Häuserbuch der Stadt Delitzsch - II.1. Einleitung

Beitragsseiten

Einleitung

Mit dem ersten Teil der Arbeit im I. Band wurde versucht, die Anfänge der Stadtgeschichte in Verknüpfung von archäologischen geschichtswissenschaftlichen Ansatzpunkten zu untersuchen und zu interpretieren. So konnten siedlungsgeschichtliche Prozesse ab dem ausgehenden 14. Jh. bis in die Gegenwart dargestellt werden. Von der ersten Stadtanlage, über eine frühe Neustadt bis hin zur städte-baulichen Verdichtung konnten so, wohl relativ einmalig für vergleichbare Städte in Sachsen, für einen Zeitraum von 600 Jahren das siedlungs-und familiengeschichtliche Wachsen einer Stadt im festen Korsett einer mittelalterlichen Wehranlage intra muros untersucht werden. Im Unterschied zu Eilenburg, Grimma und Wurzen lag Delitzsch in der Phase der inneren Kolonisation des Osterlandes im 12. Jh. nicht an einem strategisch und wirtschaftlich exponierten Flußübergang mit einer frühen Kaufmannssiedlung. Auf Grund dieser zunächst zweitrangigen Lage ist es auch erklärbar, daß bestimmte Wachstumsprozesse wie z. B. in der vergleichbaren Stadt Grimma, sich hier nicht so zügig bis zum 15. Jh. durchsetzen konnten. Der für das Entstehen und Wachsen wichtigste Faktor war der Kreuzungspunkt einer nach Osten führenden Salzstraße und einer in Nord-Süd Richtung verlaufenden Verbindungsstraße und deren beiderseitiger Loberübergang. Nach der städtebaulichen und sozialen Kontinuität in der Altstadt bis zu Beginn des 19. Jh. setzt nun ein langsam fortschreitender Konkurrenzprozess zwischen der wirtschaftlich und sozial in sich erstarrten, nicht erweiterungsfähigen Altstadt und der sich durch Offenheit in drei Himmelsrichtungen und zentraler Lage am Kreuzungspunkt zweier Straßen liegenden Neustadt ein. Mit der preußischen Herrschaft nach 1815 und folgender Gewerbefreiheit bot die Altstadt nur beschränkt Platz für eine vorindustrielle Manufakturentwicklung. Zu einer gewissen Blüte gelangten nur die Strumpf-und Tabakfabrikation. Die 1858 fertiggestellte Bahnverbindung zwischen Leipzig und Dessau, führte etwa 1, 2 km vom Marktplatz entfernt an der Altstadt östlich vorbei. Währenddessen die Altstadt in sich immer mehr "konservierte", setzte ein erster Modernisierungs-und Neubauprozess bis zur städtebaulichen Einbindung des Bahnhofes ein. Vergleichbare Entwicklungen kann man an einigen, etwas abseits der Bahnstrecke liegenden Städte wie z. B. Jeßnitz und Raguhn/Anhalt beobachten. Parallel dazu siedeln sich ab etwa 1860 erste mittelständische Gewerbe im Bahnhofsumfeld und entlang der Straße nach Leipzig im Süden an. Insbesondere aber der Handel wird mit der sich im Osten entwickelnden Kaufkraft wie in einem Sog aus der Altstadt in den Teil der Stadt zwischen Roßplatz und Bahnhof gezogen. Die Erdgeschoßzonen der Häuser werden in der Folgezeit fast vollständig in diesem Teil der Stadt mit Schaufenstern versehen und so die Wohn- zu Handelsflächen. Das zunächst noch in der Altstadt verbliebene Kleinhandwerk geriet mit fortschreitender Industriealisierung in einen immer stärker werdenden sozialen Abstieg. Aus Handwerker wurden so zunehmend industrielle Lohnarbeiter. Die Altstadt erstarrte in baulicher und sozialer Hinsicht und diese Phase setzte sich bis in die jüngste Vergangenheit fort. Mit dem Verfall der Bausubstanz, beginnend schon im ersten Drittel unseres Jahrhunderts, setzte ein zunehmender Asozialisierungsprozess in der hier ansässigen Wohnbevölkerung ein. Das diese Faktoren aber heute eine Chance für die Stadt darstellen bedarf keiner Erklärung, wenn man die vorhandene einmalige Bausubstanz und die mittelalterliche Wehranlage sich als saniert vorstellen kann.