Handschriftliche Chronik von 1816-1952 - 1872-1873

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1872

Vom 1ten Januar des Jahres an ist bey Uns, wie im ganzen Deutschen Reiche, einheitliches Maaß und Gewicht, nämlich das französische metrische Maaß- und Gewichts-System gesetzlich eingeführt worden. Schon im Jahre 1867 fanden in Berlin auf dem damaligen Norddeutschen Reichstage Verhandlungen deßhalb statt, welche aber durch den Krieg 1870 und 71 unterbrochen, und erst nach dem Frankfurter Frieden und der bereits während des Krieges erfolgten Einigung von ganz Deutschland auf dem Deutschen Reichstage im Sommer vorigen Jahres zum Abschluß gebracht wurden. Es ist diese Sache allerdings ein Fortschritt zum Beßeren; nur ist dabey zu bedauern, daß dadurch die Eitelkeit und der Dünkel der französischen, in moralischer und anderer Hinsicht sehr tief gesunkenen Nation, welche sich für die große der ganzen Welt hält, neue Nahrung erhält. Uebrigens wird diese neue Einrichtung, ehe das Volk sich daran gewöhnt, längere Zeit im Handel manchen noch viel Herzleid und Verdruß bereiten, vielleicht auch zu gehäßigen Denunciazionen Anlaß geben. Am 14ten Januar, dem 2ten Epiphanias-Sonntage hielt der General-Superintendent Dr. Möller aus Magdeburg hier Vor- und Nachmittags eine Kirchenvisitation ab, und nach der Frühpredigt des Superintendenten Leipoldt eine Rede am Altare. Tags darauf setzte Moeller, nachdem er vorher erst noch eine Predigt gehalten, unsern Superintendent in sein Ephoral-Amt ein, wozu alle Geistliche und Lehrer der Delitzscher Diöces einberufen waren; dieser letztere Gottesdienst dauerte von früh 10 Uhr bis Mittag 1 Uhr. Uebrigens war an beyden Tagen die Theilnahme unserer Kirchengemeinde äußerst gering, so daß Moeller die Ueberzeugung hat gewinnen und mitnehmen müßen, daß unser kirchliches Leben in Folge des viejährigen Anhangs- Streites (vid.pag.332) durch die Schuld der damaligen Kirchenbehörden und Geistlichen fast total zerstört worden ist. Moeller ist wie sein verstorbener Vater streng orthodox und eben auch kein sonderlicher Kanzelredner; seine Leistungen sind nur gewöhnlicher Art; von einem so hochgestellten Geistlichen erwartet und verlangt man weit mehr. Was unsern Superintendenten betrifft, so ist sehr zu bedauern, daß die Hoffnungen, die man vor fast drei Jahren bey seiner Probe und Amtsantritts (v.p.435) hegte, daß seine schwache Stimme mit der Zeit heller und Stärker werden würde, leider bis jetzt nicht in Erfiillung gegangen; sein Stimmorgan ist und bleibt für unsere große Stadtkirche, zumal bey schnellem Vortrag, zu schwach.

Bey dieser Gelegenheit muß ich hier, da einmal von kirchlichen Angelegen- heiten die Rede ist, daß neueste hochwichtige Tagesereigniß, nämlich den endlichen Sturz des Cultusminister von Muehler, erwähnen; dieser Mann, welcher zur Partei der Ultramontanen und Finsterlinge gehört, hat während seiner fast zehnjährigen Amtsführung unendlich viel Böses gestiftet, weßhalb denn auch seit dem Tage von Sedan über kein Ereigniß in ganz Deutschland die Freude so allgemein und groß gewesen ist, als über den Fall dieses Mannes, wodurch endlich Kirche und Schule von einem furchtbar schweren Alpdruck und geistiger Knechtschaft erlöst worden sind. Seine Stellung war schon längst erschüttert und unhaltbar, und jeder andere fein fühlende Mann hätte nach den vielen gewaltigen Angriffen und derben Wahrheiten, die er im Hause der Abgeordneten, z.B. vom Abg. Ziegler aus Breßlau mit dem Ausruf „fort mit dem Minister Muehler" anzuhören bekam, sogleich abgedankt; ihn aber rührte dies nicht. Endlich aber mußte er doch bey unserm ehrwürdigen Kaiser und König am 12ten Januar um seine Entlaßung , welche der Fürst Bismark und sämmtliche Minister in einer Sitzung befürworteten, ansuchen; hierauf entließ ihn der Kaiser am 17ten des Monats. In den Zeitungen erfuhr Muehler noch viel Hohn und Spott in Nachrufen, die ihn wahrlich nicht ehrten.

Nachdem noch in den letzten Tagen des Januar als Nachfolger Muehlers vom König der bisherige Geheime Ober-Justizrath Dr.jur.Falk zum Cultusminister erwählt war, brach unter der Leitung dieses freisinnigen und humanen Mannes in Preußen und somit auch in Deutschland eine neue Glück verheißende Zeitperiode für Kirche und Schule an. Die erstere erhielt ihre Freiheit durch die Anerkennung der gesetzlich fest begründeten Rechte und Selbständigkeit der Kirchengemeinden, welche diesen die Hierarchie des Oberkirchenraths und der Consistorien in der neuesten Zeit widerrechtlich entzogen hatten, völlig zurück; so entschied z.B. der neue Cultusminister in dem bereits seit einem halben Jahre in Reichenbach bey Breslau heftig entbrannten Gesangbuchsstreite, welcher mit unserm Delitzscher die größte Aeludichkeit hat (vid.pag.332), „daß das Gemeinde-Prinzip stets gewahrt werden müßte", womit diese Streitsache nun erledigt war, und die beyden höchst ehrenwerthen freisinnigen, treu zur Kirchengemeinde stehenden Geistlichen, die Pastoren König und Lauterbach, welche schon seit fünf Monaten vom Breslauer Consistorium von ihren Aemtern suspentirt waren, dieselben wieder erhielten; die amtliche Wiedereinsetzung derselben erfolgte jedoch erst am 16ten Julius Vormittags 11 Uhr durch den Superintendenten Rolffs aus Schweidnitz.Ein diesem in gewif3er Hinsicht ähnlicher Vorfall ereignete sich vor Kurzem in Berlin; es waren nämlich die beyden allgemein hochverehrten und geliebten Kanzelredner, der weise Jubilar Dr. Sydon und der r. Ciscon wegen ihrer am 12ten Januar des Jahres im Berliner Unions- Verein in einem öffentlichen Vortrage ausgesprochenen freimüthigen Ansichten über das Apostolische Glaubens-Bekenntniß auf Betrieb des streng orthodoxen Brandenburger Consistoriums, welches Sie schon mit der Amtssuspension belegte, zur Verantwortung vor den Ober-Consistorialrath und General-Superintendent der Residenz Berlin, den ProtDr.Theol. Brueckner, früher in Leipzig, vorgeladen. Nach erfolgter Vernehmung der beyden ehrwürdigen Geistlichen gab als Resultat derselben dieser treffliche, liberale und gelehrte Mann folgende Entscheidung: „daß das Apostolische Glaubens-Bekenntniß als Grundlage der kirchlichen Gemeinschaft und als historisches Zeugniß Glaubens im Reformations- Zeitalter aus dem Geiste der damaligen Zeit hervorgegangen sey, aber nicht die Absicht gehabt habe, die Geister für alle Zeiten an seinen Buchstaben zu binden; es sey vielmehr ein Gegenstand freier wißenschaftlicher Forschung und Untersuchung, worüber sich jeder sein subjecktives Urtheil bilden könne." Somit war auch diese verdrießliche Angelegenheit zur Ehre und Rechtfertigung der Angeklagten in rationeller Weise richtig entschieden und erledigt worden. Welcher vernünftige und denkende Menschglaubt wohl heute noch an die Fabel vom Sündenfall, (denn jede Religion, und auch die christliche, hat ihre Mythologie), an den Teufel, ferner an die Himmel- und Höllenfahrt Christi, so wie an die grob sinnliche Idee der Auferstehung des Fleisches, welches den Elementarstoffen verfällt? Welcher aufgeklärte Mann glaubt jetzt noch an die Schwängerung vom heiligen Geist, so wie an den Tritheismus, statt des allein mit der gesunden Vernunft überein stimmenden Monotheismus? Unser früherer mit Recht gefeierter vorzüglicher Kanzelredner Superintendent Foerster sprach sich in einer am 18ten p.Trinitat.1842 gehaltenen Predigt über die Person und Natur Jesu Christi sehr treffend also aus: „Ihm gebührt nicht das Prädikat Gottheit, sondern nur Göttlichkeit, göttlicher Wandel " Zwey ganz verschiedene Begriffe. —

Nachdem wir nun über die durch den neuen Cultusminister wieder erhaltenen Rechte und Selbständigkeit der Kirchengemeinden das Nöthige mitgetheilt haben, so wollen wir nun noch Einiges über die großen Errungenschaften der Schule durch das neue Schulaufsichts-Gesetz, wodurch dieselbe zu ihrem wahren Heil von der geistlichen Ireneetim ganz emancipirt worden ist, hinzufügen. Das Recht der Aufsicht über die Schule, besonders die Volksschule, und die BefugniI3 zu diesem Zweck Fachmänner als Kreis-Schulinspectoren anzustellen hat bereits seit der Reformation dem Staate allein zugestanden, und ist von demselben auch bis zu dem im Jahre 1840 erfolgten Tode des erleuchteten Cultusministers von Altenstein ungeschmälert ausgeübt worden. Erst unter deßen Nachfolgern Eichhorn, von Raumer und von Muehler; welche mit den Ultramontanen und Priestern sehr liebäugelten, ist dieses unzweifelhafte Recht dem Staate, ebenso wie den Kirchengemeinden ihre Rechte bisher, durch die Hierarchie auf schlaue Weise verkümmert und entzogen worden. Es wurde nun von der Staatsregierung dieses neue Schulaufsichts-Gesetz in der Mitte des Februar dem Abgeordneten-Hause zur Berathung vorgelegt, und, wie sich nicht anders erwarten ließ, trotz einiger ultramontanen und feudalen Gegner, von demselben mit großer Majorität angenommen. Hierauf wurde dieses Gesetz zu Ende des Monats dem Herren-Hause vorgelegt; da es allgemein bekannt war, daß deßhalb in diesem Hause noch schwere Kämpfe statt finden würden, überhaupt die Annahme daselbst immer noch zweifelhaft war, so machte der König, um dem Gesetze bey der Abstimmung darüber die Majorität zu sichern, von seinem Rechte Gebrauch, und wählte noch eine hinlängliche Anzahl Mitglieder (Pairs), aufgeklärte große Männer, wie Moltke, Roon u.m.A.in das Herrenhaus, wodann daßelbe am 7ten März mit einer Majorität von 125 gegen 76 Stimmen nach erbitterten Kämpfen angenommen wurde, und somit der Staat sein gutes Recht wieder erhielt. Um die Durchbringung dieses Gesetzes hat übrigens der jetzige Lenker von Deutschlands Schicksalen, der Reichskanzler Fürst Bismark sich das größte Verdienst erworben, indem derselbe allen Sitzungen beyder Häuser beywohnte, und die gewaltigen, oft unsinnigen Anstrengungen der Polen, Pietisten, Feudalen, Ultramontanen und Jesuiten in seinen glänzenden Reden mit schlagenden Gründen widerlegte, durch seine äußerst dialektische Gewandheit seine Gegner ad abhurdum demonstrirte und durch Blosstellung ihrer Unwißenheit ganz vernichtete. Die Freude über diesen neuen Sieg des Lichtes über die Finsterniß war in ganz Deutschland außerordentlich groß und herzlich, und aus allen Theilen deßelben erhielt der ausgezeichnete Staatslenker und gefeierte Mann des Volkes dafür von Behörden, Corporationen und Privatpersonen begeisterte Anerkennungs-Dankes- und Zustimmungs-Addreßen zu Tausenden in Telegrammen und Schreiben; eine solche, mit circa 600 Unterschriften bedeckte, erhielt derselbe, desgleichen auch der Cultusminister Dr Falk, in Folge einer hier am lten Maerz deßhalb stattgefundenen Versammlung von der hiesigen und der Bitterfelder Bürgerschaft gemeinschaftlich zugesendet. Am 4ten Maerz wurde unter dem Vorsitz des Herrn Regierungs-und Schulraths Dr.Betzenberger aus merseburg die mündliche Prüfling der zwey Abiturienten der hiesigen höheren Bürgerschule abgehalten, nachdem der schriftliche Theil des Examens schon vom Sten bis 9ten Februar statt gefunden hatte; einer erhielt die Censur „gut", der andere „genügend". Da in den letzten vier Jahren in dieser Anstalt mehrere schwere disciplinarische Vergehen vorgekommen waren, (Vid.pag.413, 486, 512), so war es die höchste Zeit, daß endlich einmal, um die gesunkene Disciplin wieder zu heben, ein strenges Exempel statuirt wurde; es wurden daher der 14Jahr alte Sohn des Fleischermeister Kuhn, und der ebenso alte des Bäckermeister Riehl von hier, welche in einer Kneipe der Leipziger Vorstadt oft Hazard-Spiel getrieben hatten, zu Anfang des Maerz aus der Anstalt eddudirt.

In der Nacht vom 29ten zum 30ten Maerz hat sich die fast 47 Jahre alte Frau des Schmiedemeisters Riemay, welcher aus Schlesien hierher gekommen war, um an der Halle-Sorauer Eisenbahn Arbeit zu suchen, in ihrer Wohnung in der Leipziger Vorstadt erhängt; sie hinterläßt drei kleine Kinder, und soll, wie man hört, in einer höchst ungücklichen Ehe gelebt und großen Mangel gelitten haben. Ganz im Gegensatz zu den vorjährigem sehr hartem und strengen Winter ist der diesjährige ungewöhnlich milde; die gelinde Witterung des December gieng in den Januar über, und die meisten Tage deßelben waren bey vorherrschendem Südwind oder Südwestwind und mehr niedrigem als hohem Barometerstande sehr milde, hell und schön; Schnee, welcher aber schnell wieder schmolz, fiel wenig; dichte Nebel hatten wir besonders bey Südwind und Westwind vom 13ten bis 17ten früh, so wie am 22ten und 28ten; der 31te war ein wahrer Frühlingstag Ganz in derselben Weise, jedoch bey großen Theils höherem Barometerstande und mehr vorherrschendem Ostwind mit der abwechselnden Neigung der Fahne nach Nord oder Süd hielt das Wetter auch den ganzen Februar an; am 4ten des Monats war von Abends 6 Uhr an bis Mitternacht am nördlichen und nordöstlichen Himmel ein prachtvolles Nordlicht sichtbar, welches größten Theils lange und breite Gluth-roth glänzende Bündel und Strahlen, zum Theil auch einige ganz weiße Streifen bis an das Zenith aussendete, und von 9 Uhr an allmählich an Intensität abnahm: Der Maerz brachte bey der angegebenen Windrichtung und mehr hohem Barometer- und Thermometer- Stande (Barometer 28-28,5, Thermometer + 26 Reaum) in seiner ersten Hälfte fast durchgängig schöne Frühlingstage, aber auch zugleich eine bey uns sehr seltene Furcht und Schrecken erregende Naturerscheinung. Nachdem nämlich zufolge späteren Nachrichten der Vesuv am 4ten und Sten Maerz einen gewaltigen vulkanischen Ausbruch gemacht hatte, so wurden auch in dem größerem Theile Deutschlands die Nachwirkungen davon beobachtet, welche nicht lange auf sich warten ließen. Bey uns hier wurden am 6ten Maerz Nachmittags 8 Minuten vor 4 Uhr zwey schnell aufeinander folgende stark bemerkbare wellenförmige Erderschütterungen, jede von 6 Secunten Dauer, in der Richtung von Südwest nach Nordost wahrgenommen; das unterirdische Geräusch, welches im Parterre weniger auffallend, sich bis in die ersten und sogar in die höchsten Etagen der Häuser schnell fortpflanzte, und da besonders in den zitternden Fensterpfeilern am stärksten hörbar war, gleich dem Rollen eines rasch dahin fahrenden schwer beladenen Wagens. Unsere Thürrner haben, wie auch viele Personen in den Häusern, sehr deutlich Schwankungen beobachtet; es wankten Fußböden, ebenso auch Tische und auf denselben stehende Gegenstände; an den Wänden und Decken frei hängende Dinge, z.B. Kronleuchter, bewegten sich schwingend hin und her, und Pendeluhren blieben sogleich stehen. Der Schreck in unserer Stadt war so groß und allgemein, daß die Menschen aus den Häusern liefen, und truppweise auf den Straßen beysammen standen. Uebrigens war das Wetter an diesem Tage sehr schön und milde, der Himmel rein und ganz hell und unbewölkt, der Wind Ostwind, das Barometer stand auf 28,1., das Thermometer auf +22 Reaum um diese Zeit. Ein ähnliches Phänomen, aber von weit geringer Intensität und Stärke hatten wir schon einmal am 7ten Amins 1857 zu beobachten Gelegenheit (Vid.pag.280). In der zweiten Hälfte des Maerz waren die meisten Tage bey vorherrschendem Westwind und Nordwestwind und niedrigem Barometer-und Thermometer-Stande größten Theils trübe, kühl und nebligt, auch einige Mal durch Regen und Schneegestöber unangenehm, und am Abend des 19ten tobte von 8 bis 10 Uhr ein heftiger Orkan aus Westen (Barometer 27,5). Zu bemerken ist noch, daß die Feldmäuse, welche in dem letztem Herbste in zahlloser Menge vorhanden waren, und den Wintersaaten bedeutenden Schaden zufügten, erst in der Mitte des Januar von den Feldern verschwanden; mehrere Feldbesitzer mußten deßhalb im Maerz ihre mit Wintergetraide besäeten Aecker umpflügen.

Der Gesundheitszustand ist auch in diesem ersten Quartal durchaus nicht befriedigend gewesen, und gilt in dieser Hinsicht ganz das im letzten Quartal des vorigen Jahres darüber gesagte; zu bemerken ist aber noch, daß die Pocken-Epidemie, welche im August erloschen war, leider wieder aufgetreten ist und ihre Opfer forderte, weßhalb die Königl. Regierung zu Merseburg wiederholt Bekanntmachungen erließ wegen der Vaccination

Am 6ten April Nachmittags halb 2 Uhr brach in dem in der engen Kreuzgaße befindlichen Fabrikgebäude des Seifensiedenneisters Fuhrmann beym Sieden von Palmöl, Feuer aus, welches an den Fetten, Seifen pp. so reichliche Nahrung fand, daß binnen wenigen Minuten das ganze Gebäude in Flammen stand. Eine Möglichkeit das brennende Haus zu löschen, war schon nicht mehr, als die schnell herbeyeilende Feuerwehr an der Brandstelle erschien, und konnte es nur deren Aufgabe seyn die Nachbargebäude, welche bey der intensiven Hitze Feure fingen, zu schützen. Diese, der beschränkten Lage und leichten Bauart nach sehr schwierige Aufgabe ist glücklich gelöst worden, und haben sämmtliche Mannschaften ihre Schuldigkeit in höchstem Maaße gethan, und auf ihren gefahrvollen Posten mit Heldenmuth und wahrer Todesverachtung gearbeitet, so daß ihre Leistungen über alles Lob erhaben sind. Daß es bey Anfang der Löschoperationen an Waßer fehlte, lag theils daran, daß alle Pferde auswärts oder auf dem Felde waren, theils, daß nach einer vier Tage vorher statt gefundenen Uebung alle Schläuche des Trocknens wegen noch im Steigerhause aufgehangen waren, und sich noch nicht wieder bey den Spritzen befanden. Glücklicher Weise hat dieser Fehler, der hoffentlich nicht wieder vorkommen wird, keinen nachtheiligen Einfluß gehabt, denn, wenn auch die Spritzen zehn Minuten eher gegen das Feuer, welches durch einen Sprung des eisernen Keßels entstanden war, kämpften, so blieb doch das Endresultat, das Feuer auf die vier Mauern zu beschränken, ganz daßelbe; um 3 Uhr war schon die größte Gefahr vorüber. Das Gebäude erstand bald wieder aus der Asche.

Nachdem unser bisheriger, jetzt 77 Jahre alter, würdiger Organist und Lehrer Grellmann zu Ende des April vorigen Jahres theils in Folge von längerer häuslicher Noth und Kummer, theils aber auch in Folge von Altersschwäche plötzlich invalid geworden war und mithin unfähig zu fernerer Amtsverwaltung, so wurden seine beyden Aemter bis Michäelis stellvertretend durch die Lehrer der ersten und zweyten Bürgerschule verwaltet; im Junius suchte derselbe daher bey dem Magistrat um seine Versetzung in den Ruhestand an, welche am 30ten September auf die ehrenvollste Weise erfolgte.(Vid.pag.507). Bald nach Johannis machte der Magistrat als Patron in öffentlichen Blättern die Erledigung der Stelle bekannt mit der Aufforderung, daß sich qualificirte Bewerber deßhalb melden mögten. Unter mehreren eingegangenen Anhaltungsschreiben von Bewerbern wurden vier berücksichtigt, und diese letzteren zur Ablegung einer Orgel-und Schulprobe vorgeladen, aus welchen dann kurz vor Michäelis der bisherige Lehrer in Neuhaldensleben Max Schulle (der Namen thut nichts zur Sache) als Organist an der Stadtkirche und Lehrer der 3ten Mädchenklaße in der lten Bürgerschule erwählt und mit 350 Rtl. Gehalt, aber ohne freie Wohnung angestellt wurde. Sein Antritt verzögerte sich aber noch ein volles Halbjahr, so daß die Vacanz fast 11 Monate dauerte; denn erst am 2ten Osterfeiertage, den lten April 1873, trat er sein Amt in der Frühkirche und den 8ten des Monats in der Schule an. Obgleich derselbe kein Virtuos auf der Orgel ist, so spielt er doch in ähnlicher Weise wie sein Amtsvorgänger, den Choral einfach und regelrecht. Bey dieser Gelegenheit wunderten sich viele, daß der Magistrat die Organisten-Stelle dem Lehrer Jost nicht übertragen hatte, deßen vorzügliche künstlerische Leistungen auf der Orgel und dem Pianoforte unserm Publikum längst bekannt sind, und deßhalb auch seit vielen Jahren einer der gesuchtesten Musiklehrer im Orte ist, der ferner die 1852 neu gebaute Orgel in der Gottesackerkirche 14 Jahre unentgeldlich gespielt und erst seit 6 Jahren 25Rtl. Gehalt dafür erhalten hat, und dem der Magistrat auch seit Anfang vorigen Jahres zugleich das Organistenamt bey den Abend-Gottesdiensten in der Hospitalkirche übertrug; allein Herr Jost hatte absichtlich nicht um die Stelle angehalten, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil derselbe wegen der Pensionirung des Herrn Grellmann in baarem Gehalte um die Hälfte deßelben, um 50Rtl. gekürzt ist; dies kann sich wohl ein junger Lehrer leicht gefallen laßen, aber kein älterer, welcher bereits 26 Jahre im Amte ist. Dagegen hat Herr Jost seit der Einweihung der neuen Bürger-Knaben-Schule eine besonders expinirte Stellung erhalten, indem ihm nach Abgabe seines bisherigen Ordinariats der lten Klaße iter Bürgerschule nunmehr in allen fünf Knabenklaßen derselben ausschließlich der Unterricht in Mathematik, besonders der Geometrie und dem Rechnen übertragen worden ist, weil er in diesen Lehrfächern unter den sämmtlichen Lehren der lten und 2ten Bürgerschule unbedingt der tüchtigste und befähigste ist, welches Unheil über ihn schon früher ein competenter Richter, der uns unvergeßliche und unersetzliche Rector Giesel ausgesprochen hat.

Bey der starken Zunahme der Aufgaben war die Einstellung eines dritten Polizey-Sergeanten recht nothwendig geworden; es wurde daher nunmehr der Civilversorgungs-Berechtigte Unterofficier Blender aus Wittenberg als solcher und zugleich als Kastellan in der neuen Bürger- Knabenschule mit freier Wohnung in derselben angestellt; er trat sein Amt am 17ten April an; Gehalt 186Rtl. Am 20ten April Nachmittags fand man bey einer Waßer-Partie oberhalb der Elberitzmühle an einer Stelle, wo der Lober unmittelbar am Park des Ritterguts Döbemitz vorbey ffießt, im Waßer den in ein Stück Leinwand eingenäheten Leichnam eines neugeborenen Kindes männlichen Geschlechts. Nach der erfolgten Section und vorgenommenen hydro-statischen Lungenprobe erklärte der Herr Kreisphysikus Dr.Kanzler als Resultat, daß das Kind ein todtgeborenes sey, und wenigstens schon zwey Monate im Lober gelegen haben müße. — Ani 22ten April Abends fuhr ein dem Strumpfwaaren-Fabrikant Krieg gehörender mit Leipziger Meßgütern beladener Rollwagen beym Einfahren in die Kriegsche Fabrik gegen einen Thorpfeiler, welcher sogleich einstürzte, wodurch zwey dahinter stehende Arbeiter das Unglück hatten darunter zu kommen. Der Arbeiter Bergmann wurde sofort todt unter den Trümmern hervor gezogen, der andere, Thier, dagegen war nur betäubt und ist mit einigen Fleischwunden davon gekommen. Der erstere hinterläßt zehn Kinder. — Am 23ten April Abends wurde die fünfjährige Tochter des Cigarren-Arbeiters Fiedler von einem schwer beladenen, dem Rittergute Döbemitz gehörenden, Wagen vor dem Eckhause des Bäckereimeister Donath beym Einlenken in die Kohlgaße dergestalt überfahren, daß dieselbe nach wenigen Minuten starb Das Resultat der Section war, daß das Rad ihr über die Brust gegangen und dadurch die Lungen geborsten waren, mithin der Tod mit starker innerer Verblutung in Folge Zerreißung großer Blutgefäße schnell eintreten mußte. Wie man hört, soll der Döbemitzer Knecht nicht frei von Schuld seyn, weil derselbe bey dem Einlenken von der Eilenburger Straße in die Kohlgaße, wo doch der Raum wahrlich groß und breit genug ist, dennoch unvorsichtiger Weise an den Eckstein des Donathschen Hauses anfuhr. — Da seit mehreren Jahren ein großer Mangel an Volksschullehrern sich auffallend gezeigt hat, zumal da im vorigen Jahre aus unserer Provinz mindestens 70 Lehrer im Königreich Sachsen angestellt worden sind, so hat die Königl. Regierung beschloßen für den Regierungs-Bezirk Merseburg noch ein viertes Seminar mit 75 Stellen auf Staatskosten in Delitzsch erbauen zu laßen. Am 22ten und 23ten April waren deßhalb zwey Commißarien, die Schulräthe Wöpke von Magdeburg und Haupt von Merseburg, hier anwesend, um mit dem Magistrat wegen unentgeldlicher Ueberlaßung eines Bauplatzes von 8 Morgen zu verhandeln, welcher auch von den Stadtbehörden auf einer Commun-Feldbreite an der Dübener Straße gern bewilligt worden ist, da dieses nicht unbedeutende Opfer der Stadt Vortheil bringt.

Dem Rector Dr. phil.Bartels wurde im Mai als Unterstützung zu seiner Ostern vorigen Jahres errichteten Seminar- Präparanden-Anstalt auf Verordnung des Cultusministers Dr.jur.Falk von der Regierung in Merseburg, welche diese Sache befürwortet hatte, die gewiß sehr willkommene Summe von 400Rtl. für das Jahr 1872 ausgezahlt.

Seit dem lten Februar des Jahres ist die Communalsteuer von 75 auf 100 Procent erhöhet worden, mithin seit dem lten April 1859 um 70 Proc,ent nach und nach gestiegen (vid.pag.318); eine schreckliche Folge der damaligen verschwenderischen Finanzwirthschaft in der Communal- Verwaltung. Im Monat Mai wurden unsere sämmtlichen schönen Schulgebäude mit Blitzableitern, deren starke ableitende Drähte von Kupfer sind, versehen; dieselben sind vom hiesigen Klempnermeister Hopfer verfertigt, und kosten deßen Angabe 300 Rtl. Nachdem im vorigen Jahre glücklich beendigten Kriege mit Frankreich wurden nunmehr die zeither durch denselben sehr ins Stocken gerathenen Arbeiten an der Halle-Sorau- Gubener Eisenbahn mit sehr großem Eifer und bedeutend vermehrten Arbeitskräften in diesem Jahre wieder in Angriff genommen, mit dem festen Vorsatz das große Werk bald zu vollenden. Da die ungewöhnlich milde Witterung dieses Winters es gestattete, so wurde schon zu Anfang des Februar mit den Erdarbeiten begonnen, um die noch immer vorhandene große Lücke auf dem an dieser Strecke von der Eilenburger Straße an, vor der Elberitzmühle und bis an den Durchgang nach Döbemitz 20 bis 25 Fuß hohen Bahndamme endlich auszufüllen, weßhalb noch ungeheure Erdmaßen in Bewegung gesetzt und aufgeschüttet werden mußten; zu Anfang des Mai war diese Arbeit beendet, deßgleichen auch die Verbindungsbahn für den Güter-Transport nach der Berlin-Anhalter Bahn. Mittlerweile war auch sehr fleißig unter der Leitung des Zimmermeister Ringsleben aus Crossen an der Vollendung und dem Ausbau des prächtigen, mit Schiefer gedeckten und mit zwey niedlichen achteckigen Thürmchen an der Ostseite gezierten Bahnhofsgebäudes gearbeitet worden; daßelbe enthält im Parterre und im ersten Stock schöne Wohnungen und Expeditions-Lokale für die Beamten, Post-und Telegraphen Büreau, ganz besonders aber im zweiten sehr hohen Stock, deßen Fronten nach Mittag und Mitternacht jede zwölf hohe Bogenfenster hat, elegante Wartesäle für die Reisenden und Restauration nebst der Wohnung für den Pachter derselben. Auf der ganzen Strecke von hier nach Halle wurde im Mai und Junius das Planum des Bahnkörpers völlig in Stand gesetzt, die Bahnwärter- Häuschen gebaut, Telegraphen aufgestellt und die Schwellen und die Schienen gelegt, so daß am 20ten Junius der Bau der Bahn vollendet war. Um dieses noch über alle Erwartung schnelle Zustandekommen deßelben hat sich der Abtheilungs-Ingenieur Pritzel in den drei letzten Monaten durch seine Energie und treffliche Leitung die größten Verdienste erworben. Hierauf fand nun die Abnahme und Uebergabe der Bahnstrecke Halle- Delitzsch-Eilenburg am 21ten Junius statt. Gegen 1/2 12 Uhr Mittags langte der erste Personen-Zug hier an, in welchem jedoch nur die Vertreter der Königl. Regierung, die Verwaltungskräfte der Bahn und die Spitzen des Halleschen und Delitzscher Kreises so wie der betr. Städte Platz fanden. Ein zahlreich versammeltes Publikum erwartete diesen Zug am Bahnhofsgebäude, welches von dem hier stationirten Bahnpersonal auf das Geschmackvollste decorirt und mit Fahnen und Flaggen reich verziert war. Nachdem nun noch am 29ten und 30ten Junius mehrere unentgeldlichen Probefahrten statt gefunden hatten, wurde die genannte Bahnstrecke am lten Julius unter der Leitung des Ober-Betriebs-Inspector Haag, dem Krieger Denkmal allgemeinen Verkehr eröffnet. Siehe die Karte.

Am 22ten Junius fand die feierliche Einweihung des schönen Denkmals in Zschortau statt, welches die Kreisstände den 19 am Jahrestage vorher auf der Eisenbahn verunglückten Soldaten haben errichten laßen. Auf die Feierlichkeit selbst verweise ich auf die beyliegende im Delitzscher Kreisblatt No.74 befindliche Beschreibung und die Abbildung.

Die Stadtverordneten haben im Junius dem Bürgermeister Reiche auf sein Ansuchen eine Gehaltszulage von 100Rtt aus der Sparkaße von Anfang dieses Jahres an bewilligt, so daß nunmehr sein fixer jährlicher Gehalt 1000Rt1 beträgt. Im April hatten wir bey vorherrschendem Nord-West-Wind und Nord-Ost-Wind und häufigen Schwankungen des bald hoch bald niedrig stehenden Barometers (Barometer 28,5 — 27,4)wenig schöne, sondern weit mehr trübe, kühle, nebligte und stürmische Tage, auch einige Mal Regen und am 29ten Abends 9 Uhr ein Gewitter ohne Regen, so wie am 30ten Abends 6 Uhr ein solches mit Regen, wobey der Blitz in einen Kuh-und Pferdestall des Rittergutes Storkwitz einschlug, jedoch ohne zu zünden, blos Menschen und Tiere betäubte, aber das auf dem Stallgebäude befindliche Thürmchen zum Theil im Holzwerk zertrümmerte. Der Mai brachte bey mehr niederm Barometerstande und vorherrschendem Süd- West-Wind und West-Wind mehr schöne und warme, als trübe und kühle, Tage, und sehr fruchtbare Witterung, indem wir am lOten, 14ten, 20ten und 22ten milde Landregen, so wie am 19ten von 4 bis Abends 9 Uhr, und am 21ten von 9 bis 10 1/2 Uhr Abends schwere Gewitter mit vielem Regen hatten. In dieser Weise gieng das Wetter auch in den Junius über, wo an den heißen und schwülen Tagen (Thermometer +31 N.M.3 Uhr) des 5ten in der Nacht früh ein Landregen und dann Abends 5 1/2 Uhr ein Gewitterregen, so wie des 9ten ebenfalls am Abend ein Gewitter, welches in der Nacht zum lOten in einen Landregen übergieng, statt fanden. Vom 14ten bis zum 27ten war aber bey hohem Barometer-und Thermometerstande und vorherrschendem Nord-West-Wind und Nord-Ost-Wind die Witterung so außerordentlich günstig, wie sie die Feldbesitzer zum glücklichen Einbringen der vortrefflichen, überaus reichen Heuemdte nicht beßer wünschen konnten. Am 27ten früh 9 Uhr und N.M.2 U. entladeten sich noch zwey Gewitter mit Regen und nachfolgender dreitägiger Abkühlung. Bey dieser sehr großen Fruchtbarkeit im Frühjahr konnte es denn auch nicht fehlen, daß sowohl das Winter- als auch das Sommer-Getraide vortrefflich steht und in jeder Hinsicht einen reichen Ertrag verspricht, besonders sind diesmal im Roggen die meisten Aehren sehr lang und mit großen Kämen dermaßen gefüllt, daß die Hülsen derselben aufplatzen; daßelbe gilt auch vom Weitzen, Gerste und Hafer, nur daß im letzteren zumal im Sandboden in manchen Feldbreiten denselben das Unkraut, der Hedderich arg überwuchert hat. Der Klee, welcher hier und da auf einzelnen Stellen ausgewintert erscheint, steht im Ganzen gut, und es ist überhaupt an Futterkräutern kein Mangel. Das im Maerz von einigen Feldbesitzern vorgenommene Umpflügen der mit Wintergetraide besäeten Feldstücke haben diese Herren alle Ursache gehabt zu bereuen. — In Bezug auf den Gesundheitszustand ist zu berichten, daß derselbe in der ersten Hälfte dieses Quartals noch immer nicht befriedigend und die Sterblichkeit nicht unbedeutend war, wozu besonders die Lungenschwindsucht und die immer wieder auftretenden Menschenpocken, natürliche sowohl als Varioloiden, ihr Contingent lieferten. Erst von der Mitte des Mai an und im Juni ward es in dieser beßer; Krankheiten und Sterblichkeit nahmen ab. Heber die Gründung der Kirchenbibliothek sagt Kirchenbibliothek unser gelehrter Chronist der selige Actuarius Lehmann in seiner 1839 im Druck erschienenen Geschichte des Baues der Stadtkirche zu Delitzsch Seite 10 folgendes: „Im Jahre 1717 ließ der Superintendent Strenge die südliche Kapelle am Thurme, vormals der Kalandherren, durch einen Boden theilen, und die obere Hälfte zu einem freundlichen Zimmer einrichten, in welchem er die Bücher aufstellte, die er von Fremden und Heimischen mit unermüdlichem Eifer für die Kirche erbat. Man gab natürlich nicht das Beste, doch einiges Gute, was denn auch von Zeit zu Zeit seine Liebhaber gefunden hat." Aus dem letztem Satze kann man deutlich durch die Zeilen lesen, daß, wie bekannt und mir auch mein unvergeßlicher Freund Lehmann mehrmals mündlich versichert hat, in früherer Zeit bey der damaligen sehr geringen Aufsicht über diese Bibliothek manche aus derselben Bücher geliehen aber wieder zurück zu geben vergeßen haben, wodurch noch manches recht gute Buch derselben verloren gegangen ist.

Aus diesem Grunde und weil die Bibliothek überhaupt fast gar nicht benutzt wird, und die Mäuse und Würmer ihr Zerstörungswerk an den Büchern seit vielen Jahren auf die schrecklichste Weise getrieben haben, faßte die Kirchen-Inspection schon in den vierziger und fünfziger Jahren den Beschluß dieselbe zu verkaufen, der aber beyde Mal nicht zur Ausführung kam. Endlich entschloß man sich in diesem Frühjahr den früher gefaßten Plan nunmehr konsequent durchzuführen, zu welchem Zweck folgende Herren zusammen traten: Magistrats-Aßeßor Heintze, früher Antiquar in Halle, Superintendent Leipoldt, Diaconus Meinhardt, Kirchenvorsteher Zeising und der Verfasser dieser Zeilen, der von dem Magistrat zur Theilnahme daran besonders ersucht worden war. Nachdem wir nun vom lten Mai an aller 14Tage Mittwochs Nachmittags von 3 bis 7 Uhr in der betr. Kapelle, im Ganzen viermal, uns versammelt hatten, war unsere Arbeit beendet; wir hatten sämmtliche Bücher durchgeselm und geprüft, und die der Aufbewahrung werthen, worunter noch manche recht gute und brauchbare, z.B. eine vollständige, wohl erhaltene Ausgabe von Luthers sämmtlichen Werken in zehn starken, schönen Folio-Bänden in Schweins- leder, wie auch mehrer alte Claßiker, Aristoteles, Flavius, Josephus sich befinden, in einem Schrank besonders aufgestellt, welche nach dem Beschluß des Magistrats bald nachher in der dritten Woche des Junius an die Bibliothek der Realschule als Geschenk abgeliefert wurden; die Zahl der Bände mag höchstens 200 betragen. Die übrigen circa 1600 Bände sind an einen Antiquar verkauft worden, welcher das darin noch vorhandene Gute heraus suchen, das Uebrige als Maculatur verwerthen mag. Derselbe, Namens Schilling, aus Leipzig, hat gegen baare Bezahlung von 60Rtl. diese Bücher erhalten, und am 15ten Julius auf einem großem, voll damit beladenen Leiterwagen, abgeholt. Diese 96Rtl. sind nun zum Kirchen- Baufond geschlagen worden. Auch die alten Schränke und Regale wurden zu Michäelis für 36Rtl. in der Auction verkauft. Am 9ten Julius wurde im Rosenthal früh Morgens von einem Manne beym Angeln im alten Lober zwischen der Schafbrücke und der Gerberwäsche der Leichnam eines neugebornen Knaben gefunden; dem armen Kinde war der Mund mit einem Tuche verbunden und an den Füßen Steine befestigt; es war aber bey dem jetzigen niedrigem Waßerstande an einem ausgestellten Fischnetz hängen geblieben. Nach dem von dem Herrn Kreisphysikus Dr.Kanzler als Resultat der Section abgegebenen Gutachten hatte es gelebt und geathmet.

Am 24ten und 25ten Julius wurde unsere Stadt zweymal nacheinander durch Feuerlärm erschreckt; das erste Mal sahen Abends % auf 10 Uhr vorübergehende Personen in der ersten Kohlthor-Scheunengaße, daß an der dem Zimmermeister Felix gehörenden Scheune, aus der in dem einem Thorflügel befindlichen kleinen Thüre aus einem noch unbedeutendem Loche Feuer heraus brannte; die schnell herbey geeilte Feuerwehr schlug sogleich die Thüre ein, riß das brennende Brett heraus und löschte das Feuer im Entstehen, wodurch gewiß ein großes Unglück verhütet wurde, zumal da auf der Scheuntenne noch ein voll mit Korn beladener Wagen stehen geblieben war. Bey dieser Gelegenheit fand man auch das corpus delicti, den Rest einer brennenden Cigarre, welche Jemand auf den Querbalken der Thüre gelegt hatte, aber wieder mitzunehmen vergaß; wer der strafbare Verbrecher seyn mag, ist bis jetzt nicht entdeckt worden. Im zweyten Falle am 25ten des Monats Mittags 1/2 2 Uhr brannte im Hofe des früher Parreidtschen, jetzt dem Rentier Schoenbrodt gehörenden, Hauses in der Schloßgaße ein Haufen Reißbunde, wodurch zunächst ein ganz nahes Stallgebäude des Nachbars bedroht war; auch in diesem Falle gelang es das Feuer, welches wie man hört, durch unvorsichtig hingeworfene noch glühende Asche verwahrlost seyn soll, gleich im Entstehen zu ersticken. — Feldbrand Am 23ten Julius Abends zwischen 10 und 11 Uhr sind durch ruchlose Hand acht dem Gutsbesitzer Boelune in Spröda gehörige Roggenmandeln auf den Communalländereien, unweit des Delitzscher Forsthauses, in Brand gesetzt worden. Boehme hat auf die Entdeckung des Verbrechers 10Rtl. Belohnung gesetzt, bis jetzt ist der Thäter nicht entdeckt. Die der Commun gehörenden Verpachtung der Kirsch-Alleen sind in diesem Jahre für den Preis von zusammen von 248Rtl. verpachtet worden; dagegen hat eine Verpachtung der Pflaumen-Plantagen leider nicht statt finden können, weil die meisten Bäume in Folge des vorjährigen anhaltend strengen Winters durch den Frost getödet und eingegangen sind, und auf den übrigen fast gar keine Pflaumen hängen. Jahre werden vergehen, ehe dieser Schade wieder ausgeglichen wird.

Der Tag, an welchem vor zwey Jahren bey Sedan der Kaiser Napoleon als Gefangener seinen Degen unserm König Wilhelm übergab (Vid.pag.477) wurde auch bey uns, wie an vielen anderen Orten, festlich begangen. Am Vorabend den Iten September ward ein großer Zapfenstreich, und am andern Morgen den 2ten früh eine Reveille ausgeführt. Ferner wurde an diesem Tage von 9 bis 10 mit allen Glocken gelauten, worauf von 10 bis 11 Uhr ein liturgischer Gottesdienst in der Stadtkirche abgehalten ward, zu welchem sich die Behörden, Geistlichen und Lehrern mit den Schulkindern im Zuge nach der Kirche begaben, nach deßen Beendigung vom Balkon des Rathhauses ein Choral geblasen wurde. Von Nachmittags 2 Uhr an fand das Volksfest auf dem Schützenplatze beym herrlichsten Wetter statt, wohin im langen Festzuge mit Musikbegleitung sich die Schulen, Innungen und sehr viele Andere bewegten und in anständiger Heiterkeit die Freude dieses denkwürdigen Tages erhöheten. Als es dunkel geworden war, wurde daselbst noch ein schönes Feuerwerk abgebrannt, und dann auf einem nahe liegendem Feldstücke ein sogenanntes Freudenfeuer von der Feuerwehr, welche das Brennmaterial zu diesem, altes Holzwerk und dergl. in der ganzen Stadt gesammelt hatte, angezündet. An Speise und Trank fehlte es nicht. Da gleich vom Anfang des Julius an eine sehr große Dürre mit äußerst niedrigem Waßerstande eintrat und bis Michäelis anhielt, wodurch natürlich besonders die Futterkräuter, Rüben und Krautpflanzen förmlich verkümmer- ten, letztere auch noch dazu durch ekelhaften Raupenfraß litten und wie skeletirt dastanden, so stiegen bald die Preise sämintlicher Lebensmittel, vorzüglich der Butter, außerordentlich hoch; von letzterer kostet das Stückchen 8Sgr.; da nun die Bauern hierbey noch mit dem Gewicht betrogen und ein Stückchen statt 15 Loth oft nur 12 Loth höchstens 13 Loth wog, dabey auch noch oft beleidigende Redensarten ausstießen, wie z.B. „ wenn ihr keine Butter bezahlen könnt, so freßt Salz," so brach endlich am 28ten August früh auf dem Wochenmarkte auch bey uns, wie vorher schon in mehreren anderen Städten unserer Provinz, der lange verhaltene Zorn im Sturm los, und artete bald dermaßen in Thätlichkeiten aus, daß die Butterhändler und Bauerweiber die Flucht ergreifen mußten. Von nun an wurde eine strengere Marktpolizey ausgeübt; zu leichte nicht vollwichtige Butterstückchen wurden von den Polizey-Sergeanten zerschnitten, und die Verkäufer derselben noch außerdem mit Geldstrafen bis 2Rtl. belegt. Leider sind aber bis jetzt bis Anfang October die sehr hohen Preise von 7 1/2 bis 8Sgr. noch geblieben. Seit Freitag, den 27ten September, bewegt die hiesigen Gemüther ein an dem 81jährigen Schleifermeister Richter hier in seiner Parterre-Wohnung im Milchgäßchen versuchter Raubmord. Demselben war in den letzten Wochen zu verschiedenen Malen Nachts seine ganze Baarschaft geraubt worden, worüber derselbe in seiner bekannten heitern Laune sich in einem Inserat im hiesigen Kreisblatt so äußerte, daß er seine wenigen Sparpfennige gern hinnehmen ließe, nur sollte man ihm nicht an das Leben gehen. Leider wäre es bey dem letzten Einbruch doch bald um das Leben geschehen gewesen. Am Donnerstag Abend hatte sich der pp. Richter, wie gewöhnlich, gegen 7 Uhr zu Bett begeben. Bey dem tobenden Sturme mag er nicht bald eingeschlafen seyn, so daß er nach 2 Uhr noch wach gewesen und in seiner Stube ein Fenster klirren hörte. Um nach der Ursache zu suchen, steht er auf, zündet Licht an und durchsucht seine Wohnung, ohne jedoch etwas Verdächtiges zu merken. Endlich entschließt er sich die Stubenthür zu öffnen, um der Sache auf den Grund zu kommen, und bemerkt hier, fest an den Küchenofen gedrückt, einen jungen Mann, welcher ihm, ehe er sichs versieht, mit einem Hackemeßer, das Richter Tags vorher geschliffen und in der Hausflur aufbewahrt hatte, einen Schlag auf die Hand versetzt, so daß er die Lampe fallen läßt; gleich darauf erhält Richter mehrer Schläge auf den Kopf, worauf Beyde sich faßen. Hierbey versuchte Richter mit Aufbietung aller Kräfte in den Besitz des Hackemeßers zu gelangen, was ihm auch gelingt, und versetzte damit dem frechen Eindringling einen derben Hieb an den Kopf Letzterer damit noch nicht zufrieden, versucht nochmals das Hackemeßer zu ergreifen, greift dabey aber in die ziemlich scharfe Schneide und verwundet sich dermaßen an der linken Hand zwischen dem Mittel- und Zeigefinger, daß er baldigst von einem weiterem Kampfe absteht und die Flucht ergreift. Morgen war diese ganze schreckliche Geschichte ruchbar und verhaftete man den etwa 22 Jahre alten Cigarrenarbeiter Ranscht, Sohn des verstorbenen Polizey-Sergeanten, als der That verdächtig. Wohl einsehend, daß ihm langes Leugnen nicht helfen würde, indem die erhal- tenen Wunden der sicherste Beweis sind, und auch seine auf dem Kampfplatze zurückgelaßenen Mütze für das Verbrechen sprach, gestand derselbe nicht nur diese That ein, sondern machte auch noch das Geständniß, daß er dem pp.Richter früher auch deßen Baarschaft gestohlen habe. Da derselbe schon einmal wegen Diebstahl, Desertion vom Militär und wegen versuchter Körperverletzung einer Person mit 3 Jahr Zuchthausstrafe belegt worden ist, so dürfte ihn wohl für dieses Verbrechen eine strenge Strafe erwarten. Als Coriosum seyen noch die Motive zu dieser schrecklichen That erwähnt. Der Verbrecher hat hier, wie man allgemein hört, ein Liebesverhältniß mit einer Tochter des Schumachermeister

H. Schnittspan; um sich galant zu zeigen, hat er von der ersten Eroberung, die er bey Richter gemacht, seiner Auserwälten ein Präsent (wohl in gol- denen Ohrringen pp.bestehend) gemacht; und sollte der jetzige Kaßen- bestand des Richter zu einem Geburtstagsgeschenke für dieselbe verwendet werden. Eine starke Verrechnung!

In den ersten Tagen des Julius war das Wetter trübe, kühl und windig; am 3ten hatten wir Vormittags von 10 bis 11 Uhr und Abends um 6 Uhr bey Nord-West-Wind Gewitterregen. Vom Sten an trat bey oft wechselnder Windrichtung und mehr hohem Barometerstand sehr schönes, warmes Wetter ein und am lOten früh um 3 Uhr wieder ein Gewitterregen; drei Tage vorher am 7ten war auch Abends von 10 bis 11 Uhr ein schönes Nordlicht sichtbar. Am 14ten früh von 1 — 1 1/2 Uhr folgte auf den vorigen schwülen Tag ein starker Gewitterregen und am löten früh ein Landregen_ Von der zweyten Hälfte des Monats an bis zum Ende deßelben war das Wetter anhaltend schön und sehr heiß, wodurch das glückliche Einbringen des Wintergetraides sehr gefördert ward. Das Thermometer stieg an manchen Tagen N.M.3 U. in der Sonne von +33 bis auf +37 Reaum. Barometer 28- 28,3. Am schwülen 29ten war früh 8 V2 Uhr ein Gewitterregen. Die gleich vom Anfang des Monats beginnende und wegen Mangels an starken Landregen anhaltende große Dürre gieng bey mehr hohen Barometerstande und vorherrschendem Nord-Wset-Wind und Nord-Ost-Wind auch in den ganzen August über, so daß ein empfindlicher Mangel an Futterkräutern entstand und die Preise der Lebensmittel, besonders der Butter sehr hoch stiegen; wir hatten überhaupt im August mehr trübe und kühle, als schöne und warme Tage und nur zwey Gewitterregen; das erstere südöstlich stehende starke, wobey der Blitz in Schladitz, Podelwitz und Göbschelwitz einschlug und zündete, fand mit vielem Regen bey Süd- Wind (Barometer 27,9) am 7ten des Monats Abends von 6 —7 Uhr, und das zweyte minder heftige Gewitter am 27ten des Monats Abends von 5— 1/26 Uhr statt. Die Emdte des Sommergetraides wurde, durch die Witterung sehr begünstigt, ebenfalls glücklich in die Scheunen gebracht. Uebrigens ist bey allen vier Getraidearten der Ertrag, sowohl was die Körner als das Stroh betrifft, recht reichlich ausgefallen. Der September war in seiner ersten Hälfte schön und sogar sehr heiß; das Thermometer stand gewöhnlich auf +30 bis +37, am Sten stieg es sogar N.M.3 U. in der Sonne bis auf +40 Reaum., und das Barometer stand auf 28 — 28,3. Die große Düne und sehr niedriger Waßerstand hielten ferner an, in Folge davon die Grummterndte natürlich sehr dürftig und gering ausfiel; die Windrichtung war theils Süd-West theils West-Wind und am 14ten Mittag von 1 — 2Uhr entladete sich bey Nord-West-Wind ein starkes Gewitter mit vielem Regen. Die zvveyte Hälfte des September war bey vorherrschendem West-Wind und niedrigem Stande des Barometer und Thermometer fast durchgängig trübe, sehr kühl, rauh und windig, am 27ten sogar stürmisch; in der Nacht vom 28ten zum 29ten erfolgte bey Windstille ein schöner Landregen. Die Kartoffel-Erndte, welche diesmal zwey Wochen früher begonnen hat, ist trotz aller Befürchtungen bey der großen Trockenheit wider Erwarten sowohl im Ertrag als auch in der Größe der Knollen ganz befriedigend und gut ausgefallen; beßer als im vorigen Jahre. Dagegen ist die Obsterndte gering gewesen; Birnen und Aepfel, von denen noch der oft heftige Wind viele vor der Reife abwart sind nur leidlich gerathen und theuer im Preise. Der Gesundheitszustand war in diesem Quartal keineswegs befriedigend und die Sterblichkeit bedeutend, wozu die besonders unter den Kindern epidemisch herrschenden Masern und Scharlach mit ihren Nachkrankheiten nicht wenig beytrugen. Außerdem kamen noch Diarrhöm, gastritische und galligte Fieber, vereinzelt auch Neßelfriesel zur Behandlung mit glücklichem Ausgang. Die Menschenpocken und Varioloiden waren erloschen. Die Getraidepreise waren zu Michäelis in Folge von Mittheilungen aus amtlicher Quelle und nach (100 Pfund) berechnet folgende: Weizen 3Rtl. 235gr. bis 3Rtl. 27Sgr., Roggen 2 Rtl. 23Sgr. bis 2Rtl. 27Sgr., Gerste 2 Rtl. 20Sgr. bis 2Rtl. 24Sgb, Hafer 2Rtl. 2Sgr. bis 2Rtl. 5Sgr., Kartoffeln 20Sgr. Seit dem Anfang dieses Jahres wird in der Provinz Sachsen im Getraide-Handel nur nach dem Gewicht, der Centner zu 100 Pfund, ge- und verkauft. An die Stelle des zu Beamten Wechsel Ende Junius wieder abgegangenen Pilizey-Sergeant Blender (Vid.pag. 528) ist als dritter Polizey-Sergeant Friedrich Michel erwählt worden; derselbe ist gebürtig aus Wittstock, kam vom Militär aus Flavelberg und trat hier sein Amt am 15ten Julius an, ging aber schon am 15ten October zum Eisenbahndienst ab.

Nachdem der Midicinalrath und Director der Irren- und Pflegeanstalt Thonberg bey Leipzig Herr Dr.medi Eduard Wilhelm Guentz bereits im Jahre 1852 (vid.pag 208) in Erfüllung eines letzten Wunsches seiner verstorbenen Gattin Amalie Auguste geb.Mueller 100RTI. dem Magistrat übergeben hat und mit der Bestimmung die Zinsen hiervon an ein unbescholdenes Mädchen hiesiger Stadt auszuzahlen, hat Derselbe zur Vergrößerung dieser Stiftung am 7ten November abermals 200Rtl. dem Magistrat übersendet. Der Cigarrenarbeiter Georg Franz Ernst Ranscht aus Delitzsch ist wegen verübten Diebstahls und versuchten Raubmordes beym hiesigen Schleifermeister Richter vom Königl. Kreis-und Schwurgericht in Halle in der Sitzung am löten November zu zehnjähriger Zuchthausstrafe, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und Stellung unter Polizeyaufsicht verurtheilt worden. Siehe die Beilage zum Delitzscher Kreisblatt vom 21ten November. Am lten October ging der hiesige Strafanstalts-Prediger Goeldner als Pastor nach Ragösen bey Brandenburg ab; an seine Stelle trat an demselben Tage der bisherige Strafanstalts-Prediger Emil Albertus von Spandau. Auch in diesem Jahre ist wegen der anhaltenden, immer noch steigenden Theuerung aller Lebensbedürfniße, so wie der Baumaterialien und hohen Arbeitslöhne wenig gebaut worden. Der Bäckermeister Teubner, welchem sein Schwiegervater der Schmiedemeister Haschert die Baustelle des Dietrichschen Hauses überließ, hat auf derselben ein sehr schönes maßives zweimal übersetztes Wohnhaus erbaut und zu Michäelis bezogen. Deßgleichen hat auch der Zimmermeister Felix auf seinem Grundstück in der Leipziger Vorstadt unmittelbar neben Kriegs Fabrik ein Maßives zweymal übersetztes Wohnhaus erbaut. Ferner hat die Stadtcommun an den Kaufmann Mittelstrass von dem zwischen der Pflaumen-Plantage und der Bahnhof-Straße gelegenen Feldplan (No.452 der Karte an 11 Morgen 54 Quadrat-Ruthen) eine Parcelle von 76,56 Quadrat-Ruthen für 459 Rtl. 10Sgr. 9Pfennig verkauft. Der neue Besitzer hat für jetzt erst ein maßives Stallgebäude gebauet, und gedenkt dann im nächsten Jahr auf dieser Baustelle ein Wohnhaus zu erbauen. Nachträglich muß hier noch in Bezug auf das herrliche Bahnhofsgebäude der Halle- Sorau-Gubener Eisenbahn (vid.pag.530) erwähnt werden, daß der Zimmermeister Ringsleben aus Croßen sich unbestritten um den Riß so wie um den Bau deßelben, deßen Kosten 62000 Rtl.betragen, die größten Verdienste erworben hat. Laut Bekanntmachung des Magistrats vom 29ten November des Jahres betragen die Schulgelder an unserer höheren Schulgelderhöhung Bürgerschule vom lten Januar kommenden Jahres ab: a, II Vorschulklaße 7Rtl. b, I Vorschulklaße 10Rtl., c, Sexta 14I111., d, Quinta 16Rtl., e, Quarta 18Rtl., f, Tertia 20Rtl., g, Secunda 22Rtl. — Deßgleichen ist auch von diesem Zeitpunkt an in der ersten Bürgerschule in deren beyden ersten Klaßen das Schulgeld monatlich von 7 1/2 Sgr. auf 10 Sgr. erhöhet worden Die Zahl der Schüler und Schülerinnen beträgt jetzt seit Michäelis in den hiesigen Schulen: 198 in der höheren Bürgerschule (incl. 51 in der Vorschule), 674 (inc1.9 von auswärts) in der ersten Bürgerschule, 530 in der zweiten Bürgerschule, 81 in der höheren Töchterschule, 38 in der Vorschule zu derselben, im Ganzen also 1521. Da man schon seit längerer Zeit bemerkt hatte, daß die Gasflammen in den Straßenlaternen nicht mehr so hell, sondern matter als früher brannten, so glaubten sachverständige Techniker die Ursache davon in dem durch den zu engen Durchmeßer der Gasröhren des Hauptstranges bedingten geringem Zufluß von Gas zu finden, was sich auch später bestätigte. Es wurden daher, um diesen Uebelstand zu beseitigen, im Laufe dieses Sommers statt der bisherigen vierzölligen nunmehr sechs Zoll im Durchmeßer haltende eiserne Gasröhren von der Gasbereitungs-Anstalt an entlang der Lindenstraße, dem Steinweg, der breiten Straße, über den Markt, durch die Hallesche Gaße bis an das Thor gelegt, was der Stadt-Commun einen Kostenaufwand von 2354 Rtl verursachte, welche lediglich der Direktor der Leipziger Gasbeleuchtungs-Anstalt Herr Westerholz durch die ursprüng- liche fehlerhafte Anlage und Berechnung offenbar verschuldet hat. Vid.pag.385. Nach dieser kostspieligen Reparatur leuchteten die Gas- flammen in Folge des durch die weiteren Röhren vermehrten Zuflußes von Gas intensiv stärker und heller. Die Stadt-Commun hat von dem Kaufmann Ferdinand Mueller aus Leipzig das von demselben in der Subhastation Die Commun kauft erstandene Wohnhaus des Cigarrenarbeiters Carl Bernhardt in der Bitterfelder Straße für 3150 Rtl. erkauft, und ist nun seit dem lten October des Jahres im Besitz deßelben. Sie hat es zu dem Zwecke gekauft, um es auf den Wunsch der Königl. Regierung miethweise zu Wohnungen für die Lehrer des zum April künftigen Jahres hier zu errichtenden Königl. Schullehrer-Seminars zu überlaßen, wofür die Regierung jährlich 250Rtl. Miethzins zahlt. Außerdem überläßt die Stathcommun der Regierung noch zu Seminarzwecken bis dahin, wo der Bau des Königl. Seminar-Gebäude vollendet ist, die ganze zweite obere Etage des neuerbauten Knaben- Schulgebäudes für den Miethzins von jährlich 350Rtl. Nachdem die während des Krieges mit Frankreich von unserm Volke gebrachten bedeutenden patriotischen Leistungen und Opfer den einzelnen Kreisen aus der französischen Milliarden-Contribution von der Regierung wieder zurück erstattet worden sind, hat die letztere zugleich bestimmt, daß diese Summen blos im Ganzen zu guten Zwecken für jeden Kreis verwendet werden dürfen. Es haben daher dem gemäß, zumal da die neue Kreisordnung am lten Januar 1874 eingeführt wird und von da an in Wirksamkeit tritt, die Stände des Delitzscher Kreises zum Zweck eines Ständehauses das an dem Markte gelegene, sehr schöne und geräumige Wohnhaus, in welchem seit 1850 im Parterre das Landraths-Amt sich befindet, so wie das in der Schloß gaße liegende ebenfalls maßive, an das erstere von hinten unmittelbar angrenzende Wohnhaus im December des Jahres von den Erben des Kauf- manns und Conditor Krause für den Preis von 11500 Rtl. gekauft. Die Witterung des October war bey vorherrschendem Süd-West-Wind und abwechselnd höhern und niedrigem Stande des Barometer und Thermometer mehr hell und schön als trübe und kühl; Landregen hatten wir am Sten, lOten bey Nord-West-Wind, am 12ten ferner am 1 6ten, in den Nächten am 25ten und 26ten, so wie am 29ten; dichte Nebel erschienen früh am 14ten, 15ten, am 23ten, 24ten und 25ten mit nachfolgendem hellen und schönen Wetter. Bey derselben Windrichtung und mehr niedrigem Barometer ging die Witterung in ähnlicher Weise in den November über nur mit dem Unterschied, daß wir in diesem Monat größten Theils trübe, kühle und stürmische Tage mit dichten Nebeln und Landregen bey Tag und Nacht und besonders merkwürdige Naturerscheinungen aufzeichnen konnten; so wurde am 7ten des Nachts % 12Uhr hier am südlichem Himmel ein prächtiges Meteor beobachtet, welches fast lothrecht sehr schnell niederfallend mit blaßgrünem Lichte so hell leuchtete, wie ohngefahr das erste Viertel des Mondscheins, so daß es deutliche Schatten gab. (Barometer 28,4, Thermometer +10). Am 13ten hatten wir vielen Schnee, welcher gleich wieder schmolz, und einen gewaltigen Orkan aus Nord-Osten, der an den Ostseeküsten, besonders in Stralsund, Greifswald, Kiel und Eckernförde durch die in Folge des Anstauens der Sturmfluthen bewirkten Ueberschwemmungen schreckliche Verheerungen angerichtet hat. (Barometer 27,6). In der Nacht vom 27ten zum 28ten schon von Abends 1/27Uhr bis 11Uhr Nachts bot sich uns ein herrliches Schauspiel in dem Fallen von Tausenden von Sternschnuppen dar, und zwar am ganzen Himmelsgewölbe, vorzüglich im Westen; die größeren Meteore zeigten einen längern oder kürzeren Schweif, der jedoch stets sehr bald wieder erlosch. Dieselben konnten blos durch die Einwirkung der Gravitation der Erdathmosphäre losgerißene Partikeln vom Bielaschen Cometen seyn, der aber schon einige Monate früher die Erdbahn durchkreuzt hatte, und deßen Umlaufszeit um die Sonne 7Jahre beträgt.

Ein von den Profeßoren der Astronomie, Galle in Breslau, Foerster in Berlin und besonders Klinkerfuess in Göttingen gefürchteter Zusammenstoß unserer Erde mit dem Bielaschen Cometen konnte daher, Gott sey Dank, nicht statt finden; ein solcher hätte aber auch ohnfehlbar durch eine schreckliche Katastrophe bey den Weltkörpern und ihren Bewohnern den Untergang bereitet. Errare humanum! Die Witterung im December war der des November ähnlich, nur milder, die Windrichtung ziemlich dieselbe (S.W.W. und W.W.) der Stand des Barometer meistens niedrig unter 28.; sehr wenig Schnee und gelinder Frost; nebligte, kühle, stürmische (vom 9ten bis 1 lten Barometer 27,4 — 2), und Regentage wechselten mit wahren Frühlingstagen (24 — 3 lten Barometer 28,3 — 1). Da konnte es denn freilich nicht befremden, daß bey der für diese Jahreszeit so ungewöhnlich milden Witterung die Vegetation zum zweyten Mal erwachte, die Knospen an Bäumen und Sträuchern ausschwollen und trieben, und Erdbeeren, Kornblumen, Veilchen pp., wie vor 20Jahren im Freien blüheten. Uebrigens hat die Erde nach der großen Dürre im Sommer seit der Mitte des October durch die öftem Landregen bey Tag und Nacht bis Weihnachten die reichlichste Winterfrucht erhalten, was auch die Wintersaaten beweisen, über deren vortrefflichen Stand, so wie auch über das gänzliche Verschwinden der Feldmäuse aus allen Provinzen die erfreulichsten Nachrichten eingehen. Was den Gesundheitszustand betrifft, so gilt das im 3ten Quartal darüber Gesagte auch für dieses mit dem Beisatz, daß alte Leute von Schlaganfällen und Lungenentzündungen mit manchesmal tödlichem Ausgange befallen wurden, die Zahl der Schwindsüchtigen zunahm und viele Kinder an der häutigen und Rachenbräune starben. Geboren wurden in diesem Jahre in unserer evangelischen Kirchengemeinde 371, worunter 40 Uneheliche, und gestorben 279, worunter 165 Kinder und 35 Personen vom 60ten bis zum 90ten Lebensjahr.

Vom Kreis-Armen-Fond erhielt unsere Armen-Kaße auch in diesem Jahre 550 Rd Zuschuß. Die vom Magistrat in der Stadt veranstaltete Hauscollecte für die durch die Sturmfluthen Ueberschwemmten an den Ostseeküsten ergab vom lten bis 14ten December, wo sie geschloßen wurde, einen Ertrag von 249Rtl. 26Sgr. 9Pf Die zu demselben Zwecke von dem Buchbinder Meyner durch die Expedition des Delitzscher Kreisblattes besorgte Collecte in der Stadt und auf dem Lande lieferte einen Ertrag von 342 Rtl. 13 Sgr. Unser Bürger- Hospital hat in diesem Jahre von zwey Hospitaliten außer ihren guten Nachläßen an Betten und Kleidungsstücken an baarem Gelde erhalten, 1, von der am 7ten Januar verstorbenen 85Jahre alten Maurers-Wittwe Boettcher ein Sparkaßenbuch mit 76 Rtl. 2, von dem am 9ten December verstorbenen 64Jahre alten Schneidermeister Winkler 200 Rtl., mit welcher Summe sich derselbe in eine heitzbare Stube dieser treflichen Anstalt eingekauft hatte. Da er schon seit Jahren sehr kränklich war und besonders an einer eingewurzelten habituellen Diarrhoe litt, so starb er schon nach einem Aufenthalt von 4 '/2 Monaten trotz aller sorgfältigen Pflege und Behandlung. Die Arzneymittel-Rechnung ftir die Kranken des Hospitals betrug überhaupt in diesem Jahre die bedeutende Summe von 69Rtl. 9Sgr. — Die bereits seit mehreren Jahren üblichen Weihnachts-Bescheerungen im Bürger-Hospital und in der Kinder-Bewahr-Anstalt haben auch diesmal statt gefunden; die letztere Anstalt erhält auch aus der Hospital-Kaße seit Anfang dieses Jahres noch 100 Rtl. Zuschuß, mithin aus derselben nunmehr jährlich 300 Rtl. Unsere Commun hat im Jahre 1870, 144 Rtl., 1871, 162 Rtl. und 1872, 352Rtl. 15Sgr. von der Berlin-Anhalter Eisenbahn-Gesellschaft als jährliche Steuer erhalten.


1873

An die Stelle der am lten Januar nach Gera abgegangenen Lehrer Wilhelm Fischer, (5ter Lehrer an der I"Bürger-Mädchen-Schule) und Ernst Muehlner (3ten Lehrer an der II" Bürger-Schule) sind eingetreten: an Fischers Stelle, August Schnelle, seither Lehrer in Enbeck und an Muehlners Stelle Felix Scheer, bisher Lehrer in Wettin. Ferner hat am 23ten Januar der bisherige Rector Dr. phil.Bartels, nachdem ihm aus nahe liegenden Gründen die Wiederbesetzungs-Kosten im Betrag von 31 Rtl. auf sein dringendes Gesuch von den Stadtverordneten, aber nur mit einer sehr geringen Majorität bey der Abstimmung, erlaßen worden sind, unsere Stadt verlaßen, und ist als Rector zweyer Bürgerschulen nach Gera abgegangen. An seiner Stelle wurde der vom Magistrat am 29ten November 1872 gewählte Ernst August Niebecker, geboren am llten Maerz 1838 im Städtchen Morungen bey Goettingen, seit Ostern vorigen Jahres Rector zu Ellrich am Harz, am 24ten Januar des Jahres Vormittags 11Uhr vom Superintendent Leipoldt in sein Amt eingeführt. Heim Dr. Gerhard Rohlfs, der berühmte Afrika-Reisende, geboren zu Vegesack 1832, hielt nachdem er vor Kurzem in Eilenburg und früher in Torgau Vorträge über einige seiner Reisen gehalten hatt, am 2 Iten Februar Abends auch bey uns im Saale der Stadt Leipzig vor einem Zu- hörerkreis von mindestens 500Personen einen anderthalbstündigen sehr intereßanten Vortrag über seine Reiseerlebniße in Afrika, besonders über seinen Aufenthalt in Fez und Marocco, mit sehr großem Beifall.

Am 6ten Maerz ist am Eingange zum Gottesacker statt des alten defect gewordenen hölzernen Thores ein sehr schönes neues von unserm geschickten Schlossermeister F.W.Bier solid und geschmackvoll gearbei- tetes eisernes Gitterthor angebracht worden, ebenso auch eine dergleichen Gitterthüre an dem rechter Seits neben dem Thore befindlichen Eingange; die Kosten für beyde Stücke betragen 260 Rtl. und wurden bezahlt aus Dr.Gerbers Legat. Am ersten Maerz in der Nacht zwischen 12 Uhr bis 1Uhr hat sich der bisher unbescholtene Hospitalit, Webermeister Wilsdorf, 63 Jahre alt, welcher bereits seit längerer Zeit an einem veralteten Leberleiden mit organischem Fehler und hartnäckiger Gelbsucht litt, in einem Anfall von Melancholie aus Lebensüberdruß in der männlichen Krankenstube des Bürger-Hospitals erhängt Ein seltenes Fest beging am 24ten Maerz die hiesige Weber-Innung. Drei Meister derselben, Hesse, Koeltzsch und Schoenbrodt, welche vor 50Jahren zusammen ihr Meisterstück gemacht, feierten heute, alle drei noch in ziemlicher Rüstigkeit, das 50jährige Jubiläum. Eine Deputation der Innung überreichte den Jubilaren je eine Urkunde und ein auf die Feier des Tages bezügliches Geschenk. Später versammelten sich die übrigen Mitmeister und eine solenne Festlichkeit im heiterem Familienkreise vereinigte dieselben mit den Jubilaren in einigen recht vergnügen Stunden. Bey dieser Gelegenheit muß von dem Jubilar Schoenbrodt noch ehrenvoll und dankbar erwähnt werden, daß er bey seinen Mitbürgern wegen seiner höheren Bildung und strengen Rechtlichkeit stets als ein wahrer Vertrauenmann in hoher Achtung gestanden, und 21Jahre lang als Stadtverordneter, besonders als Mitglied des Curatoriums der städtischen Sparkaße, seiner Vaterstadt sehr treu, redlich und gewißenhaft gedient hat. An die Stelle des wieder abgegangenen Polizey-Sergeanten Michel (vid.pag 540) ist der bisherige Weichensteller Carl Gottlieb Lehmann, gebürtig aus Zöckritz bey Torgau, bisher in letzterem Orte stationirt, seit
dem 8ten Maerz gegen ein jährliches erhöhtes Gehalt von 230 Rtl. als dritter Polizey-Sergeant angenommen und verpflichtet worden.

Laut Kaufs vom lOten Maerz hat die Stadtcommun Delitzsch das dem Handarbeiter Mange gehörige, an der Eilenburger Straße gelegene Wohnhaus No.471 in Folge Verbreiterung der letzteren Straße durch Anlage einer Verbindungsbahn von dem Güter-Bahnhofe der Halle-Sorau-Gubener Eisenbahn nach dem Güter-Schuppen der Berlin-Anhaltischen bis dicht vor das Mangesche Haus, Behufs Abbruchs für 950 Rtl. erkauft. Zu dieser Kaufsumme haben der Delitzscher Kreis 300 Rtl. und die Halle-Sorau- Gubener Eisenbahn 450 Rtl. beygetragen. Der ganze diesmalige Winter war äußerst milde. Die Witterung des December gieng ganz in derselben Weise und bey derselben Windrichtung (S W W und S.W.) in den Januar über; die Mehrzahl der Tage war mehr trübe, feucht, nebligt und regnigt, als hell und schön; der Stand des Barometer war in der ersten Hälfte dieses Monats höher (27,11-28,3), in der zweiten dagegen, besonders an den beyden sehr stürmischen Tagen des 19ten und 20ten auffallend schnell niedrig (27,3, und 26,11); gelinder Frost und Schnee trat bey Ost-Wind und hohem Barometer (28,2 — 4) vom 26ten bis 3 Iten des Monats ein, wo das Thermometer früh 7Uhr auf 0 bis-5 fiel. Im Februar war bey vorherrschendem Nord-West-Wind und schnellen Barometer- Schwankungen die Witterung ebenso beschaffen; in Bezug auf die letzteren muß besonders erwähnt werden, daß an den beyden sehr nebligten tagen des 18ten und 19ten das Barometer die höchste Scala (28,8) erreichte, was seit vielen Jahren nicht der Fall gewesen ist; in den beyden letzten Tagen des Monats stand es auf 27,4. Schnee, welcher am 8ten, 13ten, 24ten und besonders stark am 25ten fiel, schmolz recht bald wieder. Im Maerz hielt das Wetter ganz in der bisherigen trüben und rauhen Weise mit Ausnahme des lten, 2ten und lOten an; die Windrichtung war sehr wechselnd, der Süd- Ost-Wind jedoch vorherrschend; dichter Nebel hatten wir früh am 3ten, 9ten, 18ten 20ten 22ten und 25ten; Schnee fiel stark am 14ten und 20ten, schmolz aber gleich, weil im ganzen Maerz der Frost fehlte bey mehr niedrigem Barometerstand, Vom 24ten an trat endlich bey höherm Stande des Barometer das herrlichste Frühlingswetter ein und dauerte fort bis zum Ende des Maerz. In den Nachmittagsstunden dieser schönen Tage stand das Thermometer auf +20-25 in der Sonne. Die Vegetation erwachte nun wie mit einem Zauberschlage; die Wintersaaten stehen sehr gut. Der Gesundheitszustand war auch in diesem Quartale noch immer nicht befriedigend; zur Behandlung kamen besonders Lungenkatarrhe, gastritisch- katarrhalische Fieber, Abdominal-Typhus mit öfters tödlichem Ausgange bey Erwachsenen, und Scharlach. Die Sterblichkeit war nicht unbedeutend vorzüglich unter den Kindern, welche in Folge des krankhaften Zahnens starben. Da die Schlämmung des nördlichen und östlichen Theiles wegen des sehr milden und schlaffen letzten Winters in diesem nicht unternommen werden konnte, so machte man nun erst am 25ten Maerz des Jahres den Anfang damit, und beendigte das Unternehmen am 3ten Mai. Daßelbe wurde zum Glück durch die fast durchgängig kalte und rauhe Witterung und den anhaltenden scharfen Ostwind außerordentlich begünstigt und gefördert, so daß bis jetzt keine Spur und Entstehung von Wechselfieber sich zeigte. Der Unternehmer Drainirmeister Foerster aus Laue griff die Sache sehr scharf an und erhielt für diese Reinigung von der Commun 600Rtl. baar. Geld und die Ueberlaßung des Schlammes. Von Seiten der Stadt wurden im Auftrage der Königl.Regierung die Localitäten des dem Cigarrenarbeiter Schellenberg gehörigen an der Dübener Straße gelegenen Hauses zu Wohnungen für die Lehrer des hier neu zu errichtenden Schullehrer- Seminars gemiethet, und erhält derselbe dafür außer seiner freien Wohnung, welche er darin behält, jährlich 200 Rtl. Miethzins. Am 29ten April war nun der Consitorial- und Schulrath Woepke aus Magdeburg in unserer Stadt und nahm mit dem Bürgermeister die Localitäten der Seminar- Lehrer so wie auch die Räumlichkeiten im neuen Schulgebäude, welche bis nach Beendigung des Seminarbaus von der König!. Regierung gemiethet worden sind, in Augenschein; es dürfte daher in kurzer Zeit die Eröffnung des Seminars erfolgen. (Vid.pag. 529 und 543, und 557) Schon seit zwey Jahren hatte es sich herausgestellt, daß auf dem Gottesacker ungeachtet der seit 25Jahren mehrere Male geschehenen Vergrößerungen deßelben durch Hinzunahme von Grundstückstheilen des ehemaligen Commun-Gutes und durch Ankauf des Gürtlermeister August Krauseschen Scheuengartens in kurzer Zeit Beerdigungen nicht mehr statt finden können, und wurde deßhalb als Nothbehelf vor Jahresfrist vom Magistrat bekannt gemacht, daß die nach der vorgeschriebenen Zeit verfallenen und anderweit nicht wieder gelösten Gräber weiter vergeben würden. Es ist daher laut Punkation vom 12ten April des Jahres Seitens der städtischen Behörden zur Anlegung eines neuen Friedhofes von dem Müllermeister David Thormann hier ein Feldstück von 15Morgen rechts der Bitterfelder Straße, hinter der Offenhauerschen Brauerei gelegen, für den Preis 2700 Rtl. (der Morgen zu 180Rtl.) angekauft, und der nicht benutzte Theil dieses Feldes dem pp.Thormann gegen einen jährlichen Pachtzins von 7Rtl. für den Morgen in Pacht gegeben worden. An den Futtermauern und Pfeilern der zweiten über den Lober führenden Brücke an der „blauen Taube" vor dem Halleschen Thore war eine Reparatur dringend nöthig, welche man von Seiten der Stadt ausführen ließ. Da nach alten Nachrichten der Fiskus die Brücke hergestellt und reparirt hat, wie auch aus der in der nördlichen Brückenwand angebrachten Steintafel mit der Inschrift: F.W.IV. hervorgehen dürfte, so beantragte der Magistrat bey Straßenbau-Fiscus die Erstattung der ganzen auf oben erwähnte Reparatur verwendeten Kosten mit 49 Rd. 26 Sgr. 6 Pf. Der Straßenbau-Fiscus verweigerte es aber, dieselben zu bezahlen und anerkannte nur nach mehrfach geführter Correspondenz seine Verpflichtung zur Tragung der Kosten für die stattgehabte Reparatur an den Pfeilern der Brücke mit 31 Rtl. , wogegen er die Ersetzung der Kosten für die Reparatur an den Futtermauern ablehnte. Letztere betrugen 18 Rtl. 26 Sgr. 6 Pf Und wurden im April an den Maurermeister Voigt aus der Kämmereikaße bezahlt. Früher in sächsischer Zeit und später noch bis zu der im Jahre 1862 erfolgten Vereinigung der Amtsvorstadt Grünstraße mit der Stadt stand die nördliche Häuserreihe des Brückendammes unter der Jurisdiction des Amtes, die südliche dagegen unter der des Rathes. Der dritte ordentliche Lehrer an der höheren Bürgerschule Carl Achten ging am lten April als solcher an die Realschule erster Ordnung zu Sprottau in Schlesien, und trat an seine Stelle der bisherige, seit drei Jahren hier angestellte, vierte ordentliche Lehrer Dr. Schroeder. An deßen Stelle wurde vom Magistrat der bisherige Lehrer an der höheren Knabenschule zu Finsterwalde Carl Eduard Emil Hanow, geboren den 3 lten Maerz 1839 zu Cobsens, welcher seine Studien in Halle absolvirt hat, gewählt. — An der Bürger-Knabenschule ging der bisherige fünfte Lehrer Carl Werner am lten April hier ab, um sich in Leipzig ganz der Musik zu widmen, und wurde vom 15ten April ab in seine Stelle der bisherige Lehrer Friedrich Gloeckner in Gerbstaedt, geboren am 6ten Maerz 1851 zu Züllsdorf bey Torgau, angenommen. An die Stelle des am lten April nach Hoerde in Westphalen abgegangenen Lehrers Carl Ruhmann trat Mitte Aprils der bisherige Lehrer in Ellrich Carl Wilhelm Buerner, geboren den 15ten December 1841 zu Kindelbrueck, und auf dem Schullehrer-Seminar zu Erfurt gebildet. Für den am lten April nach Huenxerwalde bey Wesel abgegangenen Lehrer August Grueneberg ist der bisherige Seminarist in Weißenfels Robert Meister, geboren in Delitzsch, ein Sohn des hiesigen Buchhalters Meister, als Lehrer erwählt worden.

Vom Anfang dieses Jahres an haben nachbenannte Herren Lehrer an unserer höheren Bürgerschule bedeutende Gehalts-Zulagen erhalten, worüber die hier beygefügte von dem Kämmerer Ufer gefertigte tabellarisch Uebersicht die vollständigst Auskunft giebt. Die alte war unmittelbar defect geworden, daß die Paßage mit Fuhrwerk über dieselbe gefährlich wurde, und man mithin auf einen baldigen Neubau bedacht seyn mußte. Es wurde daher im April und Mai an deren Stelle eine neue solide steinerne Brücke mit zwey Bogen erbaut; den Bau übernahm und leitete der Maurermeister Voigt, und die Kosten betrugen 250 Rd. Der landwirtschaftliche Verein des Kreises Delitzsch und Bitterfeld veranstaltete am 14ten Mai auf dem Schießplatze eine Thierschau, überhaupt eine landwirthschafiliche Ausstellung, welche sehr besucht war, und die im Jahre 1860 hier abgehaltene noch übertraf. (Siehe den hier beygefügten Bericht im Delitzscher Kreisblatt No. 57). An den Maurermeister Voigt wurden im Mai für Reparatur der Thorpfeiler am südlichen Eingange des Gottesackers, so wie die Erneuerung des Putzes der Südseite der Mauer 44 Rtl. 25 Sgr. 6 Pf. Kosten bezahlt.

Deßgleichen sind auch statt der alten oben an den Pfeilern befindlich gewesenen Holztafeln vom Jahre 1826, welche durch die Witterung sehr gelitten hatten, sehr schöne neue von weißen Marmorplatten mit denselben schönen Worten aus Tiedges Ostermorgen „Laßt die Hügel uns umwandern" pp.an derselben Stelle wieder angebracht worden; sie sind von dem hiesigen Bildhauer Zwanzig sehr sauber verfertigt, und kosten 13 Rtl. Die der Commun gehörigen Kirsch-Alleen sind in diesem Jahre für den Preis von zusammen 253 Rtl. 15 Sgr. verpachtet worden. Am 28ten Mai Nachmittags 4 1/2 Uhr verstarb plötzlich bey Gelegenheit eines Spazierganges mit seinen Schülern auf dem Wege von der Dörfchenmühle nach Rödgen an einem Herzschlage der Cantor Moritz Albin Thierbach, 53Jahre alt. Er war seit dem 3ten November 1853 hier angestellt, und hatte zugleich als Lehrer das Ordinariat der zweyten, später seit 1858 bis Ostern 1861 das Ordinariat der ersten Knabenklaße I Bürgerschule zu verwalten. Er besaß gute mußikalische Kenntniße, war ein vorzüglicher Sänger, ein Baßist mit einer umfangreichen, kraftvollen Stimme, aber kein Orgel- und Choral- spieler, in dem er den Choral mitunter dadurch verdarb, daß er die Melodien und Harmonien durch unnütze Verzierungen störte, und die regelrechte Einfachheit und edle Reinheit des Chorals verloren ging Als Dirigent wäre ihm mehr Energie und Ausdauer zu wünschen gewesen, so wie auch der richtige Tact die Mitglieder unter einen Hut zu bringen, weßhalb mehrerer von ihm angekündigte Concerte nicht zur Aufführung kamen, und die Cantorei im Jahre 1865 sich auflöste. Als Lehrer ist ihm nachzurühmen, daß er brauchbar war, besonders ein geübter Rechner, und gute Diciplin hielt.

Die Witterung in diesem ganzen Frühjahr war mit Ausnahme weniger Tage sehr trübe, rauh, naßkalt und windig; Nord-West-Wind war vorherrschend; das Thermometer stand in der Regel niedrig, der Stand des Barometer hielt sich bey öfteren schnellen Schwankungen auf der mittleren Höhe. An fruchtbaren Land-und Gewitter-Regen fehlte es nicht; die letzteren bildeten sich schnell nach einem einzigen heißen Tage bey sehr raschem wechselnder Windrichtung in der ganzen Windrose in Zeit von einer Stunde. Die Gewitter im Junius häufig größten Theils schwer mit gewaltigen Schlägen, starken Regengüßen und Graupeln; die schwersten waren die am 6tem Junius gegen Abend in Süd-Osten nach Leipzig und Eilenburg sich entladenes Gewitter, ganz besonders und noch mehr aber die nach wenigen schwülen Tagen bey uns am 23ten Junius entstandenen Gewitter; das erste stand im Nord-Westen und dauerte von Nachmittags % 2 Uhr bis 3 Uhr, das zweyte gleich nachher von da an bis gegen 5 Uhr, dieses stand im Nord-Osten. Beyde zeichneten sich durch ihre vielen furchtbaren Blitze, gewaltigen Donnerschlägen und strömenden Regengüße mit großen Graupeln aus. In den Dörfern Groß-Kyhna und Zschortau schlug der Blitz ein, desgleichen in der hiesigen Königl. Telegraphen- Anstalt, wo derselbe die Apparate so zerstörte, daß diese 24 Stunden unbrauchbar waren. In Folge der großen Fruchtbarkeit stehen alle Feldfrüchte recht gut, und versprechen einen reichen Ertrag. Die Heuerndte ist ganz gut ausgefallen, nur das unsichere regnigte und trübe Wetter um etwa 14 Tage verspätigt, aber doch noch glücklich eingebracht worden, Feldmäuse, Raupen und Maikäfer gab es natürlich auch äußerst wenig. — Der Gesundheitszustand war sehr ungünstig, die Sterblichkeit groß; es gab viel Schwindsüchtige, ferner zeigten sich der Abdominaltyphus, versatile Nervenfieber und Schlagflüße mit schnell tödlichem Ausgange.

Am lten Julius trat der bisherige Stadtmusikus Franz Hofrnann mit einer jährlichen Pension von 25 Rtl. freiwillig in den Ruhestand; sein Nachfolger wurde der vom Magistrat erwählte Stadtmusikdirector Bergmann aus Wittenberg, welcher an demselben Tage sein Amt antrat.

Nachdem am 18ten und 19ten Julius die Prüfungen der angemeldeten 21 Präparanden in der Aula der ersten Bürgerschule vom Herrn Consitorial- und Schulrath Woepke aus Magdeburg, dem Regierungs- und Schulrath Betzenberger aus Merseburg, so wie den mittlerweile hierher berufenen Lehrer-Seminar-Director Trinius aus Cammin, dem Musikdirector Kuntze aus Aschersieben, Hülfslehrer Schroeder und dem noch besonders dazu bestimmten ersten Seminar-Lehrer Jaenecke aus Halberstadt abgehalten worden waren, ergab sich als Resultat derselben folgendes: Zufrieden war die Prüflings-Commißion mit der Mehrzahl blos im Zeichnen und im Pianoforte-Spiel, aber in allen übrigen Lehrgegenständen, besonders der deutschen Sprache, gar nicht, weil die Leistungen selbst nicht den geringsten Anforderungen genügten, was man zum Theil dem dürftigen Unterricht zuschrieb. In Folge deßen ließ man bey dieser ersten Aufnahme-Prüfung große Milde und Nachsicht vorwalten; 5 Präparanden wurden unbedingt aufgenommen, 10 nur unter Bedingung, und 6 fielen durch; letzteren wurde jedoch gestattet an den Unterrichtsstunden Antheil zu nehmen. Am 22ten Julius Vormittags um 11 Uhr erfolgte nun die feierliche Eröffnung des Königl. evangelischen Schullehrer-Seminars. Siehe über diesen hochwichtigen Act die Beilagen. —

Die der Commun gehörige Plantagen der Pflaumen im Hain und Rosenthal ist in diesem Jahre für 28 Rtl. meistbietend verpachtet worden. Das von der Stadt-Commun angekaufte Mangesche Wohnhaus wurde im öffentlichen Termine zum Abbruch — jedoch mit Ausnahme der stehen bleibenden westlich gelegenen und an das Gehöft des Nachbars, Hausbesitzers August Thieme, angrenzenden 7 Fuß hohen Wand, welche derselbe nebst dem darunter befindlichen Grund und Boden im Wege der freiwilligen Offerte für 20 Rtl. zu seinem Gehörte käuflich erhielt — von dem Bau-Unternehmer Edler für die Hebamme Mietzsch meistbietend für 132 Rtl. erstanden, und erhielt den Zuschlag. Die pp. Mietzsch will sich von dem gewonnenem Baumaterial ein Miethaus auf ihrem Gehöft erbauen.

Die Feier des Tages von Sedan ist diesmal am 2ten September fast ebenso, wie im vorigen Jahre, begangen worden, wobey der Herr Bürgermeister Reiche eine kurze, aber gehaltvolle Rede auf dem Marktplatze hielt. Siehe die Beilage. Bey dieser Gelegenheit muß noch erwähnt werden, daß schon einige Wochen früher bey unserer Schützen-Compagnie sich eine zweite, nach ihrer Uniform „Jopenschützen" benannte, Abtheilung in der Stärke von etwa 40 Mann gebildet hat, welche in Verbindung mit der ersten an diesem Tage an der Sedanfeier zum ersten Male mit ausrückte; der Commandeur beyder Abtheilungen ist jetzt der geachtete Zimmermeister Felix. Am 20ten September starb der seit dem Iten April 1852 angestellte StadtsecretärChristian Gottfried Roenicke, fast 65 Jahre alt. Im Jahre 1868 kam derselbe leider in eine sehr unangenehme Untersuchung, in welcher er aber unschuldig befunden und gänzlich frei gesprochen wurde. Bey der nach her bald erfolgten Entlaßung aus seinem Amte erhielt er, wie billig, eine jährliche Pension von 150 Rtl. aus der Kämmerei-Kaße. Die Witterung war in den ersten drei Wochen des Julius bey mehr hohem Barometerstande (28-28,4) und vorherrschendem West und Nord-West-Wind trübe, kühl und windig; am 13ten, 16ten, 19ten und 21ten hatten wir in den Nächten Landregen, und am 15ten nach einem voraus gegangenen sehr schwülen Tage (Th. +28) ein starkes Gewitter aus Süd-West mit Regen von 1-3 Uhr Morgens. Vom 22ten des Monats an trat aber plötzlich sehr große Hitze ein. (Thermometer +30 — 34 N.M.3Uhr in der Sonne), in folge davon den 20ten sich in Ost, Süd und West drei starke Gewitter bildeten und Abends von 5 bis 6 Uhr mit heftigen Schlägen und vielem Regen sich entladeten, welchen am 30ten früh von 6 bis 7 Uhr noch ebenso ein solches folgte. Die gewaltige Hitze hielt nun bey demselben hohen Barometer- und Thermometerstande den ganzen August hindurch fast ununterbrochen an; die Windrichtung war in der ersten Hälfte des Monats die bisherige, in der zweiten dagegen der Süd-Wind mit der Neigung der Fahne nach West oder Ost vorherrschend. Gewitterregen hatten wir am 9ten Abends um 5 Uhr, am 1 lten um 1 Uhr Mittags und am 27ten früh um 8 Uhr, ferner Landregen am 12ten und 13ten Vormittags. Da aber diese Regen fast sämmtlich nicht von Bedeutung waren, so konnte es nicht fehlen, daß bey der großen Hitze nunmehr Dürre eintrat und der Waßerstand in den Flüßen und Bächen sehr niedrig ward; denn von den eben erwähnten fünf Regen war nur der Gewitterregen am 9ten Abends stark, und kam besonders zur höchsten Zeit den Kartoffeln zu Gute wegen der ICnollenbildung. Im September trat wieder plötzlich ein bedeutender Abfall und Umschlag in der Witterung ein, denn gleich vom Anfang an war dieselbe fast durchgängig bey wieder vorherrschendem West- und Nord-West-Wind trübe, kühl, naßkalt und regnigt, und zwar bey niedrigem Barometerstande bis zum 20ten, (Barometer 27,9); Gewitterregen fanden bis dahin statt am 2ten, vier am 16ten und einer am 17ten; vom 20ten an war das Wetter bey durchweg bey hohem Stande des Barometer (28-28,5) trübe, sehr kühl. Rauh und windig, ohne Regen. Was nun die Erndte betrifft, so ist dieselbe trotz der im Frühjahr bey dem damaligen gutem Stande der Saaten gehegten Hoffnungen doch nur als eine mittelmäßige in allen vier Getraidearten zu bezeichnen; der Grund davon liegt in dem anhaltend rauhen und naßkaltem Frühjahr und der nachfolgenden großen Dürre. Die Grummterndte war gut, ist aber durch die anhaltende Näße, in welcher es im September zwey Wochen lang iegen mußte, zum Theil leider verdorben. Dagegen sind Rüben und besonders die Kartoffeln sowohl in Quantität als Qualität gut gerathen, die Obstemdte aber wieder nicht gut ausgefallen und das Obst theuer. Die Getraidepreise waren zu Michäelis, nach dem Centner zu 100 Pfund berechnet, folgende: Weitzen 4 Rtl. 14 Sgr. 6 Pf , Roggen 3 Rtl. 24 Sgr., Gerste 3 Rtl. 18 Sgr., Hafer 3 Rtl, Kartoffeln 1 Rtl. 2 Sgr. 6 Pf. — Der Gesundheitszustand war in der ersten Hälfte dieses Quartals etwas beßer als im vorher gehenden, jedoch immer noch nicht befriedigend, wurde es aber völlig in der zweiten Hälfte, wo Krankheiten und Todesfälle bedeutend abnahmen. Von der Cholera sind wir, Gott sey Dank, verschont geblieben; da dieselbe jedoch in der Provinz Sachsen an mehreren Orten heftig aufgetrat, und besonders seit Anfang des Julius in Magdeburg durch Maßen-Erkrankungen und viele Todesfälle schreckliche Verheerungen anrichtete, so hielt auch unsere Sanitäts- Commißion am 18ten Julius und 21ten August Sitzungen, und ordnete zur Abwehr der Krankheit die schon 1866 angewendeteten Maaßregeln an (vid.pag.393); als Desinfections-Mittel wurde diesmal statt des Eisenvitriols die stärker wirkende Carbolsäure gebraucht.

Die durch den am 4ten Februar des Jahres in der Charite zu Berlin erfolgten Tod des zweiten Lehrers der hiesigen höheren Bürgerschule Bahmann erledigte Stelle ist dem Dr.phil. Karl August Bruno Holtheuer, geboren 1844 zu Wettenburg bey Naumburg, bisher Lehrer der höheren Bürgerschule zu Naumburg, verliehen worden und hat derselbe am 13ten October sein Amt angetreten; derselbe ist auf dem Domgymnasium zu Naumburg und der Universität zu Halle gebildet. Die Stadtcommun erstand am 25ten September in der nothwendigen Subhastation das bisher den Seilermeister Thierschen Erben gehörige Wohnhaus in der Bitterfelder Straße für 1840 Rtl. zu dem Zwecke, um daßelbe später wegen Verengung der Paßage und wegen Ungleichheit der Straße an dieser Stelle, zum Abbrch verkaufen zu können, bis dahin aber zu vermiethen. Die durch den vor vier Jahren hier angestellten, am lten October nach Minden abgegangenen Dr. phil. Schroeder erledigte dritte Lhererstelle an der höheren Bürgerschule ist dem bisherigen Lehrer Hanow verliehen worden, und die durch deßen Beförderung in die dritte Stelle erledigte vierte Stelle ist dem bisherigen Hülfslehrer Dr. phil.Rinne aus Halberstadt, geboren zu Halle, übertragen worden. Am 12ten November fand im hiesigen Seminare unter dem Vorsitz des Consitorialrath Woepke die Nachprüfung 10 Seminaristen statt, die bey der im Julius stattgehabten Prüfling nur bedingungsweise aufgenommen waren. Das Resultat der Prüfung war, daß sämmtliche Eximinanden bestanden und aufgenommen wurden. Ueber die Leistungen und die Einrichtung der jungen Anstalt, welche einer Revision unterzogen worden, hat sich, wie wir aus guter Quelle erfahren, der Herr Consistorial- rath äußerst befriedigt und belobend ausgesprochen. Mit bloßem Auge kann man den angekündigten Cometen gegen 4 Uhr des Morgens im Osten sehen. Größer als jeder andere Stern, hat er die Gestalt einer Feuerkugel, keinen Schweif und einen glänzenden rothen Schein. Am 21ten November Abends 7 1/4 Uhr starb in Folge von Altersschwäche der Maurermeister Johann Gottfried Samuel Rose im 86ten Lebensjahre. Er war geboren zu Delitzsch den lten Mai 1788, und einer unserer besten und achtungswerthesten Bürger, der auch in seinem Berufsfache ein geschmackvoller Baumeister mit Recht geschätzt wurde. Dieser Mann verdient hier noch ganz besonders deßhalb eine dankbare Erwähnung, weil er, als bey einem starken Gewitter am ICnen Mai 1820 Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr ein Blitzstrahl in die nördliche Thurmspitze der Stadtkirche eingeschlagen hatte, von da auf dem Forste des Kirchdaches hingefahren war mit Hinterlaßung von Spuren geschmolzenen Bleches, und dann auf dem Dache über dem Altarstück ein Dohlennest angezündet hatte, der Retter unserer Stadtkirche wurde. Der muthvolle und entschloßene Mann kletterte, wie er mir selbst erzählt hat, in Gegenwart mehrerer Bürger, indem er einen mit Waßer gefüllten Hut an der Krämpe zwischen den Zähnen festhielt, an dem oben schon glimmenden Dachsparren, hinter welchen das brennende Nest sich befand, bis unter den Forst hinauf und löschte mit dem Hute voll Waßer das Feuer im Entstehen, und erwarb sich so das größte Verdienst. (S.pag.8) Der Blitz hat schon früher einmal im Jahre 1475 in unsere Stadtkirche geschlagen, jedoch ohne zu zünden. (S. Lehmann Chronik der Stadt Delitzsch Th. Lpag.65). Außerdem wurde dieselbe auch am 24ten September 1711 bey dem Feuer in der großen Schloßgaße, welches sechs Häuser gänzlich zerstörte, vom Flugfeuer entzündet, welches aber auch gleich im Entstehen gelöscht wurde. Möge das herrliche gothische Bauwerk, wie bisher, auch ferner unter Gottes Obhut und Schutze stehn, und einst einmal in seinem Baustyl rein restaurirt werden.

Das Bürger-Hospital mit der Kinderbewahr-Anstalt wurde in der Zeit von Mitte des October äußerlich neu abgeputzt, auch zum Theil die Fenster mit Oelfarbe angestrichen. Die Arbeiten hatte der Maurermeister Voigt übernommen und erhielt dafür 234 Rtl. 27 Sgr. 6 Pf. Der dritte Lehrer an der erster Bürger-Knaben-Schule Carl Wemecke ging am lten September nach Gera; seine Stelle wurde dem bisherigen vierten Lehrer an derselben Schule Julius Klein, letztere Stelle aber dem bisherigen fünften Lehrer Friedrich Gloeclmer, und die dadurch offen gewordene fünfte Lehrerstelle dem bisherigen Lehrer in Eisleben Otto Krebs verliehen, welcher sein Amt hier am lten October antrat Am 29ten November feierte der Verfaßer dieser Zeilen sein fünfzigjähriges Doctor-Jubiläum. Da demselben Alles, was Aufsehen erregt, durchaus zuwider ist, so hatte er schon am 1ten Julius des Jahres in einem deßhalb an seinen hochverehrten Freund Herrn Kreisphysilcus Dr.Kanzler gerichteten, persönlich übergebenen, Schreiben bestimmt sich dahin ausgesprochen, daß er alle bey solchen Jubiläen üblichen Auszeichnungen, wie Ständgen und Zweckeßen, Titel und Orden mit der eingravierten Zahl 50 auf das Entschiedenste ablehnen würde und müßte, weil diese in seinen Augen am Rande des Grabes gar keinen Werth haben, indem besonders durch die letzteren nicht das wahre Verdienst, sondern offenbar blos die 50 Jahre decorirt werden, was man doch nur Gott zu verdanken hat. Der Herr Dr. Kanzler unterließ nun die officielle Anzeige an die Regierung zu Merseburg, machte dagegen auf meinen ausdrücklichen Wunsch der Hochlöbl. Medicinischen Facultät zu Berlin eine Anzeige von meinem nahen Jubiläum mit der ergebensten Bitte um die Zusendung des Jubel-Doctor-Diploms, welches denn auch in der nobelsten Form und typographischer Schönheit nebst einem herzlichstem Glückwünschungsschreiben des Decans, Herrn Geheimen- Medicinal-Raths Dr.und Prof Ord.Bardeleben zur großen Freude des Jubilars, welcher auf diese hohe Ehre und Auszeichnung den größten Werth legt, am Jubelfesttage früh um 8 Uhr hier eintraf. Noch ist zu bemerken, daß der Jubilar seine gründliche wißenschaftliche Bildung in den Jahren von Ostern 1815 bis Ostern 1824 in der Fürstenschule zu Pforte und auf den Universitäten zu Leipzig und Berlin erhalten hat; in der letzteren, wo besonders der berühmte, treffliche Staatsrath und Leibarzt Dr.Hufeland, der Freund seines Vaters, sein großer Gönner und Wohlthäter war und ihm freie Collegia verschaffte, promovirte er am 29ten November 1823; seine Dissertatio in auguralis handelte de Angina membranacea. Außerdem hat der Jubilar im Jahre 1838 zvvey Aufsätze über zwey seltene praktische Fälle in das Hufelandsche Journal der praktischen Heilkunde geliefert (S.C.86 und 87), welche der Herausgeber deßelben, Geheime Medicinalrath Dr.und Prof Ohann sogleich abdrucken ließ und ihm dafiir 16 Rtl. Honorar sendete; diese waren: 1, Geschichte eines glücklich geheilten Phoas-Absceßes, und 2, Beobachtung eines Lepra tuberculosa ex causa atrabilaria. Ueber meine ärztliche und sonstige Wirksamkeit in meiner lieben Vaterstadt siehe diese Chronik pag.93, 140, 142, 154, 179, 191, 329, 358, 389, 392, 484, 567. Der Wille den leidenden Mitmenschen zu helfen und auch außerdem auch Gutes zu wirten, ist bey mir immer der beste gewesen. Leider bin ich seit dem Jahre 1848 ohne mein Verschulden in mannigfache Streitigkeiten und Kämpfe verwickelt gewesen, von welchen der vierjährige Anfangsstreit der schwerste war.

Nach der im Jahre 1868 erfolgten Pensionierung des Stadtsecretär Roenicke (S.pag. 415u.559), wurde der frühere Kanzlist Eduard Braune, dem seit einigen Jahren mehrere Ritterguts-Herrschaftliche Polizey-Verwaltungen zur Besorgung übertragen worden waren, zum Nachfolger Roenickes vom Magistrat erwählt, jedoch die ersten Jahre, weil der pp. Braune die erwähnten ländlichen Polizey-Verwaltungen nicht gern aufgeben konnte oder mogte, interimistisch, später aber erst in diesem Jahre definitiv angestellt, weil durch die zum lten Januar 1874 statt findende Einführung der neuen Kreisordnung diese Verwaltungen wegfallen. — An der Stelle des am lten October wieder abgegangenen dritten Polizey-Sergeant Lehmann, welcher auch kaum ein Jahr in diesem Amte verblieb, ist der Polizey- Sergeant Bermig aus Zeitz, vorher Sergeant im schleßwig-holsteinischen Dragoner-Regiment, seit dem 15ten October angestellt mit 230 Rtl. jährlichem Gehalt. Der Herbst war höchst unfreundlich; die Witterung des October war mit Ausnahme des lten und 2ten, des 13ten so wie vom 26ten bis 28ten bey mehr höhern als niedrigem Barometerstande und vorherrschendem West Wind mit wechselnder Neigung bald nach Nord bald nach Süd, trübe, kühl, rauh und regnigt; am 2ten hatten wir früh um 3 Uhr und am 4ten Nachmittags um 3 Uhr Gewitterregen, so wie am 31 ten einen Landregen; am 18ten dichter Nebel. Ganz in derselben Weise dauerte die Witterung im November bey dem bisherigen mehr höherem Barometerstande und der angegebenen Windrichtung fort; Die Mehrzahl der Tage war sehr trübe, feucht und rauh, besonders der 4te, 6te, der 19te, 20te, 2 lte und 22te mit ihren dichten und starken Nebeln zuletzt mit Regen; am letzteren Tage tobte und wüthete zugleich ein furchtbarer Orkan aus Westen bey äußerst niedrigem Barometerstande; es sank in wenigen Stunden um 13 Linien sehr schnell von 28 auf 26,11. Nach den Zeitungsberichten hat dieser gewaltige Weststurm auf dem Meere, besonders in der Ostsee, vielen Schiffen, Menschen und Thieren den Untergang bereitet. Auch im December war der Witterungslauf von dem des November wenig verschieden; nur war der Stand des Barometers in der ersten Hälfte und der letzten Woche des December anhaltend sehr hoch(Barometer 28,3- 28-8). Die Windrichtung war dieselbe; am 3ten und 4ten Nebel, wie auch vom 12ten bis 15ten; Schnee, welcher aber wieder gleich schmolz, fiel am 6ten und 28ten; gelinder Frost trat nur in den Nächten zum 2ten und 8ten, so wie an den drei letzten Tagen des Monats ein (Th. —3 bis 7Reaum.früh 7 Uhr). Am 16ten stürmte und regnete es stark, und am 17ten und am 24ten tobte beyde Male ein sehr heftiger Orkan aus Nord-Westen (Barom. 27,8). Diese beyden Stürme waren wahrscheinlich die Folgen von den im südlichen Deutschland in der Gegend von Darmstadt vom 20ten bis 23ten des Monats statt gefundenen Erdbeben. Dieselbe schreckliche Naturerscheinung wurde in dieser Gegend schon vor vier Jahren ganz um dieselbe Zeit beobachtet (S.pag.452), und auch bey uns im Maerz 1872 (S.pag.524) sehr stark bemerkt. Der Gesundheitszustand war in diesem Quartale nicht befriedigend, zumal da unter den Kindern der Keuchhusten und das krankhafte Zahnen viele Opfer forderten, auch viele alte Leute in folge der ungünstigen Witterung an Schlagfluß, Herz- und Lungenlähmung mit Tode abgingen, es starben überhaupt im ganzen Jahre in unserer evangelischen Kirchengemeinde 300 Personen, worunter 170 Kinder in den ersten 5Jahren, und 53 Alte über 60Jahre. Geboren wurden 416 Kinder, mithin 176 mehr, als Personen gestorben. Vor hundert Jahren waren 79 geboren und 146 gestorben.

Von der Ziegelbreite auf der südöstlichen an die Elisabeth-Straße grenzenden Seite wurde eine Baustelle von 87,40 Quadrat-Ruthen zu dem Preise von 7Rtl. für die Quadrat-Ruthe, also für zusammen 611 Rtl. 24 Sgr. — Pf An die Productiv-Genoßenschaft der Cigarrenarbeiter zur Erbauung eines Wohn- und Fabrik-Gebäudes verkauft am lten Julius. In diesem Jahre sind an neuen Wohnhäusern erbaut worden: 1, von dem Bahnmeister Wilhelm Kittel ein neues Wohnhaus in der Bahnhofs-Straße; 2, von dem Fuhrmann Gottfried Richter, welcher aus einer Scheune ein neues Wohnhaus einrichtete, und nun in der Grünstraße drei Wohnhäuser besitzt; 3, von der Productiv-Genoßenschafl der Cigarren-Arbeiter ein Wohn- und Fabrik-Gebäude in der Elisabeth-Straße; 4, vom Zimmermeister Pannicke an der Leipziger Chaussee, und 5, vom Brauereibesitzer Ferdinand Offenhauer ein Wohnhaus in der Lindenstraße. Von der Berlin-Anhalter Eisenbahn Gesellschaft erhielt unsere Commun 360 Rtl. als jährliche Steuer, und die Armenkaße vom Kreis-Armen-Fond zum letzten Male 550 Rtl. Am 3 lten December legte der Verfaßer dieser Zeilen wegen bedeutender Abnahme seiner Kräfte das Amt als praktischer Arzt nach einer fünfzigjährigen Amtsthätigkeit, so wie auch das zugleich seit dem 16ten Maerz 1848 von ihm mit verwaltete Amt als Arzt am hiesigen Bürger- Hospital gänzlich nieder.(Vid.pag.563) Die letztere Stelle, um welche sich fast die sämmtlichen hiesigen Aerzte beworben haben, ist bis heute, den 9ten Februar, noch nicht wieder besetzt, und wird seit Neujahr 1874 von dem Herrn Kreisphysikus Dr.Kanzler interimistisch verwaltet.