Handschriftliche Chronik von 1816-1952 - 1874-1875

Beitragsseiten

1874

An die Stelle des bisherigen Strafanstalts-Directors Friedrich Haensler, welcher den lten Januar von hier abgegangen und nach Leipzig gezogen ist, trat zu derselben Zeit der bisherige Strafanstalts-Director Carl Rabe in Ebersbach, Provinz Naßau. — An die Stelle des am lten Februar nach Langensalza versetzten Obersteuer-Controleurs Theodor Raettig trat der bisherige Ober-Grenz-Controleur Otto Puls aus Wandsbeck. — An die Stelle des am lten Februar aus seinem Amte ausgeschiedenen Magistrats- Registrators und Armenkaßen-Rendanten Heinrich Gelpke (Vid.pag.448) trat der bisherige Expedient beym Rechtsanwalt Herrmann in Eilenburg, Julius Knoll. — Die am Sonntage nach Neujahr, den 4ten Januar, nach der neuen Kirchenordnung, welche den Gemeinden bedeutende Rechte einräumt, neu gewählten Mitglieder des Gemeinde-Kirchenraths, die Herren Bürgermeister Reiche, Magistrats-Aßeßor Starckloff, Kreisrichter Huehne, Tischlermeister Troitzsch, Fabrikant Wagner, Lehrer Petermann, Kaufmann Rose, Zimmermeister Felix und Kaufmann Zeising wurden am 3ten Sonntage post Epiph. den 25ten Januar während des Haupt-Gottesdienstes in der Stadtkirche durch Herrn Superintendent Leipoldt feierlich in ihr Amt eingeführt und verpflichtet. Die erste Amtshandlung deßelben in seiner Sitzung am folgenden Tage war eine Beschlußfaßung über ein an unsern frühem Herrn Superintendenten Förster, seit 1856 Pastor in Langen- weddingen, welcher am lten Februar sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum feierte, abzusendentes Glückwünschungsschreiben. Dieser um Delitzsch hochverdiente Mann war als Kanzelredner, Gelehrter und Mensch gleich groß und edel; seine fast sechzehnjährige Amtswirksamkeit unter uns war die Zeit der höchsten Blüthe unsers kirchlichen Lebens.

Am 19ten Februar ist über die Wiederbesetzung der vacanen Hospital-Arzt Stelle (vid.pag.567) von der Hospital-Inspection entschieden worden, daß der Herr Kreisphysikus Dr.Kanzler, welcher bereits seit dem Jahre 1865 die wenigen chirurgischen Fälle gegen ein jährliches Honorar von 10 Rtl. nach dem Tode des Wundarzt Rathmann zu behandeln hatte, als eigentlicher Hospital-Arzt erwählt wurde und gegen ein jährliches Honorar von 40 Rtl, mit der Behandlung der innerlich Kranken beauftragt worden ist, dagegen dem Herrn Dr. Laue gegen ein jährliches Honorar von 20 Rtl. die Behandlung der chirurgischen Fälle übertragen und zugleich die Stellvertretung des Herrn Dr.Kanzler in Behinderungsfällen deßelben zur Pflicht gemacht worden ist. Die Stadtverordneten haben im Februar dem Herrn Bürgermeister Reiche wieder (vid.pag.532) eine Gehaltszulage von 200 Rtl., ferner dem Magistrats-Aßeßor Heintze eine dergl. von 100 Rtl. und dem Herrn Kämmerer Ufer, Stadt-Steuereinnehmer Braune und Stadtsecretär Braune eine dergl. von 50 Rtl. vom Anfang dieses Jahres an bewilligt. Auf den Antrag des Rendanten Thaerigen wurde im Februar für die städtische Sparkaße noch ein großer eiserner Schrank, zur sichern Aufbewahrung von Acten, Kaßenbüchern und Documenten, aus der Fabrik von Kaestner in Leipzig für den Preis von 600 Rtl. angekauft.

Der Zuschlag zur Communalsteuer ist vom Maerz dieses Jahr an, da der jetzt günstigere Zustand der Finanzen unserer Commun es gestattet, von 100 Procent bis auf 75 von dem Magistrat und den Stadtverordneten ermäßigt worden. Der ganze diemalige Winter hätte im Witterungslaufe mit dem vorjährigen die größte Aehnlichkeit; er war sehr milde und hohe Kältegrade kamen gar nicht vor. Im Januar wechselten bei vorherrrschendem West- Wind mit öfterer Neigung der Fahne bald nach Nord bald nach Süd, so wie bey mehr hohem als niedrigem Barometerstande, schöne, helle und angenehme Tage mit trüben, naßkalten, stürmischen und regnigten ab; Schnee, welcher gleich wieder schmolz fiel am 27ten, 29ten und 30ten. Das eben gesagte gilt ganz von der Witterung des Februar; Nebel hatten wir in diesem Monat früh am Sten, 6ten (Barom. 28,4), am 17ten (Barom.27,8), am 20ten am 20ten Abends und am 22ten früh. Am 8ten tobte Nachmittags ein Gewittersturm (Barom.27,7) mit nachfolgendem Schneegestöber aus Nord- West; Schnee fiel außerdem noch am 9ten und 26ten. Die Kälte war sehr unbedeutend; das Thermometer zeigte blos am lOten und 12ten des Monats früh um 7 Uhr —6 und am llten —10Reaum. Ziemlich in derselben Weise aber bey vorherrschendem rauhem, scharfen Nord-West-Wind gieng die Witterung des Februar in den Maerz über; wir hatten weit mehr trübe, kühle, regnigte und windige Tage, als in den letzten Wochen; die Kälte war gering, denn an wenigen Tagen in der ersten Hälfte des Monats zeigte das Thermometer früh um 7 Uhr nur —2 bis 5 Reaum. Nebel wurden früh am 7ten und 13ten beobachtet; am 19ten war es sehr stürmisch, und am 20ten wüthetete ein Orkan aus West (Barom.27,7). Schnee, theils mit, theils ohne Regen fiel am 1 lten, 12ten 14ten, 15ten, und 21ten; am 18ten hatten wir einen Landregen, und die letzten vier Tage des Monats waren wieder, nach drey vorher gegangenen schönen, regnigt, naßkalt und stürmisch. Uebrigens hat die Erde in diesen drey Monaten sehr viel Winterfrucht erhalten, was auch der vorzüglich gute Stand der Wintersaaten beweist, denen die wenigen schwachen Nachtfröste natürlich auch nichts schaden konnten. — Daß bey diesem abnormen, oft schnell und schroff wechselnden Witterungslaufe der Gesundheitszustand mehr oder weniger leiden mußte, liegt klar am Tage; am meisten litten dadurch, zumal in Folge des öfteren rauhem und scharfen Nord-West-Wind mitunter auch Ost-Wind, die Schwindsüchtigen und alte an Schleimasthma leidende Personen; an diesen beyden Krankheitsgattungen giengen viele mit dem Tode ab.; unter den Kinder traten Gehirn-und Lungenentzündungen, so wie auch häutige Bräune mit öfters tödlichem Ausgange auf; außerdem wurden Lungen- und Luftröhren-Katarrhe und rheumatische Leiden häufig beobachtet. Am 22ten April Abends kurz vor 7 Uhr ereignete sich beym Neubau des hiesigen Schützenhauses ein lediglich durch Mangel an gehöriger Vorsicht verschuldeter sehr beklagenswerther Unglücksfall. Der Maurergeselle Thier, welcher hier den Bauführer machte, war seiner Anordnung zufolge mit dem Maurergesellen Sonntag beschäftigt unter einem frisch gemauerten Kellergewölbe die Rüstungen wegzunehmen. Kaum war die letzte Stütze fortgenommen, so brach die ganze Wölbung zusammen und begrub die beyden Genannten unter ihren Trümmern.Alle sogleich geleistete Hülfe war vergeblich. Thier war allgemein als ein starker Säufer bekannt, Sonntag dagegen als ein ordentlichr Mann.

Am 4ten Mai Vormittags verflog sich bey der Verfolgung eines kleinen Vogels ein Lerchenfalke(Falco hubbuteo) mit einer Flügelbreite von 31 Zoll durch die geöffneten Perronthüren der Halle-Sorau-Gubener Bahn, und flog mit einer solchen Heftigkeit gegen eine an der entgegen gesetzten Seite befindlichen Fensterscheiben, daß er todt zu Boden fiel. Besagter Falke ist ein ausgezeichnetes Exemplar. Die Scheibe blieb bey dem Attentat auf dieselbe unversehrt. Der hiesigen Präparanten-Anstalt ist von der Königl. Regierung zur Beschaffung von Lehrmitteln und zu Remunerationen für die Lehrer eine Summe von 180 Rtl. überwiesen worden. In der Sitzung des Kreisgerichts am 17ten April erhielt eine unverehelichte Handarbeiterin, die durch Fahrläßigkeit einen Brand im Wohnhause der Nagelschmieds-Wittwe Schmidt in der Holzgaße veranlaßt hatte, eine Woche Gefängniß. Das Feuer war übrigens bald gelöscht worden. (vid.pag.513). Der Kaufmann Haertel, welcher im vorigen Jahre das am breiten Thore liegende, der Wittwe des Kaufmanns Schmidt gehörige bedeutende Hausgrundstück käuflich erwarb, kaufte laut Stadtverordneten-Beschluß vom 3ten Maerz des Jahres von der Commun 153 Quadrat Stadtmauer zu dem Zweck, um nach Abbruch derselben mit Zunahme eines unmittelbar angrenzenden von der Wittwe Schmidt ebenfalls erkauften Stückes Zwinger ein vom Ufer des Stadtgrabens aufsteigendes, maßives übersetztes Gebäude mit sehr geräumigen Kellern und bedeutenden Lagerräumen darauf aufzuführen, welches auch in der Mitte des Juni solid und glücklich vollendet wurde.- Im Februar wurde auch das alte Mittelgebäude des Schützenhauses, der letzte Ueberrest des früheren, abgebrochenen, und von dem jetzigen Besitzer Gastwirth Rausch ein neues maßives, aber in größeren Dimensionen erbaut, welches nur allein in beyden Stocks den großen, hohen Saal enthält; der Bau gieng bis auf den erwähnten sehr beklagenswerthen Unglücksfall glücklich zu Ende und ward so sehr gefördert, daß die Einweihung des schönen, mit Gallerien ringsum versehenen, geschmackvoll decorierten Saales schon am 24ten Mai, dem ersten Pfingstfeiertage Nachmittags, statt finden konnte. Die Locale des bisherigen, im Jahre 1842 erbauten Saales sind nun zu Stuben, Kammern pp. für den Wirth umgeändert worden. Die diesjährigen Süß- und Sauerkirschen auf den städtischen Anpflanzungen sind in dem am 19ten Junius abgehaltenen Termine für das Meistgebot von 394 Rft 15Sgr. verpachtet worden. An die Stelle des am lten April nach an eine dortige Schule abgegangenen Lherers Schnelle ist an demselben Tage der Lehrer Gotthold Rosinski von Guettland, Kreis Danzig, getreten. Ebenso ist an die Stelle des am 23ten April nach Gera abgegangenen Lehrers und Organisten Schulte der Lehrer Herrmann Baatz, bisher in Friesack, vom lten Junius ab getreten, die Organistenstelle aber dem hiesigen Lehrer Kiemstedt mit übertragen worden; auch ist dem letzteren vom lten Julius ab der bisher vom Organisten Jost an der Hospitalkirche versehene, von demselben aber wegen seiner langem Kränklichkeit freiwillig aufgegebener, Organistendienst zugleich übertragen worden. Schulle spielt den Choral in viel zu schnellem Tempo und ohne Zwischenspiele; dies ist durchaus nicht correct; als Lehrer war er gut.

Die Witterung dieses Frühjahres war die Fortsetzung der des Winters, trübe, rauh, naßkalt; die Windrichtung fast jeden Tag mehrmals wechselnd, doch war West-Wind und Nord-West-Wind vorherrschend; der Stand des Barometers und Thermometers weit mehr niedrig als hoch. Am 13ten April hatten wir nach zwey vorher gehenden sehr warmen Tagen von 5-6Uhr Abends ein sehr schweres Gewitter aus Süden mit einem heftigen Orkan, gewaltigen Blitzen und Donnerschlägen und starkem Regen. Die Mehrzahl der Tage des Monats war trübe, rauh und windig, den lten sogar stürmisch, den 30ten fiel Regen und Schnee. In gleicher Weise hielt die Witterung den ganzen Mai an, Land-und Gewitterregen mit Graupeln und Schnee kamen öfters vor; die Windrichtung blieb dieselbe.Ebenso war es auch im Junius nur mit dem Unterschied, daß in diesem Monat die Kälte noch empfindlicher war, besonders früh und Abends, im Mai; wir mußten daher bis zum längsten Tage einheizen. Am 2ten JunMs so wie auch am 3ten bildeten sich nach zwey voraus gegangenen heißen Tagen (Barometer 28,3, Thermometer +30) zwey schwere Gewitter, wovon das erstere am 2ten von Nachmittags 3 bis 5 Uhr, das zweyte am 3ten von nachmittags 4 bis 5 Uhr dauerten und durch strömende Regengüße sich auszeichnete, das erstere auch noch durch gewaltige Blitze und Donnerschläge; im Dorfe Klitzschmar erschlug der Blitz den Gutsbesitzer Riegel in seiner Schlafkammer; ferner schlug der Blitz in Kertitz in eine Pappel, in Schenkenberg in das Thürmchen des Schloßes und in Paupitsch in den Gasthof, jedoch ohne zu zünden. In Folge der sehr fruchtbaren Witterung stehen alle Feldfrüchte recht gut; die Heuemdte ist reichlich ausgefallen und glücklich eingebracht worden. Aber die Obstemdte hat durch den Nachtfrost in den Morgenstunden des 29ten April bey scharfem Nord-Wind durch Zerstörung und Tödtung der Baumblüthe schrecklich gelitten, so daß der Ertrag der Obstbäume, besonders der Pflaumen, sehr dürftig ausfallen wird. Raupen, Maikäfer und Feldmäuse gab es fast gar nicht. — Trotz der so ungünstigen, unbeständigen Witterung war der Gesundheitszustand befriedigend und die Sterblichkeit gering.

Nur katarrhalische und rheumatische Leiden kamen zur Behandlung. Das hiesige Königl. Schullehrer-Seminar hat am 24ten und 25ten Junius seine zweite Aufnahme-Prüfung erhalten. Von den 30 Präparanden, die sich um Zulaßung zu derselben gemeldet hatten, konnten 3 nicht zugelaßen werden, weil sie noch nicht das vorschriftsmäßige Alter erreicht haben. Von den übrigen 27 sind 24 aufgenommen. Unter diesen sind 19 längere oder kürzere Zeit in der hiesigen Präparanden-Anstalt vorgebildet worden. Das Seminar zählt nun im zweiten Jahre seines Bestehens 48 Zöglinge. Am 7ten Julius wurde der zum Cantor an der Stadtkirche und zweyten Lehrer an der ersten Knaben-Bürgerschule an des dem 28ten Mai vorigen Jahres verstorbenen Cantor Thierbach Stelle gewählte Herr Lehrer Haupt aus Bromberg durch den Herrn Superintendent Leipoldt in Beysein von Vertretern des Magistrats und Schulvorstandes feierlich in sein neues Schulamt eingeführt, und am 12ten, den 6ten post Trinit trat er sein Kirchenamt an. In den ersten Tagen des Julius erschien Abends rechts an den obern Sternen des großen Bären ein in seiner Größe und Lichtstärke nicht sehr auffallender und daher die allgemeine Aufmerksamkeit wenig auf sich lenkender Comet; dann gieng derselbe immer tiefer nach dem nördlichen Horizont, und war vom 17ten an nicht mehr sichtbar.

Am 19ten und 20ten Julius hielt die hiesige Schützengilde ein Schützenfest ab, zu welchem Abtheilungen der Schützengilden von Eilenburg, Düben, Wittenberg, Gräfenhainichen, Bitterfeld und Zörbig am 19ten früh eintrafen, die meisten der fremden Gäste aber an demselben Tage spät Abends wieder abreisten. Am 20ten Julius Nachmittags 4 Uhr entstand auf einem Roggenfelde hinter Offenhauers Brauerei durch Unvorsichtigkeit eines Arbeiters Feuer Ohngefähr vier Mandeln Getraide wurden ein Raub der Flammen; nur schnell hinzu eilender Hülfe (darunter Mannschaften der Feuerwehr) gelang es weiterer Gefahr vorzubeugen. Die Feier des Tages von Sedan am 2ten September ist ganz ebenso, wie in den beyden letzten Jahren, sehr festlich begangen worden, nur mit dem Unterschied, daß diesmal zugleich ein Schuh und Kinderfest verbunden wurde, um in den Kindern schon früh patriotischen Sinn und die Liebe zum König und Vaterland zu erwirken; es war zu diesem Zweck von der Bürgerschaft eine Collecte veranstaltet worden, welche etwas über 200 Rtl. einbrachte, wovon die Kinder mit Kuchen und Bier bewirthet wurden. Ueberhaupt nimmt dieses Volksfest bey uns, wie in ganz Deutschland, immer mehr den Character eines wahren Nationalfestes an. Auch das Wetter war an diesem Tage sehr schön und warm. Schon seit längerer Zeit war der Magistrat darauf bedacht gewesen, die alte, krumme wegen ihrer steilen Auffahrt für Pferde und Wagen, besonders schwer beladene, wie die Landsberger Bruchsteinfuhren, recht gefährliche Hospitalbrücke abzubrechen und eine neue zu bauen. Anfangs des Junius erfolgte der Abbruch, und zu Michäelis war der Bau der neuen, breiten, maßiven, gerade gelegten mit 2 Bogen vollendet; er kostete mit dem schönen eisernen Geländer und den Pflasterarbeiten im Ganzen 1349 Rtl. 5 Sgr. Von dieser Summe erhielt der Steinsetzer F.Hinniger 42 Rtl. 20 Sgr. 8 Pf für Pflasterarbeiten zur Auspflasterung der Rinne von der neuen Hospitalbrücke bis an die blaue Taube; ferner E.Kohl in Landsberg 29 Rtl. 25 Sgr. für 4 Lowry hierzu verwendete Pflastersteine; sodann 1036 Rtl. 19 Sgr. 1 Pf der Maurermeister W.Voigt für Erd- und Maurerarbeiten so wie Lieferung der Materialien beym Bau der Fluthbrücke am Hospitale; hierzu sind 19733 Stück scharf gebrannte Mauersteine (das Tausend zu 15 Rtl.) verwendet worden; endlich bekam der Schloßermeister F.W.Bier für ein eisernes 72 Fuß langes, 2264 Pfund schweres Geländer an dießer Brücke 240 Rd. Der Thurm unserer Gottesackerkirche, welcher im Jahre 1829, um die damals dieser Kirche geschenkte Glocke in sich aufnehmen und tragen zu können, durchgreifend und gründlich reparirt wurde, war im Laufe der Zeit sehr defect geworden; bey näherer Untersuchung deßelben ergab sich auch, daß besonders die auf der westlichen Seite des Thurmes eingesetzten starken lciefernen Säulen großen Theils faul, brüchig und mürbe geworden waren, und man also zumal beym Lauten das Schlimmste, den Einsturtz, fürchten mußte. Man fing daher gleich zu Anfang des August an den Thurm abzutragen, und das dadurch im Kirchdache entstandene große Loch mit Brettern gut zu verschlagen, damit das Wetter, weder Regen, noch Schnee und Sturm dem Kirchboden oder der Orgel keinen Schaden zufügen kann; der Bau des neuen Thurms soll erst im künftigen Frühjahr statt finden. Bey der Abnahme des alten Thurmknopfes fand man in demselben die beyliegende abgedruckte Urkunde und einige Münzen.

Zu den berühmten Männern, welche ihrer Vaterstadt Delitzsch alle Ehre machen und zur Zierde gereichen, gehört auch der am 18ten September des Jahres als Lehrer und Organist an der Haupkirche in Sangerhausen verstorbene Richard Julius Voigtmann. Dieser junge, talentvolle Mann hatte sich in einem Zeitraum von nur sechs Jahren als musikalischer Schriftsteller, Componist, Orgel- und Pianoforte-Virtuos einen großen Ruf und Namen erworben; alle seine Arbeiten und Leistungen haben von competenten Fachmännern durchweg die günstigsten Recensionen und Kritiken erhalten; sein früher, hauptsächlich in Folge übermäßiger, aufreibender geistiger Anstrengung; an der Lungen- und Luftröhren-Schwindsucht erfolgter Tod ist ein bedeutender Verlust für die Kunst. Derselbe wurde geboren Sonntags den 21ten Februar 1847 früh um 1 Uhr. Sein Vater war der hiesige Webermeister Friedrich Traugott Voigtmann, die Mutter die jüngste Tochter des Bauergutsbesitzer Hoenemann im Dorfe Laue, Rosine. Diese wenigen Notizen nebst den in der angefügten Beylage befindlichen mögen hier genügen, weil die Voigtmanns Leben und Wirken, so wie sein Verhältniß als Pflegesohn zu mir, dem Verfaßer dieser Zeilen, betreffenden in meinem zweyten Familien-Actenstück von mir bereits ausführlich und wahrheitsgetreu mitgetheilt sind. Er verlebte in meinem Hause eine sehr glückliche Jugend, was er auch dankbar anerkannte und sehr zu schätzen wußte. Eine große Freude war es für ihn, daß er zu Pfingsten 1863 Gelegenheit hatte in der Gesellschaft seines treuen Freundes eine Reise nach Dresden und in die sächsische Schweiz machen zu können; sein Freund Herr Offenhauer hatte nämlich das Jahr vorher in die Kirche des bey Pirna liegenden Dorfes Rosenthal eine schöne neue zweymanualige Orgel gebaut, welche er noch einmal revidiren wollte; die Aufnahme Beider daselbst war sehr anständig und gastfrei.

Auf das rauhe und sehr unfreundliche im Frühjahr folgte im Witterungslauf ein sehr schroffer Wechsel und Umschlag; denn gleich vom Anfang des Julius an trat bey dem noch immer anhaltendenWest und Nord-West-Wind aber hohem Barometerstande (B.28,1-28,4) wie auch Thermometerstande (Th. +30-34 N.M. in der Sonne) große Hitze und Dürre ein, auch der gänzliche Mangel an Landregen viel mit beytrug, denn die zwey sehr schweren Gewitter mit starkem Regen am 4ten Julius früh von 7 % Uhr bis 9 Uhr und das am 8ten Julius früh von 7-8 Uhr konnten diese nicht ersetzen: Im August hatten wir bey derselben Windrichtung aber mehr niederm als hohem Stande des Barometers weit mehr trübe, kühle und stürmische Tage, als helle und milde gehabt. Am 8ten Abends um 6 Uhr ein unbedeutender Gewitterregen. Die große Dürre dauerte fort, und der Waßerstand in den Bächen und Flüßen war so äußerst niedrig, wie ihn die ältesten Leute nicht erlebt haben. Die Witterung in der ersten Hälfte des September hatte in jeder Hinsicht die größte Aehnlichkeit mit der des August; die Mehrzahl der Tage war trübe und rauh bey Nord-West-Wind; in der zweyten Hälfte des September hatten wir bey wechselnden West-Wind und Süd-West-Wind so wie auch Süd-Ost-Wind desgleichem hohem Barometer-und Thermometerstande durchweg sehr schöne und warme Herbsttage; die große Dürre hielt aber ferner an; in Folge davon hatten die Feldmäuse in schrecklicher Weise wieder sich vermehrt. Was die Erndte betrifft, so ist zu bemerken, daß die Roggen-und Weizenerndte als eine gute zu bezeichnen ist, weil das Wintergetraide durch die sehr fruchtbare Witterung des Frühjahres in seinem Wachsthum schon gesichert war; dagegen kann man die Gersten-und Haferernte wie auch die Kartoffelerndte wegen der schon zu Anfang des Julius aufgetretenen anhaltenden Dürre nur als mittelmäßig gelten laßen; doch ist in Bezug auf die letztere ausdrücklich zu erwähnen, daß im Allgemeinen der Ertrag der Kartoffeln weit beßer ausgefallen ist, als man ursprünglich nicht ohne Grund befürchtete. Die Grummeterndte war befriedigend, aber die der Futterkräuter sehr dürftig, weshalb auch der Preis der Butter, das Stück 9 bis 10 Sgr. so enorm hoch gestiegen ist. Ueberhaupt ist die seit dem Jahre 1845 eingetretene, in der Geschichte beyspiellose Theuerung aller Lebensbedürfniße, diese große Calamität immer noch da, und nicht abzusehn, wenn sie aufhören wird. Trotzdem hat im Gegensatz dazu die Vergnügungssucht und der schreckliche Copus, besonders des weiblichen Geschlechts, gewaltig überhand genommen; eine Zeit der Heimsuchung wird zumal bey der so tief gesunkenen Religiosität und Moralität nicht ausbleiben. —

Die Getraidepreise waren zu Michäelis in Halle nach dem Centner berechnet folgende: Weizen 3 Rtl. 14 Sgr.2 Pf. Roggen 3, 4, 1, Gerste 3, 10, 6, Hafer 3, 10, 6, Kartoffeln 1, 6, 3, Obst ist wenig gewachsen und sehr theuer.

Der Gesundheitszustand war in diesem Quartal nicht befriedigend und die Sterblichkeit bedeutend. Zur Behandlung kamen besonders Durchfalle, Ruhren, Cholerine, Cholera, katarrhalische und rheumatische Leiden; alte starben nicht wenige am Schlagfluß oder Marasmus senilis, und von den Schwindsüchtigen, welche sehr durch den Witterungswechsel täglich litten, ebenfalls viele. Am 6ten October Nachmittags um 2 1/2 Uhr erschoß sich auf dem nach Gertitz führenden Wiesenwege ein seither hier in Arbeit gewesener Schneidergeselle Kultscher aus Limbach. Mittelst eines Terzerols hatte sich derselbe in den Mund geschoßen, in Folge deßen der Kopf derartig zersplittert war, daß der Tod sofort eintrat Von der furchtbaren Wirkung des Schußes zeugt das ganz verbogenen Terzerol, wie auch der Umstand, daß die Nase und ein Stück Oberkiefer des Erschoßenen ohngefähr 30 Schritte von der Unglücksstätte aufgefunden wurde. Veranlaßung zu diesem Schritte soll, wie man sagt eine gerichtliche Vorladung sein, welche demselben wegen Betheiligung an der am 26ten September Abends hier statt gefundenen erschrecklichen Schlägerei zugeschickt worden ist. Seit dem lten October, wo das Gesetz wegen Einführung der Civilehe in Kraft getreten ist, ist auch bey uns ein Standes-Amt errichtet worden, wozu im Parterre des Rathhauses ein besonderes Zimmer zweckmäßig eingerichtet worden ist. Die Standesbeamten sind der Herr Bürgermeister Reiche und als deßen Stellvertreter der Herr Magistrats-Aßeßor Heintze und der Stadtsecretär Braune. Im September wurden auch bey uns, wie an unzähligen anderen Orten, noch sehr viele kirchliche Trauungen vollzogen. An die Stelle des am Iten October nach Dresden abgegangenen Lehrers Krebs ist der bisherige Seminarist zu Elsterwerda Herrmann Paul Eicke, Sohn des Lehrers Eicke in Großkyhna, und an die Stelle des am lten October nach Gera abgegangenen Lehrers Rosinski, der aus Leimbach gebürtige Lehrer Friedrich Julius Voigt, am lten October von Stolzenhein bey Schönewalde hier getreten. Vom 17ten November vorigen Jahres ist noch folgende wichtige Notiz hier zu verzeichnen: An diesem Tage erhielt unser vieljähriger berühmter Landtags- und Reichstags-Deputirter, der Herr Kreisrichter Herrmann Schulze in Potsdam, geboren zu Delitzsch den 29ten August 1808, der alte Freund des Verfaßers dieser Zeilen, wegen seiner großen Verdienste in der Volkswohlfahrt durch Gründung von Aßociationen und besonders Vorschußkaßen und eines neuen für diese Fälle geschaffenen Rechtes von der Juristen-Facultät der Universität Heidelberg das Diplom als Doctor Juris honoris causa. Schulze hält blos an dem Prinzip der Selbsthülfe fest, und mag von Lasalle, Liebknecht, Bebel pp. Nichts wißen.

Die Wünsche und Hoffnungen, welche die hiesigen Lehrer bezüglich der Einführung einer neuen Gehaltsscala hegten, sind nun in Erfüllung gegangen, und werden dieselben nach dreimal erfolgter Erhöhung in einem Zeitraum von nur fünf Jahren jetzt hoffentlich auf lange Zeit zufrieden gestellt seyn. Durch die am lten Januar kommenden Jahres hier eintretende neue Scala, welche mit einem Minimalsatze von 300 Rtl. beginnt und von 5 zu 5 Jahren um 50 Rtl. bis zum Maximum von 600 rsp. 650 RT1. steigt, werden die Delitzscher Lehrer den günstiger situirten Collegen unseres Regierungsbezirkes gleich gestellt. Die einstimmige Bewilligung der in der That sehr bedeutenden Erhöhung des Schuletats von Seiten des Magistrats und der Stadtverordneten ist gewiß ein erfreuliches Zeichen, daß in den Vertretern unserer Stadt diejenigen Männer vereinigt sind, die eine richtige Würdigung des Lehrerberufs und ein Verständniß für die Bedürfniße der Schule mit Opferwilligkeit verbinden. Besonderes Verdienst um das Gedeihen unseres Schulwesens hat sich der Herr Bürgermeister Reiche erworben, der die Bildung der Jugend als einen der wichtigsten Gegenstände seiner Fürsorge erkennt; er hat daher, so lange er an der Spitze unseres Magistrats steht, schon viel für die Verbeßerung der äußeren Stellung der Lehrer gethan, und auch die jetzt vorliegende Erhöhung der Gehaltsscala ist vorzugsweise sein Werk. Mögen die großen Opfer, welche wir der Schule bringen, nicht unbelohnt bleiben, und diese thatsächliche Anerkennung der Bedeutung des Lehrerstandes nicht nur unserer Gemeindevertretung zur Ehre, sondern auch den Lehrern zu einem neuem Antrieb und Sporn zu treuer und gewißenhafter Pflichterfüllung und somit der Schule zum Segen gereichen; denn dann ist das, was für dieselbe gethan wird, eine Aussaat für die Ewigkeit. —

Seit vorige Ostern ist in unserer Nachbarstadt Delitzsch ein Musterseminar für Zöglinge, die sich dem Lehrerstand zu widmen gedenken, errichtet worden. Um nun die jungen Seminaristen mit der exactesten Ausführung des höheren Kirchengesangs näher bekannt zu machen, hat der treffliche Herr Seminar-Director Trinius dem Cultusminister Dr. Falk in Berlin den Wunsch zu erkennen gegeben, einer Motette in der Leipziger Thomaskirche beyzuwohnen, welcher Vorschlag höchsten Orts bereitwilligst genehmigt wurde. Am 14ten November reiste nun unter Leitung ihres Directors das Zöglingspersonal des Delitzscher Seminars, zugleich in Begleitung mehrerer Oberlehrer und des Musikdirectors Kuntze auf Kosten des Staats, nachdem deren Ankunft bereits vorige Woche dem Herrn Profeßor Richter gemeldet worden, nach Leipzig. Am Berliner Bahnhof wurde das Seminar vom Herrn Commißionsrath Kahnt hier empfangen, zur Stadt geleitet und nach kurzer Restauration in der Centralhalle wurden verschiedene Sehenswürdigkeiten der Stadt besichtigt, als dann zur Anhörung der Motette geschritten. Zu diesem Zwecke waren vom Herrn Prof Richter gewählt worden: 1, Sanctus und Benedictus aus der 16stimmigen Mißa von Ed. Grell;(zum ersten Male); 2, Psalm 22:Mein Gott, warum hast Du mich verlaßen pp. 8stimmige Motette von Mendelssohn. Wie groß die Anziehungskraft des jetzigen Thomanerchors ist, ging auch gestern wieder aus dem zahlreichen Besuch der Kirche, die von Zuhörern angefüllt war, hervor. Die fremdem Gäste, resp.deren Director und das übrige Lehrerpersonal waren vom Herrn Profeßor Richter freundlich begrüßt worden, und die wahrhaft meisterhafte Ausführung der beyden complicirten Kunstgesänge hinterließ einen tiefen und sichtbaren Eindruck auf alle Zuhörer. Nach Beendigung der Motette unternahmen die Delitzscher Gäste, 47 Köpfe stark., einen Spatziergang in das Rosenthal und darauf einen Ausflug per Pferdebahn nach Connewitz, wozu das schöne Wetter besonders geeignet war. Die Rückkehr nach Delitzsch erfolgte mit dem Dampfzug Abends 6 Uhr. Sämmtliche Gäste waren von dem erbauenden Kunstgenuß in der Thomaskirche und den intereßanten Erlebnißen des übrigen Tages auf das Höchste befriedigt und schieden mit dankbarer Anerkennung von dem ihnen in wenig Stunden so lieb gewordenen Leipzig, in der Hoffnung, daß sich dieser Besuch von Zeit zu Zeit wiederholen werde. (Aus dem Leipziger Tageblatt.) —

Dem Candidat des höheren Schulamts Christian Julius Gustav Haacke, geboren den 9ten Januar 1847 zu Rogaetz in der Provinz Sachsen, gebildet auf dem Domgymnasium zu Magdeburg und der Universität Halle, welcher seit dem fiten October 1873, zugleich zur Absolvirung seines Probejahres, an der hiesigen höheren Bürgerschule beschäftigt war, ist seit dem lten October dieses Jahres die 6te ordentliche Lehrerstelle an derselben Anstalt mit einem Gehalt von 600 Rtl. definitiv verliehen worden. Neubauten von Wohnhäusern und bedeutenden Etablißements haben in diesem Jahre nur einige statt gefunden Ein neues Wohnhaus ist von dem Factor Karl Kiessler gebaut worden in der Angerstraße. Sodann haben die Gebrüder Bruno und Rudolph Schaaf Söhne des frühern Hotel-Besitzers zum Schwan die, wie man allgemein hört, das Schicksal durch eine reiche Heirath beglückt haben soll, an der Leipziger Chaußee ein Wohnhaus, so wie eine große Dampfmahlmühle zu bauen angefangen, ersteres noch bis zum Winter ganz unter Dach, von letzterem Gebäude jedoch nur den einen Flügel unter Dach gebracht.

Die Berlin-Anhaltische Eisenbahn-Gesellschaft in Berlin hat im verfloßnem Jahre 1874 an Communal-Einkommen-Steuer 330 Rtl. zur Steuereinnahme gezahlt. Der Witterungslauf im October war mehr gleichförmig; wir hatten in diesem Monate bey vorherrschendem West und Süd-West-Wind und höherem Barometer- wie auch Thermometerstande (in der Sonne Nachmittags +24 bis 30 R.) größten Theils sehr schöne und warme Herbsttage; da diese nun bereits seit der Mitte des September eingetreten waren und bis zur letzten Woche des October anhielten, sowar dies gewiß die Ursache, daß wider alle Erwartung die Weinerndte bey uns recht gut und in Süddeutschland sogar vorzüglich in der Qualität, der Entwicklung des Zuckerstoffs ausfiel. — Im November war das Wetter bey vorwaltendem Nord-Ost und Nord-West-Wind, geringen Kältegraden und gelindem Frost, so wie in der ersten Hälfte des Monats sehr hohem Barometerstande (am 8ten 28,6, am ten dichter Nebel, dann hell Barom.28,4) trübe, rauh mit Regen, Nebeln und Schnee, welcher aber bald wieder schmolz, abwechselnd; in der zweyten Hälfte des Monats war der Stand des Barometer bedeutend niedriger und blieb es auch im December, in welchen die Witterung ziemlich in derselben Weise bey mitunter wechselnder Windrichtung nach Nord-Ost und Süd-Ost überging. Wir hatten nur wenige und schwache Fröste, am 9ten in der Nacht einen heftigen Weststurm mit Regen(Barometer 27); am 12ten fiel bey Süd-Ost-Wind Schnee(Barom.27,2); ferner fiel Schnee vom 15ten bis 18ten, und besonders sehr stark bey Nord-West-Wind vom 20ten bis 24ten des Monats (Thermometer früh-5, dann Nachmittags-2). Am 25ten und 26ten zogen mehrere Züge wilde Gänse in der Höhe von Nord-Ost nach Süd-West vorüber; dies deutet in der Regel auf Kälte.

Der Gesundheitszustand war in diesem Quartal nicht viel beßer als im vorigen; denn, wenn auch die Cholera, Ruhr und die Durchfälle aufgehört hatten, so kamen doch immer noch viele asthmatische, katarrhische und rheumatische Leiden besonders in Folge der sehr rauhen, schroff wechselnden Witterung des November und December, welche vorzüglich den an der Lungen- und Kehlkopfsschwindsucht Leidenden verderblich ward, zur Behandlung; die Sterblichkeit war nicht gering. In der nächsten Umgegend herrschten die Masern epidemisch. — In diesem ganzen Jahre starben in unserer evangelischen Kirchengemeinde 222 Personen, worunter 120 Kinder in den ersten 6 Jahren, 47 Alte über 60 Jahre. Geboren wurden 364 Kinder, mithin 142 mehr, als Personen verstorben. Vor 100 Jahren sind gewesen 130 Geborne und 118 Verstoorbene. — Die Einwohnerzahl beträgt nach der für das künftige Jahr aufgestellten Klaßensteuer-Rolle 8170. Nachdem bereits seit dem Julius 1855 bis zum Ende des Jahres 1859 auf dem Betrieb des damaligen Bürgermeisters Hagedorn von der hiesigen Commun die Anlage eines Braunkohlenwerkes im Rosenthal mit Verschwendung und einem Verlust von fast 40000 Rtl. unternommen worden, das Unternehmen aber in diesem Zeitraum wegen der Durchbohrung der Braunkohle nicht zu bewältigenden Waßerfluth und des Triebsandes viermal total verunglückt ist; so hat sich dennoch jetzt eine Anzahl wohlhabender Bürger und Landleute vereinigt zu dem Zweck das Werk vielleicht noch in Gang zu bringen. In geringer Entfernung von den Halleschen Scheunen linker Seits der Straße fingen nun die Bergleute, deren Arbeiten der Bergrath Peter aus Halle leitete, zu Anfang des April an zu bohren, eine Locomobile wurde in Leipzig gemiethet.(S.d.Statut).


1875

Der Communal-Zuschlag für das Jahr 1875 ist auf den Antrag und Beschluß der Stadtverordneten-Versammlung zur Grund-und Gebäudesteuer auf 33 1/3 Procent, zur Klaßen-und Einkommensteuer auf 100 Procent festgesetzt. Am 2ten Februar Abends 5 Uhr fand in der Sitzung der Stadtverordneten die Einführung der beyden neu gewählten unbesoldeten Magistrats-Aßeßoren, des Agent Sattler und des Fabrikant Schroeter durch den Bürgermeister Reiche statt. Am 9ten Februar Abends 9 Uhr starb der Director der hiesigen Königl. Strafanstalt Johann Carl Rabe, 59 Jahre alt.

Am 7ten Maerz, dem Sonntag Laetare, wurde am breiten Thor im Stadtgaben in der Nähe des im vorigen Jahre vom Kaufmann Haertel neu erbauten Lagergebäudes der Leichnam eines neugebornen Mädchens aufgefunden, um deßen Hals eine Schnur gelegt war. Als Resultat der am folgenden Tage angestellten Section und vorgenommenen Lungenprobe erklärte der Herr Kreisphysilcus Dr.Kanzler, daß das Kind unbedingt gelebt habe, zuerst erdroßelt und dann in den Stadtgraben geworfen worden sey, in welchem es aber mindestens vier Wochen unter dem Eise gelegen haben müße, nach deßen Schmelzen daßelbe aber durch die Fäulniß an die Oberfläche empor gehoben ward. Am Gymnasium zu Bielefeld ist die Beförderung des Dr. phil.Friedrich Holzweissig zum Oberlehrer genehmigt worden. Dieser junge, talentvolle Mann verdient schon als unser Landsmann, noch weit mehr aber wegen seiner vortrefflichen geistigen Begabung, Bildung und Leistungen hier eine rühmliche Anerkennung und Auszeichnung.

Derselbe wurde geboren in der Amtsvorstädtischen, unmittelbar an die Stadt Delitzsch angrenzenden und seit dem 15ten October 1862 auf Königl. Befehl mit ihr factisch für immer vereinigten Gemeinde Grünstraße, den 27ten October 1846, wo sein Vater, den er aber als Knabe von acht Jahren schon wieder verlor, ein rechtschaffner, schlichter Handarbeiter war. Nach dem Tode deßelben lebte die Mutter, eine verständige sehr fleißige Frau, mit ihrem Sohne hauptsächlich von Cigarren-Arbeit, heirahtete aber später einen Lohgerbergesellen, der jedoch das sich Bahn brechende Genie seines begabten Stiefsohnes nicht begriff; und daher wenig Intereße für denselben hatte. Nach vollendetem fünften Jahre besuchte er nun die hiesige Bürgerschule, wo die betreffenden Lehrer in den Claßen die sehr guten Fähigkeiten dieses Schülers bald richtig erkannten, und ganz besonders der damalige Cantor Thierbach sich des armen Knaben von seinem neunten Jahre an vorzüglich annahm, durch Ertheilung von Privat-Unterricht in den Elementen der lateinischen, griechischen und französischen Sprache ihm nachhalf, und es auch bey unserm damaligen ausgezeichnetem Rector Giesel noch bewirkte, daß er in der höheren Bürgerschule an den Unterrichtsstunden in den eben erwähnten Sprachen unentgeldlich mit Antheil nehmen konnte. Ebenso verschaffte ihm der Cantor Thierbach durch seine Fürsprache bey mehreren hiesigen und auswärtigen edlen Menschenfreunden Unterstützung an baarem Gelde. Zu Ostern 1861 gieng er nun wohl vorbereitet auf das Gymnasium zu Wittenberg, ward gut aufgenommen und erhielt seinen Platz in der zweiten Ordnung von Obertertia. Sehr bald erwarb er sich die volle Zufriedenheit seiner Lehrer, erhielt auch durch deren Empfehlung und Verwendung Stipendien und Familien- Freitische. Zu Ostern 1866 verließ er nach sehr gute bestandener Abiturienten-Prüfung das Gymnasium zu Wittenberg mit dem Zeugnis der Reife, und begab sich auf die Universität nach Halle, um daselbst Theologie

und Philologie zu studieren. Auch hier erwarb er sich bald durch seine moralischen und intellectuellen Vorzüge Freunde und Gönner, welche ihn mit Stipentien und Freitischen unterstützten; auch erhielt er das bekannte, für Theologen und Juristen gegründete, Delitzscher Dr. Schulzesche Stipentium auf drei Jahre, jedes Jahr 50 Thaler. Von Ostern 1869 an bis Michael 1870 absolvirte nun dieser hoffnungsvolle junge Mann, welcher mit vollem Recht zu den Zierden seiner Vaterstadt gehört, in schneller Aufeinanderfolge seine theologischen und philologischen Examina bey den betreffenden Prüfungs-Commißionen, promovirte auch am 8ten Julius 1870 bey der philosophischen Facultät in Halle zum Dr philosophiae, und ist auch noch als Schriftsteller in einem Werke über Kirchengeschichte aufgetreten. Er gehört übrigens der liberalen Richtung an, und hat auch in seinen Predigten wegen ihrer Klarheit blühenden Styles und schönen Vortrags viel Beyfall geerndtet. Michael 1869 bis Michäel 1871 war derselbe am Gymnasium zu Stendal mit 600 Rtl. Gehalt angestellt; von Michael 1871 aber wurde er als Lehrer an das Gymnasium zu Bielefeld mit 800 Rtl. Gehalt, der seit einem Jahre auf 1100 Rtl. erhöht worden ist, berufen, wo auch jetzt seine Beförderung zum Oberlehrer im März erfolgte. Möge Gott nur dem Herrn Dr.H., der im letzten Herbst an einem Halsübel mit Bildung von Drüsen, Absceßen sehr leidend war, stets eine recht dauerhafte Gesundheit verleihen; dies ist der herzlichste Wunsch des Verfaßers dieser Zeilen.

Ein treuer Arbeiter im Weinberge des Herrn ist zum ewigen Frieden eingegangen. Unser früherer allgemein hochverehrter Herr Superintendent und Oberpfarrer Carl Friedrich Foerster ist am 12ten Maerz früh gegen 1 Uhr als Pfarrer in Langenweddingen im 76ten Lebensjahre verstorben. Derselbe wurde geboren im Dorfe Dabrun bey Wittenberg, wo sein Vater Pfarrer war, den lten October 1799. Den Elementar-Unterricht in der christlichen Religion und den beyden alten Sprachen ertheilte ihm sein Vater, welcher ihn auch zu Ostern 1813 auf die Fürstenschule nach Grimma, deren Rector damals der berühmte Philolog M. Sturz war, brachte. Hier erwarb sich F. eine gründliche, literarische altklaßische Bildung, welche ihn auch später noch im Umgange mit andern Gelehrten stets auszeichnete. Zu Ostern 1818 verließ er Grimma und bezog die Universität zu Halle, um Theologie zu studieren. Nach vollendeten dreijährigen Cursus verwaltete er 2 Jahre eine Hauslehrerstelle, während welcher Zeit er zugleich seine beyden theologischen Examina mit Auszeichnung bestand. Hierauf wurde derselbe am lten Februar 1824 als Pastor Substitutus in Schmiedeberg angestellt, erhielt aber schon 1826 das Pfarramt in Zwethau bey Torgau., von wo aus 1838 seine Berufung als Superintendent und Oberpfarrer nach Lützen erfolgte, und dann besonders auf seines Gönners, des Bischofs Draesecke Empfehlung am 7ten Februar 1841 seine Versetzung nach Delitzsch in gleicher Eigenschaft statt fand. Seine lange Amtswirksamkeit unter uns war der Glanzpunkt und die höchste Blüthe unseres nach seinem Scheiden von uns leider nur zu bald verwelkten und erstorbenen kirchlichen Lebens. Da er im Alter von der Verwaltung des lästigen, von ihm fast 20 Jahre lang verwalteten Ephoral-Amtes gern befreit zu seyn wünschte, so versetzte ihn das Magdeburger Consistorium am lten September 1856 auf die sehr einträgliche Pfarrstelle nach Langenweddingen. Hier nahm er in seinen letzten sechs Lebensjahren im Gefühl der Abnahme seiner Kräfte noch einen Hülfsprediger an, feierte unter großer Theilnahme von Nahe und Fern am lten Februar 1874 sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum, bey welcher Gelegenheit ihm von Sr.Majestät dem Kaiser der Königl. Kronen-Orden dritter Klaße verliehen wurde, und starb an Altersschwäche am 12ten Maerz 1875. Foerster war ein sehr liberaler, freisinniger Theolog, frei von jeder exclusiven und extremen Richtung, sein Wahlspruch war „wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." Seine Predigten zeichneten sich durch Originalität, Reiz der Neuheit, Klarheit, meisterhafte Benutzung des Textes und der Zeitverhältniße, und strenge logische Disposition sehr vortheilhaft aus; sie waren sehr lehrreich und in einer edlen populären Sprache verfaßt, und wirkten überhaupt durch den Verstand auf das Herz, mithin auf Bildung des Geistes so wie auf moralische Veredelung; hierzu kam noch die Action und Declamation dieses vortrefflichen Kanzelredners, welche nichts zu wünschen übrig ließen, und sein starkes wohlklingendes Stimmorgan, welches unsere große Stadtkirche vollständig ausfüllte. Ueber die Person und Natur Jesu Christi sprach er sich in einer am 18ten p.Trin, 1842 gehaltenen Predigt als strenger Monotheist dahin aus „daß uns der Glaube an die göttliche Natur deßelben für die Bedürfniße unseres Geistes und Herzens unentbehrlich sey."

Die Witterung war im Januar bey vorherrschendem West und Süd-West- Wind mehr hohem als niederm Barometerstande gewöhnlich trübe, milde, regnigt mit Schnee vermischt, welcher bald gleich wieder schmolz; kältere Tage bis —5 und —10 Reaum. Früh waren nur der 2te, 27te, 30te und 3 lte; vom 22ten bis 26ten hatten wir Gewitterstürme mit Schnee, und am letzterem Tage tobte aus Nord-West ein heftiger Orkan. (Barom. 27,9, und stieg den 27ten auf 28,5, worauf es am 3 lten die Höhe von 28,7 erreichte) Am 6ten und 7ten war dichter Nebel (Barom.28,3). Im Februar fiel gleich vom 2ten an bis zum 12ten bey gelinden Kältegraden und vorherrschendem Nord-Ost und Nord-West-Wind fast täglich vieler Schnee bey hohem Barometerstande; bey diesem und bey Süd-West-Wind traten aber nun vom 13ten an höhere Kältegrade ein(Therm. —10 und 14 früh 7Uhr), welche vom 16ten an, wo früh dichter Nebel und Abends Thauwetter war, bey der veränderten Windrichtung nach Nord-West, deßgleichen am 17ten, dem Quartalstage, nach Nord-Ost bis zum Ende des Februar anhielten, und die Strenge des Winters recht fühlbar machten. Im Maerz blieb die Windrichtung dieselbe, ebenso auch der hohe Barometerstand derselbe, bey diesem nur mit dem Unterschied, daß öfters auffallend bedeutende Schwankungen beobachtet wurden, wie z.B. vom 18ten bis 20ten; am ersteren Tage stand das Barometer bey Ost-Wind auf 28,6, und am letzteren bey West-Wind mit einem gewaltigen Schneesturm Nachmittags 2 Uhr auf 27,7. Sehr dichte Nebel hatten wir am 4ten, Sten, 6ten, 17ten, 25ten und 3Iten, Sturm auch am l0ten; Schnee fiel vom 19ten bis 22ten so wie am 29ten; schön waren blos die Tage vom 13ten bis mit 16ten. Die Kälte stieg an einigen Tagen früh 7 Uhr auf —7Reaum. Uebrigens hat die Erde Winterfrucht genug erhalten. — Der Gesundheitszustand war höchst ungünstig und die Sterblichkeit bedeutend; katarrhalische und rheumatische Leiden, Entzündungen der Hals- und Brustorgane kamen oft vor, so wie auch besonders schnell tödliche Anfälle von Gehirn-, Herz-und Lungenschlag bey alten und jungen Personen.

Die hiesige Schützengilde schaffte sich einen Leichenwagen an, welcher vom Herrn Wagenfabrikant J.Bomilciel in Eilenburg für den Preis von 320 Rtl. gefertigt, und am 14ten Maerz des Jahres hier der Schützengilde überliefert wurde, welche denselben von nun an zur Verfügung des Publikums bey Beerdigungen stellte gegen eine nach den verschiedenen Begräbniß-Klaßen bestimmte Gebühren-Taxe für Benutzung des Wagens, die in der I Klaße 10 Rtl., in der II, 8 Rtl., in der III. 6 Rtl. beträgt. Am Abend des 26ten September vorigen Jahres hatte von 8 bis 9 Uhr auf dem Roßplatze ein Aufruhr mit Schlägerei statt gefunden, deßen Verlauf und gerechte Bestrafung in der hier angefügten Beylage des Delitzscher Kreisblattes vom 17ten April des Jahres wahrheitsgetreu mitgetheilt ist. 5.5.580. Nachdem bereits seit Anfang der Jahre 1870 und 1873 die sämmtlichen Lehrer unserer Stadtschulen angemeßene Gehaltszulagen bekommen hatten, deßen ungeachtet aber immer wieder neue Klagen über die Unauskömmlichkeit ihrer Stellungen im Leben laut wurden, so entschloß en sich nunmehr der Magistrat und die Stadtverordneten zur Einführung einer neuen Gehaltsscala, nach welcher die Erhöhung der Gehalte der Lehrer mit größter Liberalität und in so bedeutendem, man mögte fast sagen überreichem Maaße vom Anfang des Jahres an bewilligt worden sind, daß diese Herren nunmehr gewiß auf eine lange Reihe von Jahren hoffentlich vollkommen zufrieden gestellt seyn werden. Die beyliegende vom Herrn Kämmerer Ufer geferigte tabellarische Uebersicht giebt hierüber die vollständigste Uebersicht.

Die Stadtcommun kauft laut Kaufs vom 16ten Februar 1875 mit dem Besitzrecht vom lten April des Jahres ab von dem Handarbeiter August Thieme das demselben gehörige, hierselbst am Ende der Grünstraße gelegene Wohnhaus(das frühere Gemeindehaus der Amtsvorstadt Grünstraße) für den Preis von 700 Rtl , und zwar zu dem Zweck, um später durch Abbruch deßelben eine breitere Paßage von der Eilenburger Landstraße nach der Grünstraße zu gewinnen. Am 1 lten und 12ten Mai wurde hier die Feier des 25jährigen Jubiläums des hiesigen Vorschuß- Vereins wie des Genoßenschaftswesens überhaupt in der „Stadt Leipzig" festlich begangen. S.d.Beilage zu pag. 594. Da in Folge einer Verordnung sämmtliche geistliche Stellen der Monarchie, deren jährliche Einkünfte noch nicht volle 600 Rtl. betragen, von den Gemeinden bis auf diesen Minimalsatz erhöhet werden müßen, so erhalten nunmehr auch unsere des erstenDiaconen vom Anfang vorigen Jahres an dem entsprechende Gehaltszulagen, und zwar der Archidiaconus 27 Rtl und der Diaconus 50 Rtl. zur Erffillung dieses Minimalsatzes aus der Kirchenkaße. Auch erhält von Anfang dieses Jahres an der erste Kirchenvorsteher als Rendant der Kirchenkaße eine Gehaltszulage von 40 Rtl. jährlich. In Folge der am 4ten, Sten, l0ten und 11ten Junius statt gefundenen starken Gewitterregen war der Lober bedeutend angeschwollen und wurde bey dieser Gelegenheit ein seltener

Fang gemacht. Im Teiche an der Elberitzmühle waren die Garnsäcke zum Fischfangen aufgestellt, leider hatten sich trotz des vielen Waßers nur einige kleine Fische in denselben gefangen, dagegen fand man in einem der Garnsäcke eine Schildkröte vor. Dieselbe ist der hiesigen Bürgerschule, Herrn Rector Niebecker, übergeben worden. Vor Kurzem wurde von Bitterfeld aus über einen gleichen Fang berichtet, über welchen man derzeit sehr staunte; nachträglich stellte sich jedoch heraus, daß dieselbe einem Privatmann entflohen war; jedenfalls ist dies bey der hierselbst gefangenen Schildkröte auch der Fall. Die diesjährigen Süß- und Sauer-Kirschen auf den hiesigen städtischen Alleen sind im Junius zu folgenden Preisen verpachtet worden: I, am Schießplatze nördlich von Thormanns Besitzung Chaußee an bis an die Schenkenberger Flur, an den Oebster Grosch für 15 Rtl. 10 Sgr.; II, am Zschernitzer Wege an den Oebster Pabsch für 60 Rtl.; III, am Groß-Kyhnäer Wege; am Gertitzer Schulwege, Gertitzer Wege, Queringer Wege an den Oebster Hoffmann von Bitterfeld für 30 Rtl, 10 Sgr.; IV, am Lißäer Wege, an der Leipziger Chaußee bis an die Brodauer Grenze am Pfeffermühlenwege an den Oebster Grosch für 304 Rtl.; V, an der Eilenburger Straße bis an den von Döbernitz nach Beerendorf führenden Communicationsweg an den Gas-Inspector Jenke für 23 Rt!,; VI, an der Dübener Straße bis an den Fluthgraben in Verbindung mit dem Wege an der Pflaumen-Plantage und am Werbener Wege an den Oebster Prause für 31 Rtl. Die Totalsumme des Pachtertrages beträgt mithin 463 Rtl. 20 Sgr. Die Witterung im April war bey vorherrschendem Nord-West-Wind und bey sehr schwankenden, bald höherem bald niederm Barometerstande weit mehr trübe, kühl und rauh, als hell und milde; am 6ten Abends von 8-9 Uhr und am 28ten von 2-3 Uhr Nachmittags hatten wir Gewitterregen; am 12ten früh war Nebel, und am 15ten fiel Schnee und Regen. Dieselbe unfreundliche und rauhe Witterung hielt den ganzen Mai hindurch an bey beständigen Barometer-Schwank- ungen und fast täglich veränderter Windrichtung in der ganzen Windrose. Landregen hatten wir am lten, 8ten, lOten früh, Nachmittags von 2-4 Uhr an demselben auch einen starken Gewitterregen, ferner in den Nächten des 11ten und 23ten Mai Landregen. — Die Nachwirkungen der seit einem Jahre anhaltenden großen Dürre hatten den Feldfrüchten in ihrem Wachsthum und Gedeihen sehr geschadet, auch die Preise der Lebensmittel, des Fleisches, der Eier, der Butter pp. auf der Höhe erhalten; um so erfreulicher war es und Gott zu danken, daß gleich vom Anfang des Junius an mit dem Eintritt der heißen Tage(Thermometer +28-30) sich bey West und Nord-West-Wind sehr starke und schwere Gewitter bildeten, welche unsere verdorrten Fluren erquickten. Solche Gewitter hatten wir nach vorhergehender drückender Schwüle am 4ten Junius Abends von 8-9 1/2 Uhr und am Sten früh von -10 Uhr, welche beyde mit gewaltigen Donnerschlägen und strömenden Regen sich entladeten. Weitere Gewitter folgten noch am lOten Abends von 4 1/2 - 5 Uhr, am 1 lten um 2 Uhr Nachmittags; am 15ten Abends von 4-5 tobte ein heftiger Gewittersturm, aber ohne Regen. (Thermometer +25).

Außerdem hatten wir in diesem Monat noch sechs Landregen, am 6ten, 14ten, 18ten, 20ten, 24ten, 25ten; sie kamen sämmtlich in den Frühstunden in der Nacht, und waren besonders die beyden am 20ten und 25ten sehr stark. Der Barometerstand war in diesem Monat größten Theils niedrig. Bey solchem reichen Waßersegen wurde die Vegetation, die sehr zurück gekommen war, dadurch wie mit einem Zauberschlage neu belebt, was man besonders auf den Wiesen und Feldern sehen konnte; die außerordentliche Fruchtbarkeit hatte in acht Tagen das Versäumte nachgeholt. Die Heuerndte, obgleich um 14 Tage verspätigt, ist gut ausgefallen und glücklich eingebracht worden; die Kornähre, die den lten Mai erscheinen soll, zeigte sich erst den löten; trotzdem ist der Stand der Saaten so schön, daß die Erndte nur wenig Tage später beginnen wird. Uns hat also der merkwürdige Witterungslauf des Junius nur reichen Segen gebracht, wofür wir der Vorsehung nur danken müßen, während er in anderen Theilen der Provinz Sachsen, namentlich in Thüringen, besonders in der Naumburger Gegend sehr große Verheerungen durch Wolkenbrüche, Waßerfluthen und Hagelschlag angerichtet hat. — Was in dem Bericht über den Gesund- heitszustand des ersten Quartals Seite 592 gesagt ist, gilt ganz auch für dieses zvveyte, wobey noch zu bemerken ist, daß auch die Masern epidemisch auftraten und manches Opfer forderten, auch Diarrhörn sich zeigten, und die Zahl der an der Lungen-und Kehlkopfs-Schwindsucht Leidenden, besonders unter den jungen Fabrikarbeitern immer größer ward. Ueberhaupt war die Sterblichkeit bedeutend; sie betrug in den beyden Quartalen zusammen 180 Tode. Am lOten Juni fand man in der großen Spröde einen unbekannten Mann im Alter von 30-40 Jahren erhängt.

Am 17ten Julius Nachmittags 3 % Uhr entlud sich über unserer Stadt und einem kleinen Theil der Stadtflur eine Gewitterwolke bey sonst ganz heitern
Himmel, welcher sehr bedeutende Waßermaßen entströmten; zum Glück dauerte dieser Regenguß, welcher übrigens stark mit großen Graupeln vermischt war, nur etwa zehn Minuten. Ohne daß Jemand eine Ahnung davon hatte, erfolgte plötzlich ein Donnerschlag, der einzig heftige während des ganzen Wetters, welcher gewiß die große Mehrzahl der Mitbürger mehr oder weniger in Schrecken setzte. (Barom.27,10 Therm.+28. Ost-Wind). Hierbey schlug der Blitz in die vor einigen Tagen erst fertig gewordene riesige Dampfmühlen-Eße, an welcher man noch mit Anbringen des Blitzableiters beschäftigt war. Trotzdem noch die Fangstange fehlte, fuhr der Blitz an dem theilweise angebrachten Blitzableiter herunter, betäubte einen in der Nähe befindlichen Arbeiter, während ein anderer ein Stück hinweg geschleudert wurde. Auf dem noch herum liegenden Drahte vom Blitzableiter sah man kurze Zeit eine Flamme, die jedoch bald verschwand, ohne weiteren Schaden anzurichten. — An demselben Tage wurde Nach- mittags 4 Uhr der Koßath Ziesche auf der Seelhauser Feldmark durch den Blitz erschlagen. Derselbe hatte sich bey dem heftigen Regen hinter eine Roggenmandel geflüchtet. Dort schlug der Blitz ein und zündete sofort. Die Magd des Gutsbesitzers Boost zu Seelhausen hatte ebenfalls hinter derselben Mandel Schutz gesucht, ist aber durch den Blitzstrahl nur gelähmt worden Die der Commun gehörige Pflaumen-Plantage im Rosenthal und Hain ist im Julius für den Preis von 75 Rtl. an den Oebster Pabsch, und die Nußbaum-Allee auf der Südseite der Stadt für 1 Rtl. 10 Sgr. an den Oebster Edler verpachtet worden. Am 29ten Julius wurde der neu gewählte der Stadtverordneten-Versammlung durch den Bürgermeister Reiche in sein neues Amt als unbesoldeter Aßeßor eingeführt. Am 26ten Julius ereignete sich früh auf der Berlin-Anhalter Eisenbahn ein sehr beklagenswerther Unglücksfall. Der Handarbeiter Geissler, 74 Jahre alt, zur Zeit Kutscher bey Cigarren-Fabrikant, welcher mit einem mit 2 Pferden bespannten Wagen die Benndorfer Starße entlang fuhr, wurde von dem 7 Uhr 11 Minuten hier abgehenden Zuge bey Bude 7 an der Delitzsch- Bitterfelder Straße überfahren und sofort getödet; desgleichen blieb eines der Pferde auf der Stelle todt, während das andere trotz arger Verletzungen noch lebt. Wie man hört, trifft den Beamten keinerlei Schuld. Während derselbe die nördliche Barriere geschloßen, fuhr der pp. Geissler in das Terrain der südlichen Barriere, wodurch es dem Bahnwärter unmöglich wurde auch diese Seite zu schließen. Derselbe soll alle Kräfte aufgeboten haben, die Pferde rückwärts zu dirigiren, was ihm bey der Schnelligkeit, mit welcher der Zug heranbrauste, leider nicht gelang, und derselbe nur Mühe hatte, sein Leben in Sicherheit zu bringen. Am 3ten August feierte der Bauverwalter und Gürtlermeister Carl Krause sein Fünfzigjähriges Schützen-Jubelfest. Die Schützen-Compagnie holte den Jubilar aus seiner Wohnung Vormittags ab, und fahle ihn in der Mitte seiner beyden Söhne gehend, welche ebenfalls Schützen sind, auf das Schützenhaus. Hier war Mittags ein Festmahl veranstaltet und Abends ein Ball, und der Jubilar wurde hierbey zugleich von der Compagnie zum Lieutnant erwählt; Nachmittags wurde noch ein Festschießen abgehalten.

Am 13ten August Vormittags 11 Uhr starb nach längeren Leiden im 88ten Lebensjahre der beym Publikum sehr beliebte als verpflichteter Provisor in der Freybergschen Adlerapotheke angstellte Apotheker Carl Gerns. Derselbe kam aus seiner Vaterstadt Halle hierher, und trat im Jahre 1818 in die genannte Officin ein. Hier erwarb er sich bald durch Pflichtreue, Gewißenhaftigkeit und gründliche Kenntniße das volle Vertrauen seines Principals, des Vater Freyberg, mit welchem er schon von Halle her näher befreundet war, in deßen Hause er aber auch mit vollem Recht als Familienmitglied, Hausfreund und treuer Diener betrachtet und hochgeehrt wurde. Ebenso ward er auch durch seine Gefälligkeit, Heiterkeit joviales Wesen und wahrhaft liebenswürdige Humanität ein großer Liebling des Publikums, und es ist allgemein bekannt, daß derselbe durch diese schönen Eigenschaften in dem langen Zeitraum eines halben Jahrhunderts wesentlich zur Hebung und zum Flor des Geschäfts in der Adlerapotheke viel beygetragen hat. Als nach dem im Jahre 1855 erfolgten Tode des Vater Freyberg deßen Sohn die Ofticin übernahm blieb das alte freundschaftliche Verhältniß ganz daßelbe; der Sohn behandelte den alten Gern stets höchst achtungsvoll wie seinen zweyten Vater, wie er ihn als solchen auch heute noch betrauert und seiner stets mit dankbarer Liebe gedenken wird. Bis zu seinem 77ten Lebensjahre erfreuete sich dieser alte Mann bey seiner festen Körperkonstitution fast durchgängig einer ungetrübten Gesundheit; erst von diesem Jahre an, wo ihn ein sehr heftiger Schlaganfall betraf, welcher aber wider Erwarten glücklich beseitigt wurde, machte das hohe Alter seine Rechte geltend; die letzten zehn Jahre kehrten diese Anfälle mehrmals wieder und zerrütteten seine Geisteskräfte immer mehr, wodurch er, zumal bey seiner großen Lebenslust und Todesfurcht, seiner Umgebung in den letzten Monaten höchst unangenehm wurde, was aber mit christlicher Geduld ertragen ward.
Am 23ten August in der Nacht um 12 1/2 Uhr starb in Folge von Altersschwäche nach längeren Leiden der Webermeister und Schnittwaarenhändler Friedrich August Schoenbrodt, 75 Jahre und 6 Monate alt. Er war allgemein verehrt als einer unserer würdigsten Bürger wegen seines vortrefflichen Characters, Bescheidenheit, Uneigennützigkeit, überhaupt hohen sittlichen Werthes, so wie wahrer Gottesfurcht und reinsten Strebens nach Licht und Wahrheit. (Vid.pag.548) Seine brave, ihm gleichgesinnte Gattin, mit welcher er in einem langen Zeitraum von fast fünfzig Jahren in einer sehr glücklichen Ehe lebte, die aber schon seit längerer Zeit an Asthma leidend fortwährend kränkelte, ist ihrem Gatten bald nachher am 29ten August Abends 7 1/2 Uhr im 74ten Lebensjahre in die Ewigkeit gefolgt. — Die Festfeier des Tages von Sedan wurde am 2ten September unter sehr großer Theilnahme ganz in derselben Weise, wie in den letzten drei Jahren, begangen, worauf ich um Wiederholungen zu vermeiden hiermit verweise. Auch das Wetter begünstigte dieselbe. — Zum Zwecke der Anlage und des Betriebs der Braunkohlengrube „Gemeinsinn" hatte nun die bereits am 23ten December 1873 gegründete Delitzscher Braunkohlen-Actien-Gesellschaft von dem Maurermeister Voigt von dem zu seiner Ziegelei gehörigen Grundstück 2 1/2 Morgen Feld für den Preis (pro Quadrat Ruthe 3 Rtl. 22 Sgr. 4 1/3 Pf. ) in Summa für 1685 Rtl. erkauft. Da die Bohrversuche das Vorhandensein eines abbauwerthen Kohlenlagers nachwiesen, so wurden nun die Arbeiten am Werke selbst nach Ausführung der nothwendigsten Baulichkeiten mit bald mehr, bald weniger günstigem Erfolge fleißig fortgesetzt.

Nachdem nunmehr bis zum Monat Mai dieses Jahres das Actien-Kapital im Betrage von 26000 Rtl. verbraucht worden war, so beschloß die Gesellschaft in einer General-Versammlung am 17ten Maerz und 3ten Mai des Jahres das Actien-Kapital auf 65000 Rtl. zu erhöhen. Da die Aussichten auf einen glücklichen Erfolg sich immer günstiger gestalteten, so fanden sie auch ihre Abnehmer. Der Bau des Kohlenwerkes selbst hatte im Laufe des Sommers seinen glücklichen Fortgang mit Ausnahme eines einzigen Unfalls im Junius, wo das Waßer mit Triebsand in den, wie man allgemein hört, sehr dauerhaft und solid gebauten Schacht einbrach, aber bald wieder bewältigt wurde. Unter der bisherigen einsichtvollen Leitung des Herrn Bergrath Peter wurden endlich im August die Arbeiten der Bergleute von einem so gesegneten Erfolg begleitet, daß zur allgemeinen Freude vom lten September an der Verkauf von Förderkohle beginnen konnte, welche auch raschen Absatz in Stadt und Land fand, und besonders in den Brantweinbrennereien für recht brauchbar befinden wurde. Seine Majestät der Kaiser und König hat dem Justizrath Weise hier im August dem rothen Adler-Orden vierter Klaße verliehen. Die Durchschnitts-Getraidepreise waren im Monat September im hiesigen Orte nach dem Centner berechnet, folgende: für 1Centner Weizen 9 Mark,99 Pf , Roggen 8 M.70 Pf , Gerste 9 M, 46 Pf , Hafer 7 M.87 Pf Kartoffeln 2 M. 22 Pf — Die Witterung des Monat Julius war bey mehr hohem als niedern Barometer- und Thermometerstande(Bar.28-28,4.Therm. +30-32) und bey fast täglich veränderter Windrichtung aus allen vier Weltgegenden weit mehr schön und heiß, als trübe und kühl. Gewitter hatten wir am 2ten Abends von 8-9 Uhr, ebenso am 7ten nach großer Hitze und Schwüle und bey Nord-West-Wind ferner am 10ten Nachmittags um 2 Uhr, so wie endlich das bereits pag.598 erwähnte sehr starke Gewitter am 17ten des Monats Nachmittags 3 % Uhr. Am 24ten war ein bedeutender Landregen. Fast in derselben Weise ging in den Monat August der Witterungslauf über, nur mit dem Unterschied, daß dieser noch heißer war als der Julius, das Thermometer erreichte an mehreren Nachmittagen in der Sonne die Höhe von 36-38 Graden R. In Folge der anhaltenden großen Hitze und Schwüle bildeten sich nun schnell nach einander mehrere starke Gewitter, wie am 12ten früh von 8 — % 9 Uhr mit Regen und großen Graupeln; ferner ein noch schwereres Gewitter mit vielem Regen am 13ten früh von 5 1/2 - 6 'A, bey welchem der Blitz in das Wohnhaus des Rentiers Tornau einschlug und zündete(in der Leipziger Vorstadt), dann am südlichen Giebel herunter fuhr, ein Fenster zertrümmerte und sich, seine Spur durch Abwerfen von Forststeinen, Kalk und Hinterlaßung einiger Löcher kennzeichnend, einen Weg nach dem Erdgeschoß bahnte, wo er den Aussagen der Augenzeugen nach, in Gestalt einer Kugel, welche zu platzen schien, verschwand. Durch sofortige Hülfe wurde weiteres Unglück verhütet. Ferner erfolgte noch nach mehreren sehr heißen Tagen den 18ten Nachmittags von 4-5 Uhr bey Nord-Wind die Entladung von einigen Gewittern durch Sturm mit etwas Regen. — Gleich mit dem Anfang des September, wo wir am lten früh um 5 und um 9 Uhr noch zwey Gewitterregen hatten, trat ein bedeutender Abfall und Umschwung in der Temperatur ein; die größere Mehrzahl der Tage war bey vorherrschendem Nord-West-Wind und West-Wind bey weitem mehr trübe, kalt und windig, als schön; die wenigen sehr warmen Tage waren vom 8ten bis mit 12ten, und vom 17ten bis mit 19ten bey hohem Barometerstand.

Was nun die Emdte betrifft, so wird dieselbe, besonders in Hinsicht des Roggens, Hafers und der Kartoffeln, allgemein als eine gute Mittel-Erndte bezeichnet; auch der Ertrag der Grummtemdte ist befriedigend gewesen, und wie auch das Getraide, von der Witterung begünstigt, glücklich eingebracht worden. Obst von allen Sorten ist sehr viel gewachsen, besonders Pflaumen, (der große Scheffel kostet 3 Rt1), und der Wein ist vorzüglich gerathen. Dagegen war wegen der noch immer anhaltenden Dürre und des durch diese bedingten niedrigen Waßerstandes der Ertrag der Futterkräuter nur dürftig, und ist in Folge davon der Preis der Butter eben so hoch, wie im vorigen Jahre um diese Zeit, das Stück 8-10 Sgr. — Der Gesundheitszustand ist im Vergleich gegen die beyden ersten Quartaledieses Jahres recht befriedigend gewesen; die Krankheiten und die Sterblichkeiten haben bedeutend abgenommen, es kamen nur leichte katarrhalische und rheumatische Beschwerden so wie gelinde Diarrhoeen zur Behandlung. Der bisherige Archidiaconus Albert Goedicke hielt am 19ten September, den 17ten p.Trinit. in der Frühkirche seine Abschiedspredigt, und ging als Pastor der reformirten Kirche nach Aschersleben. Sein Amt wird bis auf Weiteres durch den Hülfsprediger Man aus Zeitz verwaltet. Merseburg den 4ten October. In einer an sämmtliche Kreisschulinspectoren des Regierungsbezirk Merseburg gerichteten Verfügung der hiesigen Königlichen Regierung straft dieselbe das Verfahren des Schuldirectors Bartels!!! zu Gera, der ohne irgend eine Ermächtigung der preußischen Behörden in die Schulen des Regierungsbezirks eindringe und den Unterricht revidire, um Lehrer für auswärtige Schulen unter glänzenden Versprechungen(!) anzuwerben! Sämmtliche Lehrer werden zugleich angewiesen, dem Genannten den Zutritt in die Schulen des Regierungsbezirks zu untersagen und von dem Erscheinen deßelben sofort durch die Localinspectoren und Kreisschulinspectoren unter Angabe der näheren Umstände der Königlichen Regierung Anzeige zu machen. (Bartels war hier vom September 1868 bis zum Januar 1873 Rector der beyden Bürgerschulen und hat nach seinem Abgange dieses saubere Werbegeschäft in Delitzsch zwey Jahre lang auf die aergste und dreisteste Weise betrieben.) Am löten October, Sonnabends Vormittags, als der Thürmer Rehfeld auf dem breiten Thurme die l0te Stunde anschlug, fiel während des Anschlagens der sieben Pfund schwere Hammer auf das Straßenpflaster herunter, ohne jedoch zum Glück Jemanden zu beschädigen, was bey der an einem Markttage um diese Zeit durch das breite Thor statt findenden starken Paßage von Menschen und Fuhrwerken leicht möglich war. Den neuen Hammer, welcher von Stahl ist und acht Pfund wiegt, hat der einzige Sohn und Gehülfe seines Vaters, des Büchsenschäfters Scherell, recht gut gefertigt und am 19ten October abgeliefert; der Ton der Glocke ist seitdem auch heller. Der Sicherheit wegen hat der Verfertiger des neuen Stahl-Hammers denselben noch an einer Kette befestigt, an welcher er, wenn er wieder abfiele, gleich unterhalb der Glocke hängen bleiben würde. Die sämmtlichen Kosten der Reparatur betragen 5 Rtl. An die Stelle des am Iten November zum Militär abgegangenen Registrators und Armen-Kaßen-Rendanten Knoll ist der vom Magistrat gewählte bisherige Polizey-Expedient Oskar Gundermann in Weimar, Sohn des Buchbindermeister Gundermann in Eilenburg, getreten und am 2ten November verpflichtet worden; sein Gehalt beträgt 300 Rtl.jährlich.

Neue Wohnhäuser sind in diesem Jahre erbaut worden: 1, eins vom selbständigen Maurer Friedrich Mueller in der Halleschen Vorstadt in der Nähe von Lindenhahns Mühle; 2, eines vom Zimmermeister Wilhelm Beyer in Quering an der Straße nach Gertitz vor dem Halleschen Thore; 3, eins vom Bauunternehmer Gottlieb Dietze in der Wiesenstraße, und 4, eins vom Spediteur Hugo Franke an der Ecke der Dübener und Bahnhofsstraße. — Zu bemerken ist noch, daß die pag.584 erwähnte, im vorigen Jahre von den Gebrüdern Schaaf neu erbaute sehr große Dampfmahlmühle im Laufes dieses Jahres ausgebaut und im starkem Betriebe ist. Das herrliche, von dem geschmackvollem Wohnhause getrennt stehende, viermal übersetzte Fabrikgebäude, ein stattliches Bauwerk mit seinem an hundert Fuß hohem Dampfschornsteine, hat nach Morgen und Abend in jedem Stockwerk eine Fronte von vierzehn Fenstern, und von Mitternacht nach Mittag eine von sechs Fenstern. — Der Gemeinde-Kirchenrath hat am 2ten November beschloßen wegen des seit Michäelis im Wiederaufbau begriffenen Thurmes unserer Gottesackerkirche(vid.pag.577) eine Umlage von je einem einmonatlichem Beitrage der Klaßensteuer und Einkommenssteuer und einem Drittel des monatlichen Betrages der Grundsteuer für die Jahre 1875 und 1876 zu erheben. Die Mitglieder der hiesigen Kirchengemeinde werden aufgefordert die für das laufende Jahr fälligen Zuschläge dieser Umlage im Monat November an den Herrn Stadt- Steuereinnehmer Braune einzuzahlen. Hierbey muß noch bemerkt werden, daß das Kapital-Vermögen der Gottesackerldrche nur in 1000 Rtl. besteht, von deren jährlichen 45 Rtl. Zinsen die Kosten dieses Thurmbaues, welche auf 1300 Rtl. veranschlagt seyn sollen, natürlich nicht gedeckt werden können. Im October wurde vom Seminar in einem Hause am Pfortenplatze eine Uebungs-Schule für 80 bis 100 Kinder eingerichtet, in welcher Seminaristen unter Anleitung ihrer Lehrer den Unterricht ertheilen. Das Schulgeld dafür beträgt für jedes Kind nur 1 Rtl. jährlich; es wird daher diese Schule von Kindern armer Bürger und Einwohner fleißig besucht; eröffnet wurde sie am 18ten October.

Am 20ten December Vormittags 'A 10 Uhr brach in einem Seitengebäude der Offenhauerschen Brauerei auf bis jetzt nicht ermittelte Weise Feuer aus. Schnell herbei geeilter Hülfe gelang es das Feuer auf den Entstehungs- herd zu beschränken, so daß blos das Dach niederbrannte. Von allen Seiten wurde die ungemeine Thätigkeit unserer trefflichen Feuerwehr lobend anerkannt, und ist es namentlich auch derselben zu verdanken, daß weitererunabsehbarer Schaden verhütet wurde; nach Verlauf einer Stunde war alle Gefahr vorüber. In Folge davon erhielt am 22ten December der
Commandeur unserer freiwilligen Turner-Feuerwehr Herr Gustav Schulze folgendes höchst ehrende Dankschreiben: Ew. Wohlgeboren erlauben wir uns ergebenst, Ihnen beiliegend in Anerkennung der außerordentlichen Dienste, welche die Turner-Feuerwehr bey dem am 20ten des Monats statt gehabten Brandunglück uns geleistet und uns dadurch vor unberechenbarem Schaden behütet hat, zur freien Verfügung für obiges Institut 100 Reichsmark mit der Bitte um gefällige Annahme zu überreichen. Haben Sie die Güte allen Mitgliedern der Feuerwehr unsern innigsten Dank zu überbringen. Ihre dankbar ergebenen Offenhauer und Tiemann. - Die am lten December statt gefundene Volkszählung hat folgendes Resultat ergeben: 1)bewohnte Häuser 670, 2) unbewohnte(incl. 5 Kirchen) 10 3) Einwohner- zahl 3912 männliche, 4323 weibliche, in Summa 8235, mithin 75 mehr als im Jahre 1871. 4) Haushaltungen 1987. Dem Religionsbekenntniß nach waren vorhanden: ungetauft 2, Altkatholiken 2, Deutschkatholiken 11, Dißidenten 31, Juden 92, Katholiken 122, Summa 260. Die übrigen sind evangelische, überhaupt Protestanten.

Der Commandeur der Turner-Feuerwehr hat am 30ten December noch nachstehendes Dankschreiben erhalten: Im Auftrage der Aachener- und Münchener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft überweise ich einliegend der Turner-Feuerwehr als Gratification für ausgezeichnete Hülfeleistung bey Dämpfung des am 20ten des Monats bei Herren Offenhauer und Tiemann hier statt gefundenen Brandes 100 Mark, mit der Bitte um gefällige Annahme. Mit aller Hochachtung Rudolph Tiemann, Agent der Aachener und Münchener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft. Schon im November vorigen Jahres wurde der Herr Kreisrichter Dr.jur. Schulze-Delitzsch von Sr. Königl. Hoheit dem Großherzog von Sachsen-Weimar bey deßen damaliger Anwesenheit in Berlin zu einer Audienz berufen, um demselben einen Vortrag über die Gründung von Aßociationen und Vorschuß-Kaßen zu halten; jetzt im December des Jahres ist der Herr pp. Schulze in derselben Angelegenheit von Sr. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit dem Kronprinzen von Preußen zu einer Audienz eingeladen worden; beyde Fürsten haben für diese Sache sich sehr intereßirt. Die Witterung des Herbstes, dieser in der Regel so angenehmen und gleichförmig milden Jahreszeit war diesmal fast durchweg bey mehr niederm als hohem Barometerstande und vorherrschendem West-Wind und Nord-West-Wind mitunter auch Ost-Wind mit Ausnahme sehr weniger Tage rauh, nebligt, naßkalt und windig im October; Landregen hatten wir am 8ten, 11ten, 13ten, 15ten, 16ten, 17ten, 2 lten und 23ten des Monats; dichte Nebel waren am 19ten, 20ten, 22ten und 28ten; am letzteren Tage zog Nachmittags um 4Uhr bey Ost-Wind ein Zug wilder Gänse über die Stadt weg von Norden nach Süden. Dies ist gewöhnlich ein Vorbote eines strengen, frühzeitig eintretenden Winters. Schnee fiel am 21ten früh, und schmolz gleich wieder.

Fast in der selben Weise und bei stürmischen West-Wind vielem Regen und größten Theils sehr niedrigem Barometerstande gieng die Witterung in den November über; als besonders rauhe, sehr trübe, durch starken Regen und heftige Orkanartige Stürme(Gewitterstürme) bemerkbare Tage sind zu erwähnen der 8te und lOte (Barom.27,1) ferner der 1 lte(Barom. 27, Thermom. +7bey Süd-West-Wind) der 12te und 14te; Landregen hatten wir täglich vom 18ten bis 23ten des Monats(Barom. 27,3 —8) am 18ten mit Sturm; am 24ten und 26ten und 27ten des Monats war starker Schneefall bei Ost-Wind und gelindem Frost; Barom.28 Therm. früh —5). Im December erfolgte gleich vom lten des Monats an ein bedeutender Umschlag im Witterungslaufe, und der Winter trat bey Ost und Nord-Ost-Wind und mehrtägigem maßenhaften Schneefalle, welcher besonders auf der Strecke von Bitterfeld über Delitzsch bis Leipzig am stärksten gewesen seyn soll, und die Communicationen auf den Eisenbahnen und Landstraßen sehr erschwerte, mit strenger und empfindlicher Kälte ein, welche am 7ten früh am schrecklichsten war (Therm.früh 7Uhr —21 R. Barom. 28,3), den 8ten und 9ten aber schon von der außerordentlichen Höhe auf— 6R. abfiel, und nur noch einmal am lOten des Monats auf— 15 früh um 7 Uhr stieg (Barom.28,2). Hierauf fiel am 1 lten und 12ten wieder Schnee, worauf bey West und Süd-West-Wind bey abwechseln trüber, milden und hellen Tagen vom 13ten an bis zum Ende des Monats fast täglich stärkeres oder schwächeres Thauwetter eintrat, welches bey Unterbrechung durch mäßigen Frost die großen Schneemaßen nur langsam schmelzen konnte, wodurch zum Glück Ueberschwemmungen verhütet wurden, und die schöne unersetzliche Winterfrucht dem sehr ausgetrockneten Erdboden für die nächste Ernde nicht verloren gieng.

Was den frühzeitigen Eintritt des Winters mit seinen hohen Kältegraden am 7ten und 15ten December betrifft, so ist der Grund dieser Erscheinung wahrscheinlich darin zu finden, daß vom 3ten bis 6ten December nach den Zeitungs-Berichten in Italien in der Umgegend von Neapel und dem Vesuv starke und heftige Erderschütterungen statt gefunden haben, deren Folgen auch wir erfahren mußten. In Bezug auf den Gesundheitszustand muß bemerkt werden, daß im Vergleich gegen das letzte Quartal die Zahl der Kranken, besonders der an rheumatischen Beschwerden und hartnäckigen Katarrhen(Grippe) leidenden sehr zugenommen hatte, und die Sterblichkeit vorzüglich unter alten Personen, die ohnehin schon an Asthma litten, so wie unter Schwindsüchtigen, und von der häutigen Bräune ergriffenen Kindern wirklich recht groß war, worüber man sich freilich als die Folgen der oben geschilderten rauhen, naßkalten, nebligten und stürmischen Witterung bey öfteren Nord-Ost und Nord-West-Wind nicht wundern darf — Zufolge der Nachrichten aus den Kirchenbüchern der evangelischen Kirchengemeinde der Stadt Delitzsch mit den eingepfarrten Dörfern Gertitz, Kertitz und Werben wurden kirchlich getrauet 63 Paar, 324 kirchlich beerdigt, und 316 Kinder getauft. Unter den Verstorbenen befanden sich 179 Kinder unter 5 Jahren und 58 alte Personen über 60 Jahre. Nach den Berichten des hiesigen Standesamtes, zu deßen Bezirk aber die drei eingepfarrten Dörfer nicht gehörten, betrug die Zahl der ehelich verbundenen Paare 94, der Gebornen 334 und der Verstorbenen 324. — Von der Berlin-Anhalter Eisenbahn- Gesellschaft erhielt unsere Commun auch in diesem Jahre 360 Rtl. als jährliche Steuer.

Der Lehrer Robert Meister ging am lten October ab, um eine ähnliche Stelle an einer Privatschule in Berlin anzunehemen. Seine Stelle wurde dem Lehrer Otto Gloeckner in Hettstedt übertragen. — Im vorigem und in diesem Jahre wurden beim Königl. Schullehrer-Seminar neu angestellt: der Gymnasialehrer Dr.philop.Julius Hirt aus Sondershausen, am lten Julius 1874; ferner in diesem Jahre der Seminarlehrer Herrmann Gattermann, welcher am 4ten August von Osterburg, der Seminar-Hülfslehrer Wilhelm Wohlrabe, welcher den löten August von Leipzig, und der Seminarlehrer August Hummel, welcher den lten December von Halle hierher kam. — Der Neubau des Thurmes unserer Gottesackerkirche, deßen Riß und Zeichnung von dem Kreisbaumeister Russel gefertigt worden ist, begann, nachdem die den Bauen günstige Witterung dieses schönen Sommers ungenutzt verstrichen war, leider erst am lten October, von welcher Zeit an das Wetter den ganzen Herbst über mit Ausnahme sehr weniger Tage sehr rauh, regnigt, naßkalt und stürmisch, mithin dem Baue höchst ungünstig war. Es wurde nun von dem Unternehmer des Baues, dem Maurermeister Hofmann in Zschepen die Giebelmauer in der Höhe vom Dachsims an und in der Stärke 1 1/2 Fuß bis zu zwey Drittheilen ihrer Höhe aufgemauert, und zur Erhellung des dunkeln Kirchbodens zwey ziemlich hohe Kirchfenster in derselben angebracht. Da der Zimmermeister Felix das Bauholz in der gehörigen Stärke noch nicht hatte bekommen können, der Winter auch am 7ten December sehr hart eintrat, so mußte der Thurmbau bis zum bis nächsten Frühjahr verschoben werden.

Nach der Versicherung des Sparkaßen-Rendanten Thaerigen sind für den Bau der neuen Volksschule in der Bitterfelder Straße, welcher 31500 Rtl. kostet, in dem Zeitraum vom lten Julius 1870 bis zum Schluß des Jahres 1875 aus den Ueberschüßen der städtischen Sparkaße bereits 21000 Rtl. bezahlt worden, so daß darauf nur noch 10500 Rtl. zu bezahlen sind. — Bis zum Jahre 1848 stand unser kirchliches Leben in der höchsten Blüthe, wozu schon unsere früheren, noch in gesegnetem Andenken fortlebenden unser kirchliches Geistlichen, zumal der Archidiaconus M.Morgenstern und der Diaconus Meusel sehr viel beytrugen. Ganz besonders brach aber eine neue herrliche aera an, als nach dem Tode des sehr schwach und dürftig begabten Superintendent Rudel der Superintendent und Oberpfarrer Foerster von Lützen in gleicher Eigenschaft hierher versetzt wurde(vid.pag.590). Die Vormittags-Gottesdienste waren nun überfüllt, aus der Nähe und Ferne kamen oft Fremde hierher, um diesen ausgezeichneten Kanzelredner zu hören; der Cymbel in der Frühkirche brachte jährlich 90 bis 100 Rtl. und darüber ein. Als im Jahre 1845 in der evangelischen Kirche die Bewegungen, veranlaßte durch die bekannten Versammlungen an der Pfingstmittwoch zu Cöthen und gehalten von Geistlichen der extremsten Richtung, wie Uhlich in Magdeburg, Wislicenus in Halle u.a.in der Gestalt der sogenannten freien Gemeinden auftraten; als ferner um dieselbe Zeit auch in der katholischen Kirche der Drang nach zeitgemäßen Reformen sich zeigte und Männer, wie Czersky in Schneidemühl und Ronge in Oberschlesien mit dem Papste brachen und von demselben ganz unabhängige Gemeinden bildeten, da wirkte Foerster besonders in seinen Predigten durch weise Belehrung und Warnung vor Ausschreitungen und kühnem Verneinen der freien Gemeinden kräftig, konnte es aber doch nicht verhüten, daß im hiesigem Orte eine kleine freie Gemeinde entstand, weil der damalige Diaconus Baltzer den Ansichten und Grundsätzen der freien Gemeinden huldigte, sein Amt am Ißten Januar 1847 hier niederlegte, und als Prediger zur freien Gemeinde in Nordhausen übertrat. (Vid.pag 120). Die hiesige derartige Gemeinde war vom Anfang an nicht lebensfähig, verlief sich bald im Sande, weil auch unlautere Elemente unter derselben waren, und wurde wegen des begründeten Verdachts der Verfolgung demokratischer Tendenzen und Zwecke von der Königl. Regierung zu Merseburg im April 1852 aufgelöst. (Vid.pag 168). Weiter ist unter den ferneren Störungen des kirchlichen Lebens und Friedens zu erwähnen die im Jahre 1851 beabsichtigte und vom Superintendent Foerster empfohlene neue Kirchenverfaßung, welche vom Magistrat als Patron so wie von der ganzen Gemeinde wegen eines einzigen Paragraphen, die Controle des Kirchenbesuchs und des Genußes des Abendmahls betreffend, nicht anerkannt und entschieden mit Recht abgelehnt wurde; (Vid.pag 152 und 157). Die Gemeinde war empört über diesen Paragraphen, weil offenbar hierarchische Tendenzen des evangelischen Kirchenrathes und des Consistoriums in demselben enthalten waren; es erschienen deßhalb auch vier volle Wochen lang im hiesigen Nachrichtsblatte verschiedene, zum Theil sehr heftige und scharfe Aufsätze sowohl vom Superintendent, als auch vom Magistrat und einigen Gelehrten, der Dr.Pfotenhauer und den Rechtsanwälten Hasset und Weise; die Sache blieb liegen. Ein ähnlicher Vorfall, welcher auch eine Zeitlang auf das kirchliche Leben störend einwirkte, war der zu Michäelis 1852 vom Superintendent Foerster lediglich auf den Vorschlag des Archidiaconus Heineken, welcher diese Neuerung von dem ebenso, wie der Eisenacher, verhaßten Berner Kirchentag im September mitgebracht hatte, ohne vorherige Anfragen bey der Kirchengemeinde angeordnete Wegfall der Choralzwischenspiele, wodurch der Choralgesang schrecklich verdorben und verstümmelt wird. Die darüber sehr erbitterte Bürgerschaft ersuchte mich diese Sache in die Hand zu nehmen und auszufechten, was ich auch mit glücklichem Erfolge that.(Vid. Pag.191, 193 u.194). Der Superintendent Foerster war übrigens in diesen beyden eben mitgetheilten Fällen so einsichtsvoll und gerecht zu rechter Zeit nachzugeben und dadurch seine Uebereilung zu bekennen, was ihm zur Ehre gereicht. Ein anderes durch böses Beyspiel das kirchliche Leben schädigendes Ereigniß ward unerwartet im October 1851 hier bekannt. Der oben erwähnte Archidiaconus Heineken hatte in einer bey dem Kreisgericht zu Erfurt gegen seinen des Amts verlustig gegangen Vorgänger Diaconus Schreiber in Thamsbrück anhängigen Untersuchung an den Staatsanwalt zu Erfurt einen Brief geschrieben, in welchen er den Schreiber als den schwersten Verbrecher mit den Worten brandmarkt „er habe eine schauerliche Vergangenheit hinter sich." Der Staatsanwalt benutzt natürlich dieses Zeugniß gegen den Angeklagten, welcher daßelbe aber für eine Verläumdung erklärt, und den Archidiaconus Heineken in einem an ihn gereichten gedrucktem offnem Sendschreiben öffentlich als einen Verleumder prostituirt, und ihn erklärt, daß er wegen eines so argen Verstoßes gegen das achte Gebot sein geistliches Amt niederlegen müßte. Zugleich setzt Schreiber ihm klar auseinander, daß er Verbrechen, die in den Worten „schauerliche Vergan- genheit" liegen, als da sind die gröbsten, Diebstahl, Raub, Mord und Brandstiftung niemals begangen habe; zugleich bedrohte er ihn mit Klage. Ob es dazu noch gekommen ist, oder diese Sache später gütlich abgemacht worden ist, darüber hat man keine bestimmte Auskunft erhalten können. Uebrigens wurde diese unerquickliche Angelegenheit damals auch im Nachrichtsbaltte lebhaft und frei besprochen

Bis zu des Superintendent Foersters Abgange war die Frühkirche noch immer fleißig besucht; er übte durch seine bis an das Ende gediegenen, streng logisch geordneten und durchdachten Predigten, so wie durch seine imponirende Persönlichkeit und exemplarischen Lebenswandel eine große Anziehungskraft auf die Gemeindeglieder aus. Nach seinen am Sten September 1856 erfolgten Scheiden von uns (vid.pag 263 u.264) ward zu seinem Nachfolger der Superintendent und Oberpfarrer Oscar Weinrich aus Lützen, ein strenger Orthodox vom reinsten Waßer, vom Consistorii bestimmt, welcher am 22ten März, dem Sonntag Caetare 1857(ein greller Widerspruch auf seine nachherige Wirksamkeit) sein Amt antrat. Mit dem Antritt dieses Mannes zog ein finsterer Geist in dieses Haus ein, und er begann nun nach vorher von ihm mit Beyhülfe vier anderer exklusiv streng orthodoxer Geistlichen erfolgter Fabrikation dieses verhaßten Anfangs, die zwangsweise Einführung deßelben vom ersten Advent 1858 an, wodurch unser kirchliches Leben dermaßen zerstört wurde, daß es seitdem bis jetzt noch an einem langen Siechthum, wie ein Schwindsüchtiger leidet. Über den furchtbaren, gleich nachher heftig entbrannten vierjährigen Kampf verweise ich den Leser auf die gedrängte Mittheilung von pag 332 bis pag.347. Die Geistlichen Urheber dieses Unglücks sind längst fort, aber die traurigen Folgen ihrer hierarchischen Gelüste, leere Kirchen, sind geblieben. Superintendent Weinrich verließ uns am löten November 68(pag.416). Man hoffte nun auf beßere kirchliche Zustände, zumal da die Ankunft eines neuen Superintendent bevorstand; allein wie sehr sind wir getäuscht worden! Der vom Consistorio zum Nachfolger Weinrichs bestimmte bisherige Gesandtschafts-Prediger Carl Friedrich Wilhelm Leipoldt in Rom ist zwar, wie man hört, ein gelehrter Theolog, aber kein Kanzelredner und paßt nicht für unsere Gemeinde, von welcher er sich gleich von Anfang an als feiner Aristokrat ganz zurückgezogen und reservirt hält; dazu kommt noch, daß seine Vorträge breit und schwülstig sind und ihm auf der Kanzel die edle Gabe der allgemein verständlichen und alle Stände befriedigenden Popularität ganz fehlt, und daß derselbe auch wegen seines stets bedeckten, heiseren Stimmorgans, welches für unsere sehr große Stadtkirche viel zu schwach ist, von den meisten, besonders alten Personen, nicht verstanden wird, worüber man mit Recht allgemein klagt.(Vid.pag.518 u.519)Zum Unglück verlor unsere Kirche im September 1871 ihren ehrwürdigen Organisten und vortrefflichen Choralspieler Grellmann durch Versetzung in den Ruhestand wegen Altersschwäche, und am 28ten Mai 1873 den sehr tüchtigen Cantor und vorzüglichen Sänger Thierbach durch einen plötzlichen Tod (vid.pag.507,554); beyde sind uns nicht wieder ersetzt worden. An Grellmanns Stelle trat am lten April 1873 der bisherige Lehrer in Neuhaldensleben Max Schuhe, welcher aber schon am 23ten April 1874 nach Gera als Lehrer abgieng; im Anfang gab er sich Mühe beym Orgelspiel, die letzten Monate aber wurde er nachläßig, ließ die Zwischenspiele weg und jagte im Choral.(vid.pag.527). Nach seinem Abgange bot nun der Magistrat das Organistenamt dem Lehrer Jost an, der bereits seit 22 Jahren seinen entschiedenen Beruf zum Organisten in unserer Gottesackerkirche hinlänglich bewiesen hatte, aber leider! Jetzt wegen längerer Krankheit diesen Antrag ablehnen mußte. Hierauf bot der Magistrat das Organistenamt dem Lehrer Kimstedt an, der es annahm, aber auch die Zwischenspiele wegläßt und den Choral in dem jagendsten Tempo spielt, so daß die wenigsten mitsingen können, und man nur den kläglichen Gesang der Chorschüler grell durchstechen hört.(Vid.pag.191,193 u.194) Gute Zwischenspiel dürfen nur drei bis vier etwas gehaltene Accorde lang seyn, und müßen den Sinn der Verszeile und wo möglich des ganzen Liederverses ausdrücken; dies ist aber nur Sache denkender und phantasiereicher Organisten, deren es aber nicht viel giebt; die Gegner der Zwischenspiele können also entweder keine machen, und diese mögen sie aus Hentschels Choralbuche abspielen, oder sie wollen keine machen, um so bald wie möglich wieder nach Hause zu eilen.

Delitzsch hat seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts das seltene Glück gehabt eine Reihe sehr tüchtiger Organisten, Männer wie Vogel, Frießner, Riße, Zieger und Grellmann, zu besitzen. Was nun die Besetzung der Cantorstelle betrifft, so hat auch über dieser, wie über jener ein wahrer Unstern gewaltet; nachdem vom Magistrat der vorzüglichste unter den Bewerbern, ein gewißer Zander aus Berlin, zum Cantor erwählt war, derselbe auch die Stelle angenommen hatte, fiel es diesem Manne ein, dieselbe dem Magistrat zum großem Verdruß des Patrons noch vor seinem Antritte wieder aufzukündigen, mußte aber auch dafür von Rechtswegen die Besetzungskosten wieder erstatten. Hierauf wurde vom Magistrat der bisherige Lehrer Haupt in Bromberg zum Cantor erwählt (vid.pag.575) es ist sehr zu bedauern, daß dieser Mann kein exacter Sänger ist, und kein schönes Stimmorgan besitzt, und in dieser Hinsicht den beyden Vorgängern Golz und Thierbach bedeutend nachsteht; eine am Erndtefest 1874 von ihm gesungene Arie hat dies hinlänglich bewiesen; er fängt auch keinen Liedervers und keine Abtheilung der Liturgie an, und der Organist, mit dem er einig ist, muß deßhalb in diesen Fällen, was hier niemals üblig gewesen ist, sogleich mit dem vollem Werke einsetzen, um zugleich auch den nicht erbaulichen Gesang der Chorschüler zu verdecken; unser Kirchengesang ist so tief auf Null herab gesunken. Faßt man nun die hier wahrheitsgetreu mitgetheilten, seit 30 Jahrer nach und nach entstandenen Uebelstände und Ursachen unter einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte zusammen, so darf man sich wahrlich nicht wundern, daß das Resultat ein so nieder- schlagendes ist, nämlich eine durch alle Stände verbreitete Gleichgültigkeit gegen das Christenthum und die Kirche, so wie eine Störung des kirchlichen Lebens und Friedens und ein tiefer Verfall der Sittlichkeit, zumal in unserm Zeitalter, deßen Grundcharacter der grobe Materialismus, Vergnügungs- sucht und Jagen nach schnellen Reichthum, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht ist. Gott helfe, daß es bald beßer wird!

Am Schluße dieses Bandes der Delitzscher Stadt-Chronik ist es Pflicht noch besonders einiger hervor ragender Männer zu gedenken, welche als Eingeborne unserer Stadt in ihren verschiedenen auswärtigen Aemtern und Berufskreisen sich ausgezeichnet haben, und deßhalb ihrer Vaterstadt zur wahren Ehre und Zierde gereichen. Unter denselben steht oben an: der bereits vor 17 Jahren zur Ruhe eingegangene Dr.Theol. Christian Friedrich Gottfried Teuscher in Mellingen, über deßen Thaten, und segensreiches Leben und Wirken als Geheimer Kirchenrath, Ephorus und vorzüglicher Kanzelredner ich auf den trefflichen, vom Herrn Pastor Kamprath in Olbersleben verfaßten, und in dem hier beyliegendem Weimarschen Kirchen-und Schulblatt, 10 Heft 1865, abgedruckten Bericht, hiermit verweise. Der Verfaßer dieser Zeilen hafte das Glück den Superintendent Teuscher im Sommer des Jahres 1828 in unserer Stadtkirche einmal früh predigen zu hören, und kann nur das Urtheil fallen, daß derselbe mit unserm unvergeßlichem Superintendent Foerster die größte Aehnlichkeit hat, und diesem völlig gleich und ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann. Der zweyte der ehrenwerthen Männer ist der Mechanikus und Opticus Emil Stoehrer in Leipzig; derselbe wurde geboren in Delitzsch im Sommer des Kriegsjahres 1813; sein Vater Dr. med.Stoehrer war hier ein sehr geschätzter praktischer Arzt und vorzüglicher Geburtshelfer, starb aber leider, erst 46 Jahre alt, kurz vor Ende des Jahres 1813 an dem Kriegstyphus. Die Wittwe heirathete später den Steuerrevisor, nachherigen Kreissteuereinnehmer Voigt, an welchen der Knabe einen guten Stiefvater erhielt. Nachdem derselbe vom fünften Jahre an die Stadtschule besucht, auch Privat-Unterricht genoßen hatte, wurde er zu Ostern 1827 auf die Fürstenschule nach Pforte gebracht; weil ihm aber die gelehrten Studien nicht zusagten, so verließ er die Schulpforte schon zu Ostern 1828 wieder, und folgte seiner Neigung zum Mechanikus, wozu derselbe schon frühzeitig entschiedene Anlagen zeigte. Zu diesem Zwecke brachte ihn nun sein Stiefvater nach Leipzig zum Mechanicus und Opticus Wiessner in die Lehre, deßen Zufriedenheit er sich bald erwarb. Nach beendigter Lehrzeit besuchte er von 1833 an auswärtige derartige große Fabriken, war besonders lagere Zeit in Hamburg in Condition, und kehrte 1840 zu seinem alten braven Lehrherrn nach Leipzig zurück. Hier verheirathete er sich etwas später mit einer Tochter deßelben und übernahm nachher, da er von seinen Aeltern ein bedeutendes Vermögen geerbt hatte, das Fabrikgeschäft seines nunmehrigen Schwiegervaters Wiessner. Als ein sehr geschickter Mann in seinem Fache bald erkannt stieg Stoehrers Ruf nun von Jahr zu Jahr; von der Königl. Sächsischen Landesregierung wurde derselbe in den sechziger Jahren mit der Einrichtung von Telegraphenlinien an Eisenbahnen beauftragt, weshalb er sich damals längere Zeit in Dresden aufhielt, und auch nach vollführtem Auftrage daselbst blieb, wo er jetzt noch lebt und thätig wirkt. 1876. Der dritte jener achtungswerthen Männer ist der Königl. Preußische Oberrechnungsrath Carl Schoenbrodt in Potsdam; derselbe wurde den 3ten September 1795 in Delitzsch, wo sein Vater Webermeister war, geboren. Er besuchte die Stadtschule und kam zu Ostern 1809 in die Expedition des im Sommer 1813 verstorbenen Bürgermeisters und Patrimonialrichters Schulze. Im Jahre 1815 trat er als ein bereits recht brauchbarer Kanzlist bey der Regierung in Merseburg ein, von wo derselbe als Diätar wegen seiner Tüchtigkeit 1820 in das Büreau des Provinzial-Steuer-Directors Sack nach Magdeburg versetzt wurde. Von hier erfolgte 1825 seine Beförderung als Rechnungsrath an die Oberrechnungskammer in Potsdam, wo sein hoher Gönner der Finanzminister von Ladenberg ihn besonders schätzte und begünstigte, und seine Ernennung zum Oberrechnungsrath bewirkte. Sein Gehalt stieg daselbst von anfänglich 1000 Rtl. bis auf 1500 Rtl. nach und nach; bey seiner Versetzung in den Ruhestand erhielt er eine jährliche Pension von 800 Rtl. vom Jahre 1855 an. Er ist auch Verfaßer einer Sammlung K.Preuß.Finanz-Zoll-und Steuer-Gesetze, die zu Potsdam 1836 und 1838 erschienen ist.