Handschriftliche Chronik von 1816-1952 - 1903-1905

Beitragsseiten

1903

5. Januar
Heute mittag 1 Uhr brach in der Schokoladenfabrik von Gebr. Böhme Feuer aus, welches einen Teil des Fabrikgebäudes zerstörte, so daß der Betrieb teilweise ruhen muß. Der an den Vorräten angerichtete Schaden ist ziemlich bedeutend, doch ist alles versichert. Der Betrieb, welcher seit dem Weihnachts-Heiligabend geruht hatte, war erst heute morgen wieder eröffnet worden.

6. Januar
Die Einwohnerzahl unserer Stadt betrug am Anfang des Jahres 10948.

14. Februar
Der Königliche Bauinspektor Baurat Elkisch ist zum 1. März von hier nach Rixdorf versetzt worden.

4. März
Die Einwohnerzahl der Stadt steigt weiter, sie hat die 11000 überschritten. Am 1. März betrug die Einwohnerzahl 11089.

6. März
Seilermeister Dietze beabsichtigt sein am Roßplatz gelegenes Haus niederzureißen und einen Neubau aufzuführen. Er bittet die Stadt um Festlegung der Fluchtlinie in der Kohlstraße, wo 22,65 Quadratmeter abzutreten sind, während auf der Promenadenseite – die Fluchtlinie nach dem Kreutzer'schen Grundstück gerechnet – 39,75 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Dietze würde also 17 Quadratmeter von der Stadt zu erwerben haben. In der heutigen Sitzung hat der Magistrat den Preis für den Quadratmeter auf 10 Mark festgesetzt. Tischlermeister Brettschneider und Glasermeister Scheibe beabsichtigen an Stelle ihrer alten Grundstücke auf der Eilenburger Straße Neubauten aufzuführen. Die vom Krausch'schen Grundstück nach dem "Eisernen Kreuz" laufende Fluchtlinie ergibt, daß beide Häuser herausrücken müssen, wozu Brettschneider 9, Scheibe 19 ½ Quadratmeter von der Stadt zu erwerben haben, für welche der Magistrat ebenfalls 10 Mark festsetzt.

12. März
Der heute nachmittag erfolgten Beerdigung des in unserer Stadt allgemein beliebten Leiters der hiesigen Strafanstalt, von Unruh, wohnten Regierungs-Präsident Freiherr von der Recke, Oberregierungsrat von Terpitz, Landrat von Busse, die städtischen Behörden u.a. bei.

24. März
Heute morgen wurde der Fuhrherr Körsten, welcher einen Transport Marktkisten für den Bitterfelder Jahrmarkt übernommen hatte, am Holzweißiger Bahnübergang überfahren und sofort getötet. Körsten stieg am Bahnübergang ab, um die Pferde wegen eines in Sicht sich befindenden Zuges zu halten. Beim Aufsteigen stürzte er und ging das Vorderrad des sich in Bewegung setzenden Wagens dem Unglücklichen über den Hals, seinen sofortigen Tod herbeiführend.

1. April
Dem Königlichen Rentmeister Rechnungsrat Heine zu Delitzsch ist die nachgesuchte Dienstentlassung mit dem 1. Juli d. J. unter Bewilligung der gesetzlichen Pension genehmigt worden. An seine Stelle tritt Rentmeister Schröder aus Kösten. Am Anfang dieses Jahres ist mit der Rohrnetzlegung der Wasserleitung begonnen worden. Nach einem Bericht des Ingenieurs Saalbach sind bis zum 4. April schon 9300 m Rohre und 1600 m Kabel gelegt worden. Sämtliche Klempnermeister der Stadt haben vollauf zu tun, um die Wasserleitung in die Haushaltungen zu bringen. Die Leitung soll am 1. Oktober dem Betriebe übergeben werden. Der Konsumverein für Delitzsch und Umgegend wird gegründet. Rektor Paul Eichler, der aus Pommern kommt, wird nach Delitzsch berufen und am 1. April durch Kreisschulinspektor Sup. Schäfer in sein Amt als Töchterschulrektor eingeführt.

2. April
Bei dem zur Erlangung von Entwürfen für die Anlage eines Stadtparkes in Plauen i.V. von der dortigen Stadtverwaltung veranstalteten Wettbewerb erhielt Gartenarchitekt Walter Pönicke von hier für Einsendung des drittbesten Entwurfes den Preis von 300 Mark zuerkannt.

7. April
Das den Sirmann'schen Erben gehörige Haus auf dem Marktplatze ist zum Preise von 32000 Mark in den Besitz des Apothekers Freyberg übergegangen.

4. Mai
Der Regierungspräsident hat den neu hierher berufenen Königlichen Kreisbauinspektor Baurat Engelhart als Sachverständigen, welcher zur Ausstellung von Bescheinigungen über die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt ist, anerkannt.

30. Juni
Die am 16. Juni stattgefundene Neuwahl eines Reichstagsabgeordneten für den Wahlkreis Delitzsch-Bitterfeld hatte folgendes Resultat. Es haben Stimmen erhalten:

1. Grubenbesitzer Bauernmeister, Deutsche Grube

9479 St.

2. Redakteur Weißmann zu Halle

10482 St.

3. Rechtsanwalt Martin zu Leipzig

5375 St.

4. Schriftsteller Joseph Chociszewski, Gnesen

79 St.

5. Justizrat Dr. Porsch zu Breslau

53 St.

6. Zersplittert

8 St.

zusammen

25476 St.


1. Grubenbesitzer Bauernmeister, Deutsche Grube                                                      9479 St.
2. Redakteur Weißmann zu Halle                                                                            10482 St.
3. Rechtsanwalt Martin zu Leipzig                                                                            5375 St.
4. Schriftsteller Joseph Chociszewski, Gnesen                                                               79 St.
5. Justizrat Dr. Porsch zu Breslau                                                                                53 St.
6. Zersplittert                                                                                                            8 St.
                                                                                                  zusammen:        25476 St.

Da kein Kandidat die absolute Majorität erlangt hatte, fand am Donnerstag den 25. Juni eine engere Wahl zwischen 1 und 2 statt. Das amtlich festgesetzte Resultat der Stichwahl bringt folgende Zahlen:

Bauermeister                                                  13199 Stimmen
Weißmann                                                      12100 Stimmen
Hiermit beträgt die absolute Majorität 12050, es hat also Bauermeister 549 Stimmen über die absolute Majorität erhalten.

18. Juli
Das "Delitzscher Kreisblatt" gibt folgendes bekannt:
Vor einigen Tagen erst waren wir in der glücklichen Lage, unseren Lesern Mitteilung von der Hierherverlegung einer Eisenbahnwerkstätte machen zu können, und heute schon können wir über einen weiteren für unser städtisches Gemeinwesen nicht unwesentlichen Erfolg berichten. Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, ist es gelungen, für die Gründung einer "Landwirtschaftlichen Schule" in unserer Stadt die Genehmigung des Herrn Ministers zu erlangen.

30. Juli
Dem Königlichen Kreisarzt Dr. Busolt ist der Charakter als Medizinalrat verliehen worden.

1. August
Die Pflasterung der Leipziger Straße von der Loberbrücke bis zur Gartenstraße und die Verbreiterung der Fahrbahn in der Pfortenstraße wird durchgeführt. Die Kleinbahn von Crensitz bis zum Gasthofe "Zur Tanne" soll bis zum Dorfe Groß-Krostitz fortgesetzt werden. Gegenüber dem Weber'schen Gasthof wird ein Bahnhof angelegt. Am heutigen Tage sind 25 Jahre verflossen, daß unser ältester Polizei Sergeant Kayser seine Stellung in hiesiger Stadt antrat. Bürgermeister Rampoldt beglückwünschte heute vormittag an der Spitze sämtlicher städtischen Beamten den Jubilar und überreichte ihm namens der Stadt ein Ehrengeschenk von 100 Mark. Die Beamtenschaft selbst überreichte dem allseits beliebten Jubilar eine goldene Kette.

17. August
Am gestrigen Sonntage feierte der Männer-Turn-Verein sein 40jähriges Stiftungsfest unter großer Beteiligung hiesiger und auswärtiger Turner und sonstiger Gäste. Ein Kommers eröffnete am Sonnabend Abend das Fest durch Festrede, einem turnerischen Festspiel und "Turnen am Reck". Am Sonntag, dem eigentlichen Festtage, begann reges turnerisches Treiben sich vom frühesten Morgen an in den Straßen der Stadt zu entfalten. Unter Trommel- und Pfeifenklang zogen die Turnerscharen in die mit Fahnen und Flaggen reichgeschmückte Feststadt ein, dem Festlokale, dem "Bürgergarten" zu und hier entwickelte sich nun ein heftiger Kampf um den Siegerpreis, den Kranz vom Laub der deutschen Eiche. Nach dem gemeinsamen Mittagessen setzte sich der Festzug durch die Hauptstraßen der Stadt in Bewegung. Im Festlokal angelangt führte zunächst der festgebende Verein seinen zahlreichen Gästen Stabübungen vor, dann wurde das Wetturnen fortgesetzt und nun entfaltete sich ein fröhliches turnerisches Leben und Treiben und die Verteilung der zahlreichen Preise. Ein Ball bildete den Schluß des Festes.

27. August
Der Bau unserer Wasserleitung, die ihrer Vollendung entgegengeht, hat bedauerlicherweise heute kurz vor Tisch noch ein Opfer gefordert. Es stürzte der Arbeiter Fischer vom Wasserturm herab, wobei er so schwere Verletzungen davontrug, daß er bald nach seiner Überführung ins Krankenhaus verschied. Seine Frau und zwei kleine Kinder beweinen ihren Ernährer.

22. September
In der geheimen Sitzung der Stadtverordneten am letzten Freitag wurde der Polizei-Sergeant Seidel auf Lebenszeit angestellt. – Ferner wählte die Versammlung in die stehende Wasserleitungs-Kommission die Herren Stadtrat Schulze und Stadtverordneten Beyer II, Dr. Kunze und Thalemann.

2. Oktober
Am 1. Oktober trat Lehrer und Kantor Haupt in den Ruhestand. Ihm zu Ehren fand heute im Anschluß an die Schule eine Abschiedsfeier aus dem Schul- und Kirchendienst statt. Daselbst hatten sich die Schüler der oberen, sowie Abordnungen der unteren Klassen der Knabenbürgerschule nebst dem Lehrerkollegium, Vertreter der Stadt und Kirchenbehörde versammelt. Rektor Wiener feierte den Scheidenden als vortrefflichen Kollegen und tüchtigen Lehrer. Ein erschienener Vertreter der Regierung verlas ein Anerkennungsschreiben der Regierung und überreichte dem aus dem Dienste Tretenden den verliehenen Orden den Adler der Inhaber.

26. Oktober
Der bis vor kurzem als Rektor an der hiesigen höheren und der Bürger-Mädchenschule angestellt gewesene Dr. Wegner ist als ordentlicher Seminarlehrer am Schullehrerseminar zu Frankenberg angestellt worden.

10. November
Die Bankfirma Paul Schauseil u. Co. hat das bisher dem Mühlenbesitzer Louis Dittmar gehörige an der Breitenstraße hierselbst gelegene Hausgrundstück angekauft um nach vorzunehmenden Umbau ihre Geschäftslokalitäten hinein zu verlegen.

11. November
Bei der Wahl der Stadtverordneten am gestrigen Tage wurden gewählt Kaufmann Bruno Schaaf, Zigarrenfabrikant Max Schimpf und Kreistierarzt Liebener.

24. November
Ein furchtbares Unwetter hat unsere Stadt und Umgegend heimgesucht. Nachdem am Sonnabend den 21. d. Mts. nachmittags in der sechsten Stunde mehrfach das Aufleuchten von Blitzen und entferntes Donnergrollen beobachtet worden war, brach nachts gegen 10 Uhr ein entsetzlicher Orkan los, welcher das Passieren der Straßen der Stadt zu einem lebensgefährlichen Unternehmen machte. Der Schaden in der Stadt beläuft sich in der Hauptsache auf einen eingedrückten Giebel an einem Neubau, demolierte Dächer, umgeworfene Schornsteine und Stacketpfeiler, Eindrücken von Fensterscheiben und Herausreißen ganzer Fenster mitsamt dem Rahmen. Die Schiefer vom Dach der Stadtkirche wurden vom Sturme mit fortgetragen und haben vielfach Verheerungen angerichtet. Bäume, welche in Folge ihrer Entlaubung dem Sturm wenig Widerstand boten, sind so gut wie gar nicht beschädigt. Entsetzlich dagegen hat der Sturm den Windmühlen in der Umgegend und vielleicht auch in weiterer Entfernung mitgespielt. Nicht weniger wie 8 vom Orkan umgestürzte Windmühlen konnten bisher festgestellt werden.

28. Dezember
Das Delitzscher Kreisblatt gibt bekann, daß in seinem Verlage die "Chronik von Delitzsch", das Werk jahrelangen Fleißes unsers verehrten Mitbürgers, des Lehrers und Kantors Oskar Reime erschienen ist. Es wird in zwangloser Folge, mindestens aber wöchentlich 4 Seiten, dem Kreisblatt beigelegt werden.


1904

1. Januar
Die Einwohnerzahl der Stadt betrug am 1. Januar 11050 Personen.

20. Januar
Der Staatshaushaltplan für 1904 weist im Eisenbahnetat die Summe von 41000 Mark zur Erbauung einer Wasserstation und eines Lokomotivschuppens auf dem hiesigen Bahnhof auf.

21. Januar
Gestern nachmittag verunglückte auf dem Bahnstrange in der Nähe des Wasserturmes der 19jährige Streckenarbeiter Fritz Scharf von hier beim Aufspringen auf den schon im Gange befindlichen Güterzug. Er glitt aus und kam unter die Räder, wobei ihm die Beine abgefahren und der Kopf gespalten wurde, so daß der Tod sofort erfolgte.

2. Februar
Die Weltausstellung in St. Louis wird auch von der bekannten, seit beinahe 50 Jahren hier bestehenden Verlagshandlung von Reinhold Pabst mit bei ihr erschienenen Lehrbüchern, beschickt werden, nachdem sie hierzu von dem deutschen Ausstellungs-Kommissar aufgefordert worden ist.

26. März
Gestern abend fand im Saale des Hotels "zum Ring" die Schlußfeier der hiesigen gewerblichen Fortbildungsschule, verbunden mit einer Ausstellung der Schülerhefte und Zeichnungen statt. Der Leiter der Fortbildungsschule Rektor Wiener begrüßte die anwesenden Meister und Freunde der Fortbildungsschule und gab einen eingehenden Tätigkeitsbericht. Lehrer Schräpler hat im vergangenen Schuljahre neben seiner Schulzeit 4 Wochen in der Fortbildungsschule zu Leipzig hospitiert; Lehrer Scharruhn hat einen sechswöchigen Zeichenkursus für Fortbildungsschullehrer in Erfurt besucht. Einige Schüler erhielten Auszeichnungen in Gestalt von guten Büchern (Naumann, Buchbindermeister Krause, Bettzieche, Glasermeister Lampe, Seyffarth, Tischlermeister Vonhoff, Pöschel, Gärtnereibesitzer Geidel, Parade, Schuhmachermeister Exner und Tapezierer Scheffler. Am 15. März wird die Weiterführung der Neuen Straße durch Einbeziehung der zweiten Scheunengasse beschlossen. Am gleichen Tage erhält die quer von der Eilenburger Straße nach den beiden Scheunengassen führende Straße den Namen Poststraße.

31. März
Kürschnermeister Schreiter hat sein Hallesche Str. Nr. 2 belegenes Hausgrundstück an Kaufmann Leopold Schlesinger von Merseburg verkauft.

18. April
Angestellt sind als Postpraktikant der Postpraktikant Kümmel aus Hamburg in Delitzsch, als Telegraphenassistent der Postassistent Blume in Delitzsch.

20. April
Ein Eisenbahnunfall, der entsetzliche Folgen haben konnte, wenn nicht eine gütige Vorsehung ihre Hand schützend über die Beteiligten gehalten hätte, ereignete sich heute vormittag am Bahnübergang bei Zschepen. Ein von hier nach Leipzig fahrender Zug erwischte ein Ochsengeschirr vom Zschepener Rittergute an der Wagenstange und schleifte dasselbe ca. 10 m weit mit fort, worauf die Wagenstange brach und die Gefahr für Mensch und Tiere beseitigt war. Dadurch, daß die Ochsen mit Gewalt zurückdrängten, waren zum Glück die Stangenketten gerissen und dies war wohl der Grund, daß die Karambolage für die Beteiligten so glücklich ablief und der Geschirrführer wie die auf dem Wagen befindlichen Weiber und die Ochsen mit dem Schrecken davonkamen. Das Unglück konnte nur dadurch geschehen, daß die Stangen nicht niedergelassen waren, immerhin ist auch der Geschirrführer nicht von aller Schuld freizusprechen; es ist manchmal geradezu unbegreiflich mit welcher Sorglosigkeit diese Leute die Bahngleise kreuzen. Bei nur einigermaßen Aufmerksamkeit konnte auf der hier schnurgeraden Strecke ein derartiger Fall überhaupt nicht vorkommen.

22. April
Am 6. April verstarb hierselbst der Ehrenbürger unserer Stadt Sanitätsrat Dr. Rudolf Laue. Der Magistrat widmet dem Verstorbenen folgenden Nachruf:
"Sanitätsrat Dr. Rudolf Laue hat in 36jähriger Tätigkeit als früherer Stadtverordneter bezw. Stadtverordneten-Vorsteher, sowie als Armen- und Krankenhausarzt, in letzterer Eigenschaft bis zu seinem Tode, die Interessen der Stadt in unermüdlicher und treuer Arbeit gefördert. In dankbarer Anerkennung dieser seiner langjährigen Tätigkeit betrauern wir in dem Verstorbenen eine um das Wohl und die Entwicklung unserer Stadt verdienstvolle Persönlichkeit, der wir jederzeit ein ehrenvolles Andenken bewahren werden." Der Nachruf der Ärzte in Delitzsch lautet: "Während seiner 48 Jahre langen erfolgreichen ärztlichen Tätigkeit ist er allen hiesigen Ärzten durch seinen reinen und offenen Charakter, seinen unermüdlichen Fleiß und Pflichttreue, seine Uneigennützigkeit, seine treue kollegiale Gesinnung ein leuchtendes Vorbild und auch ein väterlicher Freund gewesen. Wir werden ihn deshalb auch über das Grab hinaus ein treues und liebevolles Andenken bewahren." Auch in der heutigen Stadtverordnetensitzung wurden dem Verstorbenen vom Vorsteher Bauer ehrenvolle Worte nachgerufen. Der Wiesenweg vom Park und Kertitz, um dessen Ausgestaltung er sich besondere Verdienste erworben hatte, erhielt den Namen "Dr.-Laue-Weg". In der heutigen Stadtverordnetensitzung wurde auch die Zufüllung des kleinen Stadtgrabens beschlossen.

23. April
Am 11. April verstarb hierselbst der Kreissekretär a. D. Kanzleirat Franz Louis Julitz, der 34 Jahre hindurch in seltener Pflichttreue und Hingebung im hiesigen Kreisausschuß tätig war.

27. April
In Angelegenheit der Bahn Delitzsch-Schkeuditz fand im Ständehause eine Versammlung statt, an welcher Vertreter von Delitzsch, Schkeuditz und einer Anzahl am Bahnbau interessierter Dörfer teilnahmen. Man sprach sich dahin aus, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht zu gründen, und die auf 750000 Mark veranschlagten Kosten durch Anteilscheine zu beschaffen. Grund und Boden soll kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. In einem Schreiben des Ingenieurs Ballhorn betont derselbe die Notwendigkeit schleunigster Inangriffnahme des Bahnprojektes.

10. Mai
Bei der Zuverlässigkeitsfahrt Berlin-Leipzig-Berlin erreichte Herr A. Schröter jr. von hier das Endziel in Berlin als Sechster, von 19 dort überhaupt nur eingetroffenen Motorfahrern. Da Schröter erst im Laufe der Nacht nach Berlin gefahren war, legte derselbe die Strecke auf einer nur 2 ½ pferdigen Maschine in einem Tage 3 Mal zurück, gewiß eine ganz ausgezeichnete Leistung, da die Konkurrenz fast durchweg 3-3 ½ pferdige Maschinen benutzte.

5. Juli
Die Wiederwahl des Rentners Louis Spangenberg, des Apothekenbesitzers Freyberg und des Goldarbeiters Brembach zu unbesoldeten Stadträten der Stadt Delitzsch ist von der Regierung zu Merseburg bestätigt worden.

1. August
Heute feiern 2 Angehörige der Feuerwehr, Fabrikarbeiter Wilhelm Krüger und Zimmermann Robert Petzoldt das Jubiläum ihrer 40jährigen bezw. 25jährigen Mitgliedschaft.

13. August
Schon seit einiger Zeit macht sich innerhalb der Bürgerschaft ein starkes Verlangen nach Ausbau der Realschule zu einer Oberrealschule geltend. Drei Eingaben mit zusammen mehr als 400 Unterschriften gelangten seit April an die städtischen Körperschaften, die darauf in einer Stadtverordnetensitzung den einstimmigen Beschluß faßten, die nötigen Schritte zur Erfüllung dieses Wunsches zu tun.
Am 10. August war eine Deputation, bestehend aus den Herren Bürgermeister Rampoldt, Stadtrat Freyberg und Dr. med. Thieme nach Berlin gereist, um im Kultusministerium mit den in Frage kommenden Dezernenten persönlich Rücksprache zu nehmen. Die 2 ½ stündige Rücksprache hat zu dem Ergebnis geführt, daß das Kultusministerium der Umwandlung der Realschule in eine Oberrealschule wohlgesinnt gegenübersteht und daß diese Schule in der neuen Form am 1. April 1905 voraussichtlich beginnen kann.

15. August
Die seit Jahren geplante und nun höheren Orts erteilte Genehmigung zur Neukanalisation ist eingetroffen und ohne Aufschub soll nun darangegangen werden, die Kanalisation nach den Genzmer'schen Plänen in Ausführung zu bringen. Die Kläranlage der Kanalisation soll auf das Kirchenfeld an der Naundorfmühle kommen. Dieser der Kirchengemeinde gehörige Plan ist gegen städtisches Feld am Schenkenberg-Laueschen Wege ausgetauscht worden. Da das städtische Feld nicht so wertvoll ist wie das der Kirchengemeinde, so ist nach Abschätzung Sachverständiger der Kirchengemeinde noch ein baar von 800 Mark gezahlt worden. Die Arbeitsleistung wird der Firma Otto Maye und Co. übertragen.

1. September
Die Stettiner Schamottefabrik verkauft die hiesige Gasanstalt an die Thüringer Gasgesellschaft, deren Sitz in Leipzig ist. Die Käuferin tritt die Bewirtschaftung der Gasanstalt am 1. September an.

27. September
Ein hochverehrter Wohltäter unserer Stadt, der Rentner Anton Securius, welcher s. Z. zum Besten der hiesigen Kleinkinder-Bewahranstalt eine Stiftung von 8000,- Mark machte, ist am 22. September in Berlin verstorben. Magistrat und Stadtverordnete richteten an die Hinterbliebenen ein Kondolenz-Telegramm unter Überreichung einer wertvollen Kranzspende.

28. September
Der Pfarrer an der katholischen Kirche, Friedrich Helle, verläßt Delitzsch und Pfarrer Josef Stahl tritt an seine Stelle. Pfarrer Jentzsch wird als 3. Geistlicher an der evangelischen Kirche eingeführt.

9. November
Gestern überbrachte Bürgermeister Rampoldt der Zigarrenarbeiterin Frau Pauline Hofmann geborene Koßmann, welche ununterbrochen 40 Jahre in der Fabrik E. Eichler hier beschäftigt ist, die Glückwünsche des Regierungspräsidenten zu Merseburg unter Überreichung eines sehr ehrenvollen Anerkennungsschreibens. Von der Firma Eichler und ihren Mitarbeitern wurden der Jubilarin hübsche Geschenke überreicht.

28. November
Gestern feierte der frühere langjährige Stadtverordnete Rentner Fleischer seinen 80. Geburtstag. Die beiden städtischen Körperschaften brachten dem greisen, leider seit Jahren schon erblindeten Herrn die herzlichsten Glückwünsche dar, nachdem derselbe vorher durch eine erhebende Morgenmusik begrüßt war.

15. Dezember
Heute geht das Hotel "zum Goldenen Ring" in den Besitz des Herrn Kummer (jetzt in "Stadt Berlin") über. Herr Rühlmann, seither Oberkellner in " Stadt Leipzig" übernimmt heute den Gasthof "zur Stadt Berlin".


1905

10. Januar
Am vergangenen Sonnabend den 7. d. Mts. fand die 50jährige Jubiläumsfeier für das Personal der hiesigen Zigarrenfabrik von Karl Friedrich Weber jun. im Etablissement "Stadt Leipzig" statt. Zu derselben hatten sich der Sohn des Begründers der Firma Karl Friedrich Weber jun., sowie auch einige andere bei der Firma tätige Herren aus Leipzig eingefunden. Was an diesem Abend geboten wurde, zeigte das treffliche Einvernehmen zwischen der Leitung der Firma und dem Personal.

31. Januar
Ende Januar beträgt die Einwohnerzahl unserer Stadt 11035. Die gestern nach Berlin gereisten Herren vom Magistrat haben bezüglich der Errichtung der landwirtschaftlichen Schule hierselbst leider die Nachricht nach Hause gebracht, daß Delitzsch dieses Mal mit der Schule nicht bedacht werden kann, da der Minister bereits im Mai v. J. entschieden habe, daß die Schule nach Salzwedel komme. Doch in 3 bis 4 Jahren soll eine zweite Schule in der Provinz Sachsen errichtet werden, und diese soll dann nach Delitzsch kommen.

4. Februar
In der gestrigen Stadtverordnetensitzung teilte Bürgermeister Rampoldt der Versammlung mit, daß die Eisenbahnwerkstätte bestimmt nach Delitzsch komme. In diesen Tagen sei bereits der Ankauf des betr. Geländes und der Grundstücke erfolgt. Doch soll mit dem Bau erst in 2 bis 3 Jahren begonnen werden.

12. Februar
Bei den Ausschachtungsarbeiten am Lober vor der Naundorfer Mühlen fanden Arbeiter ein noch gut erhaltenes Geweih, das ziemlich tief im Kies steckte. Vorgefundene Tonscherben lassen auf Vorhandensein von Urnen schließen. Die Fundstücke wurden dem hiesigen Museum übergeben.

7. März
Bäckermeister Hermann Hoffmann hat sein Grundstück mit Bäckerei, Ecke Schulze-Delitzsch- und Sekuriusstraße, an Bäckermeister Leuthold aus Leipzig verkauft.

10. März
Zur Pflege und Beaufsichtigung der seit Errichtung des neuen Friedhofs mehrfach erweiterten städtischen Anlagen wird ein besonderer Stadtgärtner angestellt und zwar in der Person des Gärtners Artur Kampf. Durch Dr. med. Herold wird die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz begründet, dessen Vorsitzender zunächst 1. Bürgermeister Rampoldt wird, während das Schriftführeramt Seminarlehrer Etzold übernimmt.

23. März
Das 25jährige Jubiläum als Bezirkshebamme begeht am heutigen Tag Frau Krausch. Sie hat in diesen Jahren bei ca. 2000 Geburten Hilfe geleistet.

27. März
Die Buchdruckerei der "Delitzscher Zeitung" befindet sich ab heute im eigenen neuerbauten Grundstück Ecke Promenade 14 und Karlstraße 2 (zwischen Roßplatz und Oberrealschule).

30. März
Die viel von hier aus besuchte Gastwirtschaft "Froschmühle" im nahen Kertitz ist von der jetzigen Besitzerin Frau verw. Apitzsch an Gutsbesitzer Richard Pönicke daselbst verkauft worden.

5. April
Eine Steinkugel ist heute bei den Kanalisationsarbeiten im Stadtgraben gefunden worden. Jedenfalls rührt sie von einer Beschießung der Stadt in grauer Vorzeit her und dürfte somit manches Jahrhundert im Bett des Stadtgrabens geruht haben.

27. April
Mit dem neuen Schuljahr ist ein Wendepunkt in der Entwicklung unserer Oberrealschule eingetreten. Die Schülerzahl beträgt insgesamt 180. Hiervon gehören der neu errichteten Obersekunda 20, der Untersekunda 28, der Obertertia 15, der Untertertia 21, der Quarta 28, der Quinta 35 und der Sexta 33 Schüler an. Aus Anlaß des Ausbaus der Realschule in eine Vollanstalt hat Kreisausschußsekretär Gundermann der Schule eine Schillerbüste geschenkt. In das Lehrerkollegium der Schule ist mit Beginn des neuen Schuljahres Dr. phil. Votsch aus Magdeburg als wissenschaftlicher Hilfslehrer eingetreten.

28. April
Die Stadtverordnetenversammlung beschloß, an dem Durchbruch der Münze über den Stadtgraben eine eiserne Fußgängerbrücke von 15-18 m Spannweite durch die Firma Maye u. Co. Dessau, zu dem mit dieser Firma ausbedungenen Preis von 6650 Mark errichten zu lassen. Der Bau macht sich notwendig, um die Teilung des Stadtgrabens durch einen Damm zu verhindern, der nach ursprünglichem Plane der Kanalisation wegen ausgeführt werden sollte. Wegen der bevorstehenden Feier des hundertsten Todesjahres des Dichters Schiller (9. Mai) wird der Brücke von vornherein der Name "Schillerbrücke" zugedacht und beigelegt.

9. Mai
Auch in unserer Stadt hat man den Tag, an welchem vor 100 Jahren Deutschlands Lieblings Dichter Friedrich von Schiller aus dieser Welt abberufen wurde, nicht vorübergehen lassen wollen, ohne des großen Toten zu gedenken. So waren es vor allem die Schulen, die den denkwürdigen Tag in besonderer Weise begingen. Die Oberrealschule hatte die Feier bereits gestern Abend im Hotel zum Schwan unter reger Beteiligung der Eltern, Schüler und Freunde der Schule. In den Volksschulen fanden heute vormittag Gedenkfeiern statt. Die Bürger-Mädchenschule und die gehobene Mädchenschule versammelten sich zusammen in "Stadt Leipzig". Gemeinsamer Gesang Schillerscher Lieder wechselten mit Vorträgen Schillerscher Gedichte durch Schülerinnen der gehobenen Mädchenschule ab. Die Schillerfeier der Knaben-Bürgerschule fand in dem auf der Bühne mit den Büsten Schillers und Goethes geschmückten Saale des Schützenhauses statt. Im Seminar und der mit ihr verbundenen Präparandenanstalt wurde das Gedächtnis Schillers durch einen Festakt in der Aula der Anstalt gefeiert. Die Seminarschule hatte schon am gestrigen Tag ihre Feier abgehalten. Seitens der Herrn Minister waren der Anstalt eine Reihe von Schillerschriften gestiftet, die an besonders würdige Schüler des Seminars, der Präparandenanstalt und der Seminarschule zur Verteilung gelangten. Die Loge hielt bereits am Sonnabend abend eine größere Feier im Saal des Hotels "zum Schwan" ab. Am heutigen Abend veranstaltet auch der wissenschaftliche Verein in Gemeinschaft mit dem Musikverein eine Schillerfeier im Hotel "zum Schwan".

11. Mai
Die Schillerfeier, die der Delitzscher Lehrerverein am gestrigen Abend im "Schwan" beging, war keine schwächere und mattere Nachfeier, sondern vielmehr eine Steigerung und ein glänzender Abschluß der mannigfachen Würdigungen dieser Tage, und die Erwartung, die man hegte, war schon an der erdrückenden Fülle der Zuhörer, die der Saal kaum zu fassen vermochte, zu erkennen. Das überaus farbenreiche und abwechselnde Programm und die begeisterte und allgemein anklingende Ausführung desselben hat dieser Erwartung durchaus entsprochen und bei allen Anwesenden einen tiefen Eindruck hinterlassen.

31. Mai
Am Sonntag feierte der zum Sorbengau gehörende Turnverein "Jahn" sein 25jähriges Stiftungsfest mit der Weihung einer neuen Fahne. Eine große Anzahl von Mitgliedern der Brudervereine hatte sich zu diesem achten Turnfest eingefunden. Vertreten waren 28 Vereine mit 22 Fahnen.

1. Juni
Im Hotel zur Grünen Linde fanden sich gestern ca. 30 Herren zusammen, welche der Einladung eines vorbereitenden Komitees gefolgt waren, um einen Bürgerverein ins Leben zu rufen, der sich mit städtischen Angelegenheiten befassen soll. Glasermeister R. Scheibe eröffnete und leitete die Besprechung. Rechtsanwalt Dr. Schulze ergriff sodann das Wort und bezeichnete die Gründung eines derartigen Vereins für dringend nötig. Eine Kommune kann nur Vorteil davon haben, wenn die Bürgerschaft sich möglichst ausgiebig mit kommunalen Angelegenheiten befasse. Die blühendsten Städte erfreuten sich auch alle eines regen kommunalen Vereinsleben. Nach einer längeren Ansprache wurde die Begründung des allgemeinen Bürgervereins beschlossen. Alle Anwesenden traten dem neuen Verein bei.

8. Juli
Ein furchtbares Familiendrama trug sich heute in den ersten Nachmittagsstunden hier zu. Ein Familienvater, der seit Jahren an einer anscheinend unheilbaren Krankheit litt, der in der Neuen Straße wohnende bisher in der Schuhfabrik beschäftigt gewesene Schuhmacher Kalinowsky, ging heute nachmittag gegen ½ 2 Uhr aus seiner Wohnung fort und nahm seine Kinder, zwei Knaben im Alter von acht und zehn Jahren und zwei Mädchen im Alter von ein und elf Jahren, mit. Sein Ziel waren die Loberwiesen hinter der Sorauer Bahn. Hier an einer sehr tiefen Stelle des Lobers warf er die jammernden Kinder ins Wasser und sprang darauf selbst in dasselbe. Ein beherzter Knabe, der sich in der Nähe befand und die gellenden Schreie der Kinder hörte, rettete das einjährige Mädchen, das sich in der Nähe des Ufers befand. Dem 11jährigen Mädchen war es gelungen, sich am Strauchwerk festzuhalten und sich wieder aufs Trockene zu bringen. Der Vater und die beiden Knaben konnten nur als Leichen geborgen werden.

31. Juli
Der Turnverein "Frisch Auf" beging gestern sein 25jähriges Stiftungsfest durch eine größere Feier. Schon am Sonnabend wurde dieselbe eingeleitet durch einen Kommers, zu dem sich ca. 400 Personen, Turner und Freunde der Turnerei, eingefunden hatten. Der Festtag selbst, der Sonntag, wurde in den frühen Morgenstunden durch den Weckruf eingeleitet. Nachdem die auswärtigen und hiesigen Vereine als Gäste im Laufe des Vormittags sich eingefunden und begrüßt wurden begann das Wetturnen. Nach dem gemeinsamen Mittagsmahl und dem imposanten Umzug durch die Stadt wurde das Wettturnen fortgesetzt. Dem folgten Riegen- und Kürturnen. Bei Gartenkonzert, Feuerwerk und Ball amüsierte sich die festliche Gesellschaft. Der Turnverein "Frisch Auf" darf mit dem Verlauf seines 25jährigen Stiftungsfestes vollauf zufrieden sein.

1. August
In großer Feuergefahr befand sich heute ein Teil unserer Stadt, die verkehrsreiche Breitestraße. Im Hause der Löwenapotheke war heute mittag 12 Uhr wiederum, das dritte Mal in kurzer Zeit, Feuer ausgekommen, das aber diesmal sofort den ganzen Dachstuhl in Flammen setzte, gewaltige Rauchschwaden gen Himmel sendend. Die alarmierte städtische Feuerwehr war in wenigen Minuten zur Stelle und es gelang ihr, das Feuer auf seinen Herd zu beschränken und die stark gefährdeten Nachbarhäuser Kaufmann Friedrich und Hutmacher Ryssel zu retten. Der Dachstuhl brannte total nieder. Der Besitzer hat bedeutenden Schaden. Die Entstehungsursache des Feuers ist noch unbekannt.

18. August
Wegen ernster Differenzen ist der bisherige Leiter und Gesellschafter der Firma Ed. Poenicke und Co. G.m.b.H. Baumschulendirektor Poenicke sowie dessen Sohn, Gartenarchitekt Poenicke und Buchhalter Bär aus genannter Firma ausgeschieden. Die Herren beabsichtigen am hiesigen Platze ein neues Unternehmen von mindestens eben solchem Umfange wie das der alten Firma ins Leben zu rufen. Kapital und Gesellschaft sind bereits gesichert.

25. September
Den gestrigen Hauptgottesdienst hatte eine ungewöhnlich große Anzahl Gemeindemitglieder aus allen Gesellschaftskreisen jeden Alters und beider Geschlechter besucht, um der Abschiedspredigt unsers so beliebten Archidiakonus Kümmel, der als Prediger nach Quedlinburg berufen ist und im Laufe dieser Woche nach dort übersiedelt, anzuhören. Eine 15jährige segensreiche Tätigkeit hierselbst liegt hinter ihm. Sein Nachfolger als Archidiakonus wurde der bisherige Diakonus Kohlmann hierselbst, während zum Diakonus unserer Kirche nach abgehaltener Probepredigt Hilfsprediger Jentzsch aus Neinstedt einstimmig gewählt wurde.

25. September
Am Freitag den 22. September hielten die Turnlehrer der Provinz Sachsen in unserer Stadt eine Tagung ab. Nachmittags 4 Uhr wurden sie von Schulrat Bohnenstedt im Seminar begrüßt. Es fanden nun in allen hiesigen Schulen Turnvorführungen statt. Den Anfang machte die 1. Präparandenklasse unter Präparandenlehrer Ziegler. Es folgten dann die 1. Seminarklasse unter Seminarlehrer Etzoldt und Freiturnen aller drei Seminarklassen. Abends versammelten sich dann die Turnlehrer zu einem Vortrag über das Turnwesen und anschließender Besprechung. Andern Tags, am Sonnabend begannen um 8 Uhr in der freundlichen und schön ausgestalteten Mädchenturnhalle turnerische Vorführung der Mädchen- und Töchterschule unter Frl. Döhlert und Scholl. Nach 9 begannen Übungen der Knabenschule auf dem Turnplatz der städtischen Turnhalle unter Lehrer Pannier. In der Oberrealschule führten Oberlehrer Seidel mit der Quarta zusammengestellte Ordnungs- und Freiübungen und Turnlehrer Reinboth schwierigere Übungen mit der Obertertia vor. Für die Teilnehmer der Tagung war um 2 Uhr nachmittags im Schwan ein Festessen. Der Nachmittag war den Spielen aller Schulen auf dem Schützenhofplatze gewidmet, zu dem sich Freunde des turnerischen Spiels zahlreich eingefunden hatten. Am Abend war vor zahlreich erschienenen Zuhörern in "Stadt Leipzig" ein vom Seminarchor ausgeführtes Konzert.

18. Oktober
Das Etablissement "Stadt Leipzig" hierselbst ist von dem Kaufmann Möbius aus Leipzig gekauft worden.

10. November
Heute weilten drei Herren von der Eisenbahndirektion Halle hier, um gemeinsam mit den Vertretern des Magistrats den entgültigen Entwurf des von der Bahnverwaltung mit der Stadt abzuschließenden Vertrages, in welchem die gegenseitigen Verpflichtungen, die sich aus der Errichtung der Eisenbahn-Werkstätten ergeben, vereinbart sind, festzusetzen.

18. November
Unserem berühmten Landsmann, dem Bildhauer Otto Richter in Berlin, ist von der Medaillenkommission für Preußen ein Ehrendiplom für seine Arbeiten auf der großen Berliner Kunstausstellung 1905 verliehen worden.

27. November
Gerichtsassessor Dr. Michaelis aus Aschersleben, ein Sohn des dortigen Oberbürgermeisters wird sich am 1. Januar als Rechtsanwalt hier niederlassen.

30. November
Die Gründung einer Baugenossenschaft steht hier bevor, welche sich mit der "Wohnungsfrage" beschäftigen wird, die durch den bedeutenden Zuwachs von Beamten und Arbeitern entstehen wird, wenn die hier errichtete Eisenbahn-Werkstätte ihre Arbeit beginnt.

2. Dezember
Eine erschütternde Nachricht durcheilte gestern unsere Stadt. Ein Delitzscher Kind, der 14jährige Kurt Olbrecht ist von hier weggelockt und in der Nähe von Bitterfeld beraubt und erschlagen wurden. Wie sich heute herausgestellt hat ist der Mörder, ein Delitzscher junger Mann und Freund des Ermordeten. Er hat den Knaben veranlaßt, seinem Vater Geld zu stehlen, was der Junge auch ausführte. Er bekam ca. 600,- Mark in seine Hände. Beide reisten zusammen bis Bitterfeld mit der Bahn und gingen dann zu Fuß weiter. An der Muldebrücke erschlug er den Knaben mit einem mitgeführten Beil, beraubte ihn des Geldes und warf den Leichnam in den Lober. Der Leichnam wurde gefunden, und bald kam man auf die Spur des Mörders. Er gestand alles, wurde verhaftet und nach Halle gebracht.

5. Dezember
An Stelle des zum Bürgermeister der Stadt Lübbecke (Westf.) gewählten 2. Bürgermeisters unserer Stadt Putz wurde der bisherige Bürgermeister der Stadt Hasselfelde (Braunschweig) Max Hagedorn zum 2. Bürgermeister unserer Stadt auf 12 Jahre gewählt und von der Regierung bestätigt worden.

22. Dezember
Die Firma Gebrüder Böhme hierselbst, unter welcher Albert Böhme vor ca. 10 Jahren eine Schokoladenfabrik begründete und zu einer außergewöhnlich raschen Entwicklung brachte, so daß sie heute zu den ersten und leistungsfähigsten dieses Faches zählt, ist jetzt in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt worden.

31. Dezember
Das Wetter des Jahres hatte sich im Sommer zur Erntezeit infolge sehr häufiger Gewitter ungünstig gestaltet. Die Einbringung der Ernte war dadurch erschwert, Roggen wuchs zum Teil aus.