Tagen darauf (Anfang August) wird dann die Weibe des neuen Friedhofs vollzogen, die zufolge einer Verordnung des evangelischen Oberkirchenrats vom 4. Juni 18 in Verbindung mit dem ersten Begräbnisse auf dem neuen Platze stattzufinden hatte. Letzteres ist das des siebenjährigen Töchterleins des Schuhmachermeisters Geißler. Alle drei Geistliche der Stadt sind an der Weihung beteiligt. Diese selbst wird durch Superintendent Leipold am offenen Grabe der jugendlich Verstorbenen verlesen. Nach Einsenkung des Sargs hält Archidiakonus Meinhard die Leichenrede im Anschluß an das Schriftwort Matth. 9,24: Das Mägdelein ist nicht tot, sondern es schläft. Während des ersten Teils der Feier entlädt sich unter Regen, Donner und Blitz ein Gewitter; sie endet jedoch mit strahlendem Sonnenschein, Um der Friedhofsanlage fachmännische Pflege zu sichern, stellt man in diesemJahre noch einen Friedhofsgärtner an, dessen Aufsicht und Wartung zugleich die gesamten städtischen Anlagen vorerst mitunterstellt werden.


1879
Der am 12. Juli 1856 in Gleina bei Freyburg a. U. als Sohn eines Schneidermeisters geborene, bereits seit 1876 in Werben wirksame Lehrer Oskar Reime wird vom Magistrat nach Delitzsch berufen, wo er im Laufe der Jahre eine für die Stadt außerordentlich segensreiche und bedeutungsvolle Wirksamkeit entfaltet, zunächst als Dirigent mehrerer Gesangsvereine, des 1873 begründeten gemischtchörigen Vereins "Harmonie°,dessen musikalische Leitung er schon gleich nach seinem Dienstantritte in Werben übernommen, des "Abenstern" und nach Verlauf etlicher Jahre auch der "Schulze-Delitzsch-Liedertafel". Gegen Ende des Jahrhunderts wendet er sich der Heimatforschung zu, ruft das Heimatmuseum ins Leben, stellt sich namentlich als Archivar (Verwalter des Stadtarchivs) in städtischen Dienst und beginnt sodann unter gewissenhafter Vertiefung in die Quellen der Heimatgeschickt eine Bearbeitung der bisher nur lückenhaft vorhandenen Stadtgeschichte, eine Arbeit, die er schließlich in der Zeit von 1910 bis zum Ausbruehe des Weltkrieges zu einer "Geschichte unserer engeren Heimat" erweitert. Wenn es ihm nicht gelang, eine vollständig abgerundete Chronik der Stadt Delitzsch zu liefern, so trägt die Schuld nur sein am 22. Augsut 1923 erfolgter vorzeitiger Tod, der ihm die Feder aus der fleißigen Hand riß. Mit dem, was er veröffentlicht und an handschriftlichen Manuskripten hinterlassen (zu letzterem gehört auch eine bis ins einzelne gehende,umfangreiche Darstellung der die Stadt berührenden Vorgänge des Weltkrieges), hat er sich unbestreitbar ein unvergängliches Verdienst um die Stadt Delitzsch erworben. Die Schaffung der vorliegenden lückenlosen Chronik war nur möglich durch ausgiebige Benutzung seiner äußerst wertvollen Vorarbeiten. Reime verdankt seine reichen Kenntnisse fast lediglich einem überaus fleißigem Selbststudium Ein Lehrerseminar hat er nicht besucht, vielmehr von seinem 16. Lebensjahre an bereits vikarisch eine Lehrstelle (in Jagsal bei Herzberg) selbständig verwaltet. Die erste Lehrerprüfung legte er von dort aus 1876 in Elsterwerda ab, die zweite Prüfung in Delitzsch zwei Jahre später. In diesem Jahre entsteht das heutige Café Bolte, damals "Palmbaum" genannt. Erbauer dieses neuen Gasthauses ist Teubner, der auch schon einige Zeit vorher den gegenüberliegenden Gasthof "Preußischer Hof" errichtet hatte.


1880
Die Pflasterung der Breiten Straße und ebenso einiger Seitenstraßen wird in Angriff genommen. Am 19. Oktober macht der Magistrat bekannt: "Die an das Birkenwäldchen östlich angrenzende, bis zur Bitterfelder Landstraße führende Obstplantage wird in eine freundliche Anlage mit Ziersträuchern verwandelt unter Beibehaltung der Obstbäume". Nach einem kalten und schneereichen Winter zeigt sich die Witterung im April außerordentlich mild, weshalb die Obstbäume in herrlichstem Blütenschmuck prangen. Einfallender Frost vernichtetjedoch die Hoffnung auf eine gute Obsternte. Infolge fortbestehender nasser und rauher Witterung kann auch die Getreideernte nur mit Mühe eingebracht werden. Am 18. Juli werden während eines mit starkem Sturme verbundenen Gewitters am Stadtgraben zwei nach Hause eilende Knaben, Söhne des Sattlermeisters Ronniger, durch einen vom Sturme herabgeschleuderten Pappelast getötet.


1881
Der Winter ist hart und andauernd. Erst Mitte März weicht die Kälte, das plötzliche Tauwetter hat viel Regen im Gefolge, was vielfach Überschwemmungen hervorruft. Die drei "gestrengen Herrn- (11., 12. und 13. Mai) erweisen sich diesmal als sehr gestreng. Die an diesen Tagen vorherrschenden starken Nachtfröste fügen insbesondere den Weinstöcken erheblichen Schaden zu. Der Sommer ist äußerst gewitterreich. Blitzschläge, die in menschliche Wohnungen niedergehen, glücklicherweise ohne auch nur ein einziges Mal zu zünden, sind keine Seltenheit. Auch das Superintendenturgebäudewird (am 15. Juli) von einem solchen Schlage getroffen, und zwar so hart, daß das ganze Haus erschüttert wird und der verursachte Schaden sich auf über 500 Mark beläuft. Der Herbst ist ungewöhnlich mild.


1882
Die Umpflasterung des Marktplatzes wird in Angriff genommen. Sie wird von den Stadtbehörden dem Steinmetzmeister Schmölling, Leipzig, übertragen. Ausgeführt wird sie mit aus Grimma bezogenen sog. bossierten Steinen, nämlich behauenen Steinen mit quadratischen oder rechteckigen Flächen. Es wird eine Hauptfahrstraße von der Breiten Straße aus in Richtung nach dem Rathause angelegt mit nebenherlaufenden Bürgersteigen aus Mosaik, außerdem noch Fahrstraßen an den vier Seiten des Marktes, deren angrenzende Bürgersteige mit Granitplatten belegt werden. Die Arbeit wird erst im folgenden Jahre beendet und erfordert einen Kostenaufwand von 46 669,13 Mark. Am I. April wird die Berlin-Leipziger Bahn verstaatlicht. Der Bau des Königlichen Lehrerseminargebäudes wird begonnen. Die Stadt hat zum Bauplatze unentgeltlich den größten Teil der sogenannten Ziegelbreite hergegeben, nämlich 9 Morgen 83 Quadratruten. Um einen am Westabhange der Bitterfelderstraße bis zum Schulgebäude sich entlangziehenden übelriechenden Graben zu beseitigen, wird die Kanalisation dieser Straße beschlossen und die Erlaubnis dazu, da die Straße noch fiskalisch, behördlicherseits eingeholt. Auch dieser Bau wird erst im nächsten Jahre fertiggestellt.


1883
Am 17. Juli beschließt die Stadtverordnetenversammlung, die Kanalisation auf noch weitere Straßen auszudehnen. Vor allem soll die Schloßgasse damit bedacht, und die Anlage soll weitergeführt werden durch den Mühlendamm über den Pfortenplatz nach dem Lober unterhalb der Stadtmühle; desgleichenvon der Breiten Straße her nach dem Pfortenplatze. "Man beseitigtedamit zugleich die vielen stinkenden Hausrinnsteine".


1884
Die Umpflasterung wird fortgesetzt. Sie erstreckt sich diesmal auf den im Vorjahre kanalisierten Straßenzug: Schloßgasse, Mühlendamm, Pfortenplatz, Pfortengasse. Das alte Marktpflaster wird verwendet zur Pflasterung der Straße zwischen dem Schützenhause bzw. Schützenplatze und den Hintergebäuden des Gerberplans. Mit dem weitern alten Material läßt man die Straße zwischen den Scheunen der Halleschen Vorstadt pflastern. Die Kosten der Pflasterung und Kanalisation betragen im "Etatsjahre" 1883/84 44 157,92 Mark. Der Bau des Seminargebäudes wird beendet und dieses nach der üblichen Weihe bezogen. Die Seminarverwaltung hat noch nach Fertigstellung des Gebäudes die Dübener Straße zur Entwässeung des Seminargrundstücks kanalisieren lassen, und zwar unter Anschluß an den im Jahre vorher fertiggestellten Kanal in der Bitterfelder Straße. Weil dadurch zugleich eine Entwässerung der ganzen Dübener Straße und aller dort befindlichen Häuser erzielt wird, beantragt die Seminarverwaltung, die Stadt möge die Unterhaltung der Anlage übernehmen und einen Beitrag zur Deckung der Herstellungskosten bewilligen. Das Ergebnis ist, daß die Stadt den Kanal als Eigentum übernimmt und sich dazu versteht, ein Drittel der Aufwandskosten zu tragen. Der "wüste" Platz vor dem Halleschen Tore wird durch den Leipziger Ratsgärtner Wittenberg zu einem Schmuckplatz mit Anlagen umgeschaffen. Der von Bünau'scheAckerstreifen nördlich des Birkenwäldchens mit einem Flächeninhalte von 1,830 ha wird unter Zustimmung der Stadtverordneten zum Preise von 1000 Mark je Mrg., also einem Gesamtpreise von 4228, 88 Mark, vom Magistrat erkauft und vom 1. September an städtisches Eigentum. Nach dem Vorschlage des Kgl. Bauinspektors Lucas soll auf diese neuerworbenen Teile nördlich vom Heiligbrunnen in dessen unmittelbarer Nähe ein künstlicher Hügel von 5 Meter Höhe errichtet werden, der als Aussichts-, Spiel-, Sitz-und Konzertplatz dienen soll. Der Beschluß wird im folgenden Jahre unter Verwendung billiger Arbeitskräfte (Verpflegungsstation) ausgeführt mit einem Aufwande von nur 4000 Mark.


1885
Das in der Querstraße befindliche letzte mit Stroh bedeckte Haus wird auf Anordnung des Magistrats beseitigt. Die Um- bzw. Neupflasterung und die Kanalisation werden weitergeführt. Ein Teil der Promenade, vom Halleschen Tore bis zur Leipziger Straße, wird chausseemäßig hergestellt. Die Hallesche Straße erhält zu beiden Seiten Bürgersteige mit Granitplatten. Der Kostenaufwand für alle diese Arbeiten beträgt in diesem Jahre 6257,28 Mark. Nach einem von den Stadtverordneten genehmigten Plane des Magistrats werden in diesem Jahre kanalisiert: Hallesche Straße, Badergasse, Ritterstraße, Milchgasse, Leipziger Straße, Holzgasse und kleine Schloßgasse mit Anschluß der Königlichen Strafanstalt. Die Kosten werden auf 12 600 Mark veranschlagt. Die Walzenmühle wird eröffnet.


1886
Die Pflastemug wird fortgesetzt. Ritterstraße und Holzgasse werden neu gepflastert. Die Kosten betragen rund 30 000 Mark. Im März dieses Jahres beginnt der Delitzscher Turnverein 1845 mit dem Bau einer Turnhalle (der heutigen städtischen Turnhalle Bitterfelderstraße), den er aus eigenen Mitteln innerhalb eines Vierteljahres durchführt. Bauleiter ist Maurermeister Voigt. Die Maurerarbeiten werden ausgeführt von Bauunternehmer Richard Thier, die Zimmerarbeiten von Zimmermann August Pfordte, für den, da er erkrankt, in den letzten Wochen Holzhändler Adolf Hartung eintritt, die Malerarbeiten von Dekorationsmaler Emil Scholz, die Glaserarbeiten von den Glasermeistern Dörfel und Leiser, die Klempnerarbeiten von Klempnermeister Reyher, die Schlosserarbeiten von Schlossermeister Mietzsch, die Dachdeckerarbeiten von Dachdeckermeister Uhlig. Die Dacheisenkonstruktion liefern die Ingenieure Bretschneider und Krügner, Berlin, die Bekrönungsstücke die Greppiner Werke, Holz zur Dielung Holzhändler Heinze, Bitterfeld. Das nötige Baumaterial war schon zu Beginn des Baus zumeist vom Vereine selbst herangeschafft worden. Desgleichen hatte dieser schon im Herbste des Vorjahres die Anlage des Umfassungsparks betrieben, sowie im Laufe des Winters das Auswerfen des auf dem Grundstücke selbst gefundenen Sandes und die Anfuhr der Bruch-und Mauersteine. Die Einweihung des stattlichen Neubaus kann bereits am 30. Mai erfolgen und geschieht in Anwesenheit fast sämtlicher Turnvereine des Turnkreises IIIc wie auch der städtischen Behörden. Die Festrede hält nach einem Gesangsvortrage des Gesangsvereins Arien der damalige Vorsitzende, Zigarrenfabrikant Louis Schulze. Die Gesamtkosten des Baus einschließlich der Aufwendungen für Anlage des Parks und eines Brunnens sowie für Beschaffung neuer Turngeräte belaufen sich auf 12376, 98 Mark, wovon zu sofortiger Deckung dem Vereine annähernd 9700 Mark zur Verfügung stehen. Der Rest soll gedeckt werden durch Gewinne aus fortlaufend zu veranstaltenden Vereinsfestlichkeiten. Die dringendsten der Restforderungen werden durch ein bei der Stadtsparkasse aufgenommenes Darlehen von 600 Mark beglichen, für deren Rückgabe die Mitglieder Louis Schulze, Troitzsch und Hartung Bürgschaft leisten. Der bisherige Küster und Organist an der Marienkirche, Mädchenschullehrer Jost, tritt in den Ruhestand. An seiner Statt übernimmt Lehrer Diedicke, bisher sogenannter Präcentor (Vorsänger) an der Marienkirche nun auch die Ämter eines Küsters und Organisten an genannter Kirche.


1887
Am 18. Januar hält Superintendent Leipold, der nach Osterwieck geht und dort die besser bezahlte Oberpfarrstelle übernommen hat, in der Stadtkirche seine Abschiedspredigt. Die Superintendenturgeschäfte versieht auftragsweise Archidiakonus Meinhardt in Vertretung. Auf Beschluß der städtischen Behörden vom 23. März werden aus Gewinnüberschüssen der städtischen Sparkasse die Schulstraße (für 2200 Mark), die Münze und der Mühlendamm (3000 Mark) sowie die Zscherne (1600 Mark) kanalisiert. Auch die Kanalisierung der Kohlgasse wird durchgeführt. An öffentlichen Lokalen entsteht in diesem Jahre Cafe Moltke. Anlangend die Witterungsverhältnisse, herrscht im W einer strenge Kälte vor bei meterhohem Schnee. Die Getreideernte fällt gut aus, dagegen die Obsternte schlecht. Pflaumen gibt es fast gar nicht. Das Jahr ist auch merkwür- dig infolge eigenartiger Himmelserscheinungen. Am 3. August findet eine totale Mondfinsternis statt, und am 19. gleichen Monats eine totale Sonnenfinstemis. Von letzterer ist infolge bedeckten Himmels bei Eintreten der Verfinsterung (gegen 5 Uhr) ein vorübergehendes plötzliches Dunkelwerden zu beobachten, kurz vor Eintritt der Mondfinsternis dagegen ein wunderbares Naturschauspiel. Beide Himmelskörper werden am Horizont sichtbar, die untergehende rotglühende Sonne im Westen und gegenüber im Osten der goldglänzende Vollmond.


1888
Ein schicksalsschweres Jahr für das deutsche Reich, das in diesem Jahre seine beiden ersten Hohenzollernkaiser durch den Tod verliert. Am 9. März stirbt, 91 Jahre alt, nach ruhmreicher Regierung Kaiser Wilhelm I., und am 15. Juni folgt ihm nach nur 99tägiger Regierung sein allgemein verehrter großer Sohn, Kaiser Friedrich 111., der als bereits Todkranker den Thron bestiegen, im Tode nach. Auch in der Stadt Delitzseh sind Trauer und Teilnahme über diese schweren, das ganze Volk in tiefe Betrübnis stürzenden Heimsuchungen allgemein. In Nachfolge Kaiser Friedrichs tritt Kaiser Wilhelm II. als des letztverstorbenen Kaisers ältester Sohn die Regierung an, 29 Jahre alt. Der inmitten des Schäfergrabens als letzter Rest des Vorstadtgrabens noch schwach rieselnde Wasserlauf (seit 1816 schon fortgesetzt verkleinert), wird endlich ganz beseitigt. Mit Prüfung sämtlicher Privatbrunnen der Stadt werden seitens des Magistrats unter Hinweis auf ein Schreiben der Kgl. Regierung vom 17. Januar die Apotheker Freyberg und Lohmann beauftragt. Die Untersuchung erstreckt sich auf 371 Brunnen und fällt wenig günstig aus. Von nur 25 Brunnen kann die Beschaffenheit des Wassers als sehr gut, von 163 als gut bezeichnet werden; 183 Brunnen liefern schlechtes oder gar sehr schlechtes Wasser. Öffentliche Straßenbrunnen mit ebenfalls untauglicher Beschaffenheit erhalten Täfelchen mit der Aufschrift: "Zum Trinken nicht geeignet". Am 15. Januar (1. Sonntag n.Ep.) hält der zum Nachfolger von Sup. Leipold ausersehene Superintendent Hahn aus Salsitz, Kreis Zeitz, seine Probepredigt, und am Freitag, dem 28. April, vormittags 1/2 10 Uhr, erfolgt in der Stadtkirche, wohin er von der Superintendentur aus von seiten der Geistlichen und Lehrer des Kirchenkreises unter Glockengeläut geleitet wird, seine feierliche Einführung durch Generalsuperintendent D. Möller. In das Oberpfarramt wird er am Sonntag darauf eingeführt. Auf Beschluß der städtischen Körperschaften wird der Kirchengemeinde zu einer von dieser beschlossenen gründlichen Erneuerung des Innern der Stadtkirche der Betrag von 71 656 Mark überwiesen. Der W einer ist wieder sehr streng. Fast unerträglich wird die Kälte im Februar. Auf dem Wege zwischen Hohenossig und Göbschelwitz findet man den hiesigen Dachdecker Nuhahn erfroren. Vom 18. März an fallen solche Schneemassen, daß der Bahnverkehr nur mit Anstrengung aufrecht erhalten werden kann. Am Pfingstfeiertage (20. Mai) wütet ein furchtbares Unweiter. Wolkenbruchartig herabstürzende Wassermassen lassenden Lober sosehr ansteigen, daß er aus den Ufern tritt und schlimme Verheerungen anrichtet. Bereits im November tritt starker und anhaltender Frost ein. Zehn Zentimeter starkes Eis bedeckt die Gewässer. Erst nach Ende des Monats wird die Witterung milder und verharrt dabei bis zum Jahresschlusse.


1889
Die zum Teil dem Fiskus angehörende Dübener Straße geht ganz in den Besitz der Stadt über. Die Pflasterung des Stückes Mauergasse von der Schulstraße bis zur Münze wird beschlossen und durchgeführt, desgleichen die des Rosentals. Letztere erfolgt mit Steinen aus den Brüchen bei Landsberg, und zwar in der Weise, daß die Straße von der Stadtmühle bis zur Schafbrücke gerade gelegt wird. Die Kosten für die Pflasterung beider Straßen betragen 3313,23 Mark. Im März findet das letzte (Erb-)Begräbnis auf dem alten Friedhofe statt, nämlich das der am 9. des genannten Monats verstorbenen Frau Henriette Rüßler geh. Haake. Nach den Plänen des Geheimen Baurat Haase aus Hannover wird am 2. April ein weitgehender Umbau des Innern der Stadtkirche in Angriff genommen, ausgeführt von Regierungsbauführer Großmann. Leider verfährt man dabei mit sehr wenig Pietät und entfernt, um eine domartige Halte zu erzielen, rücksichtslos fast alles, was als Erinnerung an die große Vergangenheit der Stadt, namentlich aus der Regierungszeit der Herzoglinie von Sachsen-Merseburg, für die Bewohnerschaft wertvoll ist, darunter sogar Gemälde von hohem Kunstwerte, wie einen van Dyck, der infolge achtloser Behandlung ganz verloren geht. Einige andere Bilder der alten niederländischen Schule, die nach dem Rathausboden gebracht worden waren, werden nach Jahren durch Kunstfreunde (Reime und den damaligen Rechtsanwalt und späteren Justizrat Dr. Schulze) von dort hervorgesucht und dem inzwischen begründeten Heimatmuseum zugeleitet, das sie zu seinen wertvollsten Besitztümern zählt. Ende Juli tritt der bisherige besoldete Magistratsassessor Heinze nach 36jähriger Dienstzeit in den Ruhestand. Bereits am folgenden Tage (l. August) wird sein Nachfolger, der von den Stadtverordneten schon am 30. April gewählte Gerichtsreferendar a.D. Richard Hörich, durch Bürgermeister Reiche in sein neues Amt eingeführt. Durch Vertrag vom 22. und 23. Oktober geht die städtische Gasanstalt für den Preis von 136 000 Mark in den Besitz der Stettiner Schamottefabrik Aktiengesellschaft, vormals Didier, über. Die Wetterverhältnisse sind für die Getreide- und Obsternte in diesem Jahre günstig. Nur ist der Frühling sehr gewitterreich. Sonnabend, den 11. Mai, erschlägt der Blitz den Handarbeiter Göhrmann, Zschortau, in seinem Wohnzimmer, während das von ihm auf dem Schoße gehaltene Kind mit einer leichten Verletzung davonkommt. Im Herbste wird von der Reichspostverwaltung auf dem Gelände des früheren städtischen Bauhofs der Bau des heutigen Postgebäudes in Angriff genommen.


1890
Am 5. Januar wird der dichterisch wohlbegabte Pfarrer Justus Kümmel, Verfasser eines 1895 hier mehrfach aufgeführten Bismarck-Festspiels, in sein hiesiges Amt als Diakonus eingeführt. Sowohl der Umbau des Kircheninnern als auch der Neubau des Postgebäudes werden im Frühjahr beendet. Letzterer wird sogleich in Betrieb genommen. Die Einweihung der Stadtkirche findet am Dienstag, dem 25. März, von vormittags 10 Uhr an, bei freundlichem Sonnenscheine statt. Von der Gottesackerkirche begibt sich der Festzug mit den Behörden, Geistlichen, Lehrern, Konfirmanden und zahlreichen Gemeindemitgliedern unter Glockengeläut zum festlich geschmückten Gotteshause am Markte. Beim Eintreffen des Zugs am Hauptportale überreicht Regierungsbauführer Großmann, der Leiter des Baus, unter kurzer Ansprache den Schlüssel dem Patronatsherrn, Bürgermeister Reiche, von dem er durch die Hände des Landrats von Rauchhaupt, Regierungspräsidenten von Diest, Konsistorialpräsidenten Trusen und Generalsuperintendet D. Möller an SuperintendentHahn gelangt, der das Gotteshaus aufschließt. Generalsuperintendent D. Möller hält die Weiherede, Superintendent Hahn die Festpredigt, und der Seminarchor trägt mehrere Lieder vor. Nachmittags um 2 Uhr ist Festessen im "Schwan" und abends 7 Uhr unter Leitung von Kantor Haupt Kirchenkonzert. Die (in der Rubachmark) im Bau begriffene Zuckerfabrik macht die Pflasterung des Pfeffermühlenwegs (später Gartenstraße, heute Richard-WagnerStraße) notwendig. Mit Kanalanlagen werden versehen die Eilenburgerstraße, Lindenstraße, Töpfergasse, Querstraße und ein Teil der Elisabethstraße. Die Kosten im Betrage von 12 424,26 Mark deckt man aus Überschüssen der Stadtsparkasse. Der Marktplatz wird mit Linden bepflanzt. Da der in den 80er Jahren geschaffene Stadtpark allzu nahe an die Schießstände der Schützengilde herangerückt ist und trotz umfassender Schutzmaßregeln ängstliche Spaziergänger sich gefährdet glauben, sieht sich das Schützendirektorium genötigt, die Beschaffung neuer Schießstände ins Auge zu fassen. Schon 1889 erkauft daher die Gilde nördlich des SchenkenbergerWegs und nordwestlich vom Stadtparke ein 15 Morgen umfassendes Akkergrundstück von den Pfotenhauersehen Erben, dem Landwirt Gutheil und dem Zigarrenfabrikanten Eichler, wo dann nach Beschluß der Gilde und den Entwürfen des Maurermeisters Nickau ein Neubau aufgeführt werden soll. Am 20. September 1890 findet nach stattgehabten Abschießen die von dem Protektor der Gilde, Landrat von Rauchhaupt, vollzogene Legung des durch den Bildhauer Zwanzig gestifteten Grundsteins statt, nachdem vorher die Musik den Choral "Eine feste Burg" intoniert hat. Die letzte, am alten Schützenhause beschossene Scheibe trägt die Inschrift: "Die letzte Scheibe, beschossen am 6. Oktober 1896, am Tage des Scheidens der Schützengilde von ihrem fast 200 Jahre alten, liebgewordenen Heim". Sie zeigt zugleich das alte Schützenhaus, darunter die Worte: "Was vergangen, kehrt nicht wieder, aber ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch zurück“.


1891
Kaum erst in Tätigkeit getreten, verläßt bereits am 20. Januar Magistratsassessor (2. Bürgermeister) Hörig Delitzsch wieder und geht nach Brieg in Schlesien. An seiner Stelle wird von den Stadtverordneten am 14. April der bisherige Stadtsekretär Franz Simon zu Weißenfels als besoldeter Magistratsassessor gewählt. Am gleichen Tage wird die Anlegung der heutigen Angerstraße beschlossen. In diesem Jahre wird der andere Teil der Elisabethstraße mit Kanalanlage versehen, ferner Angerstraße und Schäfergraben. Letztere Arbeiten ziehen sich bis in das nächste Jahr hinein. Die Kosten betragen 11 074,73 Mark. Das von der Stadt erworbene Podehl'sche Haus (an der Kirche) wird nebst der daneben gelegenen alten Küsterei abgebrochen und der dadurch gewonnene Platz mit Rotdornbäumchen bepflanzt. Drei Neubauten werden in diesem Jahre teils ganz zu Ende geführt, teils im Rohbau vollendet: 1. der Schützenhof, ausgeführt nach der vom Kgl. Baurat Lucas nur wenig geänderten Entwürfen des Maurermeisters Nickau, wobei die Zimmerarbeiten Zimmereiunternehmer Laue liefert, die Schlosserarbeiten Schlossermeister Nebel, die Tischlerarbeiten Tischlermeister Vonhof, die Glaserarbeiten die Glasermeister R. und H. Scheibe, die Klempnerarbeiten Klempnermeister Reyher, die Dachdeckerarbeiten Dachdeckermeister Uhlig, die Malerarbeiten Dekorationsmaler Pawlowski. Für das Licht sorgt die Gasanstalt, für Öfen Firma Wiesinger, für die Treppenanlage des Turms (Sandstein) Steinmetzmeister Zwanzig. Da viele fleißige Hände geschäftig sind, den Bau zu fördern, kann schon am 19., 21. und 24. Mai das erste Schützen- und Volksfest im neuen Heim gefeiert werden. Das Schützenhof-Weihefest geht einen Monat später vonstatten, in den Tagen vom 21.-24. Juni vaterüberwältigender Beteiligung aller Volkskreise. Die festliche Erleuchtung des Schützenhofs am Abend des ersten Festtags gewährt einen unvergeßlieben Anblick. Die neue Anlage enthält eine geräumige Schießhalle mit fünf Schießständen zu 175 m und einem Wildstande. Außerdem einen kleinen Festsaal mit Vereinszimmer, Gast-und Wirtschaftsräume und einem Turmanbau, der den Eindruck des Wehrhaften hervorruft. Die Kosten des Baus einschließlich des Landerwerbs werden auf etwa 65 000 Mark geschätzt. 2. Die christliche Herberge zur Heimat in der Elisabethstraße, erbaut unter der Leitung des Maurermeisters Taurck, ebenfalls von Maurermeister Nikkau. Die Baukosten betragen 41 070 Mark. Das Gebäude wird am 1. November dem Verkehr übergeben, wonach die bisher in der Ritterstraße für durchreisende Handwerksburschen aller Art unterhaltene Herberge in Wegfall kommt. 3. Die städtische Badeanstalt. Sie wird, nachdem die alte, neben der Gasanstalt gelegene schon im Vorjahre abgebrochen war, an der Promenade errichtet, wo sie sich zur Zeit noch befindet, und zwar auf Pfahlrost, wobei 203 Pfähle verwandt werden. Die Bauleitung wird vom Architekten Paul Göhring, Halle, übertragen, die Maurerarbeiten einschließlich Betonschüttung liefert Maurerpolier Gustav Thier, die Pfähle für den Pfahlrostbau Zimmermeister J. G. Pannicke. Lieferung und Anfuhr der nötigen Bruch-und Bausteine (Ziegelsteine) übernehmen Adolf Lüddecke, Henning und Karl Frey, die von Zement und Sand E Neumanns Witwe. Die Kosten des Neubaus betragen rund 56 700 Mark. Am 13. September in der Mittagsstunde findet in Gegenwart des Landrats von Rauchhaupt die feierliche Enthüllung des Schulze-Delitzsch-Denkmals unter Beteiligung einer großen Menschenmenge statt. Der Verbandsdirektor der bayrischen Genossenschaften, Probst aus München, hält von einer festlich geschmückten Tribüne aus die Festansprache, an deren Schlüsse die Enthüllung stattfindet. Hierauf besteigt Branddirektor Schulze die Tribüne und übergibt namens des Denkmalkomitees, das sich schon ein halbes Jahr nach dem 29. April 1883 erfolgten Tode des Gefeierten auf Anregung des Magistrats-Assessors Troitzsch, eines Freundes von SchulzeDelitzsch gebildet hatte, das Standbild an die Stadt, in deren Namen es Bürgermeister Reiche übernimmt. Von dieser Übernahme und im Anschlüsse an das Fallen der Hülle hat ein Chor von fast 200 Sängern unter Leitung des Kantors Haupt das Mozartsche Bundeslied zu Gehör gebracht. Verfertigt ist das Denkmal von einem geborenen Delitzscher, dem Bildhauer E. Weißenfels in München, den Erzguß führte die Erzgießerei L. von Millers, München,aus. Die Witterung des Jahres anlangend ist vor allem eine große Kälte zu verzeichnen, die den ganzen Winter überbis in den März hinein anhält und das vollständige Zufrieren der Flüsse von der Quelle bis zur Mündung zur Folge hat. Plötzlich eintretendes Tauwetter verursacht dann Hochwasser. Am 9. Juni nachmittags und 1. Juli schwere Hagelwetter, unter denen die Fensterscheiben und schlimmer noch die Feld- und Gartenfrüchte zu leiden haben. Die Einbringung der Ernte wird durch unaufhörliche Regengüsse sehr erschwert. Der Herbst wieder ist sehr milde, sogar der Spätherbst, so daß bis Mitte Dezember im Freien gearbeitet werden kann.


1892
Rektor Paasch, seit 1878 Leiter der städtischen Volksschulen und der höhern Töchterschule, verstirbt am 6. Februar. Mit der Vertretung wird Lehrer Schubert beauftragt, der seit 1865 hier in Diensten steht und Kriegsveteran von 1870/71 ist. Nachfolger des verstorbenen Rektors wird Leberecht Alfred Plummhoff aus Berlin, der sein Amt am 1. August antritt. Die Eröffnung der inzwischen fertiggestellten Badeanstalt wird, wie man am Tage vorher durch Ausrufer bekannt machen läßt, auf den 1. April, früh 5 Uhr, festgesetzt. Stadtsekretär Braune tritt am 1. Mai in Ruhestand. Sein Nachfolger wird alsbald der Sekretär Robert Dietzel. Am 30. November weilt der zu jener Zeit berühmte Meteorologe Rudolf Falb hier und hält im dicht gefüllten Saale des Gasthofs zum Schwan einen Vortrag über kritische Tage, Sintflut und Eiszeit. Betreffs der W itterungsverhältnisse des Jahres sei hier sogleich angeschlossen, daß den Sommer über eine außergewöhnliche Hitze vorherrschend ist, die große Dürre hervorruft, so daß die Blätter sich vorzeitig färben und abfallen. Durch Kundmachung vom 28. Dezember vollzieht der Magistrat wieder eine Umbenennung mehrerer Straßen. Der Pfeffermühlenweg erhält den Namen Gartenstraße, der von dieser sich nach der Zuckerfabrik abzweigende Weg den Namen Fahrikstraße, die (außerhalb der Ringmauer gelegene) Hallesche Vorstadt (früher bis zum Lober "der Damm", über den Loberhinaus "Hällischer Steinweg" genannt) gleich der innerhalb der Ringmauer in gleicher Fluchtlinie verlaufenden Straße den Namen Hallesche Straße, der Verbindungsweg zwischen der Promenade und Bitterfelder Straße den Namen Karlstraße. Der im November des Vorjahres durch Niederlegung des Podehlschen Hauses und der alten Küsterei gewonnene Platz nördlich der Stadtkirche bisher der Kirchhof genannt, heißt nunmehr "An der Kirche", ebenso wie die den Schützenplatz säumenden beiden Häuser, das frühere Schützenhaus und das gegenüberliegende damals Leubnersche Hinterhaus, künftig die Bezeichnung "Am Schützenplatz" erhalten. Der Frauenmarkt wird in Marienplatz umgetauft, Mariengasse in Marienstraße und desgleichen die Kohlgasse in Kohlstraße. Am 7. Dezember stirbt der Pfarrer an der katholischen Kirche, Bäseler und wird alsbald durch Pfarrer Bitter ersetzt. In diesem Jahre wird durch Albert Kitzing der Gasthof "Zur goldenen Krone" an der Beerendorfer Straße begründet.


1893
Am 10. Januar folgen weitere Um- und Neubenennungen von Straßen der Stadt. Die Beerendorfer Straße erhält ihren Namen, desgleichen die Gertitzer Straße, die vorher den Namen "Weg vor den Hallischen Scheunen" führte. Auch die Bitterfelder Vorstadt, die am Schäfergraben begann und bis 1904 noch vom Fiskus unterhalten wurde, wird jetzt in die Bitterfelder Straße einbezogen und erhält als deren geradlinige Fortsetzung den gleichen Namen. Die jenseits der Bahn sich erstreckende Dübener Vorstadt wird von der Dübener Straße abgetrennt, und die ganze Strecke vom Berliner Bahnhof bis zur Breiten Torbrücke erhält nunmehr den Namen Eilenburger Straße. Der untereTeil der Grünstraße wird Feldstraßebenannt. Außerdem faßt der Magistrat am gleichen Tage einen bedeutsamen und zeitgemäßen Beschluß: Die fortlaufende Numerierung sämtlicher Häuser der Stadt (von 1-447) wird aufgehoben, und es werden von nun an die Häuser jeder Straße in sich numeriert. Weitere bemerkenswerte Änderungen von Straßenbezeichnungen sind: Der Teil der Leipziger Straße, der bisher nur für das Stück vom Markte bis Holz-Ritterstraße Geltung gehabt, wird auch auf ihre Fortsetzung, bisher "Über den Lober" benannt, noch früher (bis 1841) "Prinzessinnenweg", ausgedehnt. Die bisherige Angerstraße (heute Albert Böhme-,vorher Lindenstraße) erhält zu Ehren des damaligen Bürgermeisters, der am Tage darauf (11. Januar) auf Grund seiner bereits im Juni des Vorjahres erfolgten Wiederwahl seine dritte Amtsperiode als Stadtoberhaupt antritt, den Namen "Reichestraße". Der Mühlendamm (vom Archidiakonat bis zur Stadtmühle) wird Mühlenstraße benannt Die südlich der Grünstraße hinter deren Gärten neuangelegte Straße heißt Neuestraße (später Bismarckstraße). Eine Unterscheidung zwischen großer und kleiner Schloßgasse wird aufgegeben. Am 30. September gibt der Königliche Landrat von Rauchhaupt öffentlich bekannt, daß er sich infolge andauernden Schwächezustandes habe entschließen müssen, mit dem Tage darauf aus dem ihm so lieb gewordenen Wirkungskreise zu scheiden. Bei Gelegenheit einer ihm zu Ehren am 5. Oktober veranstalteten Abschiedsfeier, zu der auch Oberpräsident von Pommer Esche, Regierungspräsident von Diest und Landeshauptmann Graf von Wintzingerode-Knorr erschienen, wird ihm seitens der Stadt Delitzsch das Ehrenbürgerrecht verliehen.


1894
Am 9. Januar wird der Nachfolger des Landrats von Rauchhaupt, der im verflossenen Herbst bereits-und zwar einstimmig-vom Kreistag gewählte Assessor von Busse, Sohn des Majors a.D. von Busse auf Rittergut Zschortau, vom preußischen König als Landrat des Kreises Delitzsch bestätigt, nachdem er die Geschäfte eines solchen auftragsweise schon vom Tage des Rücktritts seines Vorgängers an versehen. Zwei Tage später, am 11. Januar, feiert Bürgermeister Reiche sein fünfundzwanzigjähriges Amtsjubiläum als Bürgermeister von Delitzsch und wird dabei Gegenstand ganz besonderer Ehrungen. Schon am Abend vorher bringt man ihm einen Fackelzug, woran sich ein Festkommers schließt, in dem er durch Lobredner und Festlieder gefeiert wird. Gemeinschaftlich singt man mehrere, zu seinem Preise eigens gedichtete Lieder, von denen eins anhebt:

Heil dem Manne, der seit Jahren
unsre liebe Stadt regiert,
Die wohl Delitzschs beste waren,
der ein mildes Szepter führt!
Bürger, es schalle dem Guten zum Dank
Laut unser festlicher Jubelgesang!

Von der Tiefbauverwaltung wird die chausseemäßige Herstellung der frühern Angerstraße, nunmehrige Reichestraße, in Angriff genommen. In der Dübener Straße bildet sich die Böhme-Aktiengesellschaft Kakaound Schokoladenwerke, Delitzsch. Am 28. April stirbt Landrat Wilhelm von Rauchhaupt nach langem und schweren Leiden auf seinem Stammsitze Storckwitz und wird unter außerordentlich großer Beteiligung am 1. Mai in der Familiengruft an der Kirche in Schenkenberg feierlich beigesetzt. Superintendent Hahn, der nach Spören bei Zörbig geht, hält Sonntag, den 22. Juli, seine Abschiedspredigt. Die Geschäfte der Superintendentur und der Kreisschulinspektion werden bis zur Wiederbesetzung der Stelle auftragsweise von Pfarrer Schulle aus Schenkenberg versehen. Die Witterung des Jahres ist im allgemeinen günstig. Nur wird die Einbringung der Ernte durch im August auftretende reichliche Regengüsse sehr erschwert, worunter auch die Kartoffeln leiden. lm November herrscht mildes, sonniges Herbstwetter vor, um Weihnachten laue Frühlingswitterung. In diesem Jahre beginnt in Delitzsch ein neues Tageblatt zu erscheinen, die von Paul Krause begründete "Delitzscher Zeitung". Das Blatt geht nacheiniger Zeit auf C.A. Walter über und hat in den ersten Jahren seines Bestehens mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, die es aber zu überwinden verstanden hat, so daß es heute das führende Blatt in Delitzsch ist.


1895
Die chausseemäßige Herstellung auch des Beerendorfer Wegs wird ebenso wie im Jahre zuvor die der Reichestraße durchgeführt. Auch wird eine neue Kanalanlage, da sich die alte als unzureichend erwiesen, für die Bitterfelderstraße und den Gerberplan ins Werk gesetzt. Im Frühjahr wird mit dem Bau eines neuen Krankenhauses begonnen, da das alte (heute Armenhaus) modernen Anforderungen nicht entsprach. Die Bauleitung wird den Leipziger Architekten Ludwig und Hülßner übertragen, die Maurerarbeiten führt Maurermeister Nickau aus, die Zimmerarbeiten Zimmermeister Beyer, die Anlage der Dampfheizung Firma Ravens, Leipzig, die Schlosserarbeiten Schlossermeister Nebel, die Glaserarbeiten Glasermeister Leiser. Eröffnet wird das neuerrichtete Krankenhaus am 1. Oktober, wie es im Kreisblatte heißt, "ohne Sang und Klang". Die Kosten des Baus belaufen sich in runder Summe auf 116 120 Mark. Unter großer Feierlichkeit findet um 12 Uhr des 1. September die Einweihung des durch die eifrige Sammeltätigkeit eines Kriegerdenkmalskomitees unter Beihilfe der Stadt (2500 Mark) und des Kreises (3000 Mark) mitten auf dem Marktplatze aus poliertem schwedischem Granit errichteten, acht Meter hohen Siegesdenkmals statt, das von dem Schöpfer des Schulze-Delitzsch-Denkmals, Edwin Weißenfels, zum Preise von 11 500 Mark hergestellt wurde. Außer den Veteranen und den Vereinen des Kreiskriegerverbandes, die vorher schon, von 11 Uhr an, in der Kirche an einem Festgottesdienste teilgenommen und sodann vor dem noch verhüllten Denkmale sogleich in Paradestellung gegangen, deren Fronten unter Führung des Obersten von Dietfurth, Bitterfeld, von den Ehrengästen abgeschritten werden, wohnen der Feier bei die Gesang- und die Turnvereine der Stadt, die Gewerkschaften, die Schulen, die Schützengilde und die Feuerwehr, außerdem natürlich auch die Menge des schaulustigen Publikums. Nach dem Gesange des von der Musikbegleiteten Chorals "Lobeden Herren" und einer kurzen, von Magistratsassessor Simon gehaltenen Begrüßungsansprache vollzieht Archidiakonus Wüst die Weihe des Denkmals, worauf von seilen der Gesangvereine einige Männerchöre zum Vortrag kommen und die Übergabe des nun enthüllten Denkmals durch den Fabrikanten Schimpf an die Stadt erfolgt. Bürgermeister Reiche übernimmt unter Dankesworten das Denkmal namens der Stadt, und darauf werden von den Militär-und anderen Vereinen prächtige Lorbeerkränze mit Atlasschleifen am Denkmal niedergelegt. Als schönster Teil des Festaktes wird von den Teilnehmern der nun folgende angesehen: die Schmückung der Krieger durch Ehrenjungfrauen mit einer aus eroberten französischen Geschützen geprägten Denkmünze, die auf der Vorderseite die Bildnisse der drei Kaiser sowie Bismareks und Moltkes trägt und auf der Rückseite im Eichenkranz die Widmung: 1895, zum 25jährigen Gedächtnis der Sieger von 1870/71. Mit dem Vorbeimarsch sämtlicher Militärvereine vor den geladenen Ehrengästen endet die Feier, an die sich ein großer Festumzug durch die Straßen der Stadt anschließt. Auf dem Schützenplatze löst sich der Zug auf. Eine große Zahl von Festteilnehmern begibt sich dann noch zu einem im "Schwan" hergerichteten Festmahle, in dessen Verlaufe ein von Diakonus Kümmel, dem Verfasser eines in jenen Tagen in Delitzsch vielfach aufgeführten Bismarckfestspiels, in Reime gefaßter Festgruß an den Altreichskanzler in Friedrichsruh gesandt wird mit folgenden Wortlaute:

Auf Delitzschs Marktplatz ward geweiht
Ein schlichtes Siegesdenkmal heut.
Wir denken des Kanzlers mit weisem Rat,
Des tapfern Helden der schneidigen Tat,
Der uns das deutsche Reich erschuf:
Ihm gilt der Gäste Dankesruf.


1896
Nachdem Rektor Plummhoff am 30. September des Vorjahres Delitzsch verlassen, rückt mit dem l. April dieses Jahres Rektor Dr. Wegner an seine Stelle, wird jedoch von der Regierung nur als Leiter der höhern Mädchenschule bestätigt. Erst nach mehrfachem Schriftwechsel erlaubt die Aufsichtsbehörde, daß dem neuen Rektor die Leitung der Volksschulen vertretungsweise so lange übertragen werde, bis für die letzern Schulen besondere Schulleiter gefunden seien, was im Interesse eines gedeihlichen Unterrichts dringend geboten sei. Am Tage seines Dienstantritts wird Rektor Dr. Wegner durch Kreisschulinspektor Pfarrer Schalle, Schenkenberg, in sein neues Amt eingeführt. Der neue Rektor stellt bald fest, daß in der zur Zeit als Mädchenbürgerschule dienenden frühern Vorstadtschule wieder kaum noch erträgliche Raumnot herrscht. Die fünf Klassen der Schule müssen in vierunzureichenden Klassenräumen unterrichtet werden bei natürlich stark gekürztem Unterrichte. Eine Schulrevision läßt diese Mängel besonders deutlich hervortreten und veranlaßt die Kgl. Regierung, auf Abhilfe zu dringen. Man sucht sich zunächst dadurch zu helfen, daß man im Kreisblatte um Erlangung geeigneter Räume inseriert. Da hierauf jedoch kein Angebot eingeht, beschließt am 25. August die Schuldeputation den Bau einer neuen Schule, welchem Beschlüsse der Magistrat am 7. und die Stadtverordneten am 17. November zustimmen. Betreffs der Platzfrage bestehen zuerst Meinungsverschiedenheiten. In Vorschlag kommen das Kommunegut. der Pflaumenanger und das Seifert-Baersche Grundstück an der Chausseestraße. Der Streit wird dadurch schnell behoben, daß man den Baumeister Fritz Gygas aus Halle den Baugrund untersuchen läßt. Dieser erklärt nach Vornahme der Untersuchung alsbald das Grundstück an der Chausseestraße für die geeignetste Baustelle und empfiehlt in zweiter Linie den Platz vor dem Halleschen Tore, wo heute die Luisenschule steht. Daraufhin wird der Bau auf dem an der Chausseestraße gelegenen Grundstück beschlossen. Am 26. April (Sonntag Jubilate) hält Archidiakonus Wüst, der nach Berlin geht, seine Abschiedspredigt, und am 28. Juni wird der bisherige Diakonus, Pfarrer Kümmel, durch den Superintendenturverweser Pfarrer Schulle als Archidiakonus eingeführt. Am Sonntage darauf findet bereits eine zweite kirchliche Einführung statt, nämlich die des Pfarrers Richard Schäfer aus Schochwitz (geh. 2. November 1852 in Schkeuditz) als Oberpfarrer. Sie wird vollzogen durch Generalsuperintendent Vieregge. Oberpfarrer Schäfer wird zunächst mit Führung der Superintendenturgeschäfte nur beauftragt. Seine Ernennung zum Superintendenten und Kreisschulinspektor erhält er erst ein volles Jahr später. Letzteres Amt behält Pfarrer Schulle, Schenkenberg, noch bis Juli 1897. Noch eine dritte kirchliche Einführung geschieht in diesem Jahre, die des Diakonus Reinhold Kohlmann, am 11. Oktober (19. Sonnt. n. Trin.) durch Superintendenturvikar Schäfer. Ferner noch wird in sein neues Amt eingeführt, und zwar durch Kreisschulinspektor Schulle, am 21. November, vorm. 10 Uhr, der bereits am 30. Juni gewählte Rektor Richard Wiener aus Woldenberg als Leiter der Knabenvolksschule. Am Sonnabend, dem 10. Dezember, feiert der alte Ratsförster Köring sein 50jähriges Dienstjubiläum. Bald darauf tritt er in den Ruhestand. In diesem Jahre wird auch (nördlich der übrigens schon 1890 von der Stadt für reichlich 9800 Mark dem Turnverein Delitzsch 1845 abgekauften Turnhalle) die Delitzscher Dampfmolkerei errichtet und im Herbste in Betrieb genommen. Die Wetterverhältnisse gestalten sich im Hochsommer durch fortgesetztes und anhaltendes Regenwetter sehr ungünstig und erschweren das Einbringen der Getreideernte. Auch leiden Grumt und Kartoffeln sehr unter der übermäßigen Nässe. Anstelle des katholischen Pfarrers Bitter, der Delitzsch verläßt, tritt Pfarrer Friedrich Helle.


1897
Zum ersten Januar des neuen Jahres wird der seit 1. Juli 1895 als Polizeisekretär hier tätige Gustav Fricke zum Stadtsekretär berufen, und zwar als Nachfolger des an Stelle des bereits am 30. Juni 1895 nach Hoym als dortiger Bürgermeister übergesiedelten Robert Dietzel am Tage darauf bestellten Stadtsekretärs Theodor Huth, der aber, zum Bürgermeister von Preitin gewählt, schon Weihnachten 1896 die Stadt wieder verläßt. Gustav Fricke hat der Stadt bis zu seinem 1926 erfolgten frühen Tode langjährige treue Dienste geleistet. Er ist auch der Bearbeiter und Herausgeber des am 10. April 1904 erschienenen ersten Adreßbuchs für Delitzsch gewesen. Noch vor Frühjahrsbeginn wird der Bau der Mädchenbürgerschule begonnen. Bauleiter ist Architekt Alfred Ludwig aus Leipzig. Die Maurerarbeiten führt aus Bauunternehmer August Berger, die Sandsteinarbeiten die Firma Stock und Teubner, die Eisenkonstruktionsarbeiten B. Wiesinger, die Dachdeckerarbeiten Dachdeckermeister Karl Schöbel, die Klempnerarbeiten Louis Miethe Nachfl., Leipzig, Blitzableiter-und Klingelanlage Klempnermeister Fritz Reyher, die Malerarbeiten Dekorationsmaler G. Scholz, Stuckarbeiten Firma G. Glück Nachfl., Halle, Tischlerarbeiten Tischlermeister R. Schmidt, die Glaserarbeiten werden geliefert von den Glasermeistern Leiser, Lampe und Rieh. Scheibe, Delitzsch, sowie Paul Petersohn, Leipzig, die Schlosserarbeiten von den Schlossermeistern Herm. Mietzsch und Robert Nebel, die Zimmerarbeiten von Zimmermeister Oskar Pannicke und Unternehmer Herm. Laue. Die Treppenstufen (Granit) und den Treppenaufbau liefert das Granitwerk Bibersberg in Markleuthen. Die Gesamtkosten des Baus belaufen sich in abgerundeter Summe auf 163 080 Mark. Gebaut wird daran noch bis in das Frühjahr 1899 hinein. Am 22. März wird der 100jährige Geburtstag Kaiser Wilhelm 1. festlich begangen (Zentenarfeier). Die Feier geht in ähnlicher Weise vonstatten wie die der Siegesdenkmalweihe 1895. Auf dem Marktplatze vor dem Denkmale findet ein Festakt statt, hierauf Umzug durch die Stadt und am Abend große Illumination. Das Wetter des Jahres ist wieder einmal recht ungünstig. Die Wintermonate sind kalt, desgleichen der Mai, in dem regnerische Witterung vorherrscht. Am 28. Mai schlägt der Blitz in den Turm der Gottesackerkirche und wirft die Schieferbedachung der Westseite herab. In der Erntezeit entsteht durch unaufhörlichen Regen in der Muldenaue ein recht schweres Hochwasserunglück. Am 1. August, früh 5 1/2 Uhr, überflutet die Mulde bei Bitterfeld ihre Ufer, und infolgedessen bricht gegen Mittag der Damm gegenüber von Niemegk, wodurch die ganze Muldenaue unter Wasser gesetzt wird. In den Straßen von Eilenburg steht dieses meterhoch. In Hainichen stürzt infolge der Hochwasserfluten das Schulhaus ein. Die Rösaer Flur gleicht einem Meer, und in Düben dringt das Wasser in Höfe, Häuser und Gärten. In Zschepplin bricht in der Nacht der Damm an drei verschiedene Stellen, und die Bewohner des vollständig überfluteten tiefer gelegenen Dorfteils müssen auf die Hausbodenräume flüchten, von wo sie am anderen Morgen erst durch Kähne gerettet werden können. Am 7. August erläßt der Delitzscher Kreisausschuß einen Aufruf um Hilfe für die unverschuldet in Not geratenen Muldenaubewohner des Kreises. Infolgedessen gehen Unterstützungen ein nicht nur aus der näheren Umgebung, wie Halle, Magdeburg, Merseburg, Sangerhausen, Oberröblingen, sondern auch von Landsleuten aus Schweden und Portugal. Durch Gustav Hildebrand wird in diesem Jahre das Café "Drei Raben" eröffnet.


1898
Direktor Kayser, der langjährige Leiter der vor länger als einem Jahrzehnt zu einem Realprogymnasium umgewandelten höheren Knabenbürgerschule, tritt am 1. April in den Ruhestand; mit ihm gleichzeitig Oberlehrer Günther. Zum Nachfolger Kaysers wird Dr. Hermann Wahle erwählt, der am 1. Oktober in sein neues Amt eingeführt wird ,jedoch, da die Schule inzwischen zu einer Realschule umgewandelt, als Realschuldirektor. Am 19. Juni wird nach dem Plane des Stadtbaurats Genzmer, Halle, von einer Kommission und dem Magistrat die Kanalisierung in der Bismarckstraße, damals noch Neue Straße geheißen, und die der Leipziger Vorstadt beschlossen, ferner die Herstellung eines Hauptkanals vom Kohltore bis zur Gerberwäsche. Die Ausführung des Beschlusses zieht sich aber sehr in die Länge und kommt erst sechs Jahre später zustande. Durch Anzeige der Oberschwester des Krankenhauses werden Unterschleife des Magistratsassessors Simon aufgedeckt, der für das Krankenhaus bestimmte Waren für seinen Hausbedarf verwendet, auch Lieferanten zur Führung falscher Bücher und Einreichung falscher Rechnungen verleitet hatte. Simon wird daraufhin am 7. September durch den Kgl. Regierungsrat Dittmar vom Amte entfernt. Auch Bürgermeister Reiche wird 14 Tage später wegen dringenden Verdachts der Beihilfe seines Amtes für verlustig erklärt, jedoch behalten sich die städtischen Behörden ihm gegenüber die Beschlußfassung über etwaige Pensionierung bis nach dem Ausgange des Strafverfahrens vor. Zur vorläufigen Verwaltung der Bürgermeistergeschäfte wird durch den Regierungspräsidenten am 24. September der Regierungsreferendar v. Helldorf-Baumersroda entsandt, der die Amtsgeschäfte bis 19. Dezember versieht und sodann, nachdem am 16. Dezember in der Person des bisherigen Bürgermeisters von Gronau, Prov. Hannover, Ernst Rampoldt, die Wahl eines neuen Bürgermeisters erfolgt, durch Magistratsassessor Rose bis zur Einführung Rampoldts ersetzt wird. Der Bau der neuen Mädchenschule wird das Jahr über fortgesetzt, ohne indes beendet zu werden. Nebenher wird in diesem Jahre noch ein andrer großer Bau in Angriff genommen und auch zu Ende geführt: der Rathausanbau nach der Ritterstraße zu. Der Bauleiter ist derselbe wie der des Schulneubaus, Architekt Ludwig, Leipzig. Die Maurerarbeiten führt Maurermeister Nickau aus, die Schlosserarbeiten Schlossermeister Mietzsch, die Tischlerarbeiten Tischlermeister Vonhof, die Granit- und Sandsteinarbeiten Steinmetzmeister Klöpzig, die Isolier-und Asphaltierungsarbeiten Firma Hoppe & Röhning, Halle, Klempnerarbeiten Firma Fritz Reyher, Glaserarbeiten Glasermeister H. Scheibe. Lieferanten für Zimmer- und Eisenkonstruktionsarbeiten sind die gleichen wie beim Mädchenschulbau. Die Gesamtkosten des Rathausanbaus betragen 33 384,79 Mark. An Stelle des am 14. Dezember ausscheidenden Magistratsassessor Troitzsch, der zum Stadtältesten ernannt wird, wählt man den bisherigen Stadtverordneten Alfred Brembach.


1899
Der Gerichtsassessor a.D. und Bürgermeister Rampoldt wird am 14. Januar in sein neues Amt eingeführt. Für den Polizeibezirk der Stadt Delitzsch tritt mit dem 2. Februar eine neue Straßenpolizei-Verordnung in Kraft, betreffend die Reinhaltung der öffentlichen Straßen und dergleichen. Gemäß einem Antrage des neuen Stadtförsters, Lücke mit Namen, vom 19. Dezember des Vorjahres wird der Anbau einer Stube und Kammer an das Forsthaus beschlossen und dessen alsbaldige Ausführung dem Maurermeister August Berger zudem vorausbedungenen Preise von 3700 Mark übertragen. Im März (begonnen am 14.) wird, da die Stelledes dortigen, zum Stundenanschlage verpflichteten Türmers erledigt ist und unbesetzt bleibt, im Hallesehen Turme eine Turmuhr zur Aufstellung gebracht. Am 6. Mai, vorm. 11 Uhr, kann endlich die Weihe der Mädchenbürgerschule stattfinden. Sie vollzieht sich vor dem vordern Hauptportale unter Beteiligung der städtischen und Aufsichtsbehörden, der Eltern der Schulkinder sowie sonstiger Bürger und Freunde der Schule. Nach Absingen eines Chorals und Übergabe des Schlüssels an Bürgermeister Rampoldt durch Architekt Ludwig werden Ansprachen gehalten, zuerst von Bürgermeister Rampoldt, der am Schlüsse ein Hoch auf des Kaisers Majestät ausbringt und den Schlüssel an den mitanwesenden Regierungs- und Schulrat Martin weitergibt, der ihn unter Dankesworten für das Interesse und Verständnis der städtischen Behörden an der Schularbeit dem Rektor Dr. Wegner aushändigt. Sodann folgt die Ansprache des Kreisschulinspektors Sup. Schäfer, worin dieser auf das Verhältnis zwischen Schule und Haus eingeht und die Weihe vollzieht. Zuletzt spricht Rektor Dr. Wegner im Namen der Lehrerschaft und schließt mit den Worten: "So solid wie dieser Bau sei unsre Lehrarbeit!" worauf er das Haus öffnet unter dem Ausspruche: "Zur Ehre Gottes, zum Heile des Vaterlandes, der Jugend zum Besten!" Nach dem Schlußgesange ("Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre") findet noch die Besichtigung der Schulräume statt. Einige Tage vorher, am 1. Mai, wird die Stadtsteuereinnahme von der Stadthauptkasse abgetrennt und in der Person des bisherigen Supernumerars Herm. Rosch ein Steuereinnehmer mit dem Titel Steuersekretär angestellt, desgleichen als Gegenbuchführer der Buchhalter Bernhard Jungnickel. Steuererheber und Vollziehungsbeamter wird gleichzeitig der bisherige Wächter Otto Brosig. Auch wird an Stelledes krankheitshalber in den Ruhestand getretenen Stadthauptkassenkassierers Rose der bisherige Buchhalter der Stadthauptkasse, Wilhelm Rudloff, zum Nachfolger Roses und der bisherige Gerichtskanzlist Oskar Meley zum Hauptkassenbuchhalter ernannt. Dem infolge Ablaufs der Wahlperiode aus dem Kollegium ausgeschiedenen Stadtverordnetenvorsteher Sanitätsrat Dr. Laue wird das Ehrenbürgerrecht zuerkannt. Nach Eröffnung der neuen Mädchenbürgerschule läßt die Landesbauinspektion Halle die Chausseestraße von der Kohltorbrücke bis zur Einmündung in die Leipzigerstraße pflastern und zur Dämpfung des Wagengerassels vor der Schule Schienen legen. Am 16. Mai wird die Reichestraße in Lindenstraße umbenannt, und am 16. Juli wählen die Stadtverordneten einstimmig den schon vorher auftragsweise beim Magistrat beschäftigten Kammergerichtsreferendar Securius, einen Verwandten des früheren Bürgermeisters, zum besoldeten Beigeordneten (2. Bürgermeister), da der frühere Beigeordnete Simon vom Schwurgerichte in Halle am 13. Mai für seine strafbaren Veruntreuungen zu fünf Jahren Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt wurde. Gegen Bürgermeister Reiche wird vor der Strafkammer des Landgerichts Halle am 30. August verhandelt. Die Verhandlung endet mit Freisprechung. Doch haben die mit der Strafverfolgung verbundenen Gemütsbewegungen dem inzwischen nach Charlottenburg verzogenen alten Manne so zugesetzt, daß er im selben Jahre noch stirbt. Auch der im übrigen reumütige Simon stirbt vorzeitig, und zwar 1902, noch bevor er die ihm zuerkannte Strafe völlig abgebüßt, in geistiger Umnachtung. Auf Beschluß der städtischen Körperschaften wird mit dem 1. Oktober ein städtisches Bauamt errichtet. Erster Stadtbaumeister ist der vorherige Stadtbauamtsassistent Julius Kessel in Wiesbaden. Der schon im Vorjahre von Magistrat und Stadtverordneten auf Anregung des "Vereins zur Erschließung der Altstadt" beschlossene Durchbruch der Stadtmauer am Ostende der Holzstraße kommt nunmehr zur Ausführung. Zur teilweisen Kostendeckung hat der Verein eine von 75 Interessenten durch freiwillige Spende erbrachte Summe von 5000 Mark der Stadt zur Verfügung gestellt. Um den nötigen Raum für den Bau einer Brücke über den Stadtgraben zu gewinnen, wird nicht nur von der verw. Frau Pfotenhauer ein Stück Zwinger erworben, sondern auch das in der Mauergasse gelegene Haus des Schneidermeisters Feodor Kluge sowie das daneben gelegene Queitzsche Haus. Ersteres kostet 7500, letzteres hat den Preis von 5400 Mark. Die Herstellung der eisernen Brücke erfordert einen Aufwand von rund 31 000 Mark. Der Magistrat legt ihr im Jahre darauf den Namen "Holzstraßenbrücke" bei. Im Volksmunde jedoch heißt sie allgemein ihrer schrägen Richtung wegen "schiefe Brücke". Im Beginne des Mai eintretende starke Regengüsse verursachen Hochwasser. Infolgedessen verunglücken bei der Überfahrt auf der Löbnitz-Rösaer Fähre 11 auf dem Wege zum Turnfeste in Rosa befindliche Menschen, worunter 7 Turner, am Sonntag, dem 7. Mai. Das Unglück geschieht, weil der Prahm zufolge des Hochwassers unbenutzbar ist und der zur Überfahrt benutzte Kahn sich von dem mittels Kette befestigten, über eine Rolle laufenden Seile loslöst, worauf er von einem Wirbel erfaßt wird und umschlägt.


1900
Am 1. April wird der schon seit 15. August 1897 als Polizeisekretär hier tätige August Stephani zum Polizeikommissar ernannt. Im Verlaufe des Jahres wird der östliche Teil der Eilenburger Straße gepflastert und die vom Eisenbahnfiskus bereits gepflasterte und ausgebaute Eisenbahnstraße durch die Stadt in Unterhalt genommen. Die von der Securiusstraße nördlich abzweigende neue Straße führt auf Magistratsbeschluß vom 26. September vom l. Oktober an den Namen Schulze-Delitzsch-Straße.


1901
Am 3. Januar erhält der östlich der Berliner Bahn entlang laufende Weg den Namen Berliner Straße, desgleichen der östlich von der Wiesenstraße nach der Elberitzmühle abzweigende Weg den Namen Blumenstraße. Durch Ortsstatut vom 30. Juli und 13. August erhalten die Magistratsmitglieder den Titel "Stadtrat". Die Freilegung und Regulierung des Gerberplans wird unternommen, jedoch erst im Jahre darauf beendet. Auch erhält diese Straße einen Bürgersteig aus Mosaikpflaster, gleicherweise wird die Dübener Straße zum größern Teile mit Bürgersteigen versehen. Der Beigeordnete Securius geht am 9. Oktober als Bürgermeister nach Küstrin. Am 3. Dezember erhält der vordem Südostplatz genannte Platz am Südausgange der Wiesenstraße den Namen Elberitzplatz und der Weg im Hain den Namen Hainstraße. Der Winter bringt scharfe Kälte und vom 19. Februar an starke Schneeverwehungen, die den regelmäßigen Bahnverkehr gefährden. Ein in der Nacht vom 27. zum 28. Januar tobender Sturm reißt in der Wiesenstraße eine Mauer um. Frühling und Sommer sind gewitterreich. Am 20. Juli erschlägt ein Blitz am Quirlbusch von drei nebeneinandergehenden Pferden das rechte und linke, während das mittlere unversehrt bleibt.


1902
Nachdem die Frage der Einrichtung einer Wasserleitung die städtischen Körperschaften schon mehrfach beschäftigt hat, wird in der Stadtverordnetensitzung vom 14. März folgender Beschluß gefaßt: "Auf dem Hospitalfelde (Nordseite der Stadt)", links der Bitterfelder Chaussee, sollen drei Brunnen sowie ein Maschinenhaus für das Pumpwerk, eine Wohnung für den Wärter usw. angelegt werden. Auf der Südseite der Stadt, also in der entgegengesetzten Richtung, soll auf dem hochgelegenen Zanderschen Mühlplatz ein Wasserturm mit einem 30 m hoch anzulegenden, 300 cbm wasserfassendes Sammelbecken errichtet werden. Letzteres wird durch ein 225 mm starkes Rohr mit dem Pumpwerk verbunden. Daran anschließend erhält die Stadt ein strahlenförmiges Rohrnetz. "Weitere an diesem Tage gefaßten Beschlüsse beziehen sich auf den mutmaßlichen Wasserverbrauch im Haushalt und zu Feuerlöschzwecken, desgleichen auf die Deckungder Kosten, die auf insgesamt 430 000 Mark veranschlagt werden. Die Summe soll bei der Stadtsparkasse leihweise aufgenommen, mit 3'/2 % verzinst und mit 1 % nach und nach getilgt werden. Versuchsweise vorgenommene Pumpversuche und Bohrungen liefern ein günstiges Ergebnis. Dajedoch die Genehmigung der Regierung auf sich warten läßt, kann erst am 26. Novemberder erste Spatenstich zur Anlage der Pumpstation getan werden. Mit der Bauleitung ist der Ingenieur Saalbach beauftragt, der den Ingenieur Tietz mit seiner Vertretung betraut. Die Stadt kauft die von der Zuckerfabrik aus Privathänden erworbene Stadtmühle nebst Staugerechtigkeit zurück. Aus Mitteln, gestiftet durch letztwilliges Vermächtnis von der 1814 in Löbnitz geborenen und 1898 in Delitzsch verstorbenen Frau Rentner Johanna Christiane Wedel, geh. Krahnefeld wird die Friedhofskapelle erbaut. Am 1. Oktober legt Rektor Dr. Wegner sein Amt als Mädchenschulrektor nieder und verläßt Delitzsch. Am 26. März tritt der schon im November des Vorjahres gewählte Bürgermeister Pütz aus Brotterrode sein Amt als z. Bürgermeister an. Die Witterung des Jahres ist fast durchweg ungünstig und unfreundlich.


1903
Am 3. Januar wird mit der Rohrnetzlegung der Wasserleitung begonnen. Nach einem Berichte des Ingenieurs Saalbach sind bis zum 4. April schon 9300 m Rohre und 1600 m Kabel gelegt. Am 20. August läuft bereits das erste Wasser durch die Leitung, und diese kann am 1. Oktober dem Betriebe übergeben werden. Die Übernahme durch die Stadtgemeinde geschieht am 4. November. Der Konsumverein für Delitzsch und Umgegend wird gegründet. Rektor Paul Eichler, der aus Pommern kommt, wird nach Delitzsch berufen und am 1. April durch Kreisschulinspektor Sup. Schäfer in sein Amt als Töchterschulrektor eingeführt. Durchgeführt werden die Pflasterung der Leipziger Straße von der Loberbrücke bis zur Gartenstraße und die Verbreiterung der Fahrbahn in der Pfortenstraße. Am 1. Oktober tritt Kantor Haupt in den Ruhestand. Ihm zu Ehren findet am 3. Oktober, vormittags, in der städtischen Turnhalle eine Abschiedsfeier statt. Die Wetterlage im Jahre gestaltet sich wechselvoll und zeitigt mehrfache orkanartige Stürme, auch verheerenden Hagelschlag.


1904
Am 15. März wird die Weiterführung der Neuen Straße (später Bismarckstraße) durch Einbeziehung der zweiten Scheunengasse beschlossen. Am gleichen Tage erhält die quer von der Eilenburger Straße nach beiden Scheunengassen führende Straße den Namen Poststraße. Zu dieser Zeit macht sich innerhalb der Bürgerschaft ein starkes Verlangen nach Ausbau der Realschule zu einer Oberrealschule geltend. Nicht weniger als drei Eingaben mit zusammen mehr als 400 Unterschriften gelangen Anfang April an die städtischen Körperschaften, die daraufhin die nötigen Schritte zur Erfüllung dieses Wunsches tun und die Umwandlung vollziehen. Die Umpflasterung der Dübener Straße und eines Teils der Halleschen Straße wird durchgeführt. Der Kostenaufwand beträgt 22 531,49 Mark. Die längst erwartete und seit Jahren geplante, unterm 15. August höhern Orts erteilte Genehmigung zur Neukanalisation trifft endlich ein, und man geht nun ohne Aufschub daran, die Kanalisation nach den Genzmerschen Plänen in Ausführung zu bringen. Einer an der ehemaligen Naundorfer Mühle be findlichen Abwässerreinigungsanstalt werden sämtliche Kanalwässer durch einen in der Nähe des Lober eingebauten Schmutzwasserkanal zugeführt. Die Arbeitsleistung wird der Firma Otto Maye & Co. übertragen. Die Steitiner Schamottefabrik verkauft die hiesige Gasanstalt an die Thüringer Gasgesellschaft, deren Sitz Leipzig ist. Die Käuferin tritt die Bewirtschaftung der Gasanstalt am 1. September an. Vorher schon, im März, hat die Stadtbehörde auf Anregung der Verkehrsdeputation Schritte getan, daß die Zahl der Gaslaternen auf 236 (in Abständen vonje 50 m) erhöht werde, wovon 91 als sog. Richtungslaternen die ganze Nacht über brennen sollen. Der Pfarrer an der katholischen Kirche, Friedrich Helle, verläßt Delitzsch, und Pfarrer Josef Stahl tritt an seine Stelle. Am 1. April tritt Lehrer August Prinz aus Petersburg bei Wallwitz als Nachfolger von Kantor Haupt seinen Dienst als Kantor der hiesigen Stadtkirche an. Pfarrer Jentzsch wird als 3. Geistlicher eingeführt. Das Jahr kennzeichnet sich als gutes Obst-und Weinjahr. Anhaltende Dürre im Sommer und früh, nämlich schon Mitte September, eintretende Nachtfröste rufen allerdings eine teilweise Mißernte der Feld-und Gartenfrüchte hervor.


1905
Zur Pflege und Beaufsichtigung der seit Errichtung des neuen Friedhofs mehrfach erweiterten städtischen Anlagen wird gemäß einem Besehlusse vom 15. November des Vorjahres am 20. Februar ein besonderer Stadtgärtner angestellt, und zwar in der Person des Gärtners Artur Kampf. Durch Dr. med. Herold wird die freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz begründet, deren Vorsitzender zunächst 1. Bürgermeister Rampoldt wird, während das Schriftführeramt Seminarlehrer Etzold übernimmt. Am 28. April wird beschlossen, an dem Durchbruch der Münze über den Stadtgraben eine eiserne Fußgängerbrücke von 15-18 m Spannweite durch die Firma Maye & Co., Dessau, zu dem mit dieser Firma vorausbedungenen Preise von 6650 Mark errichten zu lassen. Der Bau macht sich notwendig, um die Teilungdes Stadtgrabens durch einen Damm zu verhindern, der nach ursprünglichem Plane der Kanalisation wegen aufgeführt werden sollte. Wegen der bevorstehenden Feier des hundertsten Todestages des Dichters Schiller (9. Mai) wird der Brücke von vornherein der Name "Schillerbrücke" zugedacht und beigelegt. In diesem Jahre wird auch noch eine zweite Brücke neuerbaut, und zwar auf Antrag des Magistrats vom 1. September eine breite Fahrbrücke an Stelle der bisherigen sehr schadhaften Fußgängerbrücke zwischen Stadtgraben und Stadtmühle, welch letztere Brücke abgebrochen wird. Gleichzeitig wird bei dieser Gelegenheit der nördliche Teil der Pfortengasse durch Abtrennung eines Stücks der Stadtmauer und des östlich anliegendenZwingers verbreitert. Auch wird die alte kiesige Straße neugepflastert, nachdem man sie mit dem Pfluge aufgerissen und sodann geebnet hat. Zur Straßen- bzw. Kanalreinigung werden noch beschafft zwei Sprengwagen, jeder zum Preise von 850 Mark, und Kanalbürsten im Gesamtpreise von 582,20 Mark. Zweiter Bürgermeister Pütz geht am 30. Juni als Bürgermeister nach Lübbekke in Westfalen. An seiner Stelle wird Bürgermeister Hagedorn aus Hasselfeldeim Hau berufen, der jedoch erst mit Beginn des neuen Jahres seinen Dienst antritt. Pfarrer Kümmel verläßt Delitzsch und geht nach Quedlinburg. Das Wetter des Jahres gestaltet sich im Sommer zur Erntezeit infolge sehr häufiger Gewitter ungünstig und erschwert das Einbringen der Ernte. Sogar wächst vielfach der Roggen aus.


1906
Aus Anlaß der Silberhochzeitsfeier des Kaiserpaares (am 27. Februar) werden gemäß des Magistratsbeschlusses vom 24. gleichen Monats die nachbenannten Promenaden und Straßen wie folgt bezeichnet: 1. Von der Stadtmühle bis zum Roßplatz: "Kaiser Wilhelm-Promenade", 2. vom Roßplatz bis zur Leipziger Straße: "Auguste Viktoria-Promenade", 3. vom Leipziger Tor bis zum Halleschen Tor: "Ehrenberg-Promenade", 4. vom Halleschen Tor bis zur Stadtmühle: "Schloß-Promenade". B. Straßen: a) die bisherige Neue Straße einschließlich der zweiten Scheunengasse: "Bismarckstraße", b) die erste Scheunengasse: "Moltkestraße", c) die von der Gartenstraße sich abzweigende Straße Y: "Mozartstraße", d) die Straße von der Dübener Straße nach der Eisenbahnwerkstätte: "Wittenberger Straße", e) die Straße M: "Buddestraße". Der schon im Vorjahre begonnene Oberrealschulanbau wird beendet. Die im Anbau befindlichen beiden Klassenräume sowie der Zeichensaal werden alsbald in Benutzung genommen, was im Vorjahre schon mit den Räumen für physikalischen und chemischen Unterricht geschehen. Die Gesamtkosten des Anbaus betragen genau 73268,29 Mark, allerdings einschließlich der Aufwendung für den zwei Jahre später erfolgten Ausbau des Festsaales der Schule. Die den Bau ausführenden Werkmeister sind im großen und ganzen die gleichen wie die am Mädchenschulbau beteiligten. Für Lieferung der Glasarbeiten werden außer Glasermeister Werner, Delitzsch, noch verpflichtet Glasermeister Mietzsch, Leipzig-Plagwitz, und für die Kunstglasfenster Inder Aula Horst Schulze, Leipzig, der die Motivskizzen dazu liefert. Die Stuckarbeiten führt die Firma Wollstädter, Leipzig-Eutritzsch, aus, die Schmiedearbeiten Schmiedemeister Hinkefuß von hier, die Malerarbeiten neben den Malermeistern Pawlowski und Scholz auch die Firma Krautheim und Voß, Delitzsch. Die Silberhochzeit des Kaiserpaars wird hier sehr feierlich begangen. Schon am Abend vorher findet ein von den vereinigten Kriegervereinen veranstalteter, höchst eindrucksvoller Fackelzug statt, an den sich im Schützenhause ein Kommers schließt. Den städtischen Behörden bieten die Feierlichkeiten Anlaß zu noch folgenden Beschlüssen: 1. Den Kriegsveteranen mit einem Einkommen bis zu 900 Mark wird die Kommunaleinkommensteuer dauernd erlassen; 2. nicht steuerpflichtigen Veteranen ist alljährlich am Hochzeitstage eine Spende vonje 5 Mark zuzahlen; 3. der gleiche Betrag soll allen über 70 Jahre alten steuerfreien Einwohnern, die sich dessen würdig erweisen, am Hochzeitstage zugewendet werden; 4. dem Bürgerhospitale soll ein bisher leihweise zinslos überlassenes Kapital von 4000 Mark endgültig überwiesen und die Summe von 2000 Mark zur Deckung von Umbaukosten geschenkt werden. In der Zeit vom 25. März bis 1. April findet im Bürgergarten die vom Regierungspräsidenten Freiherrn von der Recke im Beisein des Landrats von Busse, der städtischen Körperschaften und der Aussteller eröffneten 2. Handwerkerausstellung statt, die von den hervorragenden Leistungen des Delitzscher Handwerks Zeugnis ablegt und zahlreich besucht wird. Die Bau-und Verkehrsdeputation hat schon im Vorjahre die Umschaffung des Promenadenteils von der Holzstraßen-bis zur Schillerbrücke in gärtnerische Anlagen beschlossen, weshalb die hinter der westlichen Häuserreihe der Kohlstraße angelegten Gärten eingehen müssen. Planierung, Besäen und Bepflanzen der Böschung dieses Promenadenteils findet im Laufe dieses Jahres statt. Der seit 1887 hier als Küster an der Marktkirche angestellte Fr. Otto Theod. Günther (früher Lehrer in Brodau) wird in Ruhestand versetzt. Sein Nachfolger wird als erster Küster im Hauptamte der noch jetzt im Amte befindliche Adolf Nasserke. Am 3. Dezember scheidet der fast 26 Jahre im Dienste der Stadt tätig gewesene Stadthauptkassenrendant Karl Otto aus dem Leben. Der Winter des Jahres ist mild bis Mitte März. Dann starker Schneefall und hierauf Regengüsse, wodurch Hochwasser entsteht. Frühling und Sommer sind gewitterreich, doch sind Getreide-und Obsternte gut. Im Herbste Mäuseplage.


1907
Die Kgl. Regierung verlangt im Interesse eines gedeihlichen Unterrichts die Anstellung auch eines Rektors für die Mädchenbürgerschule, was Kreisschulinspektor Sup. Schäfer schon im Jahre vorher gefordert hat. Der Magistrat bittet um zwei Jahre Aufschub, was zwar bewilligt, aber als äußerste Grenze erklärt wird. An Stelle des verstorbenen Rendanten und Hospitalvorstehers Otto wird am 1. April der bisherige Kassierer Rudloff zum Stadthauptkassenrendanten ernannt, während der bisherige Buchhalter Meley zum Kontrolleur aufrückt. Nach einem schon am 24. November 1905 mit der Eisenbahnverwaltung abgeschlossenen Vertrage wird in diesem Jahre der bereits im Vorjahre begonnene Bau einer Eisenbahn-Hauptwerkstätte eifrig betrieben, jedoch erst im folgenden Jahre beendet. Nach im Vorjahre vorangegangenen Beratungen mit der Allgemeinen Elektrizitätslieferungs-Gesellschaft wird nunmehr die Zentrale zur Einführung der Elektrizität für Leucht- und Kraftzwecke errichtet. Lehrer Emil Sauerteig übernimmt am 1. Juli das Amt eines Organisten an der Stadtkirche, nachdem sein Vorgänger, Organist Kimsiedt, in Ruhestand getreten. Der z. Bürgermeister Hagedorn geht als Bürgermeister nach Gronau (Westfalen) und scheidet am 30. September aus. An seine Stelle wählen die Stadtverordneten am 22. November den 1. Ratsherren Paul Lange in Detmold, der jedoch erst im nächsten Jahre die Stellung antritt. Der schon im Vorjahre beschlossene Ersatzbau für die schadhaft gewordene Holzbrücke am Leipziger Tore wird in diesem Jahre von dem Anhalter Betonwerk Otto Maye & Co. Dessau, ausgeführt. Das Brüstungsgeländer dazu liefert Schlossermeister Wandt von hier, allerdings erst im nachfolgenden Jahre. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 19 111,56 Mark, die größtenteils aus Sparkassenüberschüssen gedeckt werden. Was das Wetter anlangt, so erweist sich in diesem Jahre der Winter besonders hart und andauernd. Im Sommer verursachen heftige Gewitterregen an vielen Orten Überschwemmungen. Auch der Leber überflutet die angrenzenden Wiesen und Felder. September und Oktober zeichnen sich durch prächtiges Herbstwetter aus.


1908
Dieses Jahr ist ein Jubeljahr für Delitzsch. Es feiern ihr 50jähriges B estehen: 1. der von Schulze-Delitzsch gegründete Gewerbeverein; 2. die nach der diesjährigen ersten, von neun Abiturienten bestandenen Abgangsprüfung als Vollanstalt vom Minister endgültig anerkannte Oberrealschule; 3. die höhere Mädchenschule. Außerdem wird am 29. August auch der 100jährige Geburtstag von Schulze-Delitzsch gebührend gefeiert. z. Bürgermeister Lange tritt am 1. März sein Amt an und wird vom 1. Bürgermeister am 13. gleichen Monats eingeführt. An die Stelle des abberufenen Pfarrers der katholischen Kirche, Josef Stahl, tritt der aus dem Westfälischen stammende Pfarrer Anton Köhne, der zur Zeit noch hier wirksam ist. Am 1. Oktober wird die Eisenbahn-Hauptwerkstättein Betrieb genommen. Vorher schon ist mit dem Bau von Beamten-und Arbeiterhäusern nördlich des Schützenhofgeländes und am Westrande der Bitterfelder Landstraße begonnen worden. In diesem Jahre wird die gründliche Erneuerung des recht schadhaft gewordenen Innern der Hospitalkirche begonnen. Sie nimmt zwei volle Jahre in Anspruch und wird ausgeführt nach den Anweisungen des Provinzial-Konservators Landesbaurat Hiecke in Merseburg durch den Kunstmaler Weßner in Collenbey und den hiesigen Malermeister Pawlowski. Verdient gemacht um die Wiederherstellung der Kirche haben sich ferner: Geheimer Baurat Beißner, Regierungsrat Dr. Dehne und Regierungsbaumeister Gensel. Für Wiederherstellung und Ausschmückung sind insgesamt aufgewendet worden 11 051,98 Mark. Seit ihrer Wiederherstellung ist die Kirche "wohl die stilgerechteste und eine Sehenswürdigkeit der Delitzscher Gemeinde". Eine furchtbare Wetterkatastrophe bricht am Abend des 22. Mai über unsere Gegend herein. In Delitzsch fallen Hagelstücke von Taubeneigröße und zersplittern zahlreiche Fensterscheiben. Ein Blitz zerstört einen Teil der obern Umfassungsmauer vom Fabrikgebäude der Walzmühle. Eine vor dem Sorauer Bahnhofe stehende Pappel wird vom Blitz gespalten. Auch andere Ortschaften des Kreises werden schwer heimgesucht. In Krostitz-Hohenleina tritt infolge der wolkenbruchartig herabstürzenden Wassermassen das Leineflüßchen aus den Ufern und setzt den ganzen in der Niederung gelegenen Dorfteil von Großkrostitz unter Wasser, wovon eine Scheunenwand völlig eingedrückt wird. Am schwersten wird das unweit des Dammes der Sorauer Bahn halbwegs zwischen den Stationen Krensitz und Kämmereiforst gelegene Dorf Boyda betroffen. Da die hier niederstömenden Wasserfluten sich am Bahndamme stauen, wenden sie sich übermannshoch gegen das Dorf zurück, dringen dort in die Gehöfte und zerstören 13 Gebäude. Nur mit Mühe gelingt es, die gefährdeten Menschen nebst ihrem Vieh zu retten. Am 4. November kurz nach 14 Uhr erfolgt eine dreimalige Erderschütterung, die sich zwei Tage darauf frühmorgens wiederholt. Auch am 19. Dezember um die gleiche Morgenzeit macht sich ein Erdstoß bemerkbar, der diesmal mit einem anhaltenden Rollen verbunden ist.


1909
Rektor Karl Burchardt, der von Halle kommt, wo er seine bisherige Lehrertätigkeit an den Francke'schen Stiftungen ausübte, wird am 1. April durch Kreisschulinspektor Sup. Schäfer in sein Amt als Rektor an der hiesigen Mädchenbürgerschule eingeführt. Der Bau einer längst geplanten neuen Schule wird, um die Raumnot völlig zu steuern, im Mai vor dem Halleschen Tore in der Luisenstraße begonnen, und zwar diesmal unter Leitung der städtischen Hochbaudeputation. Maurermeister Nickau führt die Fundierungsarbeiten aus, Maurermeister Berger die sonstigen Maurerarbeiten. Die Zimmerarbeiten werden ausgeführt von Zimmermeister Laue, die Dachdeckerarbeiten von Dachdeckermeister Schöbel, die Klempnerarbeiten von der Firma Paul Heinrichs Witwe, die Tischlerarbeiten von den Tischlermeistern Tätzner, Brink, Schulze und Reinstein, Schlosserarbeiten von den Schlossermeistern Wandt und Mietzsch, die Rinnensteine liefert Firma Karl Teubner & Co., die Granitstufen für die Treppen Steinmetzmeister Klepzig, die Holzfußböden (sog. deutschen Fußboden) Firma Otto Hetzer, Weimar, die Blitzableiteranlage Dachdeckermeister Uhlig. Die Baukosten betragen rund 110 000 Mark, jedoch wird der Bau erst im nächsten Jahre beendet. Von weitem städtischen Bauten des Jahres sind zu erwähnen: Verlängemng der Friedhofsmauer, Pflasterung in der Dübener- und Mauerstraße, Kanalisation in der Roon-, Luisen- und Maybachstraße, Bau eines RegenwasserNotauslaufs von der Leipziger-durch die Holzstraße nach dem Stadtgraben und von der Dübener Straße über den Schützenplatz nach dem Lober. Auch werden die städtischen Anlagen bedeutend erweitert. Durch ein von dem in diesem Jahre verstorbenen Fräulein Gutheil hinterlassenes Vermächtnis von 30 000 Mark wird der schon länger geplante Bau eines Siechenhauses ermöglicht. Die städtischen Körperschaften stellen dazu 76,32 a Bauland vor dem Halleschen Tore (hinter dem Hospitalgarten) kostenfrei zur Verfügung. Am 1. Oktober feiert das Kgl. Lehrerseminar den 25jährigen Gedenktag der Einweihung des Seminargebäudes. Die Festansprache hält Seminardirektor Bär. Diakonuspfarrer Jentzsch geht nach Charlottenburg. Der Winter des Jahres ist streng. Plötzliches Tauwetter, verbunden mit heftigen Regengüssen, verursacht im Februar große Überschwemmungen. Im März wieder starker Schneefall, wodurch der erste Satz Hasen vernichtet wird und im Spätfrühling eine große Raupen- und Mückenplage. Reich ist die diesjährige Heidelbeerernte, und auch die des Getreides steht im Kreise Delitzseh um 1 bis 1 '/ Zentner über dem fünfjährigen Durchschnitt der Provinz. Auch die Honig- und Pflaumenernte sind gut. Letztere verregnet freilich.


1910
Im Januar wird Pfarrer Wilhelm Ruhmer aus Martinsrode eingeführt. Der Bau der Luisenschule wird beendet und am 5. April, vorm. 9 Uhr, im Beisein der städtischen Behörden, der Lehrerschaft, der Bürgerschulen sowie der am Bau beteiligten Handwerksmeister und der Schüler durch Kreisschulinspektor Sup. Schäferfeierlich eingeweiht. Ansprachen halten noch 1. Bürgermeister Rampoldt und Rektor Wiener. Der Schlüssel geht aus den Händen des 1. Bürgermeisters in die des Kreisschulinspektors über und wird von diesem an den Rektor weitergereicht, der ihn dem Hauptlehrer Pannier übergibt. Von den die Ansprachen umrahmenden Gesänge ist erwähnenswert das vom Schülerchor zum Vortrag gebrachte Kirchenlied "Ich bete an die Macht der Liebe". Nach Eröffnung des Gebäudes durch Hauptlehrer Pannier erfolgt noch seitens der Teilnehmer Besichtigung aller Schulräume. Sechs Herren der schwedischen Gesandtschaft aus Berlin, Gesandter von Trolle, Legationsrat Freiherr von Essen, Konsularrat Undén, Attaché Freiherr von Bonde, Hauptherr von Schenfeld und Schriftsteller Blomquist besuchen am 18. Mai in Begleitung des Berliner Oberpfarrers Bitthorn Delitzseh, um die Schwedensignale vom Breiten Turme herabblasen zu hören. Die Stadt gibt den fremden Gästen im Sitzungssaale der Stadtverordneten ein Dejeuner. Die Taufe erhält am 12. Juni durch den z. Bürgermeister Lange ein von dem Vereine für Luftschiffahrt von Bitterfeld und Umgebung aus den Trümmern des am 17. April bei Reichensachsen verunglückten Freiballons "Delitzseh" wiederhergestellter Ballon, wozu die Stadt 150 Mark beigesteuert hat. Wenige Tage danach (21. Juni) findet durch die Stadtverordneten Wiederwahl von drei unbesoldeten Stadträten auf weitere sechs Jahre statt, nämlich der Herren Spangenberg, Freyberg und Brembach, und zehn Tage später (1. Juli) auch die des 1. Bürgermeisters auf eine weitere Amtsperiode von zwölf Jahren, da die alte mit Ablauf des Jahres zu Ende geht. Der Magistrat setzt sich also wie vorher zusammen aus den beiden Bürgermeistern Rampoldt und Lange, sowie den vier Stadträten Freyberg, Brembach, Spangenberg und Friedrich. Die 40. Wiederkehr des Sedantages wird hier stark gefeiert. Zu Ehren der ortsansässigen Kriegsteilnehmer findet am 1. September Festkommers statt, wobei die also Geehrten auf Kosten der Stadt bewirtet werden. Am 2. September wird unter besonderer Feierlichkeit den Veteranen mit 1200 Mark sowie den Veteranenwitwen mit unter 600 Mark Einkommen eine Ehrengabe von je 10 Mark überreicht. Die schon etwa seit 1 1/3 Jahrzehnten in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Offenhauer'sche Brauerei, die daraufhin den Namen "Delitzscher Aktienbierbrauerei" erhält, tritt in Liquidation und hört auf zu existieren. Von den städtischen Bauten des Jahres seien hervorgehoben: Der Bau einer Leichenhalle, Anlage von Bürgersteigen in der Lober-, Roon-, Garten-, Mozart-, Beethoven-, Luisen- und Kohlstraße sowie auf dem Roßplatze und einem Teile der südlichen Mauergasse; ein Regenwasserkanal im Rosenthal; Wasserleitungs- und Kanalanlage in der Blücherstraße, Pflasterung des Zufuhrweges zum Wasserwerk. Die städtischen Parkanlagen erfahren eine abermalige Erweiterung, und der Verschönerungsverein schafft durch Errichtung der Parkbrücke eine Verbindung vom Stadtpark nach den Rosenthalwiesen. Die von der Eisenbahnverwaltung ausgebaute Wittenberger Straße wird mit dem 1. Oktober von der Stadt übernommen. Am 1. Dezember scheidet Sparkassenrendant Berlt aus dem städtischen Dienst. An seine Stelle tritt Sparkassenrendant Aug. Kunzke aus Finsterwalde. Der Winter bringt in buntem Durcheinander Schnee, Regen, Matschwetter, doch nur wenig Frost, weshalb die Eisernte unzureichend. Der Sommer ist sehr gewitterreich.


1911
Der östliche Teil der Bismarckstraße wird gepflastert und an Verschönerung der Parkanlagen weiter gearbeitet. Einen Tag nach der Sedanfeier (3. September) findet im Beisein sämtlicher Militärvereine der Stadt auf dem Markte eine neue Denkmalsweihe statt bzw. die Weihe der am Denkmal angebrachten Ehrentafel zum Gedenken an den Heldentod der beiden im Kriege 1870/71 gefallenen Delitzscher Bürger. Erster Bürgermeister Rampoldt vollzieht sie. Der Sommer des Jahres ist der trockendste und heißeste seit Menschengedenken. Die Hitzeperiode beginnt am 17. Juli und hält länger als 4 Wochen an. Sogar die Hauptströme, wie die Elbe, führen so wenig Wasser, daß man durch sie hindurchwaten kann. Kartoffel-und Zuckerrübenernte sind infolgedessen schlecht, es entstehen große Teuerung und großer Futtermangel. Nur der Wein ist vortrefflich geraten. Am 9. Dezember verstirbt der Rektor der Knabenvolksschule, Richard Wiener.


1912
Ein drittes Klärbecken der Kläranlage wird erbaut und zugleich die Anlage durch elektrischen Antrieb verbessert. Kantor Prinz geht am 1. April nach Oschersleben. Sein Nachfolger wird Kantor Otto Müller. Am l. Juli wird der neue Rektor der Knabenschule, Johann Hansjürgens, durch Kreissehulinspektor Sup. Schäfer in sein Amt eingeführt und am 20. August der aus dem Magistrat ausscheidende Stadtrat Spangenberg zum Stadtältesten ernannt. Am gleichen Tage wird die Anlegung des Dr. LaueWegs den Lober entlang begonnen. Ein ungeheure Aufsehen erregende Veruntreuung der obern Beamten der Stadthauptkasse wird durch das allzu lockere Leben des Stadthauptkassenrendanten Rudloff in den ersten Oktobertagen aufgedeckt. Rudloff wird alsbald unter Mitnahme von noch 12 000 Mark städtischer Gelder flüchtig, und der Kontrolleur Meley erschießt sich am 4. Oktober in der Gertitzer Flur. Bei genauer Nachprüfung stellt sich heraus, daß die seit 1908 betriebenen Unterschlagungen die Höhe von mehr als 160 000 erreichen. (Nach Eingeständnis des erst 13 Jahre später in Halle abgeurteilten, inzwischen nach Brasilien geflüchteten und dann während des Weltkrieges unter dem Namen eines -Ritters von Boset-Frankenburg" nach Wien zurückgekehrten Rudloff, der dort von seinem Geschicke ereilt und wegen erneuter erheblicher Unterschlagungen zu 3 Jahren schweren Kerkers verurteilt wurde, betrug die veruntreute Summe sogar 200 000 Mark.) Durch diese Veruntreuungen wird auch die Stellung des ersten Bürgermeisters erschüttert, dem man zu große Oberflächlich-und Vertrauensseligkeit bei den von ihm vorgenommenen Kassenprüfungen zum Vorwurfe macht. (Hinzugefügt sei, daß Rudloff als gesundheitlich schwerbelasteter Luetiker unter Zubilligung mildernder Umstände von der Halleschen Strafkammer zu nur l '/,Jahren Gefängnis verurteilt wurde und im Gefängnis gestorben ist.) Die seitens der Landwirtschaftskammer hier errichtete Landwirtschaftliche Winterschule wird am 29. Oktobereingeweiht und in den oberen Räumen der neuerbauten Luisenschule untergebracht. Erster Direktor ist Dr. Conradi. Die Witterungsverhältnisse gestalten sich auch in diesem Jahre ungünstig. Der Winter ist anhaltend kalt und schneereich. Am Sonntag, dem 12. Mai, abends nach sieben Uhr, stellt sich ein furchtbarer Gewittersturm ein, der bald in ein schweres Hagelwetter übergeht. Es fallen Hagelstücke bis zu Taubeneigröße. Fast kein Haus in Delitzsch ist ohne zerborstene Fensterscheiben! In der Mädchenvolksschule werden über 80 zerschlagene Fensterscheiben gezählt, in der Luisenschule gar 130. Aus den städtischen Anlagen mußte das junge Grün fuderweise weggefahren werden. Noch sehr viel schlimmer hat der Gewitter-Wirbelsturm im Dorfe Sehlis bei Taucha gehaust, wo ganze Wände eingedrückt werden und das neuerrichtete Schulhaus fast vernichtet wird. Im weiteren Verlaufe des Jahres beginnt nach anfänglicher Trockenheit eine längere Regenperiode, die bis in den Herbst hinein anhält. In diesem Jahre wird auch der seitens der Schützengilde schon im Vorjahre beschlossene Erweiterungsbau des Schützenhofs durchgeführt. Er besteht in der Errichtung eines Saal- und Schließhallenbaus an der Nordseite des Grundstückes, wodurch auch Hinausschieben der übrigens auf 12 vermehrten Schießstände um 40 m erforderlich wird. Der Bau kostet rund 125 000 Mark und wird geleitet von dem Stadtbauinspektor Grundmann, Cottbus, und dessen häufigem Vertreter, Architekt Hanke, seinem Neffen. Ersterer ist ehemaliger Delitzscher und Schwiegersohn des Schützenkameraden Galwitz. Die Ausführung ist folgenden Herren übertragen: Bauunternehmer Wernicke (Erd-, Maurer- und Eisenbetonarbeiten, welch letztere an Firma Panse, Leipzig, abgetreten werden, während die Erdarbeiten Steinsetzmeister Voigt ausführt), Zimmermeister Laue, die Dachdeckermeister Uhlig und Schöbet sen., die Tischlermeiter Vonhof, Bretschneider und Schmidt, die Klempnermeister Reyher, Th. Heinrich und E Heinrich Wwe. (Reyher besorgt die Wasserinstallation und Blitzableiterantage), Glasermeister Leiser, R. Scheibe und H. Scheibe, Schlossermeister Mietzsch und Nebel, Malermeister Pawlowski und Scholz, Elektroinstallateur Merz (Lichtinstallation), Sattlermeister Kasper und Dekorateur Scheffler (Tapezierarbeiten), Bildhauer Adler, Cottbus (Stuck). Bereits zum Pfingstschiessen können die neuen Räume in vorläufige Benutzung genommen werden. Anstelle des flüchtigen Rudloff tritt als Stadthauptkassenrendant Georg Schimpf, an Meleys Stelle Kontrolleur Hupe.


1913
Im Frühjahr wird der Neubau der Kohltorbrücke begonnen, nachdem die alte hölzerne abgebrochen. Der Bau wird wieder vonderFirma `Anhalter Eisenbetonwerk Otto Maye & Co.", Dessau, ausgeführt und kostet einschließlich Pflasterung, rund gerechnet, 34000 Mark. Unter starker Beteiligung auswärtiger Schützen findet in der Zeit von B. bis 12. Juni das 27. Provinzialbundesschießen in Delitzsch statt. Zu Ehren der zahlreichen auswärtigen Gäste (mehr als 400) wird am ersten der Festtage ein großer historischer Festzug veranstaltet, wie die Stadt solchen noch nicht gesehen hat. Fast alle Vereine und Innungen der Stadt beteiligen sich daran sowie viele Landwirte der Umgebung zu Pferde. Am 30. Juli scheidet z. Bürgermeister Lange aus dem Magistrat aus und verläßt Delitzsch. Für ihn tritt Hermann Grüneberg ein, der zunächst, vom 20. Oktober an, als juristischer Hilfsarbeiter tätig ist. Auf dem Schützenhofplatze wird ein Spiel- und Sportplatz errichtet. Desgleichen fällt in dieses Jahr die Errichtung eines Kinderhorts, der von der Stadt allerdings erst 1922 übernommen wird. Auch wird endlich die sehr schadhaft gewordene Heiligbrunnenanlage erneuert und würdig wiederhergestellt. Am 3. Dezember feiert die Freiwillige Feuerwehr das Fest ihres 50jährigen Bestehens, nachdem kurze Zeit vorher ihr verdienter Führer Gustav Schulze (am 14. November) zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde.


1914
Die Zahl der Stadtverordneten wird von 24 auf 30, die der unbesoldeten Magistratsmitglieder von 4 auf 6 erhöht. Am 6. Januar wird z. Bürgermeister Grüneberg in sein Amt eingeführt. Vom 1. August bis Ende 1918 Weltkrieg, über den soweit er die Stadt Delitzsch berührte, der Chronist Lehrer Oskar Reime nach Beschluß der Stadtbehörden vom 19. Oktober 1916 eine sehr ausführliche Kriegschronik angefertigt hat. Die zufriedenstellende Getreideernte des ersten Kriegsjahres und später auch die der Hackfrüchte wird unter freiwilliger Mithilfe höherer Schüler glücklich eingebracht. Eine im Spätsommer längere Zeit vorherrschende Gluthitze wird allgemein beklagt, weil darunter unsere im Vormarsch auf Paris begriffenen Truppen zweifellos schwer zu leiden haben. Am 30. dieses Jahres tritt 1. Bürgermeister Rampoldt unter der Bedingnis in den Ruhestand, daß ihm Weiterungen aus dem Falle Rudloff-Meley erspart bleiben sollen. Kantor i.R. Gärtner übernimmt die im Herbste zur Einführung gelangte Generalvormundschaft. Rentner Hennig und seine Gattin geb. Schrödter schenken der Kirchengemeinde das Hennig-Schrödter-Haus.


1915
Mehlverbrauch (15. Januar) und Fleischversorgung (17. Januar) werden eingeschränkt; ab B. März wird die Brotkarte eingeführt und am 28. Juni Beschlagnahme des Hafers angeordnet, am 14. September die von Kupfer, Messing und Reinnickel. Am 1. Oktober erfolgt Festsetzung des Höchstpreises für Butter, am 12. November die für Schweinefleisch und Fett.


1916
Januar, Einschränkungen im Brauereibetriebe; 2. Februar, Einführung der Butterkarten; 4. März, die der Zuckerkarten. 1. Mai, Einführung der Sommerzeit (die Stundenzählung wird in Deutschland und Österreich während der Sommermonate, vom 1. Mai bis Ende September, für die Dauer der Kriegszeit um eine Stunde vorverlegt, um die Tageszeit besser ausnutzen zu können). 12. Juli, Beschlagnahme der Fahrradbereifungen; 1. August, Einführung der Bezugsscheine für Web-, Strick- und Wirkwaren; 1. Oktober, Einführung der Eier-, 2. Oktober, Einführung der Reichsfleischkarien. Superintendent Schäfer, der schon vor Kriegsbeginn das Kreisschulinspektoramt an den im Hauptamte befindlichen Königlichen Kreisschulinspektor Roß in Eilenburg abgetreten, zieht sich nach erfolgter Gründung des Gutheilstifts (Siechenhauses) aueh von den Superintendenturgeschäften zurück und hält am 24. September (14. Sonn. n. Tr.) seine Abschiedsrede. Er verläßt Delitzsch in den ersten Oktobertagen und wohnt fortan in seiner Vaterstadt Schkeuditz. Der Vaterländische Frauenverein begeht am 11. November das Fest seines 50jährigen Bestehens. Der Kgl. Landrat Geheimrat von Busse scheidet am 30. November aus seinem Amte. Die Stadt Delitzsch ernennt ihn am 12. Dezember zu ihrem Ehrenbürger. Sein Nachfolger, zuerst nur auftragsweise mit der Geschäftsführungbetraut, wird alsbald Regierungsrat von Manteuffel. Durch letzeren wird am 5. Dezember der neue erste Bürgermeister, Karl Böttcher, vorher Bürgermeister in Querfurt und geborener Delitzscher, in sein Amt eingeführt. Am 12. Dezember wird auch der bisherige Stadtrat Freyberg zum Stadtältesten ernannt.


1917
Am 10. Januar erfolgt die Beschlagnahme von Orgelpfeifen, am 1. März die Ablieferung von zu Kriegsmaterial bestimmten Glocken, im Juni die des Kupfers der Blitzableiter; am 25. April Ausgabe von Stadt-Kriegsnotgeld. In der hiesigen Strafanstalt auf dem Schlosse werden an 200 Spioninnen internieri,deren Seelsorge einem katholischen polnischen Priesterübertragen wird. Für die weiblichen Strafgefangenen evangelischen Glaubens übernimmt die Seelsorge der hiesige dritte geistliche Pfarrer Ruhmer als Nachfolger eines hauptamtlich angestellt gewesenen Gefängnisgeistlichen, Pfarrers Erich Eyßell, der sein Amt mit Kriegsbeginn niedergelegt hat. Der neue Superintendent, Ubbo Hobbing, wird am 29. April durch Generalsuperintendent D. Gennrich eingeführt. Die schon in den Vorjahren schwerempfundene Lebensmittelknappheit nimmt immer härtere Formen an. Vor den Ausgabestellen der Lebensmittel werden die von Käufern gebildeten Schlangenlinien zurbittern Gewohnheit. Kreisschulinspektor Roß siedelt Ende September von Eilenburg nach Delitzsch über.


1918
Das Schlangestehen vor den Lebensmittelgeschäften, wo zur Sättigung nur völlig unzureichende Mengen abgegeben werden können, wird für die vereinsamten Hausfrauen allmählich zu einerdrückenden Last. Doch kommt es in der Stadt Delitzsch nicht zur offnen Empörung. Der Stadtälteste Spangenberg feiert am 6. Februar sein 50jähriges Bürgerjubiläum. Mit dem 2. April beginnt die Herstellung von Kreis-Notgeld. 19. August, Einführung der bis zum Januar 1919 beibehaltenen fleischlosen Wochen. Am 9. November Verkündung der Staatsumwälzung (Revolution) auch in Delitzsch. 11. November, Abschluß des Waffenstillstands von Compiégne durch Erzberger. Der furchtbare Krieg hat auch von der Delitzscher Bewohnerschaft überaus große Opfer gefordert. Nach den Feststellungen der Religionsgemeinschaften der Stadt sind im Weltkriege gefallen, vermißt oder an empfangenen Wunden gestorben 537 Delitzscher Kriegsteilnehmer evangelischen, 22 katholischen und einer israelischen Bekenntnisses, zusammen 560 heldenbrave Männder, deren Andenken unvergessen bleiben wird. In Delitzsch bildet sich wie überall ein Arbeiter-und Soldatenrat, der am 13. November seine erste Sitzung abhält. Am 28. gleichen Monats trifft hier das bisher im Saargebiet heimische Inf.Rgt. Nr. 30 ein, dessen vorläufiger Garnisönsort die Stadt wird. Mit dem 1. Dezember tritt als Nachfolger für den im Kriege gebliebenen Dr. Conradi der neue Direktor der Landwirtschaftsschule, damals noch Landwirtschaftliche Winterschule genannt, Direktor Martin Schöne, hier sein Amt an und eröffnet mit den zur Aufnahme gelangten Schülern für die noch zur Verfügung stehenden Wintermonate einen Notkursus. Die durch Rechtsanwalt Hirsch vor etwa einem Jahrzehnt gebildete Jugendwehr wird am 28. Dezember aufgelöst.


1919
19. Januar, Wahlen zur Nationalversammlung, die ihre Sitzungen zwecks Beratung einer neuen Verfassung im Nationaltheater in Weimar abhalten soll, und am 26. Januar Wahlen zur preußischen Landesversammlung. In Delitzsch werden beider ersten Wahl Stimmen abgegeben für Deutschnationale 580, Deutsche Volkspartei 123, Demokraten 1950, Mehrheitssozialisten 1937, Unabhängige 3200.
2. März, Auflösung der Gemeindevertretung und Stadtverordnetenwahlen; 23. März, Neuwahl des Arbeiterrats; 4. Mai, Neuwahl des Kreistags.
9. Mai, Inf. Rgt. Nr. 30 verläßt Delitzsch und wird nach Blankenburg a.H., dem Orte seiner neuen Bestimmung, in Marsch gesetzt.
25. Juni, Errichtung eines Mieteinigungsamtes, was sich infolge der katastrophalen Wohnungsnot als dringend nötig erweist.
28. Juni, Unterzeichnung des Friedens von Versailles; dessen Ratifizierung am 9. Juli-11. August, Annahme der neuen Verfassung durch die in Weimar tagende Nationalversammlung.
Nach Beurlaubung des Stadtbaumeisters Kessel wird durch Beschluß der städtischen Körperschaften im Oktober Oberbausekretär Willy Kratsch mit Leitung der Geschäfte des Stadtbauamts betraut. Durch die für die Linksparteien vorteilhaften Stadtverordnetenwahlen wird der langjährige Stadtverordnetenvorsteher, Justizrat Dr. Schulze, zum Rücktritt genötigt. Stadtverordneter Buhle wird sein Nachfolger. Auch die bisherigen unbesoldeten Magistratsmitglieder müssen zurücktreten und werden ersetzt durch Dr. Schulze, Max Beyer, Tauche und Kretzschmar. Nur Ehrhorn und Klunkert, die schon seit dem Frühjahr dem Magistrat angehören, bleiben. Noch gegen Jahresende tritt Dr. Schulze zurück. Für ihn wird Stadtrat Zigarrenfabrikant Max Schimpf. Am 6. Dezember findet eine Begrüßungsfeier für hier eingetroffene Kriegsgefangene statt.


1920
Versuchsweise wird eine Volkshochschule ins Leben gerufen, die am 19. Januar ihre Kurse eröffnet. In der Zeit des Kapp-Putsches (13. bis 20. März) kommt es in Delitzsch am 18. März zu einem heftigen Straßengefechte zwischen der zum Sturze der Kappregierung im Generalstreik begriffenen Arbeiterschaft und eine Abteilung Reichswehr. Letztere erweist sich zur Unterdrückung des Widerstands als zu schwach und muß sich unter vorläufiger Zurücklassung ihrer Maschinengewehre und Munitionswagen zurückziehen. Es gibt auf beiden Seiten 19 Tote, von denen 4 untergroßem Volksandrange durch Superintendent Hobbing auf hiesigem Friedhofe bestattet werden. Der verunglückte Kapp-Putsch hat weitere Unruhen im Gefolge. In Delitzsch sinnt eine Arbeitergruppe unter Führung eines gewissen Molka aus Bitterfeld, der dem dortigen Arbeiterrat angehörte (daher "MolkaPutsch"), auf Beseitigung des Delitzscher Landrats von Manteuffel. Dieser wird auch von Molka und dessen Helferhelfern am 6. April nächtlicherweise in dem von ihm bewohnten Sehenkenberger Schlosse verhaftet, zunächst in polizeilichen Gewahrsam gebracht und vor Anbruch des Morgens nach Bitterfeld und von da nach Berlin abtransportiert. Zwar erklärt im Einverständnis mit der Merseburger Regierung der Kreisausschuß in seiner Sitzung vom B. April die Maßnahmen, Verfügungen und Bekanntmachungen des Molka für unwirksam und gegenstandslos; doch kehrt Landrat von Manteuffel nicht zurück. Vorübergehend wird Oberamtmann Messerschmidt, Beerendorf, mit der Geschäftsführung beauftragt, den am 19. April Regierungsreferendar Scholz ablöst. Mit dem 25. Mai wird der Kreisdeputierte und Reichstagsabgeordnete Zigarrenfabrikant Gustav Raute, Eilenburg, zum kommissarischen Landrat ernannt. Am 6. Juni. Reichstagswahl (als Folge des Kapp-Putsches anzusehen). In Delitzsch stimmen für Deutschnationale 505, Deutsche Volkspartei 1426, Demokraten 967, Mehrheitssozialisten 1261, Unabhängige 3340, Zentrum 94, Kommunisten 57 Wähler.
23. August. Aufhebung der Reichsfleisch- und der Seifenkarte.
8. September. Errichtung eines Finanzamts in Delitzsch, dessen erster Leiter: Regierungsrat Anding.
Die frühere Stadtbrauerei (seit 1900 im Besitz von Brauereibesitzer Uhlmann)wird an die Aktienbrauerei Bitterfeld verkauft, die darin eine von Richard Uhlmann verwaltete Niederlage für Delitzsch und Umgebung errichtet. Das schon seit 1908 in der Bismarckstraße bestehende Café Boeck erhält in diesem Jahre unbeschränkte Schankerlaubnis. Der Kontrolleur bei der Stadthauptkasse Hupe wird schon im Laufe des Vorjahres wegen eines Straffalles beurlaubt und geht dadurch seines Postens verlustig. An seine Stelle tritt Kassierer (Kassensekretär) Otto Braunsdorf.


1921
Am Forsthause werden 6 Morgen Waldbestand neuaufgeforstet. 20. Februar, Landtagswahl in Delitzsch: Deutschnationale 739, Deutsche Volkspartei 1452, Demokraten 967, Zentrum 108, Mehrheitssozialisten 1158, Unabhängige 927, Kommunisten 1394. Vom 25. bis 30. März, erneute Unruhen in Delitzsch. Reichswehr rückt in diesmal größerer Zahl ein, noch verstärkt durch ein starkes Polizeiaufgebot aus Bitterfeld, wodurch die Ruhe bald wiederhergestellt wird. Juli, zwei Serien von neuem Stadtnotgeld werden hergestellt, die SchwedenSerie und die Schulze-Delitzsch-Serie. Um der drückenden Wohnungsnot nach Möglichkeit zu steuern, wird in diesem Jahre endlich seitens der Bau- und Siedlungs- sowie der HeimstättenGenossenschaft mit Ausführung von Neubauten begonnen.


1922
Am 5. März stirbt der frühere Stadtrat, Branddirektor a.D. Gustav Schulze, Ehrenbürger der Stadt, und am 12. Mai feiert der Stadtälteste Spangenberg unter großen Ehrenbezeugungen seitens der städtischen Körperschaften seinen 80. Geburtstag. Da die Lehrerausbildung anderweit geregelt werden soll, erfolgt diese Ostern die Schließung der Präparandenanstalt. Am 5. Mai beendet Oskar Reime seine Kriegschronik. Die Schützengilde begeht am 20. Juli das Fest ihres 225jährigen Bestehens. Mit dem 30. September stellt das Kreisblatt (Delitzscher Tageblatt) sein Erscheinen ein. Kreisschulrat Roß geht am 30. November nach Merseburg, Kreisschulrat Eduard Sehmisch, vorher Rektor in Merseburg, tritt an seine Stelle. Die schon 1920 begonnene Wiederherstellung der während der Unruhen mehrfach beschädigten Marienkirche, der man in dieser Zeit auch die alte schöne Peter-Paulskanzel überweist, wird beendet und die wiederhergestellte Kirche am 5. November durch Superintendent Hobbing geweiht. Da die Pfeifen der Orgel dieser Kirche dem Kriege zum Opfer gefallen sind, wird die Beschaffung eines Harmoniums für die Kirche ins Auge gefaßt, die auf Antrag des Superintendenten auf Beschluß der Körperschaften zur "Kriegergedächtniskirche" umgeschaffen werden soll. Ende des Jahres geht Pfarrer Ruhmer nach Halle.


1923
Für die aus dem Magistrat ausscheidenden Stadträte Kretzschmar und Ehrhorn treten ein Richard Hampe und Alfred Kissig. Am 20. Januar wird Pfarrer Kurt Noack als 3. Geistlicher durch Superintendent Hobbing eingeführt. Da mit dem 11. Januar das Ruhrgebiet durch etwa 100 000 Franzosen und Belgier unter General Degoutte besetzt wird, veranstaltet man im Reiche, und also auch in Stadt Delitzsch, im Monat Februar eine großangelegte Sammlung für die schwerbetroffenen Bewohner des Rhein- und Ruhrgebiets. Am 18. gleichen Monats findet in der katholischen Kirche die durch Pfarrer Köhne vollzogene feierliche Denkmalsweihe für die im Weltkriege gefallenen 22 Delitzscher Krieger katholischen Bekenntnisses statt. 6. Juli, Feier des 50jährigen Bestehens des Lehrerseminars. Aus dem bei dieser Gelegenheit herausgegebenen Gedenkbuche sei über verdiente Lehrer der Anstalt folgendes wiedergegeben: Direktoren waren nach dem schon genannten Trinius Gottlob Schöppa (1883-1892), gest. als vortragender Geh. Rat im Kultusministerium, Eduard Bohnenstädt (1892-1908), Adolf Bär (1908-1920), Schulrat Karl König, im Elsaß beheimatet, seit Kriegsbeginn Direktor des Lehrerseminars in Straßburg und von da nach Verlust dieses Landesteils ausgewiesen, (von Oktober 1920 bis zur Auflösung). Unter den übrigen Lehrern ragten hervor, größtenteils auch durch ihre literarische Tätigkeit als Verfasser weitverbreiteter Schul-und Lehrbücher, zunächst die auch kompositorisch beanlagten Musiklehrer Kuntze, Kropf, Emilius, Heine u.a., sodann Rechenlehrer Richard Schroeter und der durch seine naturgeschichtlichen und erdkundlichen Werke zu einer in pädagogischen Kreisen gewissen Berühmtheit gelangte Seminarlehrer August Hummel, ferner die Naturwissenschaftler Dr. Imhäuser und Dr. Bromer sowie die Lehrer bzw. Oberlehrer Gattermann (später Seminardirektor), Wirt, Nenz, Etzold, Prorektor Dr. Schröder, Dr. Vogler, Dr. Schulz u.a. Die Hauptfeier des Jubiläums findet in der Kirche statt, wo außer dem Superintendenten noch die Schulräte Ullmann und König Ansprachen halten; ferner auch eine Weihestunde an dem den im Weltkriege gefallenen Lehrern und ehemaligen Zogfingen des Seminars gewidmeten Ehrenmale. Die meisten der Gesangsvorträge werden von der Lehrergesangsgruppe Delitzsch unter Leitung von Kantor Müller bestritten, einzelne auch vom Chor der letzten noch übrigen Klasse des in der Auflösung begriffenen Seminars. 22. August. Todestag des um die Stadt hochverdienten Chronisten Lehrers Oskar Reime. Am 1. November geht Stadtsparkassenrendant Kuntze nach Bitterfeld als Direktor der dortigen Kreissparkasse. Bis zur Wiederbesetzung der freigewordenen Stelle übernimmt die Vertretung Bankkassierer Kurt Kobler. Zur Beschaffung eines Harmoniums für die Marienkirche wird der Kirche gehöriges Altsilber verkauft. Desgleichen wird der alte Crucifixus infolge der bestehenden Inflation für 400 000 Mark veräußert. Durch die Inflation steigt die Mark in diesem Jahre zu schwindelhafter Höhe. Der Dollar, der 1914 = 4,20, Ende 1918 = 7,50, 1919 = 50.-, 1921 = 180.-, 1922 bis Ende des Jahres 7500 Mark galt, steht am 21. November dieses verhängnisvollen Jahres 4 210 500 000 Mark. Am gleichen Tage erfolgt die Ausgabe der auf wertbeständiger Grundlage (Roggenwährung) ruhenden Rentenmark, die freilich gleich einer Billion Papiermark gesetzt wird, wodurch viele Kleinrentner verarmen und auf öffentliche Unterstützung angewiesen werden.


1924
Die schon im Vorjahre durch Professor Vetter, Leipzig, betriebene Ausmalung der Marienkirche, um eine Stätte der Kriegsehrung zu schaffen, wird Ende Mai beendet, so daß am 1. Juni die Einweihungsfeier und Umtaufe der Kirche, die nunmehr "Kriegergedächtniskirche" heißt, stattfinden kann. Die Festpredigt hält Generalsuperintendent D. Schöttler. Die Teilnehmer an der Feierbegeben sich vor Beginndes Gottesdienstes im Festzuge von der Stadtkirche zur Kriegergedächtniskirche. Am 1. April erfolgt die Berufung des Rendanten der Stadtsparkasse Kurt Nobbe, desgleichen die Versetzung des Stadtbaumeisters Kessel in den Ruhestand. Am gleichen Tage tritt auch Oberrealschuldirektor Dr. Wahle in Ruhestand und wird alsbald ersetzt durch den von Aschersleben kommenden Studiendirektor Dr. Becker. Letzterer erwirbt sich bald dadurch ein besonderes Verdienst, daß er sich der Sportbewegung unter der erwachsenen Jugend sowohl wie der Schuljugend eifrigst annimmt. 4. Mai. Reichstagswahl. Stimmenergebnis für Delitzsch: Sozialdem. 1004, Deutschnat. 1324, Zentrum 130, Kommunisten 2486, Deutsche Volkspartei 1157, Völk.-soz. Block 683, Demokr. 621, Wirtschaftspart. 162, Unabhäng. 159, Deutschsoz. 66. Nach den stattgehabten, auch auf den Kreis und die Gemeinden ausgedehnten Wahlen findet in der Stadtverordnetensitzung vom 29. Mai Neuwahl des Vorstands statt. Da die Mehrheit diesmal auf Seiten der Bürgerlichen ist, wird Vorsteher der seit 1. April im Ruhestand befindliche Kreisoberinspektor Rechnungsrat Paul Schmidt. Von den unbesoldeten früheren Stadträten bleibt nur der Bürgerliche Tauche. Neugewählt werden als Bürgerliche die Stadträte Graul, Petzold und Wernicke, als Kommunisten die Stadträte Kotze und Voigt, von den Sozialdemokraten keiner.
21.26. Juni. Wieder Prov.-Bundesschießen in Delitzsch, das erste nach der Inflation. Die Beteiligung von auswärts beträgt etwa 300. 30. August. Übergang zur neuen Reichswährung, 1 Rentenmark = 1 RM. Nach Auflösung des Reichstags am 7. Dezember wieder Reichstagswahl, verbunden mit Landtagswahl. Ergebnisse für Reichs-und Landtag (letztere in Klammern): Sozialdemokraten 1628 (1615), Deutschnat. 1774 (1755), Zentrum 171 (172), Deutsche Volkspartei 1209 (1209), Kommunisten 2177 (2191), Demokraten 855 (844), Wirtschaftspartei 333 (341), Nationalsoz. 131 (128), Unabhäng. 23 (21), Aufw. u. Aufbau 31 (31).


1925
2. Bürgermeister Grüneberg, schon einige Zeit vorher wegen Erkrankung beurlaubt, nimmt mit Abschluß des Vorjahres seine Entlassung und tritt in Ruhestand. Die Kriegerehrungskommission, deren Vorsitzender Pfarrer Kohlmann, hat die Anfertigung eines Heldenbuchs für die Gedächtniskirche beschlossen und beginnt damit. Landrat Raute, vom Minister endgültig bereits im März 1921 ernannt, legt am 31. März altershalber sein Amt nieder und läßt sich in Ruhestand versetzen. Zu seinem Ersatze schickt der Minister, zunächst auftragsweise, den Regierungsrat Brisch aus Oppeln, ursprünglich Maurer und während des Kriegs Matrose. Er tritt sein Amt am 1. April an und wird am 28. Oktober bestätigt. Die höhere Mädchenschule wird mit dem 1. April zu einer Mittelschule umgeformt und nunmehr auch von Knaben besucht. Im Frühjahr wird vom städtischen Bauamt unter Leitung des Oberbausekretärs Kratsch ein Erweiterungsbau des städtischen Freibads Elberitzmühle durchgeführt. Die Baukosten betragen rund 20 000 Mark. Auch beginnt die Stadt, um der immer noch höchst fühlbaren Wohnungsnot zum mindesten etwas mehr Herr zu werden, Wohnhäuser mit zahlreichen größern und kleinem Privatwohnungen auch im Ostviertel zu errichten, wie sie seit mehreren Jahren im Westviertel (Hainstraße) bereits getan hat. Anfang Juli trifft von Mühlhausen i. Th. her der von den Stadtverordneten erwählte z. Bürgermeister Dr. Rudolf Baumgardt hier ein und wird vom ersten Bürgermeister alsbald in sein neues Amt eingewiesen. Er erweist sich nicht nur als begabter Schriftsteller, Verfasser bedeutsamer Novellen und Romane (wie des Novellenbandes "Der Kardinal", des historischen Romans "Erde" u.a.) sowie eines vielfach aufgeführten Bühnenstücks ("Die Nacht der Sibylle Bronsgeest"), sondern auch als formgewandter und nie versagender Redner, wodurch es ihm bald gelingt, in gewisser Weise in führende Stellung zu gelangen, ganz besonders als Mitglied des Kreisausschusses, wozu er noch in dem laufenden Jahre seines Dienstantritts gewählt wird. Am 25. Oktober finden wieder Wahlen statt, und zwar diesmal zum Provinzial-Landtage und den Kreistagen. Sie ergeben eine entschiedene Mehrheit für die bürgerlichen Parteien. An Stelle des verstorbenen Stadtrats Wernicke tritt Stadtrat Fritzsche.


1926
Im Beginne des Jahres stirbt der um das Wohl der Stadt sehr verdiente, auch auf kirchlichem Gebiete stets tatbereite Stadtälteste Ernst Freyberg an der Kopfgrippe, erst 62 Jahre alt. Landrat Brisch mach sich im Februar durch einen unglaublichen Streich unmöglich. Der kurze Bericht eines auswärtigen Blattes darüber sei hier wiedergegeben: "Die Blätter berichten aus Delitzsch, daß dort in der Nacht zu Sonnabend der Landrat Brisch, als er gegen 1/2 3 Uhr den "Schwan" verlassen hatte, vor dem nicht im besten Rufe stehenden Hause Münze Nr. 8 von drei Männern "wegen groben Unfugs und nächtlicher Ruhestörung" festgenommen, verprügelt und zur Wache gebracht worden sei. Er soll, wie die Männer angaben, laut gegen das Fenster einer in dem Hause wohnenden Frau geklopft haben, was er allerdings in Abrede stellt..." Durch die nachfolgende Untersuchung wird zwar kein vollgültiger Beweis für die unverfälschte Wahrheit der gegen den Landrat erhobenen Beschuldigungen erbracht. Doch wird dieser nun im Volke wie in der Presse mit so viel Hohn und Spott beworfen, daß er versetzt werden muß. Am 20. März wird er als Regierungsrat nach Düsseldorf überwiesen. Sein Nachfolger wird Regierungsrat Meister vom Polizeipräsidium Berlin. Er tritt bereits am 21. März, zunächst auftragsweise, sein neues Amt an und wird durch das Preußische Staatsministerium am 13. Aug. als Landrat des Kreises Delitzsch endgültig bestätigt. Am 1. April wird das staatliche Lehrerseminar aufgehoben. Das stattliche Seminargebäude wird regierungsseitig zu einem Behördenhaus in Aussicht genommen. Am 22. August stirbt der schon seit Mai erkrankte und beurlaubte Stadtoberinspektor Gustav Fricke. Während seiner Beurlaubung und bis zur Wiederbesetzung der Stelle führt Magistratssekretär Költsch in Vertretung die Geschäfte des Stadtoberinspektors. Oktober bis Jahresende, Aufhebung der Frauenstrafanstalt in Delitzsch und Abtransport der letzten weiblichen Gefangenen aus dem Schlosse, wodurch dies außer Benutzung gestellt wird. Pfarrer Noack geht in diesem Jahre nach Halle. An seine Stelle tritt Pfarrer Lic. Walter Suckert, zuletzt Pfarrer in Taftungen.


1927
Am Abend des 15. Februar findet im Schützenhaussaale unter großer Beteiligung die Feier des 100jährigen Todestages des großen Schweizer Pädagogen Pestalozzi statt. Festredner ist Rektor Burchardt. Am Abend darauf wird von der schon 1921 begründeten Ortsgruppe des Stahlhelm eine wirksame Protestversammlung gegen die damals von den Linksparteien stark betriebene Reichswehrhetze veranstaltet. Im März beginnt wieder eine Stadtgrabenschlämmung, die diesmal etwa drei Monate in Anspruch nimmt. Das Stadtverordnetenkollegium bewilligt im April zur Beschaffung einer Motorfeuerspritze den Betrag von 10 000 Mark, der durch Anleihe von der Stadtbank entnommen werden soll. Am 12. Mai trifft die Motorspritze auf dem Sorauer Bahnhofe ein und wird von dort feierlich eingeholt Einige Tage vorher schon waren für die Freiwillige Feuerwehr durch die Stadt neue Alarmvorrichtungen beschafft worden, vor allem eine neue Glocke, die ihren Platz an Stelle der dem Kriege zum Opfer gefallenen Breite-Turmglocke im Dachstuhle des Breiten Turms fand und nur bei Feuersnot geläutet werden soll. Sie trägt die Inschrift: Bewahre uns, o Herre Gott, Vor Feuer, Krieg und Wassersnot. Am 1. April wird Stadthauptkassenrendant Georg Schimpf zum Stadtoberinspektorberufen. An seinebisherige Stelle tritt vom 10. Juni ab Georg Hoffmann, dem der Titel Stadtrentmeister verliehen wird. Am 29. Mai, Sonntag Exaudi, wird hier zum ersten Male ein Kirchentag des Kirchenkreises Delitzsch abgehalten. Festgottesdienste finden in der Stadtund der Gedächtniskirche gleichzeitig statt unter stärkstem Zudrange. Ein von mehr als 1000 Teilnehmern gebildeter Festzug begibt sich sodann von der Gedächtniskirche zum Markte, wo Lehrer Bindernagel die Hauptansprache hält und der mitanwesende Generalsuperintendent D. Schöttler, Magdeburg, die Schlußworte spricht. Drei dichtgefüllte Versammlungen schließen sich an: für Frauen im Schützenhof, Männer im Schwan, Jugend in der Gedächtniskirche. Der Sommer ist reich an heftigen, mehrfach von Hagelschlägen begleiteten Gewittern und artet zuletzt in Landregen aus, so daß die Ernte nur unter großen Beschwerden eingebracht werden kann. Jedoch ist der Nachsommer freundlich und warm. Am 16. und 17. Juli wird in Delitzsch das 25jährige Sorbengauturnfest unter Leitungdes Gauvorsitzenden Louis Hampe, Delitzsch, gefeiert. An den am 17. auf dem Schützenhofplatze statthabenden Wettkämpfen beteiligen sich mehr als 1200 Turner und Turnerinnen. Auch das 14 Tage vorher unter Leitung von Studiendirektor Dr. Becker und Bürgermeister Dr. Baumgardt im Delitzscher Schlosse veranstaltete, von wohl 2000 Menschen besuchte große Jugend- und Volksfest verdient chronistisch festgelegt zu werden. Zur ewigen Ruhe geht ein am 30. September im 63. Lebensjahre der ob seines segensreichen Wirkens in mehr als 30jähriger seelsorgerischer Tätigkeit viel betrauerte Archidiakonus Kohlmann. Pfarrer Lic. Suckert rückt in das Amt des zweiten Geistlichen ein. Konrektor Müller tritt nach dem Totenfeste von seinem Amte als Stadtkantor zurück. Die Denktafel der gefallenen Lehrer und Schüler des ehemaligen Seminars wird in die Vorhalle der Kriegergedächtniskirche gebracht.


1928
Rektor Eichtet tritt, nachdem er bereits mehrere Monate lang krankheitshalber beurlaubt gewesen, am 31. März in Ruhestand. Sein Nachfolger, Rektor Karl Miethlich, vorher Seminarlehrer in Genthin, übernimmt die Stelle als Rektor an der Mittelschule zunächst auftragsweise, wird aber bald darauf endgültig bestätigt. Fast um die gleiche Zeit scheidet auch Superintendent Hobbing aus dem Amte. Am Ostersonntag hält er seine Abschiedspredigt Ferner scheidet noch mit dem 31. März Polizeikommissar Stephani aus nach fast 30jähriger treugeführter Amtszeit. An seine Stelle tritt am 1. April Polizeikommissar Karl Schulz. Am 16. Juli beginnt ein neuer größerer Erneuerungsbau in und an der Stadtkirche, ausgeführt unter Zuziehung des Provinzial-Konservators vom hiesigen städtischen Bauamt und dessen Leiter Oberbausekretär Kratsch. Einige Wochen vorher (20. Mai) wieder Reichs- und Landtagswahlen. Verhältnismäßig günstig schneiden ab die Deutschnationalen und die Wirtschaftspartei, letztere mit 1141 bzw. 1142 Stimmen, wogegen die Zahl der nationalsozialistischen Stimmen vorerst noch geringfügig bleibt (103 bzw. 95). Die Stimmenzahl der marxistischen Parteien ist wieder sehr bedeutend und hat gegen früher Zuwachs erfahren (Kommunisten 2415 bzw. 2384, Sozialdemokraten 1628 bzw. 1615). Oktober. Das Schloß geht gegen eine Kaufsumme von 75 000 Mark in den Besitz der Stadt über. Dagegen bleibt das ehemalige Lehrerseminar staatliches Besitztum und wird als Behördenhaus eingerichtet. Noch indenlaufenden Herbstmonaten übersiedeln dorthin: 1. das Amtsgericht, 2. das Staatshochbauamt, 3. Katasteramt, 4. Staatl. Kreiskasse, 5. Zollamt, 6. Finanzamt. Außerdem wird dort eine Zweigstelle der Stadtbank untergebracht. Am 21. Oktober, 13 1/2 Uhr, findet in der Gedächtniskirche die Einführung des Superintendenten Wilhelm Fries durch Generalsuperintendent D. Schöttler, Magdeburg, statt. Auftragsweise wird am 13. November dem Pfarrer Walter Sichert aus Wolmirstedt die hiesige dritte Pfarrerstelle übertragen. Am 17. Dezember sehen sich die Bewohner unserer Stadt plötzlich ohne Leitungswasser. Die Ursachen des Versagens der Wasserversorgung sind zu suchen: 1. in zu starker Versandung des Sammelschachtes und 2. in einer Luftbildung in der kürzlich gereinigten Saugeleitung. Die notwendige Inkrustierung in der letzern ist beseitigt, weshalb die Luft nicht mehr abgesaugt werden kann, so daß vor den Pumpen ein Luftsack entstanden ist. Außer 4 neuen Filterbrunnen ist von den 4 alten Brunnen nur noch einer im Betriebe. Bis zur notdürftigen Beseitigung der eingetretenen Schäden muß die Freiwillige Feuerwehr sechs volle Tage lang (auch die Nächte) mit der neuen Motorspritze eintreten, welch letztere an den größten Kesselbrunnen in der Lindenstraße (gegenüber Café Moltke) angeschlossen wird und das Brunnenwasser in den Leitungsweg drückt. Öffentlich bekannt gemacht wird zugleich, daß dieses nicht gereinigte Brunnenwasser nur in abgekochtem Zustande genossen werden darf.


1929
Infolge der Wasserkalamität sieht sich noch vor Ablauf des alten Jahres der bisherige Dezernent über das Wasserwerk, Stadtrat Graul, gezwungen, dieses Dezernat abzugeben. Stadtrat Fritzsche tritt an seine Stelle. Auch wird noch vor Eintritt in das neue Jahrdie Firma Pfeffer Nachft, Halle S. (Inhaber Ingenieur Müller) mit schleunigster Abstellung der zutage getretenen Mängel beauftragt. Es gelingt auch etwa eine Woche nach dem Versagen der Wasserversorgung, die Leitung wenigstens auf einige Stunden des Tages wieder gebrauchsfähig zu machen. Doch vergeht noch fast ein halbes Jahr, bis alle entstandenen Schäden vollständig beseitigt sind. Zur Beseitigung des Notstandes erweisen sich folgende Maßnahmen als nötig: 1. die Beschaffung neuer Brunnen und neuer Saugleitung; 2. Umbau der alten Entsäuerungsund Enteisenungsanlage; 3. als Betriebsreserve Einbau eines neuen Rohölmotors. Völlig beendet sind diese Arbeiten erst am 3. Juni. Sie erfordern einen Kostenaufwand von mehr als 250 000 Mark. Von weitern Erneuerungsbauten des Jahres sind auszuführen: 1. die Fortführung des Baus an und in der Stadtkirche, dessen Fertigstellung sich noch bis in den Herbst hinzieht. Erst am 29. September (18. Sonnt. n. Trin.) kann die Wiedereröffnungder Kirche durch Festgottesdienst erfolgen, wobei Generalsuperintendent D. Schöttler, Magdeburg, die Festpredigt hält. Nachmittags,von 15 Uhr an, findet zur weitern Feier des Tages eine geistliche Musikaufführung statt, deren Leiter Lehrerund Organist Schrödter ist. Die Kosten dieses Erneuemngsbaus sind auf etwa 85 000 Mark zu veranschlagen. 2. Umbauten am Rathause. Der Umzug des bisher im Rathause mituntergebrachten Amtsgerichts nach dem Behördenhause läßt eine Anzahl Büroräume im Rathause frei werden, die Umbauarbeiten erforderlich machen. Die Räume werden gründlich erneuert, das ganze Gebäude durch die ausführende Firma (Mitteldeutsche Industriewerke, Merseburg) mit Warmwasserheizung versehen und durch Firma Lorenz A. G., Leipzig, mit einer automatischen Telefonanlage, in die auch die Schulen einbezogen werden. Der Stadtverordneten-Sitzungssaal wird durch Errichtung einer Zuschauertribüne erweitert. Kostenaufwand 95 000 Mark in runder Summe. 3. Neubau eines Feuerwehrdepots am Schäfergraben mit Steigerturm und einer für den Gerätewart eingebauten Wohnung. Die Baukosten betragen rund 45 000 Mark. 4. Auch im Schlosse werden einige Umbau- und Instandsetzungsarbeiten vorgenommen, allerdings nur notdürftig, da nur sehr geringfügige Mittel zur Verfügung stehen. Es werden Räume für die vorher in der Pestalozzischule (ehemals Präparandenanstalt) untergebrachte Volksbücherei hergestellt, desgleichen solche zur Aufnahme des zuvor in der Mittelschule befindlich gewesenen Heimatmuseums. Die Umräumung des letztern kann erst im Oktober unter Beihilfe von Schülern der Oberrealschule durch den Vorsitzenden des Museumsvereins, Justizrat Dr. Schulze, und dessen Angehörige sowie einige andere Helfer vorgenommen werden. Die Eröffnung des Museums in den neuen Räumen wird mit einer Feier verbunden, in der außer von Justizrat Dr. Schulze noch Ansprachen gehalten werden von dem aus Schkeuditz eingetroffenen Superintendenten i.R. Schäfer, dem frühern Vorsitzenden des Museumsvereins, sodann dem Leipziger Stadtmuseumsdirektor Dr. Schulze als Vorsitzendem der Vereinigung mitteldeutscher Heimatmuseen; Bürgermeister Dr. Baumgardt als Vertreter der Stadt und Rektor Burchardt, der die Verdienste des derzeitigen Vorsitzenden würdigt... Zur Unterbringung Obdachloser werden noch Wohnräume in einem Nebengebäude des Schlosses geschaffen. In diesem Jahre wird endlich auch die dringend notwendige Neupflasterung der Hauptverkehrstraßen der Stadt vorgenommen. Die 700 m lange Gitterfelder Straße erhält bis auf den Teil vor der Knabenschule, der asphaltiert wird, Kleinpflaster und wird nach angemessener Erweiterung mit einem Radfahrerwege ausgerüstet, die Kohlstraße wird durch die "Deutsche Aspahlt A.-G., Leipzig", mit Hartgußasphalt versehen, der Roßplatz durch je eine Schicht von Steinmehl und Schotter befestigt und durch besondere Bordkante abgegrenzt. Nebenbei wird auch die Querstraße noch umgepflastert und kanalisiert, welch letzterer Vorteil auch der verlängerten Körnerstraße, der Freiherr von Steinstraße, der Angerstraße und Straße A 1 zuteil wird. Die Fußgängerbrücke über den Leber an der Elberitzmühle wird vollständig erneuert. Zur Anschaffung kommt auch ein alsbald in Betrieb genommener Motorsprengwagen. Die Gesamtkosten fürPflasterungbetragen in diesem Jahre rund 214 000 Mark. Mit Beginn dieses Jahres werden die ländlichen Gutsbezirke aufgelöst. In der Nacht des 15. März verunglückt der Polizeisekretär Martini, indem er nach Verlassen der Gastwirtschaft Elberitzmühle beim Überschreiten des Hochwasser führenden Lobers wahrscheinlich von einem Schwindel erfaßt wird und in die Fluten stürzt, von denen er fortgerissen wird. Magistratssekretär Albin Bottger wird sein Nachfolger (ernannt am 1. August). Der schon seit dem Vorjahre hier tätige dritte Geistliche, Pfarrer Siebert, wird am 10. Februar gewählt und am 5. Mai eingeführt. Mitte Mai wird das durch die Baumeister Metzner und Zerner im Schützenhofe neuerbaute Keglerheim, dessen Baukosten ungefähr 32 000 Mark betragen, feierlich eingeweiht. Am 10. Jahrestage der Unterzeichnung des Versailler Friedens (28. Juni) findet auf dem Marktplatze gegen Abend eine große Kundgebung statt, wobei Studienrat Dr. Eckstädt die Ansprache hält und der Vorsitzende des Kreiskriegerverbands, Bankdirektor Bosselmann, eine an die Reichsregierung zu richtende Entschließung zur öffentlichen Kenntnis bringt. Ein von Pfarrer Siebert in der Gedächtniskirche abgehaltener Trauergottesdienst schließt sich an. 3. Oktober. Ableben des Reichsaußenministers Stresemann, des Befreiers der Rheinlande von feindlicher Besetzung. Studiendirektor Dr. Mayer aus Lichterfelde tritt hier im Oktober auf einige Wochen als Direktor der Oberrealschule in Tätigkeit, kehrt aber, da ihm von der Stadtbehörde nicht das nötige Entgegenkommen gezeigt wird, bald wieder an den Ort seiner früheren Wirksamkeit zurück. Der Fall wird am 30. Oktober Gegenstand einer Verhandlung im Stadtparlamente. Ein gegen die Weitererfüllung des Youngplans gerichtetes Volksbegehren (2. Nov.) findet die nötige Unterstützung. Im Kreise Delitzsch zeichnen sich von mehr als 51 000 Wahlberechtigten 10 309 in die ausliegenden Listen ein. Einer Rieselfeldgenossenschaft, die sich behufs Schaffung einer ausreichenden Kläranlage unter dem Vorsitze von Landrat Meister gebildet hat, tritt der Magistrat bei. 17. November (Sonntag) Provinziallandtags-, Kreistags- und Kommunalwahlen. Die Delitzscher Stadtverordnetenwahl ergibt für die Bürgerlichen und Marxisten Stimmengleichheit (13 :13). Dasselbe ist im Kreistage der Fall. Bürgermeister Dr. Baumgardt wird Abgeordneter des Provinziallandtags. Am 17. Dezember wird Stadtv. Geithe (KPD.) für eine Sitzung zum Vorsteher gewählt. Unbesoldete Stadträte werden die drei Bürgerlichen Tauche, Rechnungsrat i.R. Schmidt und Fritzsche, ferner Hampe (SPD.), Gebhardt (KPD.), Kotze (KPD.). Eine schon länger von der Postverwaltung geschaffene Personenautoverbindung nach Löbnitz und Düben wird der schlechten Verbindung wegen bemängelt.


1930
7. Januar. Der neue Studiendirektor Dr. Eduard Letz aus Halle wird durch Oberschulrat Dr. Zipperling, Magdeburg, in sein neues Amt als Direktorder Oberrealschule eingeführt. In der ersten Stadtverordnetensitzung des Jahres (21. Januar) wird nach drei Wahlgängen Stadtv. Buhle (SPD.) zum Vorsteher gewählt. Stellvertreter wird der in der letzten Sitzung des Vorjahres für diese eine Sitzung zum Vorsteher gewordene Stadtv. Geithe (KPD.), ein Amt übrigens, das in der ganzen Zeit der bürgerlichen Führung dem Stadtv. Rektor Hansjürgens zuerkannt war. Die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz feiert am 6. September das Fest ihres 25jährigen Bestehens. Zwei der Kolonne noch angehörende Mitbegründer, Schützler und Hecker, erhalten Auszeichnungen. Der Zentrumsmann Brüning wird Reichskanzler, und es beginnt die Periode der Notverordnungen und der unter dem Namen "Notopfer" vorgenommenen Gehaltskürzungen der Beamten und Angestellten. Am 18. Juli wird auf Betreiben des Kanzlers der Reichstag aufgelöst, um durch Neuwahlen eine sichere Regierungsmehrheit zu erlangen. Letztere finden am 14. September statt und ergeben für die Nationalsozialisten einen ungeheuern Wahlerfolg. 6 400 210 Wählerstimmen für die NSDAP, die infolgedessen 107 Mandate erringt. Im übrigen erleiden die bürgerlichen Mittelparteien eine Niederlage, weshalb eine Regierungsmehrheit nicht zustande kommt. In mehrfachen Sitzungen gelangen die Stadtverordneten nicht zur Aufstellungeines Haushaltsplanes, weshalb ein solcher im Oktober von der Merseburger Regierung festgesetzt wird. Die Stadt erhebt dagegen Beschwerde beim Provinzialrat, jedoch ohne Erfolg. Das von den Körperschaften beschlossene umfangreiche Wohnungsbauprogramm kommt zur Durchführung. Am Wasserwerk wird ein Gebäudekomplex, 40 Wohnungen enthaltend, errichtet. Ausgeführt wird der Bau von der Mitteldeutschen Heimstätten-Wohnungsfürsorge, G.m.b.H. Merseburg. Die Gesamtkosten betragen in runder Summe 378 000 Mark, wovon 168 000 Mark durch Aufnahme einer Hypothek, 160 000 durch Inanspruchnahme der Hauszinssteuer, der Rest durch Anleihe bei der Stadtbank gedeckt werden. Dieprivate Bautätigkeit ist diesmal geringer als in den vorherigen Jahren; doch werden immerhin hauptsächlich durch die hierorts bestehenden Bauvereine und Genossenschaften, 33 Grundstücksneubauten mit 106 Wohnungen und 2 Läden aufgeführt. Außerdem werden noch 17 Neu-, An-und Umbauten von Wohnungen an bereits vorhandenen Grundstücken vorgenommen. Auch der von den städtischen Körperschaften beschlossene Krankenhausumbau kommt zur Ausführung. Der mitvorgesehene Neubau eines Krankenpavillons wird von der Firma Christoph und Unmack, Niesky, geliefert; die Instandsetzungs- und Umbauarbeiten führen hiesige Handwerksmeister und Gewerbetreibende aus. Im Schlosse werden noch etliche kleinere Umbauten vorgenommen, so die Herrichtung weiterer Obdachlosenräume und die Errichtung eines Kinderhorts. Der Kostenaufwand für letztere (2000 Mark) wird von der Stadtsparkasse hergeliehen. Den Straßenbau anlangend, wird der Gerberplan aus laufenden Mitteln mit einer Kaltasphalidecke versehen. Ferner wird die Straßendecke des an die Provinzialstraße anschließenden Teils der Dübenerstraße neu grundiert und mit einer Heißteerdecke überzogen. Zur Kostendeckung gewährt der Kreis eine Beihilfe von 6500 Mark. Durch den Kreis bzw. die Rieselfeldgenossenschaft wird bei Schenkenberg eine Rieselfeldanlage geschaffen, zu deren Kostendeckung die Stadt 17 500 Mark beiträgt. Der Polizeikommissar Schulz, infolge seiner Vorliebe für den Trunk und sein oft würdeloses Auftreten bereits unbeliebt geworden, macht sich am 12. Juli spät abends nach der Rückkehr von einem in Zschortau bei einem Tanzvergnügen durchlebten, für ihn beschämenden Abenteuer dadurch vollends unmöglich, daß er in hiesigen Lokalen Streitigkeiten beginnt und wüsten Lärm anschlägt, so daß er gewaltsam zur Wache gebracht werden muß. Er wird anderen Tags sofort seines Amtes vorläufig enthoben und, da sich später, im Laufe der nachfolgenden Untersuchung herausstellt, daß er zur Erlangung der Kommissarstelle eine Fälschung begangen, die ihn in Zwiespaltmitden Strafgesetzen bringt, fristlos, ohne Gewährung von Ruhegehalt entlassen. Als Ersatz wird Polizeimeister Hiller von Halle abkommandiert, der die Geschäfte vom 27. August bis 11. Januar 1931 versieht.


1931
Die Neujahrsnacht verläuft in Delitzsch sehr unruhig. Ausschreitungen nötigen die Polizei mehrfach, mit Hilfe von Gummiknüppeln die Straße zu räumen. Für Polizeimeister Hiller tritt am 11. Januar Polizeileutnant Mühle ein. In der am 4. Februar tagenden Stadtverordnetensitzung wird Gewerbeoberlehrer Stadtv. Scharruhn im 3. Wahlgange mit 13 gegen 11 Stimmen (2 Zettel unbeschrieben) zum Vorsteher gewählt. Stellvertreter wird, nachdem die Stadt¢ Buhle und Richter abgelehnt hatten, gleichfalls im 3. Wahlgange, Stadtv. Freitag. Die Erwerbslosenzahl steigert sich erheblich. Der Kreis Delitzsch hat in diesem Jahre 2,5 Millionen Mark Wohlfahrtsausgabe. Der Stahlhelm leitet ein Volksbegehren über Auflösung des preußischen Landtags ein, das am 21. April zum Abschluß gelangt und erfolgreich ist. Im Kreise Delitzsch beträgt die Beteiligung 32 Prozent aller Wahlberechtigten. Deram 9. Augustnachfolgende Volksentscheid dagegen verläuft ungünstig, da sich im Lande nur 37,1 % der Wahlberechtigten für die Auflösung erklären, während 50 % nötig sind. In Delitzsch beträgt die Beteiligung 49,3, im Kreise gar 59,3 %. Im Mai tritt erneute Gehaltskürzung der Beamten und Angestellten ein. Anfang Juli wird die Darmstädter Nationalbank illiquid, wodurch sich die Schwierigkeiten des gesamten Finanzwesens im Reich noch wesentlich steigern. Nach einer Bekanntmachung vom 13. Juli, der zwei Tage später eine neue Notverordnung folgt, muß eine Rationierung der Gehaltszahlungen eintreten, die künftig zunächst halbmonatlich erfolgen, später sogar in drei Teilbeträgen, am 1., 11. und 21. des Monats. Die Zahl der Erwerbslosen steigt weiter in erheblicher Weise. Die Bautätigkeit ist eine weit geringere als im Vorjahre. Neubauten, und zwar deren 4, werden lediglich durch den Bauverein für Eisenbahnbeamte und -arbeiter e.G.m.b.H., Delitzsch, in Angriff genommen und durchgeführt. Die Gebäude mit insgesamt 24 Wohnungen werden errichtet in der Anger- bzw. Lindenstraße. Die Stadt beschränkt sich auf den weiteren Ausbau der neuerrichteten Häusergruppe am Wasserwerk (Bitterfelderstraße 54-78) und weitere Umarbeiten im Schloßgrundstücke, die sich als nötigerweisen, um für die Hilfsschule und die Kaufmännische Berufsschule geeignetere Klassenräume zu schaffen. Außerdem werden das alte GefängnisEingangstor sowie die an der Schloßpromenade entlang führende alte Gefängnismauer abgebrochen, wodurch ein schönerer Anblick erzielt wird. Alle diese Neubauten erfordern einen Kostenaufwand von gegen 31 000 Mark. Ende September tritt Mädchenschulrektor Burchardt in den Ruhestand. Bis zum Eintreffen eines neuen Rektors versieht die Geschäfte in Vertretung Konrektor Müller. Am 5. November wird die Wohnungszwangswirtschaft aufgehoben.


1932
Ein Jahr voller Unruhe für den Staatsbürger, der in diesem bewegten Zeitabschnitt nicht weniger als fünfmal zur Wahlurne schreiten muß. Zweimal wegen der Reichspräsidentenwahl, da Hindenburg bei der ersten Wahl (13. März) gegenüber den anderen Kandidaten (Hitler, Duesterberg, Thälmann) wohl eine starke Mehrheit erhält, nämlich über 18 Millionen Stimmen, aber noch nicht die völlig absolute. Erst im zweiten Wahlgange (10. April) wird diese mit über 19 Millionen von mehr als 36 Mill. Wahlbeteiligten überschritten. In Delitzsch erhält Hindenburg bei dieser zweiten Wahl 3 740 von 10 917 Stimmen, Hitler deren 3282 und Thälmann 2146, im Kreise Delitzsch von 57 791 Stimmen Hindenburg 15 638, Hitler 20 633 und Thälmann 11 254. Die nächste Wahl (24. April) gilt dem preußischen Landtage, für dessen Abgeordnete die Wahlperiode abgelaufen. Sie erbringt den Beweis eines weitern Vordringens der NSDAP., deren Fraktion von 9 auf 160 Mitglieder steigt. Die Sozialdemokraten verlieren mehr als 40 Sitze, ebenso allerdings auch die Deutschnationalen, während die Mittelparteien fast ganz zerrieben werden. Nur die Kommunisten können einen mäßigen Gewinn verzeichnen. In Delitzsch beträgt die Stimmenzahl der NSDAP 3191, SPD. 1238 Stimmen, KPD. 2130 St., DNVP. 468, Soz. Arb.-PD. 342, Deutsche Volksp. 310. Die übrigen meist unter 200 Stimmen bleibenden Parteien kommen nicht mehr in Betracht. Im Kreise werden an Stimmen gezählt: NSDAP 19 333, KPD. 11 788, SPD. 7388, DNVP. 2127, Landvolk 1316. Alle andern Parteien unter 1000. Die nach Rücktritt des Kabinetts Brüning (30. Mai) unter Kabinett von Papen nach erfolgterAuflösung (4. Juni) für 31. Juli ausgeschriebenen Reichstagsneuwahlen bringen der NSDAP. 230 Mandate ein; SPD. erhält deren 133, KPD. 88, DNVP. 37, Zentrum und bayr. Volkspartei zus. 96. Die übrigen sind nur noch als Splitterparteien anzusprechen. Stimmenergebnis in Delitzsch: NSDAP 3373, SPD. 1941, KPD. 2766, DNVP. 567, Zentr. 203. Alle andern unter 200. Gesamtzahl: 9307. Im Kreise: Gesamtstimmzahl 47 721, NSDAP 20 590, SPD. 8512, KPD. 13 464, DNVP. 2490. Alle andern unter 1000. Reichstagswahl am 6. November (nach abermaliger Auflösung) NSDAP nur noch 195 Mandate (Einbuße 35) SPD. 131, KPD. 100, Zentr. und. bayrische Volksp. 88, DNVP 51, Deutsche Volkspartei 11. Stimmenzahl in Delitzsch: Insgesamt 8831, NSDAP. 2662, SPD. 1472, KPD. 2854, DNVP. 777, Deutsche Volkspartei 282. Alle andern unter 200. Im Kreise: lnsgesamt 64 228, NSDAP 17 074, SPD. 7741, KPD. 14 169, DNVP 4823, Deutsche Volksp. 946. Alle andern weit unter 1000. Das Kabinett von Papen tritt am 18. November zurück. Am 2. Dezember wird General von Schleicher zum Reichskanzler ernannt. Einige Angaben von rein ortsgebundener Färbung seien noch angeschlossen: Im Anfange des Jahres wird mit Schulbeginn der neue Rektor der Mädchenschule, Otto Schiedt, vorher Lehrer in Alsleben, durch Kreisschulrat Sehmisch in sein Amt eingeführt. 20. Januar wieder Vorstandswahl in der ersten Jahressitzung der Stadtverordneten. Vorsteher wird wieder Stadtv. Gewerbeoberlehrer Scharruhn, Stellvertreter Kreisausschußobersekretär Richter. Polizeileutnant Mühle wird am 5. März abberufen. An seine Stelle tritt Polizeikommissar Göpel. 22. März Feier des 100 jährigen Todestages des großenDichters Goethe. Die Gedenkrede hält in der Oberrealschule Studienrat Dr. Simon, in der Mittelschule Mittelschullehrer Joel, in der Knabenvolksschule Lehrer Schenke, in der Knabenvolksschule Lehrer Schenke, in der Mädchenschule Lehrer Hirschfeld. Die Hindenburgstraße und der anschließende Teil der Leipzigerstraße bis zum Bahnübergange werden erneuert. Erstere erhält einen Hartgußasphaltüberzug, was übrigens auch mit einem Teile der Schulstraße, vor der Mittelschule, geschieht, der betr. Teil der Leipzigerstraße wird mit Kleinpflaster versehen. Die Kosten können diesmal gedeckt werden durch eine Beihilfe der Gesellschaft für öffentliche Arbeiten, Berlin, im Betrage von 46 500 RM in Verbindung mit einer Zuwendung der Reichsanstalt zur Bauförderung in Höhe von 6175 Mark. Der diesjährige Haushaltsplan der Stadt weist einen ungedeckten Fehlbetrag von 346 000 Mark auf, davon allein 321 000 Mark im Wohlfahrtshaushalt. Die Erwerbslosenziffer steigt weiter in beunruhigender Weise und beträgt im letzten Monat des Jahres weit über 6 Millionen. 14. Dezember, letzte Stadtverordnetensitzung.


1933-1934
Vorbemerkungen
Es wird späteren Arbeiten von Historikern und Heimatforschern vorbehalten bleiben, die Geschichte unserer Stadt in den Jahren von 1933 bis 1945 umfassend darzustellen und die Ereignisse historisch zu werten. Reulecke beendete seine Chronik 1934 und nahm bei der Interpretation Wertungen vor, die einer kritischen Betrachtung nicht standhalten. Bestimmte Ereignisse, wie zum Beispiel der Reichstagsbrand, sind erst später im Hinblick auf Ursachen, Beweggründe und Ziele in ihrer historischen Wahrheit erkannt worden. Deshalb muß in der vorliegenden Überarbeitung der Chronik von Reulecke für diese beiden Jahre von seiner Darstellung Abstand genommen werden. Trotzdem sind zahlreiche, von Reulecke zusammengetragene Fakten dieser beiden Jahre bedeutsam und werden in den nachfolgenden Ausführungen genutzt.
Alfred Schirmer

1933
30. Januar:
Hitler wird nach dem Rücktritt der Regierung Schleicher zum Reichskanzler berufen. Es beginnt der systematischer Abbau der Demokratie und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Der Reichstag und der preußische Landtag werden aufgelöst. Neuwahlen werden für den 5. März angekündigt.
3. Februar:
In Delitzsch finden ein Fackelzug und eine Kundgebung statt. Veranstalter sind die NSDAP und der Stahlhelm.
7. Februar:
Eine für den 7.2. von den Gewerkschaften geplante Demonstration wird polizeilich verboten, findet aber trotzdem statt. Ca. 800 Teilnehmer marschierten mit "Niederrufen" durch die Breite Straßezum Marktplatz. Polizei und Landjägerbeamte treiben die Demonstranten mit dem Einsatz von Gummiknüppeln auseinander.
27. Februar:
Der Reichstagsbrand in Berlin, von der Parteiführung der NSDAP bewerkstelligt, angeblich von dem holländischen Kommunisten van der Lubbe "und einigen unbekannt gebliebenen Helfershelfern" angestiftet, dient der Regierung Hitler zum Vorwand für die Ausschaltung politischer Gegner, deren Verhaftung und Inhaftierung in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern.
5. März:
Die Reichstags- und Landtagswahlen, auch die Wahlen zu den ProvinzialKreistagen und Stadtverordnetenversammlungen am 12. März sind im Hinblick auf die Maßnahmen gegen politische Gegner der NSDAP nicht als freie, demokratische Wahlen zu bezeichnen. Trotzdem sollen hier einige Ergebnisse genannt werden:
Wahlergebnisse Delitzsch Reichstag:

NSDAP

4069

39,8 %

SPD

1523

14,9 %

KPD

2893

28,2 %

Kampffront schwarzweißrot

1045

10,02%

Zentrum

214

2,4 %

übrige 4 Parteien unter 200

 

4,7 %

Gesamtstimmzahl = 10 230

 

 

Wahl der Stadtverordneten Delitzsch:

NSDAP

12

Mandate

SPD

3

"

KPD

6

"

Kampffront S-W-R

4

"

Bürgerliche Mitte

1

"

19. März:
Treffen der NS-Organisation des Kreises in Delitzsch auf Anordnung der Reichsleitung der NSDAP
21. März:
Eröffnung des Reichstages in der Garnisonskirche in Potsdam. In Delitzsch Fackelzug.
24. März:
Annahme des Ermächtigungsgesetzes im Reichstag, wonach der Reichsregierung diktatorische Gewalt zugesprochen wird. In Delitzsch tritt auf Veranlassung der Kreisleitung der NSDAP der erste Bürgermeister Böttcher wegen Erkrankung einen Erholungsurlaub an. Er kehrt nicht wieder in sein Amt zurück und wird in den Ruhestand versetzt. Ein Sexualverbrecher macht sich eines Mordes schuldig und wird nach dem Urteil des Schwurgerichts in Halle hingerichtet.
8. April:
Eröffnung des Kreistages durch Landrat Meister.
11. April:
Erste Sitzung des neuen Stadtparlaments. Ansprache durch den Bürgermeister Dr. Baumgardt. Anwesend sind nicht die marxistischen Stadtverordneten, von denen sich die meisten in Schutzhaft befinden. Stadtverordnetenvorsteher wird Herr Spangenberg, Stellvertreter Herr Platen (beide NSDAP). Unbesoldete Stadträte:
Herr Klärung - NSDAP (Kreisleiter)
Herr Hofmann- NSDAP
Herr Darre - NSDAP
Herr Rauchhaus - NSDAP
Herr Leichen - NSDAP
Herr Kieler - Kampffront Schwarzweißrot
Es wird beschlossen, Hitler das Ehrenbürgerrecht anzutragen.
29. April:
Gedächtnisfeier des 50. Todestages von Schulze-Delitzsch am Nachmittag vor dem Denkmal, am Abend im Schützenhaus. "Es setzt nunmehr ein in deutschen Landen bisher noch nie erlebtes und fast unerhört zu nennendes Gleichschaltungswerk ein. Die politischen Parteien, die Gewerkschaften, Vaterlandsverbände, Militärvereine, Innungen, Sportvereine, Lehrervereine u.a., alles wird gleichgeschaltet und der Hitlerbewegung eingereiht, auch die Kulturverbände, Schriftsteller-, Bühnenkünstler-und andere Vereinigungen, auch die hiesige Freiwillige Feuerwehr, deren Führer Schlossermeister Hermann Mietzsch ist. Auch auf kirchlichem Gebiet finden Einheitsbestrebungen statt. Es bildet sich die Vereinigung der "Deutschen Christen", der sich allerdings innerhalb der evangelischen Kirche der "Notbund" entgegenstellt. Vor allem werden umfassende Anstalten getroffen, der brennenden Frage der Arbeitslosigkeit beizukommen. Eine der ersten Handlungen der neuen Regierung ist die Einrichtung des "Freiwilligen Arbeitsdienstes". Auch nach Delitzsch wird ein Arbeitslager verlegt, und zwar in die außer Betrieb gesetzte Bauer'sche Walzenmühle. Es wird die sich über das ganze Reich erstreckende "Arbeitsfront" gebildet mit über 40 Millionen Mitgliedern. In Delitzsch erfolgt die Umbenennung folgender Straßen und Plätze:

"Marienplatz" in Adolf-Hitler-Platz"
"Am Stadtpark" in ""Tannenbergstraße"
"Rathenaupromenade" in "Kaiser-Wilhelm-Ring" bzw. "Auguste-ViktoriaRing"
"Schloßpromenade" in "Schulze-Delitzsch-Ring"
"Dübener Straße" in "Hermann-Göring-Straße"
"Dübener Vorstadt" in "Dübener Straße"
"Gartenstraße" in "Langemarckstraße"
"Nordstraße" in "Schlageterstraße"
"Nordplatz" in "Horst-Wessel-Platz"
"Lindenstraße" in "Albert-Böhme-Straße"
Die neue, vom Schulze-Delitzsch-Ring nach dem Rosenthale führende Straße wird "Oskar-Reime-Straße" genannt.

26. Mai:
In Delitzsch wird eine Wasserverwertungsgenossenschaft gegründet. 5 Bevollmächtigte der 4 Rieselgebiete des Kreises Delitzsch werden gewählt.
21.-25. Mai:
Jubelfeier des 75jährigen Bestehens der Mittelschule. Die Leitung dazu hat Direktor Miethlich. Wettspiele, Elternabend, Wiedersehensfeier, 2 Theaterstücke ("Die zertanzten Schuhe", "Doktor Allwissend") stehen im Programm und finden großen Anklang.
16. Juni:
Die Volkszählung für die Stadt ergibt:

Bewohnte Grundstücke

1356

 

selbständige Haushaltungen

4972

 

 

 

 

männliche Personen

8085

 

weibliche Personen

8462

     zusammen: 16 547

 

 

 

für den Kreis Delitzsch:

 

 

männliche Personen

42 172

 

weibliche Personen

43 064

     zusammen: 85 236

1. Juli: Die Kreissparkasse feiert ihr 75jähriges Jubelfest
23. Juli: Der Gemeindekirchenrat setzt sich wie folgt zusammen: 8 Vertreter der Glaubensbewegung "Deutsche Christen" und 4 Vertreter aus dem bisherigen Gemeindekirchenrat.
25. Juli: Der Gesangverein "Abendstern" ehrt treue Mitglieder: Die Sangesbrüder Lehmann und Schüßler für 50jährige Mitgliedschaft, der Sangesbruder Exner, der gerade 80 Jahre alt wird, für 64jährige aktive Mitarbeit. Im Schützenhof erfolgt der Erweiterungsbau von 20 Kleinkaliberständen, wovon 10 vollständig ausgebaut werden.
1. August: Heimatschriftsteller Reulecke beginnt in dem seit einem Jahre von der Buchdruckerei Robert Günther, Schulstraße 13, herausgegebenen Tageblatte "Delitzscher Nachrichten" die Herausgabe der vorliegenden Chronik.
2. und 3. September: Feier des 75jährigen Bestehens der Oberrealschule. Festredner ist Studienrat Dr. Müller. Geehrt wird das Hausmeisterehepaar Heese. In der Hauptfeier am 3. September in der Kirche hält Pfarrer Scholl, Salzelmen, ein ehemaliger Schüler der Schule, die Festpredigt. Etliche Tage später gerät der Kreisdeputierte Kreisleiter Klaning in Zwiespalt mit Landrat Meister, der ihm jede Ausübung seiner Amtstätigkeit wegen Gefährdung der Staatsautorität vorläufig untersagt. Infolgedessen wird er vom Gauleiter Staatsrat Jordan als Kreisleiter der NSDAP beurlaubt und Ende des Jahres in gleicher Eigenschaft nach Torgau versetzt. Kreisleiter in Delitzsch wird zunächst, später endgültig, Hugo Schimpf. Generaldirektor Albert Böhme spendet mehrere tausend Mark zur Einrichtung von Parkanlagen an der Badeanstalt. Kurz vorher, am 1. September, findet die Übergabe der nunmehr "Viktoriabad" genannten Warmbadeanstalt an den neuen Pächter Willy Fuchs statt, womit zugleich die Einweihung des Bades zu einem Eisen-Moorbade verbunden wird. In der Umgebung des Bades und auch an anderen Stellen wurden nämlich reichhaltige Moorablagerungen gefunden, die sich nach mehrfachen, durch erste Autoritäten vorgenommene Untersuchungen, als hochwertig zu Heilzwecken herausstellten, und die hoffnungsvolle Aussicht eröffnen, daß die Stadt Delitzsch binnen absehbarer Zeit zu einem gern besuchten Kurorte aufrücken werde.
7. Oktober: 25-Jahr-Feier des Eisenbahnausbesserungswerkes im Schützenhof. Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, Reichstagsauflösung in der Absicht, das Volk zu befragen, ob es die Politik des Kanzlers bewilligt. In Delitzsch wird das "Winterhilfswerk" vorbereitet. An der Spitze: Bürgermeister Dr. Baumgardt und Frau Direktor Aumüller. Die Erwerbslosenzahl im Kreise Delitzsch ist von 4275 am 15. März auf 1524 am 1. November zurückgegangen.
12. November: Reichstagsneuwahlen sowie Volksabstimmung über Bewilligung oder Verwerfung der Reichspolitik. Da es Parteien nicht mehr gibt und eine Einheitsliste aufgestellt ist, kann es sich nur noch um ein "Ja" oder "Nein" bzw. ein Anerkennen oder Ablehnen der Liste handeln. Ergebnisse: Stadt "Ja" 9980 (rd. 89 °/"), "Nein" 832, ungültig 321.
19. November: Feier des 450. Geburtstages Dr. Martin Luthers. In der Kirche sprechen Superintendent Fries und Pfarrer Siebert, am Abend im Schützenhofe Pfarrer Lic. Suckert. 75-Jahr-Feier der 1858 durch Rektor Giesel begründeten Fortbildungsschule und heutigen Berufsschule (seit 1920). Die kaufmännische Schule wurde 1900 Pflichtschule, die Berufsschule 1907. Da Rektor Hans-Jürgens am 1. Juli dieses Jahres die Leitung niederlegte, führt diese zur Zeit auftragsweise der 1930 hierher berufene Gewerbeoberlehrer Wendenburg.


1934
1. Januar:
Die bisherigen städtischen Körperschaften werden aufgehoben. Lediglich dem Bürgermeister wird nach dem Führerprinzip die vollziehende Gewalt und alle Verantwortung in bezug auf kommunalpolitische Fragen zugesprochen. Ein vom Regierungspräsidenten auf Vorschlag des Gauleiters der NSDAP zu berufender Gemeinderat, dessen Mitglieder Ratsherren heißen, ist künftig dem Bürgermeister als beratendes Organ beigeordnet. Die bisherigen Stadträte heißen daher Beigeordnete. Zu den Sitzungen ist die Öffentlichkeit nicht mehr zugelassen. Am Abend des 15. Februar findet im Rathaus-Sitzungssaal die erste Gemeinderatssitzung statt.
Ende Januar: Polizeikommissar Göpel wird als nicht berufsmäßig vorgebildet seines Amtes enthoben und die Kommissarstelle eingezogen. Polizeimeister Tuschling wird mit der Führung der Polizeigeschäfte betraut. Als dieser mit dem 31. Mai in Ruhestand tritt, wird sein Nachfolger vom 1. Juni an Polizeimeister Fritz Faust aus Hettstedt.
1. Februar: In Ruhestand tritt Kasseninspektor Jungnickel, sein Nachfolger wird Büroinspektor Schaaf. NeueTitel werden verliehen an folgende Beamte:
Schimpf – Stadtbürodirektor
Kratsch - Stadtbauinspektor Heinecke-Stadtbüroinspektor Hoffmann - Stadtoberrentmeister Enke - Stadtbüroinspektor Paduch -Sparkasseninspektor
Kölzsch - Stadtobersekretär
Path - Stadtsekretär
18. und 19. Juni:
Der Erzbischof von Paderborn, Dr. Kaspar Klein, hält sich hier 2 Tage auf, um zu firmen.
30. Juni: Die "Röhm-Affaire". Am Tage nach der Erschießung der Verschwörer und Mitverschworenen wird in Delitzsch der bisherige Standartenführer Dr. von Saal verhaftet und nach Halle überführt. Die Untersuchung war bei Abschluß dieser Chronik noch nicht beendet. Außer einigen Straßenumpflasterungen läßt die Stadt einen neuen Verkehrsweg zwischen Eilenburger- und Bismarckstraße herstellen unter Abbruch des von ihr gekauften Hauses Grünstraße 26. Das Jahr 1934 ist ein noch schlimmeres Trockenjahr als das Vorjahr 1933. Das ganze Frühjahr über bis in den Sommer hinein fast kein Regen, weshalb die Getreideernte geringwertig ist, Hackfrüchte und Futterkräuter verkümmern. Nach Mitteilung des Bürgermeisters Dr. Baumgardt sind im Vorjahr 64 Kleinsiedlungen im Weichbild entstanden, und neue sind im Bau. Damit beendete Reulecke seine Chronik, für deren Erarbeitung er Achtung und Anerkennung der Delitzscher Bürger verdient. Seiner fleißigen Arbeit verdanken wir, daß die Lehmannsche Chronik fortgeführt wurde, so daß eine außerordentlich bedeutsame chronistische Zeitfolge bis zum Jahre 1934 vorliegt.