Handschriftliche Chronik von 1816-1952 - 1868-1869

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1868

Dem Lehrer der neuem Sprachen an der hiesigen höheren Bürgerschule, Herrn Kayser, ist von dem Hr.Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medecinal- Angelegenheiten das Prädicat „Ober-Lehrer" beigelegt worden. In diesem Jahr sollte die hiesige höhere Bürgerschule zu einer Realschule I.Ordnung umgestaltet werden, allein da die Zinsen von dem vom Herrn Oberpräsidenten der Provinz Sachsen genehmigten Dotationsfond noch nicht zur Bestreitung der Kosten ausreichen, so wurde davon Abstand genommen und soll die Errichtung der Prima erst in zwei Jahren stattfinden, zu welcher Zeit der erwähnte Dotattionsfond die entsprechende Höhe haben wird. Der Letztere war aus den Gewinn-Überschüssen der Sparkasse vom Oberpräsidenten auf Höhe von 12,000 Rtl., genehmigt worden und da über 6,000 Rtl. pro 1867 wieder vorhanden waren, so kam man bei dem Oberpräsidenten dahin ein, daß diese 6,000 Rtl., welche über die statutenmäßige Höhe des Reserve-Fonds der Sparkasse vorhanden wären, ebenfalls zu dem Schul-Dotationsfond verwendet werden können, was genehmigt wurde. So wurde denn in diesem Jahre aus dem Reservefond der Sparkasse zur Kämmereikasse zur Bildung eines eigenen Schuldotationsfonds" 18,000 Rtl. überwiesen, deren Zinsen zur Schulunterhaltung verwendet werden sollen.

Vom Anfang dieses Jahres an haben folgende Lehrer Gehalts-Zulagen erhalten, nämlich- Diedicke, Bader und Beyer je 30 Rtl., Schubert und Klein je 25 Rtl., Breder 20 Rtl.; und außerdem Rocke und Kiemstedt je 20 Rtl. Gratifikation . Am 23ten März fand unter dem Vorsitze des Herrn Superintendenten Weinrich, den die Königliche Regierung mit der Stellvertretung des behinderten Departements-Rathes beauftragt hatte, der mündliche Theil der Prüfling der diesjährigen Abiturienten unserer höheren Bürgerschule statt, dem schon vor einigen Wochen der schriftliche Theil vorangegangen war. Auf Grund der schriftlichen und mündlichen Prüfung wurden sämmtliche fünf Schüler, die sich dem Examen unterzogen, fiir reif erklärt, und zwar erhielten zwei derselben das Prädicat „genügend bestanden", einer „gut bestanden", zwei derselben sogar die Censur „vorzüglich bestanden".

Am 2ten April Vormittags 11 Uhr fand die öffentliche Einführung des von der Königl. Regierung zu Merseburg bestätigten Bürgermeisters Born durch den Königl. Landrath von Rauchhaupt im hiesigen Rathhaussaale statt.

Am 14ten April verließ uns der Rector Giesel, Dirigent sämmtlicher hiesiger Schulen, um das Amt des Director der Realschule zu Leer in Ostfriesland in der Provinz Hannover zu übernehmen. Derselbe hat sich um die Gründung und Hebung unserer höheren Bürgerschule während seiner zehnjährigen Amtsführung große Verdienste erworben.

Im April war auf Ersuchen beim Ministerium des Cultus der Geheime Regierungs-und Schulrath Wiese aus Berlin hier anwesend, um die höhere Bürgerschule zu prüfen. In Folge dessen wurde dieselbe durch Ministerial- Rescript zur Ausstellung gültiger Zeugnisse über die wissenschaftliche Qualification zum einjährigen Freiwilligen Militairdienst für berechtigt erklärt.(Militair-Ersatz-Instruction vom 26ten März 1868 §.154 Nr. 2£) Nachträglich ist hier noch zu bemerken, daß nach Abgang des Rector Giesel der Ober-Lehrer Kayser die Leitung der höhern Bürger- (Knaben) Schule erhalten hat und ihm auch die Dienstwohnung des Rectors Giesel überwiesen worden ist.

Für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute in Neu-Iserlohn in Westphalen wurden auch hier freiwillige Gaben durch die Expedition des Kreisblattes eingesammelt und nach und nach in Summa 67 Rtl. an das Hülfs-Comite in Neu-Iserlohn abgesendet.

Seit dem März bis mit 11 ten Juli wurden für die Nothleidenden in Ostpreußen Beiträge gesammelt und nach und nach 511 Rtl. 4 Sgr. 3 P£ von dem hiesigen Hülfs-Comite an den Herrn Regierungs-Präsident Rothe in Merseburg zur Weiterbeförderung abgesendet.

Im Monat Juli wurde ein alter Mutter-Schwan, dem Fischerei-Pächter (Sattlermeister Ch. Rotntiger gehörig) von zwei Schülern der höhern Bürgerschule, einem Sohne des hiesigen Faktors Schimpf und einem Sohne des früher in Döbemitz, seit vorigem Jahre bei Lützen angestellten Schullehrers Böhmichen, mit großen starken Steinen geworfen, sodaß dem armen Thiere der obere Knochen des einen Flügels ganz zerschmettert wurde und er in Folge dieser Verwundung starb. Dieser ruchlose Frevel erregte allgemeine Entrüstung, die Sache kam deshalb beim Königl. Kreisgericht zur Verhandlung und wurden beide Knaben ein Jeder mit zwei Tagen Gefängniß bestraft. Die Eltern hatten dem Meister Ronniger Schadenersatz (mit 25 Rtl.) geleistet.Einige Wochen später, am 13ten August, sind von den auf dem Stadtgraben befindlichen jungen Schwänen vier und einige Tage später noch ein alter Schwan von ruchloser Hand vergiftet geworden. Die Thäter sind in diesem letztem Falle leider, trotzdem, daß der Fischereipächter, Sattlermeister Ronniger 10 Rtl. Belohnung auf die Entdeckung derselben gesetzt hatte, nicht ermittelt wurden.

Für die höhere Töchterschule, sowie 1.und 2 Bürgerschule wurde in der Person des Dr. phil.Friedrich Bartels in Göttingen ein Rector mit einem Gehalte von 500 Rtl. vom lten September angestellt und derselbe Montag den 14ten September in der Aula der ersten Bürgerschule durch den Superintendenten Weinrich eingeführt.

Sonnabend den 19. September Mittags zwischen 12 und 1 Uhr brannte ein kleines Wohnhaus im Gehöft des Kohlenhändlers und Hausbesitzers Friedrich Karl Paatz in der Grünstraße (Haus-Nr. 452) bis auf die Umfassungswände nieder. Durch den schadhaften Schornstein war das Feuer auf dem Oberboden herausgekommen. Leider ging dadurch fast die ganze Habe der darin wohnenden armen Müllerschen Familie verloren.

Die Handwerker-Fortbildungsschule wurde Sonntag den 18ten October für das Winterhalbjahr 1868/69 wieder eröffnet. Das Schulgeld beträgt monatlich für Lehrlinge 1 Sgr. 3 Pf., für alle anderen Theilnehmer aber Fortbildungsschule 3 Sgr.

Die am 27ten Mai des Jahres hier verstorbene verwittwete Frau Stadtschreiber Schlockwerder, Therese Pauline geb.Krieger, hat in ihrem Testamente vom 24ten Mai, publiciert loten Juni, der Armenkasse hiesiger Stadt ein Legat von 100 Thalern vermacht. Dasselbe wurde am 3 lten October zur Armenkasse gezahlt.

Nachdem der Neu — und Umbau des hiesigen Bürger-Hospitals zu Ende des August 1855 beendet war, befahl die Königl. Regierung bald nachher im September 1855, daß nunmehr das noch vorhandene Kapital-Vermögen dieser Anstalt, um daßelbe für alle Zukunft sicher zustellen und einen ähnlichen unglücklichen Vorfall, wie den zu Ende des Januar 1826 ganz unerwartet entdeckten (vid.pag 14), dadurch zu verhüten, in Feldgrundstücken sicher angelegt werden sollte. Demgemäß kaufte nun die Hospital-Inspection noch im October 1855 für die Anstalt von der verwittweten Frau Gastwirth Barth 2 1/2 Hufen Feld in Werbener Mark für den Preis von 12,000 Rtl. (vid.pag.253); ferner kaufte die Inspection im Januar 1863 von dem Maurermeister Meie die demselben gehörige, an den Hospitalgarten angrenzende, circa 2 Morgen enthaltende Wiese im Schloßgraben für 1000 Rtl., welche aber nur 2 1/2 Proc.rentirt, mithin zu theuer bezahlt ist; endlich kaufte die Inspection noch im September 1868 von dem Obersteuermann Wilhelm Kuehne 10 Morgen Feld in Rubach Mark für den Preis von 1800 RT1. (Weizenboden).

Am 26ten April wurde Vormittags um 11 Uhr plötzlich der Stadtsecretär Christian Gottfried Roenicke, 60 Jahre alt, verhaftet, angeblich wegen Urkundenfälschung und Unterschlagung amtlich empfangener Gelder. Diese Nachricht erregte im Publikum große Sensation und Verwunderung, weil der Stadtsecretär pp. Roenicke bisher bey Jedermann nur als ein ehrlicher Mann bekannt war. Vom Magistrat ward nun die weitere Untersuchung der ihm zur Last gelegten Verbrechen dem hiesigen Königl. Kreisgericht übergeben, in deßen Gefangenen-Anstalt der pp. Roenicke neun Wochen in Untersuchungshaft saß, und erst nach Ablauf dieser Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt, blieb aber noch von seinem Amte suspendirt . Am 7ten November kam zuletzt noch diese Sache bey dem Schwurgericht in Halle zur Untersuchung; aus der hier beygefügten Mittheilung der ganzen Verhandlung geht deutlich genug hervor, daß der pp. Roenicke bey den ihm angeschuldigten Vergehen durchaus keinen Betrug beabsichtigt hat, sondern vielmehr die schlaffe Verwaltung des vorigen Bürgermeisters Hagedorn durch mehrere Jahre lang unterlaßenen Revision und Controle und die dadurch entstandene Unordnung hauptsächlich die Schuld an dem den pp.Roenicke betroffenen Unfall trägt. Die Geschwornen sprachen daher den Letzteren in allen Punkten der Anklage frei.

Am 22ten p.Trinit. den 8ten November hielt der Herr Superintendent Weinrich, welcher vorn Consostorio nach Wollmersleben bey Magdeburg, einer sehr einträglichen Pfarrstelle berufen worden ist, seine Abschieds- Predigt, und am lOten verließ er unsere Stadt. E s ist sehr zu bedauern, daß dieser von Seiten seines Charakters wohlwollende, gefällige und gegen die Armen sehr wohlthätige Mann gleich in den ersten_durch den furchtbaren vierjährigen Streit wegen der zwangsweisen Einführung eines Gesangbuchs-Anfangs (vid.pag.332) das kirchliche Leben in unserer Gemeinde fast total zerstört, und sich durch sein schroffes Auftreten, dabey um die Liebe derselben gebracht hat. Diese niederschlagende und betrübende Erfahrunghat derselbe auch noch bey seiner Abschiedspredigt machen müßen, indem die Kirche selbst bey diesem Gottesdienst nur mittelmäßig besucht war. Im Eingange zu dieser Predigt sprach er noch in Bezug auf den unglücklichen Gesangbuchsstreit folgende Worte: „was er an der Gemeinde sich versündigt hätte, das bäte er möge sie ihm verzeihen und vergeben; was die Gemeinde an ihm verschuldet hätte, das wäre bey ihm vergeben und vergeßen, er bedaure nur, daß lautere Absichten verkannt worden wären." Die Kirchengemeinde wollte aber von diesen Absichten, welche sie mit vollem Recht nicht für rein hielt, durchaus nichts wißen, und verurtheilte auf das Entschiedenste seine Hartnäckigkeit und geistliche Herrschsucht. In seinen theologischen Ansichten und Grundsätzen war der Superintendent Weinrich ganz ein Anhänger der seit längerer Zeit von den höheren Kirchenbehörden so sehr begünstigten exklusiv altlutherischen Richtung und somit auch der sogenannten Blut-und Wunden-Theologie. Diese religiöse Anschauung findet aber heut zu Tage bey den wahren und denkenden Christen gar keinen Anklang und Beifall mehr, weil diese blos den Grundsatz allein ftir protestantisch halten, daß die religiösen Ueberzeugungen sich in stetigem Zusammenhang mit der gesammten Culturentwickelung zu entwickeln und weiter fortzubilden haben, und daß die christliche Moral das allein das ewig wahre und bleibende im Christenthum ist, welche Ansicht die größten und scharfsinnigsten Theologen unserer Zeit, Männer wie Schleiermacher, Tzschirner, Röhr, Schwarz, Krause und viele andere in Schriften (der selige Großmann in Leipzig sagt von Christo: „Christus ist die Sonne, um die sich in der sittlichen Welt Alles dreht.") und auf der Kanzel oft ausgesprochen haben. Das Predigen über dürre, unfruchtbare Dogmen läßt kalt und erbaut Niemand; die Hauptsache bleibt immer die Anwendung und Verwerthung der vortrefflichen Sittenlehren Christi und seines Beispiels im praktischen Leben, wie er es fordert. (Matth.7.20,21.)

Am 5ten November feierte unser berühmter Landsmann, der große Naturforscher Herr Geheimer-Medic.-Rath und Ritter Dr. medic. Und Prof. ord. Christian Gottfried Ehrenberg in Berlin sein fünfzigjähriges Doctor- Jubilaeum. Derselbe ist geboren zu Delitzsch den 19ten April 1795, studierte in Schulpforte, dann in Leipzig, wo er nach einem halben Jahre das theologische Studium, weil er kein Redner ist, verließ und zum medicinischen überging zuletzt in Berlin, und widmete sich ausschließlich den Naturwißenschaften, auf deren unendlichem Gebiete derselbe sich durch große Entdeckungen bleibende hohe Verdienste erworben, und dabey immer bey allem Reichthum seines Wissens eine höchst anspruchslose Bescheidenheit und Humanität sehr ausgezeichnet hat. In den Jahren 1820 bis 1826 machte er auf Kosten der Königl. Academie der Wißenschaften die große Reise nach Asien und Afrika mit seinem Freunde Dr. Hemprich, welcher letztere aber 1825 in Maßaua in Abyßinien starb. Bald nach seiner Zurückkunft im Frühjahr 1826 wurde derselbe vom verstorbenen König Friedrich Wilhelm III zum Profeßor ernannt, erhielt den rothen Adler-Orden dritter Klaße und 1000 Rtl. Geldgeschenk, wovon er aber in edler Uneigen- nützigkeit 500 Rtl. der damals noch in Schlesien in Glatz lebenden Mutter seines Freundes und Reisegefährten Hemprich schenkte. Die Berliner Museen hat er durch bedeutende Sendungen, als Früchte und Resultate seiner Reise, sehr bereichert. Im Jahre 1827 erschien von ihm eine kleine aber sehr intereßante Schrift „Beitrag zur Charakteristik der nordafrikanischen Wüsten". Im Jahre 1829 unternahm er noch eine zweyte Reise mit dem größten Naturforscher unserer Zeit Alexander von Humboldt und seinem Freunde Rose in den Caucasus, Altai und Ural bis nach Kiachta an der chinesischen Grnze; das Ural-Gebirge ist bekanntlich sehr reich an Edelsteinen und edlen Metallen, so daß nach seiner Versicherung das Gold in den Fuhrgeleisen sogar als Goldsand glänzend. Die Rückreise der genannten Herren erfolgte nach zehnmonatlicher Abwesenheit über Petersburg, wo derselben von dem Kaiser Nicolaus in einer Audienz ehrenvoll empfangen wurden und unser Ehrenberg den rußischen Annen-Orden zweiter Klaße erhielt. Im Jahre 1833 schrieb derselbe zur Feier des fünfzigjährigen Doctor- Jubilaeums des seligen Leibarztes und Staatsraths Hufeland die kleine sehr gehaltvolle Schrift de hanguinis globulorum uhu, und im Jahre 1843 erschien von ihm das große berühmte Werk „Verbreitung und Einfluß des mikroscopischen Lebens in Süd — und Nordamerika. Mit 4 colorirten Kupfern, in folio ! Von den vielen ihn jetzt bey seinem Jubilaeum zu Theil gewordenen Ehrenbezeugungen erwähnen wir nur, daß seine Majistät der König ihm den Stern zum rothen Adler-Orden zweiter Klaße mit Eichenlaub verliehen hat, daß das Berliner FestcomiM ihm seine eigene von Julius Moser in Marmor gearbeitete Portraitbüste überreicht hat, daß ferner die medicinische Facultät der Universität Berlin ihm das Jubel-Doctor-Diplom überbracht, und daß seine Vaterstadt ihm das Ehrenbürgerrecht in einer vom hiesigen Gas-Inspector Bendert sehr schön geschriebenen, mit paßenden gemalten Randverzierungen, unter denen besonders sein Geburtshaus am Halleschen Thore mit deßen Thurme bemerklich ist, versehenen Urkunde in roth-sammtner Kapsel übersendet hat. Von den zahlreichen Anerkennungs — und Glückwünschungs — Schreiben wird hier das von der König!. Akademie der Wißenschatlen dem hochverdienten Jubilar überreichte zum Verständniß des Ganzen noch beygeftigt, und zugleich bemerkt, daß im Jahre 1828 der Bericht über seine erste Reise unter dem Titel „Naturgeschichtliche Reisen in Nordafrika und Westasien," und 1838 sein großes Epoche machendes Werk „die Infußionsthierchen als vollkommne Organismen" erschienen. Möge dem ehrwürdigen Jubilar im Rückblick auf eine so ruhmvolle Vergangenheit ein recht heiterer Lebensabend bescherrt seyn!

Die dem Herrn Geh. Rath Dr. und Prof Ehrenberg überreichte große goldene Medaille zeigt auf der Vorderseite sein wohlgetroffenes Brustbild, und trägt auf der Rückseite folgende Innschrift: Christiano Godofredo Ehrenberg, Medicinae per L annos Doctori, naturae investigatori sagacissimo, Latentium indagatori adrnirabili. Die V mens. Nov. 1868. Durch Rescript des Cultus-Ministers vom 23ten October cr.0 28,441 sind der hiesigen höheren Bürgerschule die erweiterten Berechtigungen verliehen worden, durch welche dieselbe den Klassen Sexta bis Seeunda einer Realschule erster Ordnung gleichgestellt worden ist und werden nunmehr die Berechtigungen der Schüler schon durch den einjährigen erfolgreichen Aufenthalt in der Secunda zum einjährigen freiwilligen Militairdienst und zur Annahme als Postexpedinten-Anwärter berechtigt, während früher beide Berechtigungen nur durch Absolvirung des Abiturienten-Examen erworben werden konnten. Nachdem durch die Versetzung des bisherigen Strafanstalts-Directors von Valentini im Jahre 1866 die erledigte Stelle interimistisch, und zwar zuerst durch einen Herrn von Schlabberndorff und dann durch einen Grafen von Klinckowström verwaltet worden war, ist dieselbe seit lten November dieses Jahres dem bisherigen Straf- Anstalts-Director Nolte in Meringen in der Provinz Hannover definitiv übertragen worden.

Die Um — und Neupflasterung der Halleschen Straße begann am lten September und wurde bis zum Halleschen Thore hinaus Sonntag den 18ten October (bis auf einige noch nöthig gewordenen Nebenpflasterungen) vollendet. Die gesammten Kosten an Steinsetzerarbeiten, Fuhrlöhnen u.a. betrugen 559 Rtl. 5 Sgr.

Der Bürgermeister Born war, nachdem er kaum 3 Monate hier im Amt fungirte, zum Bürgermeister der Stadt Zeitz erwählt und von Seiner Majistät dem König als solcher bestätigt worden. Es wurde deshalb eine Neuwahl nöthig.In der Stadtverordneten-Sitzung am 20ten November wurde der Stadtrath Heinrich Bernhard Reiche aus Guben zum Bürgermeister hiesiger Stadt gewählt.
Laut Kaufs vom 9/17 September 1868 kaufte die Stadtcommun von dem Bischöflichen Stuhl zu Paderborn von dem dem letztern gehörigen, hierselbst gelegenen Grundstück zur Verbreiterung des von der Linden — zur Dübener Straße führenden Weges und zur Anlegung einer Straße vom Schäfergraben für 268 Rtl. 22 Sgr. 6 Pf.

An der Vorstadtschule sind wieder zwei neue Lehrer in den Personen des bisherigen Lehrers Christian Ruhmann zu Einbeck in der provinz Hannover und des Schulamts-Candidaten Hoppe aus Staritz bei Belgern angestellt worden. In diesem Jahre sind von dem Cigarrenfabrikant Schellenberg (an der Dübener Straße) und von dem Posamentier Eduard Pernitzsch (neben der katholischen Kirche) neue Wohnhäuser gebaut, und von dem Stadtmühlenbesitzer Maasch (welcher zu Johannis dieses Jahres die Stadtmühle von dem bisherigen Besitzer Schrödter erkauft hat) das gehende und treibende Zeug der Mühle, sowie das Gerinne und die daran grenzende Mauer ganz neu erbaut worden. Die Treibräder im Innern der Mühle sind von einer Eisengießerei gefertigt worden.

Die Getreidepreise in diesem Jahre waren:

am 29ten Februar
der berl. Scheffel Weizen   3 Rtl. 28 Sgr. 9 Pf      bis 4 Rtl.
                         Roggen  3 Rtl.   3 Sgr. 9 Pf           3 Rtl, 5 Sgr.
                         Gerste   2 Rtl.   5 Sgr.                 2 Rtl. 7 Sgr. 6 Pf
                         Hafer     1 Rtl. 15 Sgr.                 1 Rtl. 17 Sgr. 6 Pf

am 29ten September
der berl. Scheffel Weizen 2 Rtl.  27 Sgr. 6 Pf       bis 2 Rtl. 28 Sgr. 9 Pf
                         Roggen 2 Rtl. 12 Sgr. 6 Pf            2 Rtl. 16 Sgr. 9 Pf
                         Gerste 1 Rtl.  27 Sgr. 6 Pf             1 Rtl. 28 SFJ. 9 Pf
                         Hafer  1 Rtl.    3 Sgr. 9 Pf             1 Rtl. 6 Sgr. 3 Pf

Die von den Einnahmen der Stadt Delitzsch zu zahlenden jährlichen Steuern betragen zur Zeit:
5,533 Rtl.                          an Klassensteuer
1,828 Rtl. 1 Sgr. 6 Pf           an Grundsteuer
1,727 Rtl. 9 Sgr.                 an Gebäudesteuer
3,926 Rtl.                          an Gewerbesteuer
13,014 Rd 10 Sgr. 6 Pf zusammen

Nach der in diesem Jahre aufgestellten Klassensteuer-Rolle beträgt die Einwohnerzahl 8,031 (worunter 282 Gefangene der hiesigen Königl. Strafanstalt und des Königl. Kreisgerichts). Es sind  4,992 Personen über 16 Jahre und 3 039 Personen unter 16 Jahre vorhanden

Der Witterungslauf zeigte in diesem Jahre viel Abweichendes und Merkwürdiges. Der Winter war gleich von Neujahr an bey fast durchgängig niedrigem Barometerstande milde, unbeständig, Regen und Schnee oft mit einander abwechselnd, noch den ganzen April anhaltende Näße, so daß man deßhalb für das Gedeihen der Wintersaaten fürchtete und für die Bestellung der Sommersaaten dadurch aufgehalten wurde. Aber vom lten Mai trat plötzlich das herrlichste und fruchtbarste Wetter ein, die Näße hörte auf, und in der ganzen Natur zeigte sich als ein wahres Wunder Gottes die gewaltigste Triebkraft, so daß nach nur wenigen Tagen die Bäume in schönster Blüthe standen und die Kornähren sichtbar waren. Es war übrigens ein großes Glück, daß die Erde so viel nachhaltige Winterfrucht erhalten hatte, denn von nun an trat den ganzen Sommer hindurch bis zum 17ten September anhaltende große Hitze und Dürre ein. Das Barometer stand während dieser ganzen Zeit gewöhnlich auf 28,4 — 6, und das Thermometer Nachmittags um 3 Uhr in der Sonne in der Regel auf + 36 — 40 Reaum., wodurch natürlich das Reifen der Früchte sehr befördert wurde; denn kaum war die recht gut ausgefallene Heuerndte, vom schönsten Wetter begünstigt, eingebracht, so nahm auch schon die Getreideerndte ihren Anfang, so daß, was wir noch nie erlebt haben, bereits am 26ten Junius bey Benndorf und selbst in beßerem Boden bey Beerendorf die ersten Kornmandeln standen. Das herrlich und sehr warme und trockne Wetter beförderte die Erndtearbeit außerordentlich, so daß bis zum Ende des Julius alle vier Getreidearten glücklich eingebracht waren. In jeder beziehung, sowohl im Körnerertrag als auch im Stroh, war der Roggen vorzüglich gerathen, der Weizen ausgezeichnet, auch die Obstfrüchte recht gut, minder gut, aber noch befriedigend der Hafer und die Gerste, weil bey diesen sich zum Theil die nachtheiligen Folgen der anhaltenden Dürre zeigten. Gewitter hatten wir in diesem Sommer blos am 19ten Julius Nachmittags um 3 und Abends um 11 Uhr mit starkem Regen, ferner am 29ten des Monats Nachmittags 3 Uhr, und am 1 lten August Abends, welche letztere beyde sich aber ohne Regen hier entladen; Das Barometer stand beyde Mal auf 27,8, das Thermometer zeigte Nachmittags in der Sonne + 40, der Wind kam aus Süden. Endlich bildeten sich in Folge großen Hitze bey Süd-Westwind am 19ten August gegen Abend in allen vier Weltgegenden schwere Gewitter, welche mit einem längst ersehnten starken Regen von 7-8 Uhr die ausgedorrten Fluren erquickten. Aber für die Kartoffeln, deren Knollenbildung vom Anfang des August an statt findet, kam dieser Regen leider um drei Wochen zu spät, daher diese in der Ausbildung sehr zurück blieben, zum Theil auch zweywüchsig wurden, und die Kartoffelerndte im Ganzen nur als eine mittelgute zu bezeichnen ist. In gleicher Weise litten auch durch den Mangel an Regen die Futterkräuter, was zur Folge hatte, daß seit Ende des Julius der Preis der Butter hoch stieg; das Stückchen kostete von da an 7 Sgr. und ist noch bis zum Ende des November gewöhnlich mit 6 Sgr. bezahlt worden. Die Obstemdte ist recht gut ausgefallen, der Wein vorzüglich gerathen. Noch ist zu bemerken, daß in Monaten Junius und Julius die Windrichtung von der Art war, daß die Fahne abwechselnd, aber nicht lange, entweder im Osten oder Norden stand, und sich bald vom Norden nach Westen, oder noch öfters von Osten nach Süden bewegte, mithin im Halbkreis zwischen N.W. und N.O. und S 0 stand. Von der Grummterndte ist endlich noch zu berichten, daß diese in Folge der Nachwirkungen der großen Dürre nur mittelmäßig im Ertrag gewesen ist.

Der Herbst war im Ganzem angenehm und milde und brachte noch manche schöne Tage; in der Mitte des September blüheten zum Erstaunen Kastanien und Erdbeeren noch einmal, von deren letztere im October zum zweiten Mal Früchte brachten; aber vom 15ten September trat eine besonders an den Morgen und Abenden auffallend merkliche Abkühlung ein. Am lten October, einem trüben Tage, deren wir ebenso, wie regnigte in diesem Monat mehrere hatten, zog Abends um 5 Uhr ein Zug wilder Gänse von Westen nach Osten über unsere Stadt weg. Am 20ten des Monats war früh von 2-3 Uhr ein Gewitter mit Regen, am 25ten tobte ein Sturm (Barometer 27,3), und am 26ten erfolgte ein Landregen. Der Wind kam den ganzen Herbst hindurch meistens aus Westen mit abwechselnder Neigung nach Norden und Süden; das Barometer war öfteren Schwankungen unterworfen. Im November gab es mehr trübe, kühle und regnigte Tage, als helle und schöne; am 4ten war ein Sturm, an mehreren andern dichte Nebel und Schneefall. Am 7ten December früh von 1 — 2 'A Uhr hatten wir die für diese Jahreszeit nur äußerst seltene Erscheinung eines starken Gewitters mit Regen; der Verfaßer dieser Zeilen weiß sich nur noch eines solches Falles in seinem Leben zu errinnem, nämlich am 2ten Advent im Jahre 1822 früh um 9 Uhr, wo während seines damaligen Aufenthalts als Student in Leipzig bey hellem Himmel ganz unerwartet ein ziemlich heftiger Donnerschlag, aber ohne Regen und Sturm, erfolgte. Dem jetzigem Gewitter gieng aber an dem durchweg trüben Sten December des Nachmittags eine ungewöhnlich schwüle Temperatur voraus (Thermometer + 16), welche den 6ten noch anhielt (Barometer 27,8) Hierauf brach nun am 7ten December bald nach Mitternacht ein furchtbarer Orkan aus Westen los, und wütete mit einer seit fast fünfzig Jahren (im Julius 1819) nicht dagewesenen Heftigkeit (Barometer 27,4), entwurzelte die stärksten Bäume, warf Planken um, deckte viele Dächer ab, fügte dem Dache unserer Stadtkirche bedeutenden Schaden zu, und hob auf dem langen maßiven Seitengebäude des Brauereibesitzers Offenhauer, welches derselbe erst in diesem Jahre zum Zwecke der Luftmalz-Bereitung erbaut hatte, das mit Steinpappe gedeckte Dach mit großer Gewalt in die Höfe und riß daßelbe mit sammt den Dachbalken und Brettern in Trümmern herunter. Nachmittags um 2 Uhr legte sich der Sturm, am ärgsten hatte er Vormittags von 9-12 Uhr getobt. Offenbar war derselbe eine Folge der in den letzten zwey Wochen vorher statt gefundenen schrecklichen, von Erdbeben begleiteten, vulkanischen Ausbrüche des Vesuv und Aetna. Bis zum Jahresschluß war sehr mildes Wetter.

Auch in diesem Jahre hat sich die alte Erfahrung wieder bestätigt, daß anhaltende gleichförmige Witterung, gleichviel ob sehr warm oder kalt, für die Gesundheit weit vortheilhafter ist, als häufiger Wechsel derselben; denn während der vier Sommermonate war der Gesundheitszustand, selbst unter den sauren und anstrengenden Arbeiten der Erndte, recht befriedigend, während dagegen im Frühjahr und Herbst alte an Schleim-Asthma Leidende; mehr aber noch junge der lungenschwindsucht verfallene Personen weit mehr zu leiden hatten; die letztere, in der Regel unheilbare Krankheit hat überhaupt seit etwa 20 Jahren unter unsern jungen Leuten, den Fabrik- besonders den Cigarren-Arbeitern in starker Progreßion zugenommen, und decimirt ihre Reihen gewaltig. Geboren wurden in diesem Jahre 350 Kinder (worunter 43 Uneheliche), und gestorben sind 257 Personen, worunter 158 Kinder. Am 22ten December Nachmittags wurde auf dem Thurm der neuen katholischen Kirche eine Glocke aufgezogen; dieselbe ist vom Glockengießer Ullrich in Apolda gegoßen, kostet 103 Rtl. und wiegt 2 Centner. Auch ist seit Anfang dieses Jahres als Lehrer an der katholischen Schule der Schulamts-Candidat Reuter aus Hildesheim angestellt.

Als ein Curiosum ist noch nachträglich zu erwähnen, daß, da erfahrungsmäßig in diesem wie in jedem Schaltjahr ein starker Maikäfer-Flug zu erwarten war, von den Behörden ein förmlicher Vertilgungskrieg gegen diese Bestien beschloßen wurde; sie wurden zu Millionen vertilgt, der Centner mit 15 Sgr. bezahlt, eingestampft, und als Dünger verwendet.


 1869

Am 6ten Januar legte der Herr Bürgermeister Born sein Amt nieder und reiste noch an demselben Tage ab, um das Bürgermeister-Amt in Zeitz zu übernehmen. Das Urtheil unsers frühern Diaconus Baltzer, seit Anfang 1847 Predigers bey der Dißidenten-Gemeinde in Nordhausen, über ihn hat sich vollkommen bestätigt; um so mehr ist es zu bedauern, daß derselbe unsere Stadt nach nur neunmonatlicher Amtsverwaltung schon wieder verlaßen hat. Als sein Nachfolger wurde der von den Stadtverordnetenerwählte bisherige Stadtrath Reiche in Guben am 2 lten Januar Vormittags um 11 Uhr im hiesigen Rathhaussaale von dem Königl. Landrath Herrn von Rauchhaupt in sein Amt als Bürgermeister unserer Stadt eingeführt.

Seit dem Anfang dieses Jahres ist vom Magistrat im Einverständniß mit dem Schulvorstand und den Stadtverordneten das Schulgeld in der 2ten und 3ten Klaße der höhem Töchterschule und von der lten Klaße der Vorschulen um je 2 Rtl. pro Jahr erhöht worden, weil man das bisherige im Vergleich zu dem Aufwande mit Recht für zu gering befunden hat; sie hat 6 Klaßen.

Die seit Anfang des Jahres 1807 im Besitz der Familie Pfotenhuer befindlich gewesene privilegirte Löwenapotheke in der breiten Straße hat zu Michaelis 1868 der Apotheker Gustav Jonas aus Eilenburg von der Frau Wittwe Pfotenhauer für den Preis von 21000 Rtl. gekauft, und das Geschäft am lten Januar dieses Jahres übernommen. Am 29ten Januar Nachmittags um 4 Uhr wurde in der öffentlichen Sitzung der Stadtverordneten-Versammlung der von derselben an des abgegangenen Herrn Fabrikant Duimchen Stelle zum unbesoldeten Magistrats-Aßeßor erwählte Herr Fabrikant Starckloff nach erfolgter Bestätigung der Königl. Regierung zu Merseburg von dem Herrn Bürgermeister Reiche in sein Amt eingeführt. In der am 15ten Februar gehaltenen ersten diesjährigen Sitzung des König!. Kreis-und Schwurgerichts zu Halle wurde der Nagelschmiede- meister und Pantoffelmacher Johann Carl Mohs aus Delitzsch wegen mit Beil und Messer versuchten Mordes an seiner von ihm geschiedenen Ehefrau zu zwölfjähriger Zuchthausstrafe und achtjähriger Stellung unter Polizey- Aufsicht verurtheilt. Am 26ten Februar wurde unter dem Vorsitze des Herrn Regierungs-und Schulraths Haupt aus Merseburg die mündliche Prüfling der sechs Abiturienten der hiesigen höheren Bürgerschule abgehalten, nachdem der schriftliche Theil des Examens schon zu Anfang dieses Monats stattgefunden hatte. Das Ergebniß war ein erfreuliches, da sämmtliche Schüler das Examen bestanden hatten, von denen vier wegen ihres künftigen Berufs es nicht brauchten. Einer erhielt die Censur „gut", die übrigen „genügend".

Um den sehr großen Schaden, welchen der furchtbare Weststurm am 7ten December vorigen Jahres den beiden Thurmstitzen unserer Stadtkirche und dem Dache derselben, besonders der südlichen zu drei Viertheilen dadurch vom Schiefer entblößten Seite, zufügte, zu repariren, wurde diese Arbeit dem hiesigen Schieferdeckermeister Robert Uhlich übertragen, der durch das milde Wetter begünstigt mit drei Gehülfen sein Werk ohne Unterbrechung betreiben und glücklich vollenden konnte, und zwar in der verhältnißmäßig kurzen Zeit vom Anfang des Februars bis zum Anfang des Aprils. Beym Beginn der Arbeit fand sich aber noch, daß auch die beyden Thurmknöpfe und Fahnen der reparatur bedürften, weßhalb dieselben am 9ten Februar abgenommen, und dem hiesigen Klempnermeister Hopfer zur Ausbeßerung und neuen Vergoldung übergeben wurden. Die bey der Abnahme im südlichen Thurmknopfe vorgefundenen in einer versiegelten Holzkapsel und blechernen Büchse verwahrten Schriftstücke von 1691 und 1819, wie auch die Münzen sind in der Hierbey angefügten Beylage zum Delitzscher Kreisblatte No. 19 vom 12ten Februar verzeichnet, und bey der am 2ten April statt gefundenen Aufsetzung der reparirten und neu vergoldeten Knöpfe und Fahnen wieder eingelegt worden.

Außerdem ist vom Magistrat noch ein Schriftstück vom 30ten Maerz mit beygefügt worden, welches die wichtigen neuesten unsere Stadt betreffenden Ereigniße, die am 21ten September 1857 erfolgte Grundsteinlegung zu dem neuen Bürgerschulgebäude am Gerberplan, die Vollendung deßelben im Junius 1858, und die seit dem bis zu Ostern 1868 nach und nach eingetretene Reorganisation der Schule, sowie auch die Kriegsereigniße des 1866 und die Feier des Friedensfestes am Ilten November registrirt. Alle diese Vorfälle sind übrigens nebst dem im Schriftstück nicht erwähnten vom Anfang des Julius 1855 bis zum Ende des October 1859 geführten, aber leider total ver- Unglückten Bau des Braunkohlenwerkes, wie auch die Cholera-Epidemie im Sommer 1866, unter den betreffenden Jahren in dieser Chronik auf das Vollständigste beschrieben. In dem Schriftstück des Magistrats folgen nun noch die Namen der Personen, durch welche die Kreis- und Stadtbehörden zur Zeit repräsentirt werden: I. Kreislandrath Herr von Rauchhaupt in Storkwitz; II. Magistrat, Bürgermeister Heinrich Bernhardt Reiche, Beigeordneter, Magistratsaßeßor Friedrich Gottlob Heinze, unbesoldete Magistratsaßeßoren Carl Freyberg, Louis Dittmar, Heinrich Starkloff; Stadtverordneten-Vorsteher Sanier; Stadtverordnete: Justizrath Hassen, Dr. med.Laue, Schoenbrodt, A.Schladitz, Rathmann, Wagner, Pannicke, Felix, Lindenhahn, Fuhrmann, Fleischer, Rose, Troitzsch, Platen, Hoffmann, Kunze, Rabe.

Subaltembeamte des Magistrats: Kämmerer Eduard Weidenhammer, Steuereinnehmer Robert Ufer, Sparkaßen-Rendant Carl Thaerigen, Aßistent Julius Braune, Armenkaßen-Rendant Friedrich Thaerigen, die Stelle des Stadtsecretärs ist jetzt unbesetzt.

Das geistliche Ministerium: die Stelle des Oberpfarrer und Superinten- denten ist jetzt vacant, Archidiaconus und Katechismusprediger Albert Goedicke, Diaconus und Hospitalprediger Blankmeister, Cantor Albin Thierbach, Organist Carl Gottfried Grellmann, Kirchner Baumgaertel, Kirchenvorsteher Ferdinand Zeising. Rectoren der städtischen Schulen: an der höheren Bürgerschule Oberlehrer Heinrich Kayser, an der höhern Mädchenschule, erster und zweiten Bürgerschule Dr. phil. Friedrich Banels. Die Kosten der Kirchendach-Reparatur betragen 1470 Rtl., welche aus dem Kirchenvermögen bezahlt wurden.

Am 5ten April hat sich der vor etwa vier Jahren von Schenkenberg hierher gezogene Gärtner Schroeter, welcher wegen mehrerer Diebstähle beym Kreisgericht in Haft und Untersuchung war, im Gefangniß erhängt. Desgleichen hat sich auch die Woche vorher im hiesigen Zuchthause eine Frau erhängt. Die Leichname beyder wurden an die Anatomie nach Halle abgeliefert. Schroeter war einsehr gefährlicher und verstockter welcher im Publikum im schlechtestem Rufe und Verdachte stand.

Am 27ten April hat der Kreisgerichts-Director Campugnani sein Amt niedergelegt, weil er in gleicher Eigenschaft an das Kreisgericht Goerlitz versetzt wurde. Tags vorher ward dem mit Recht allgemein verehrten, würdigen Manne ein zahlreich besuchtes Abschieds-Diner im Gasthof zum Schwan gegeben, und den 28ten verließ er unsere Stadt. Er war auch Deputirter zur zweiten Kammer, legte bey seinem Abgange sein Mandat für den hiesigen Kreis nieder, wurde aber bey der am 16ten Junius statt gefundenen Neuwahl eines Abgeordneten mit 193 gegen 120 Stimmen, welche letztere der Stadtgerichtsrath Klotz in Potsdam erhielt, wieder gewählt.

Bey dem am Sten November 1868 Abends zwischen 7 und 8 Uhr in der Wohnung des Buchbindermeister Bernstein in der Ritterstraße verübten Attentat des Nagelschmiedemeister Mohs gegen seine von ihm geschiedene Frau hat sich die Frau des ersteren in höchst lobenswerther Weise ausgezeichnet, und ist ihr deßhalb in Anerkennung ihrer mit eigner Lebensgefahr verknüpften Aufopferung bey Verhinderung des Mordversuchs, auf Befehl Seiner Majestät des Königs aus Staatsfonds eine Belohnung von 30 Rtl. bestimmt worden; dieselben wurden der Frau Bernstein, für ihre muthvolle und entschloßene Haltung, am 26ten Mai des Jahres aus der hiesigen Königl. Kreiskaße gezahlt.

Am 30ten Mai, den Iten post Trinitat., hielt der zum Oberpfarrer und Superintendenten vom Königl. Consistorii in Magdeburg designirte bisherige Gesandschafts-Prediger in Rom Herr Carl Friedrich Wilhelm Leipoldt seine Probepredigt, zu deren Abnahme der Superintendent Vicar Herr Pastor M.Krtieger aus Schenkenberg vom Consistorii beauftragt war. Bey der nachher erfolgten Anfrage hatte niemand etwas gegen seine Lehre und Wandel einzuwenden, seine Predigt war gediegen und durchdacht, sein Vortrag sicher und gewandt, nur hörte man nachher in der Gemeinde Besorgniße wegen seiner für unsere große Stadtkirche allerdings zu schwachen Stimme auszusprechen. Am 6ten Julius kam er, nachdem vorher seine Amtswohnung eine durchgreifende Reparatur erfahren hatte, hier mit seiner Gattin an und hielt am 18ten, den Sten nach Trink, nachdem er vorher vom genannten Superintendenten Vicar in sein Amt eingesetzt war, mit Beyfall seine Antrittspredigt als Oberpfarrer, bey welcher derselbe seine Stimme zur Freude der Kirchengemeinde schon mehr hob und besser verstanden ward, so daß man auch in dieser Hinsicht für die Zukunft das Beste von diesem achtungswerthen Mann erwarten kann.

Im Julius wurde von der Commun der an der Dübener Straße stehende Pulverthurm wegen der in seiner Nähe seit zehn Jahren erstandenen zahlreichen Bahnhofs — und anderen Wohngebäuden zum sofortigen Abbruch für das Meistgebot von 14 Rtl. 15 Sgr. an den Viehhändler Deutschbein verkauft. Früher hatte dieser Thurm noch bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf der südlichen Stadtmauer in geringer Entfernung von der Malzdarre gestanden, und ward erst nach einem um diese Zeit entstandenen Brande derselben als ein der Stadt sehr gefährlicher Nachbar an den Ort verlegt, wo er sich bis jetzt befand.

Die der Commun gehörigen Kirsch-Alleen sind in diesem Jahre für den Preis von 483 Rtl, 15 Sgr. und die Pflaumenplantagen im Rosenthal für 5 Rd. verpachtet worden.Der Kreisgerichts-Director Campugnani hatte seit acht Jahren den im Hospitalgarten an der Schloßmauer gelegenen Weinberg für einen jährlichen Zins von 5 Rtl. 15 Sgr. erpachtet, und in denselben zur Verschönerung noch mindestens 100 Rtl. für Anlegung einer Treppe mit steinernen Stufen und Erbauung eines Gartenhauses verwendet. Bey seinem Abgange von hier erhielt derselbe seinem Antrage gemäß für diese Verbeßerungen als Entschädigung die billige Summe von 30 Rtl., welche der edle Mann aber in Folge eines Schreibens an den Magistrat vom 9ten Julius zu einem Legat für die Kinder-Bewahr- Anstalt bestimmte mit dem Bemerken, daß die Zinsen des kleinen bey der städtischen Sparkaße niedergelegten Kapitals in Zukunft als sein jährlicher Beitrag zur Weihnachts-Bescherung für arme Kinder mit verwendet werden sollten. Gleichzeitig hat derselbe auch noch der Armenkaße 10 Rtl. geschenkt. Den oben erwähnten Weinberg hat jetzt der Kreisrichter Rohland für den jährlichen Zins von 15 Rtl. vom Hospital erpachtet, und denselben zum Vergnügen auf seine Kosten noch mehr verschönert.

Am 26ten Julius Vormittags 11 Uhr verunglückte der Oeconom Wilhelm Fritzsche, 34 Jahre alt; er kam mit einem schwer mit Roggen beladenen Leiterwagen die Hallische Scheunen-Gaße sehr rasch herein gefahren, da er noch Nachmittags nach Eilenburg reisen wollte, und begieng die große Unvorsichtigkeit sich unmittelbar hinter der Wage auf die Deichsel zu setzen; beym schnellen Umbiegen um die Straßenecke nach der südlichen Scheunengaße trieb er zugleich die Pferde noch schärfer an, fiel in diesem Augenblick von der Deichsel herab, das eine Rad gieng ihm über den Unterleib, das andere über die Brust, so daß er förmlich gerädert wurde, das Bewußtsein gleich verlor, und nach wenigen Minuten starb. Ein Blutstrom aus dem Munde bewies, daß die Lungen höchst wahrscheinlich geborsten waren.

Der bisherige Kreisgerichtsdirector Hesse zu Habelschwerdt in Schlesien ist in gleicher Eigenschaft an des abgegangenen Campugnani Stelle an das hiesige Kreisgericht versetzt worden, und hat sein Amt am lten Julius angetreten. Am 22ten August prangte unsere Stadt in einem außerordentlichen Festschmucke, bestehend in zwei—und dreifarbigen Flaggen, Quirlanden, Kränzen pp., weil eine ziemlich große Anzahl Feuer-Wehrmänner und Deputirte des Sächsisch-Anhaltinischen Feuerwehr- verbandes eintrafen, um einmal in einer Conferenz, die um 11Uhr im Saale des Hotels zum Schwan abgehalten wurde, über die Angelegenheiten der freiwilligen Feuerwehren zu berathen und dann zum zweiten Male den Uebungen der hiesigen Feuerwehr beizuwohnen.

Diese fanden denn Nachmittags von 3 bis 5 Uhr auf dem Markte unter dem Zudrange eines sehr zahlreichen Publikums statt; unter diesen sind besonders die vielfachen Fahrübungen mit den Geräthen zu erwähnen, sodann ein wirklich imposanter, langdauernder Dauerlauf, der nach den Klängen einer gut rhytmisirten Musik erfolgte. Nach den schulmäßigen Uebungen folgte das Manöver eines Großfeuers an dem früher dem Magistrats-Aßeßor Meissner, jetzt dessen Schwiegersohn Dr. Laue gehörigen Hause, welcher daßelbe gegen 6 Rtl. Entschädigung der Feuerwehr zu diesem Zwecke zur Dispo- sition gestellt hatte. Die Geschwindigkeit, Präcision und Kraftanstrengung Der Mannschaften, wie auch die glückliche Ausführung der kühnsten Evolutionen übertraf wohl aller Erwartung, und gewiß ist das Gefühl der Sicherheit für unsere Stadt in den Herzen der Zuschauer um ein bedeutendes dadurch gesteigert worden. Der unermüdliche und aufopfernde Eifer der Herren Commandeure Schulze und Meyner, sowie ihrer ebenso gesamten muthvollen Mannschaften ist über alles Lob erhaben. Bey dem von 5 Uhr an erfolgenden Festzuge durch die Stadt empfingen die Feuerwehrmannschaften in den außerordentlichen Begrüßungen und Blumengaben die sichersten Beweise, daß das Institut der Feuerwehr sich der lebhaftesten Theilnahme der Bürgerschaft zu erfreuen hat Von auswärtigen Feuerwehren waren 17, worunter Halle, Eilenburg, Dueben, Jesstütz, Wittenberg, Zoerbig pp. durch Deputationen, im Ganzen etwa 180 Mann, vertreten. Das Mittagessen im Schwan, an welchen ca 100 Personen Theil nahmen, worunter auch der Freund und Förderer der Feuerwehren Herr General-Director von Huelsen aus Merseburg nebst anderen höheren Beamten sich befand, verlief in sehr heiterer Stimmung, desgleichen auch das Abends abgehaltene sehr zahlreich besuchte Concert, so wie der darauf folgende bis zum Morgen des Montags währende Ball. Vom 28ten August bis zum 9ten September lag wegen der bey Zoerbig, Bitterfeld und in Anhalt stattfindenden Divisions-Manöver ein Bataillon des Thüringischen Infanterir-Regiments No.96 mit dem Stabe hier im Quartier. Es bestand aus den Contingenten von Altenburg, beyde Reuß und Schwarzburg, und hatte ein 85 Mann starkes Musikchor, deßen Leistungen vortrefflich waren. In dem in der Ritterstraße gelegenen Hause des Fuhrmann Wittich erhing sich am Sten August früh zwischen 9 und 10 Uhr die junge Frau des Aßistent Ternau, welcher jetzt, da seit Anfang des Junius der Bau der Halle — Sorauer Eisenbahn hier in Angriff genommen, in deren Büreau angestellt ist. Dem sehr tüchtigen Lehrer der Naturwißenschaften der hiesigen höhern Bürgerschule ist zu Michäelis von dem Herrn Minister des Cultus pp. das Prädicat als „Oberlehrer" ertheilt worden. Herr Guenther hat diese Auszeichnung schon durch sein vorjähriges, in anatomischer, physiologischer und optischer Hinsicht sehr gut ausgearbeitetes Osterprogramm über das „menschliche Auge und die Gesichts-Wahrnehmungen" vollkommen verdient.

Im März erfuhr der Lehrer Bader, daß in Hoerde, einer Stadt von 9700 Ein- wohnern in der Provinz Westphalen, an der Bürgerschule eine Stelle mit 360 Rtl. Gehalt vacant sey. Er hielt sofort mit Beylegung seiner Zeugniße um die dieselbe an, ward nach einigen Wochen zu einer Probe berufen, wofür er Beyfall gefunden hafte, im Mai vom Magistrat erwählt, und reiste am 1 ten Junius von hier nach Hoerde ab. Kaum war er einen Monat dort, so hörte er, daß in dem benachbartem Witten, einer Stadt von 12300 Einwohnern, eine Stelle mit 400 Rtl. Gehalt an der höhem Bürgerschule sey; er meldet dies sogleich seinem hiesigen Freunde Breder, einem unserer besten Lehrer; derselbe säumte nicht zu Ende des Junius sich um die Stelle zu bewerben und erhielt nach nur drei Wochen vom dortigen Rector Dr. Zerlang die Nachricht, daß er in Berücksichtigung seiner vortrefflichen Zeugniße vom Eisleber Seminar und vom früheren Rector Giesel ohne Probe vom Magistrat zu Witten erwählt ist. Vier Wochen von seinem Abgange von hier, welcher am 1 ten October erfolgte, erhielt er ncoh eine besondere Zulage von 25 Rtl. für Ertheilung einer wöchentlichen Sing- stunde. Die durch den Herrn Baders Abgang erledigte Stelle erhielt der Lehrer Rocke, und die des Herrn Breder der bisherige Lehrer Wenzel in Kökern bey Zoerbig, gebürtig aus Bleicherode in Thüringen. Nachdem bereits im Jahre 1868 das Dach der Hospitalkirche mit einem Kostenaufwand von 24 Rtl. reparirt worden war, fügte der furchtbare Orkan am 7ten December deßelben Jahres auch dem Dache dieser Kirche eine bedeuten- deren Schaden zu, weßhalb im April und Mai dieses Jahres durch den von der Hospital-Inspection damit beauftragter Schieferdeckermeister Uhlich jun. eine Reparatur vorgenommen wurde, deren Kosten 89 Rtl. 21 Sgr. betragen und aus der Hospital-Kaße bezahlt wurden. Am 8ten Mai wurde noch in den Knopf des Kirchthurms, in welchem sich bey der Abnahme nichts vorfand, bey der Wiederaufsetzung eine vom Hospital-Vorsteher Weidenhammer verfaßte Urkunde mit Nachrichten über die Anstalt und einem Verzeichniß der jetzigen Inspections-Mitglieder und Beamten des Hospitals in einem wohl verwahrten Glas-Cylinder eingelegt; der Knopf war übrigens neu angestrichen und in der Mitte vergoldet worden.

Da die Hospital-Inspection schon seit längerer Zeit den Plan gefaßt hafte eine Erneuerung dieser schönen Kirche mit ihren herrlichen Gewölben im Innern vorzunehmen, was freilich zweckmäßiger schon früher vor Aufstellung der neuen Orgel im Jahre 1864 hätte geschehen sollen, so wurde nunmehr zur Ausführung dieser Restauration im Junius geschritten, und die Uebernahme und Leitung des Ganzen dem Zimmermeister Felix übertragen. Zuerst wurden nun die alten Stühle abgebrochen und das Holz verkauft, sodann die Steinplatten ausgehoben und der Fußboden durch Ausfüllung mit Kies und Sand um einen halben Fuß in der ganzen Kirche erhöhet, und hierauf die Steinplatten wieder eingelegt. Beyläufig sey hier noch bemerkt, daß die Kirche im Innern 67 Fuß lang, 25 Fuß tief und 30 Fuß hoch ist. Um die Gewölbe und Wände derselben abweißen zu können, wurden nunmehr von Zimmerleuten Gerüste aufgerichtet, auf denen der Maler Lohse mit drei Gehülfen diese Arbeit verrichtete und sehr gut ausführte, auch die Kanzel neu anstrich. Hierauf wurden nun mitten im Schiff der Kirche bis an das Altarstück die neuen Weiberstühle in 13 Reihen auf dem vorher gedieltem Fußboden aufgestellt, so daß noch zu beyden Seiten ein 5 Fuß breiter Gang übrig blieb. Da in Zukunft die Kirche im Winter geheizt werden soll, so wurde in jedem dieser beyden Gänge am Ende derselben im Winkel ein eiserner Ofen von der Größe und Höhe eines kleinen Tisches, um darin mit Gas zu Heizen, aufgestellt. Um das Eindringen der kalten Luft in die Kirche zu verhüten, wurde an der großen Kirchthüre im Innern noch ein Vorbau angebracht, welcher freilich den Uebelstand verursacht, daß bey voller Kirche die Entleerung derselben beiym Ausgange langsamer erfolgt, manchmal sogar ein Drängen entsteht. Da die Orgel während des Baues leider nicht gehörig verwahrt und verdeckt war, so war dieselbe durch Staub und Kalkfarbenflecke sehr verunreinigt, und mußte daher vom Herrn Orgelbauermeister Offenhauer sorgfältig gereinigt und alle Pfeifen deßhalb heraus genommen werden. Nach halbjähriger Unterbrechung des Gottesdienstes ward derselbe am 13ten October wieder eröffnet, wobey der Herr Superintendent Leipoldt die Predigt über Psalm 26, v.8 hielt. Die sämmtlichen Baukosten betragen nun 502 Rtl. 10 Sgr. mit Einschluß der Gasöfen und der Orgelreparatur.

Am 25ten October früh zwischen 8 und 9 Uhr hat sich der Postexpedient Wagner, 37 jahre alt, in seiner Wohnung in dem in der breiten Straße gelegenen Hause des Horndrechslermeister Pabst durch Vergiftung mit Strychnin das Leben genommen.Er hatte das Gift, 4 Gran deßelben, unter dem Vorwande seinen Hund damit tödten zu wollen, gegen Ausstellung des gesetzlichen Giftscheins in der Löwen-Apotheke selbst geholt. Wie man fast allgemein hört, soll der pp. Wagner das Lagerbier und die geistigen Getränke stark gemißbraucht, und deßhalb schon mehrmals von seinen Vorgesetzten ernste Warnungen und Verweise erhalten haben.

Für die Hinterlaßenen der am 2 ten August des Jahres früh gegen 6 Uhr in Folge einer Explosion von schlagenden Wettern und dadurch erfolgten Schacht-Einsturzes in den Burgkschen Steinkohlenwerken im Plauenschen Grunde bey Dresden verunglückten 276 Bergleute wurde von der Expedition des Kreisblattes in Delitzsch und der Umgegend eine Collecte veranstaltet, deren Ertrag bis zum Anfang des November 274 Rtl. 18 Sgr. einbrachte, desgleichen eine für die im August in Herzberg Abgebrannten, deren Ertrag 23 Rtl. 6 Sgr. lieferte; beyde Summen wurden an die betreffenden Hülfscomites nach Dresden und Herzberg gesendet. Vom Kreis-Armen-Fond erhielt unsere Armenkaße auch im vorigem und in diesem Jahre wieder einen Zuschuß von je 550 Rtl.

Am l0ten November, dem Geburtstage unseres großen Reformators Dr. Martin Luther, wurde der von Seiner Majestät dem Könige in allen evangelischen Kirchen der Monarchie angeordnete außerordentliche Bettag, um den Segen Gottes für die glückliche Ausführung des jetzt angestrebten Verfaßungswerkes unserer evangelischen Kirche zu erflehen, auch bey uns feierlich begangen. Der Vormittags-Gottesdienst in der Stadtkirche war leider nur mittelmäßig besucht; dagegen war aber beim Abend-Gottesdienst um 6 Uhr die Hospitalkirche mit andächtigen Zuhörern ganz überfüllt; überhaupt wird diese freundliche Kirche seit ihrer Erneuerung sehr fleißig, weit mehr als früher, besucht. S.die Beilage No. 131 des Delitzscher Kreis- Blattes. In der Nacht vom 9 ten zum 10 ten November entleibte sich der Stadtmühlenbesitzer Maasch, 47 Jahre alt, in seinem Schlafzimmer eine Treppe hoch durch einen langen Schnitt mit dem Barbiermeßer in die Schlag-und Blutadern des Halses zu beyden Seiten. Derselbe war durch den starken Mißbrauch geistiger Getränke schon länger in eine stille Melancholie und Geistesschwäche verfallen, welche durch die in Folge des kostspieligen Neubaues des gangbaren Zeuges der Mühle entstandene bedeutende, sehr drückende Schuldenlast noch mehr gesteigert wurde.

Der am 18 ten August des Jahres hier verstorbene Rentier Herr Christian Zschieke, früher Gutsbesitzer in Brodau, hat durch Testament bestimmt: 1) daß ein Legat von 400 Rtl. der hiesigen Volksschule aus seinem Nachlaße gezahlt werden soll mit der Bedingung, daß die Zinsen zur Bekleidung armer Confirmanden verwendet werden sollen; 2) daß an die hiesige Kirche ein Legat von 50 Rtl. gezahlt werde zur Erhaltung seiner Grabstätte. Auch hat der pp. Zschieke vor vier Jahren der hiesigen Schützen-Compagnie neue Käppis und drei neue flache Meßing- Trommeln geschenkt, wofür der Kostenaufwand im Ganzen 212 Rtl. beträgt. Der bisherige Diaconus und Hospitalprediger Bernhard Adolph Blanckmeister, der an des zu Michäelis 1866 als Pfarrer nach Hayna abgegangenen Diaconus Hofmann, welcher am 20ten post Trinit., 14ter October 1866 seine Abschiedspredigt hielt, Stelle trat, erhielt vor Kurzem den Ruf als Pfarrer nah Paupitsch und Benndorf. In Folge deßen hielt er den 21ten November am 26ten p.Trinit. (dem Todtenfeste,) früh in der Stadtkirche und Mittags in der Gottesackerkirche, beyde Mal vor einer sehr vollen Versammlung, seine Abschiedspredigt, und verließ dann am 24ten November unsere Stadt.

Der Mühlenbesitzer Wittig erbaute in diesem Jahre auf einem vom Rentier Wilhelm Kühne erkauften Gartenfleck vor der Pforte ein neues Wohnhaus, und der Cigarren-Arbeiter Friedrich Wilhelm Jentzsch ein dergleichen auf einer schon vor mehreren Jahren vom früheren Cigarrenfabrikant Haschert erkauften, zwischen der Eilenburger und Dübener Straße gelegenen Feldparcelle.

In Folge des erwähnten Feuers im Locale der Schuhmacher-Association und der schlechten Verwaltung derselben, sowie mangelhaften Buchführung, welche sich in Folge dessen herausstellte, hatte sich schon im vorigen Jahre die Schuhmacher-Association aufgelöst. Es wurde ein großer Theil der Mitglieder von den Gläubigern verklagt, zum Theil schweben diese Processe jetzt noch und Viele haben in Folge der eingetretenen exceutirischen Maaßregeln zahlen müssen. Es konnte nicht fehlen, daß hierbei manche Unschuldige mit dem Schuldigen leiden mußte. Wie man hört soll das Warenlager der Association bei der Aachener-Münchener— Feuerversicherungs-Gesellschaft mit 4,200 Rtl. versichert gewesen sein. Letztere hat sich geweigert die versicherte Summe zu zahlen, und hat auch im Proceßwege nicht dazu verurtheilt werden können, weil die Schuhmacher-Association den durch die Feuersbrunst angeblich erlittenen Verlust nicht genau und zuverlässig nachzuweisen im Stande gewesen ist.

Die Sache ist also faul. Als im Frühjahr des Jahres Vorarbeiten, Vermeßungen und Anfuhren von Baumaterialien zum Bau der Halle-Sorau- Gubener Eisenbahn, und zwar zur Strecke von Eilenburg nach Delitzsch vollendet waren, wurde gleich vom Anfang des Julius an mit den Erdarbeiten vom Dorfe Hohenrode an bis Delitzsch begonnen, ebenso auch bald nachher mit den Maurerarbeiten. Die Bahn geht zwischen Bärendorf und Mannsfelds Windmühle in ziemlich gerader Linie nach unserer Stadt unmittelbar auf deren südlicher Seite vorüber nach Gertitz; der Bau derselben ist indeß bis zum December nur langsam fortgeschritten, der oberhalb der Eilenburger Straße beginnende und bis an die Leipziger Chaußee sich erstreckende ziemlich hohe Damm ist zwar fast fertig, dagegen von Brückenbauten nur der Durchgang unter der Eilenburger Straße und der auf den Loberwiesen, so wie der von Delitzsch nach Döbernitz vollendet; die Brücke über den Lober oberhalb der Elberitzmühle fehlt noch. Jeder Morgen Feld wird vom Bahn- Comite mit 600 Rd. bezahlt.

An die Stelle des am 8ten August des Jahres verstorbenen Friedrich Thaerigen ist der bisherige Kanzlist beym hiesigen Kreisgericht Heinrich Gelpke vom Magistrat als Registrator und Armenkaßen-Rendant erwählt undam 15ten December verpflichtet worden; Gehalt 240 Rtl. Wie in früheren Jahren, so fanden auch diesmal zu Weihnachten Christbescheerungen statt; in der im Seitengebäude des Hospitals befindlichen Kinder-Bewahr-Anstalt wurden am 23ten December Abends um 5 Uhr 42 arme Kinder mit Kleidungsstücken, kleinen Stollen pp. beschenkt; die Mittel dazu waren durch eine von der erst seit Michäelis hier angestellten, sehr tüchtigen Vorsteherinn, dem Fräulein Stemmer, einer Diaconißin aus Kaiserswerth, veranstalteten Collecte, welche 51 Rtl. einbrachte, beschafft worden; desgleichen empfingen Tags darauf die Hospitaliten nach vorgängigem Abendgebet, in welchem der Herr Superintendent Leipoldt eine herzliche Ansprache an dieselben richtete, die gewöhnliche auf dem Etat der Hospitalkaße stehende Christbescheerung bestehend aus großen Stollen und Pfefferkuchen; endlich hatte noch die Lehrerinn Fräulein Eppner am 20ten December durch freiwillige Beiträge eine Bescheerung für arme Kinder aus der Volksschule mit Kleidungsstücken und Büchern im Mädchen- Schulgebäude zu Stande gebracht.

Der Witterslauf war in diesem Jahre von dem des vorigen in mehrfacher Hinsicht sehr abweichend. Der Winter war bey fast durchweg hohem Barometerstande (Bar. 28,3 — 8) im Januar und niedrigerm unter 28 im Februar und März, bey vorwaltendem Süd-und Westwinde größten Theils milde; dichte Nebel, Regen, Schnee und Thauwetter wechselten oft einander; nur die Tage vom 14ten bis 25ten Januar machten hiervon eine Ausnahme, wo bey dem angegebenen sehr hohem Barometerstande und vorherrschendem Ostwinde das Thermometer früh um 7 Uhr nach Reaum. -5 — 11 zeigte. Dagegen war als eine wahre Seltenheit der April ungewöhnlich schön und warm, wodurch die Vegetation sehr befördert ward; der Barometerstand war mehr hoch, Süd-West und Süd-Ostwind vorherrschend. In der Nacht vom 15ten zum löten April war ein Nordlich von 17-2 Uhr sichtbar, und seit Mittags hatten Gewitter von Süden nach Norden herauf ziehend unsere Gegend einigermaßen gestreift. Der Mai war weit mehr rauh und kühl, als schön, die Windrichtung oft wechseld; trotz einiger Land-und Gewitterregen die Dürre anhaltend; Maikäfer und Raupen sehr wenig vorhanden. In der Nacht vom 13ten zum 14ten Mai war von 10 Uhr an wieder ein Nordlicht mit breiten roth und weißen bis an das Zenith reichenden Lichtstreifen sichtbar, welches von 12 Uhr nach den astronomischen Beobachtungen und Berichten in solcher Intensität und Ausströmung der Lichtstärke bis zum frühen Morgen wuchs, daß der ganze Himmel erhellt erschien, und selbst südlich stehende Fixsterne erbleichen mußten. Am 13ten war früh bey Nordwind dichter Nebel, das Barometer stand an diesem und demfolgendem Tage auf 28,2. Noch rauher und auffallend kühler als der Mai war der Junius, so daß Viele noch in den längsten Tagen einheizten. Land- und Gewitterregen fehlten auch in diesem Monat nicht; dennoch war in diesem Sommerhalbjahr in Folge der großen Dürre des vorigen Jahres der Waßerstand im Lober in ungewöhnlich seltner Weise bis zum Anfang des October außerordentlich niedrig. Die Heuerndte ist gut gewesen und glücklich eingebracht worden. Der Julius war bey oft wechselnder Windrichtung mit Ausnahme weniger Tage schön und warm; das Barometer stand hoch, auf 28,2 — 5; das Thermometer zeigte Nachmittags 3 Uhr + 30 — 36 Reaum. in der Sonne. Die Getraide-Erndte fand zur gewöhnlichen Zeit statt; der Roggen ist gut gerathen, noch beßer der Weizen, minder gut die Gerste und der Hafer. Am 2ten und lOten hatten wir einen Land-und Gewitterregen. Der August brachte gleich zum Anfang starke Gewitterregen, und war überhaupt größten Theils trübe, stürmisch, rauh und naßkalt; der Wind kam am meisten aus Nord-Westen.

Der September fing bey derselben Windrichtung gleich am lten dem Aegidius Tag früh mit Frost an, wie denn überhaupt die meisten Tage dieses Monats sehr kühl, trübe, regnigt und stürmisch waren. Am 12ten und 28ten hatten wir Gewitterregen und am 29ten Abends 7 % Uhr war ein Nordlicht (das dritte in diesem Jahre) von kurzer Dauer und matter Leuchtkraft bey hellem Himmel und dunstfreien Horizont sichtbar; der Stand des Barometer mehr niedrig. Die gute Grummterndte ward noch glücklich eingebracht. Der October war bey fast durchweg höhern Stande des Barometer und öfterem Ostwind noch rauher und naßkalter, als der September, überhaupt der ganze Herbst schlecht, weßhalb denn auch natürlich schon wegendes Mangels der Sommerhitze der Wein buchstäblich zu Eßig ward; die kalte Herbstwitterung brachte den Trauben den Tod. Vom Obst sind nur Kirschen und Birnen gut gerathen, weniger gut die Aepfel, am wenigsten die Pflaumen, von denen der große Scheffel bis 3 Rtl. im Preise stieg. Die Kartoffelerndte ist im Allgemeinen nur mittelmäßig ausgefallen, der große Scheffel kostete I Rtl., ausgesuchte I Rtl. 10 Sgr. Was von der Witterung des October gesagt ist, gilt noch in höherem Grade von der des November, deßen meiste Tage bey den öftern Schwankungen des Barometer, deßen bald höherem bald niederm Stande, so wie bey vorherrschendem Nordwest- und Ostwind sehr stürmisch, kalt und trübe waren, und abwechselnd Frost, dichte Nebel, Schnee und Regen brachten. Die Hauptursache dieser anomalen Witterung des ganzen Herbstes ist wohl darin zu finden, daß vom 29ten October an und den November hindurch im südlichen Deutschland, besonders in der Gegend von Frankfurt am Main und Darmstadt und vorzugsweise in dem zwischen diesen Städten gelegenen Heßischen Dorfe Groß-Gerau fast täglich Erdbeben statt fanden, welche oft in den Nächten so heftig wurden, daß sie in dem genannten Dorfe, als dem Mittelpunkte dieser furchtbaren Naturerscheinung, die Bewohner aus dem Schlafe weckten, und diese aus ihren Wohnungen wegen des zu befürchtenden Häuser-Einsturzes auf das freie Feld flüchten und dort campiren und frieren mußten. Diese Erderschütterungen hörten mit dem Anfang des December, (am 6ten Nebel, Barom.28,7) deßen Witterungslauf in der bisherigen Weise fortdauerte, auf, und kehrten noch einmal in der Nacht vom löten zum 17ten mit großer Heftigkeit zurück; an letzterem Tage tobte ein gewaltiger Orkan aus Westen, das Barometer, welches in der nacht 7 Linien gefallen war, stand früh um 8 Uhr äußerst niedrig, 27,1, und Abends 8 Uhr, 27,9. Dieser Sturm richtete an den Dächern Unheil an, fügte auch dem Thurme und dem Dache unserer Stadtkirche wieder einen neuen, wenn auch diesmal zum Glück nicht so bedeutenden Schaden zu; und entwurzelte auch eine hart an der Kohlthorbrücke auf der östlichen Seite der Chaußee stehende hohe und starke italienische Pappel, in welche vor etwa fünf Jahren ein gewaltiger Blitzstrahl geschlagen und die dicke Rinde derselben unten in der Höhe von fünf Fuß im halben Umfange des Baumes abgesprengt hatte.

Was den Gesundheitszustand betrifft, so herrschten von Mai bis September die Spitzpocken und Varioloiden (modificirte Menschenpocken) epidemisch, an letzteren starben drei Frauen. Von Anfang des Julius bis zum Jahresschluß aber graßirte in bösartiger Weise das Scharlachfieber epidemisch, und forderte unter den Kindern viele Opfer. Geboren wurden in diesem Jahre 331 (worunter 44 Uneheliche), und gestorben sind 241, worunter 146 Kinder. Es muß aber hierbey bemerkt werden, daß die Geborenen und Verstorbenen der kleinen Katholischen, jüdischen und freien Gemeinde, deren Mitgliederzahl vor zwey Jahren zusammen 233 Personen betrug, so wie auch der Strafanstalt, selbstverständlich, wie allemal, hierin nicht mit inbegriffen sind. Was den Witterungslauf betrifft, so war dieses Jahr wohl das regelwidrigste und wechselvollste, welches die jetzige Generation erlebt hat.