Handschriftliche Chronik von 1816-1952 - 1910-1913

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1910

Zum Nachfolger des nach Charlottenburg verzogenen Steuerinspektors Loebell ist Kataster Kontrolleur Buck aus Katscher Bz. Oppeln ans hiesige Katasteramt versetzt worden.

10 Januar
Gestern fand im Hauptgottesdienst die Einführung des neugewählten Diakonus Pastor Ruhmer statt. Gleichzeitig hielt der Genannte seine Antrittspredigt. Die Einwohnerzahl betrug am 1. Januar 13408.

25. Januar
Amtsgerichtsrat Dr. Albanus verkaufte sein in der Gartenstraße belegenes Grundstück an Rittergutspächter Pfaff in Zschepen.

3. Februar
Im Januar hat die Einwohnerzahl unserer Stadt um mehr als 100 Personen zugenommen. Sie betrug am 31. Januar 13514.

11. März
Zur 100jährigen Wiederkehr des Todestages der Königin Luise veranstalteten die hiesigen Vereine gestern abend im Saale des "Schützenhauses" eine gemeinsame Gedächtnisfeier. Aus besonderen Gründen wurde die Feier nicht am eigentlichen Todestag, den 19. Juli, sondern schon am Geburtstag der Königin, 10. März, veranstaltet. Die Leitung lag in den Händen des Oberrealschullehrers Reinboth. Zum guten Gelingen der wahrhaft erhebenden Feier trugen nicht zum kleinsten Teile die herrlichen Gesänge der unter Leitung des Lehrers Müller vereinigten Gesangvereine Harmonie, Abendstern und Arion bei, die den Festvortrag umrahmten. Diesen hielt Lehrer Heinrich Lobenstein. Der zweite Teil des Programms brachte in der Hauptsache neben Konzertstücken zwei Lieder der Männerchöre und 47 meist recht gute Lichtbilder, zu denen Oberrealschullehrer Reinboth die Erklärungen gab und den verbindenden Text sprach. An verschiedenen Stellen waren passende und wohlgelungene Deklamationen von Schülerinnen und Gesängen des Schülerinnenchors der Bürgerschule unter Leitung des Lehrers Reime eingelegt, die die Zuhörer zu lautloser Stille fesselten. Erst nach 11 Uhr war die würdige Feier beendet, die wohl bei allen Teilnehmern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben wird.

12. März
Die Eisenbahndirektion Halle gibt vom 1. Mai ab eine Fahrplanveränderung auf der Strecke Leipzig-Delitzsch-Bitterfeld-Berlin bekannt. Darnach tritt für Delitzsch eine bedeutende Verschlechterung der Verbindung nach Berlin aber besonders nach Leipzig ein. Der Magistrat hat gegen diese Veränderung in Halle Protest beschlossen und die Bevölkerung nimmt durch Eintragung in Listen, die in allen öffentlichen Kassen und Bankgeschäften ausliegen durch Massenprotest an diesem Vorhaben teil. Seminarlehrer Witt hierselbst, der fast 17 Jahre an hiesiger Lehrerbildungsanstalt wirkt, ist auf seinen eigenen Wunsch zum 1. April d. J. an das neugegründete Seminar nach Eilenburg versetzt worden.

17. März
Auf den Protest der Stadt Delitzsch, wegen der geplanten schlechten Zugverbindung nach Berlin und Delitzsch (Leipzig d.A.), ist von der Eisenbahndirektion Antwort eingegangen. Darnach soll der Stadt weitgehenst entgegen gekommen werden.

18. März
Bei der am 15. März in Bitterfeld erfolgten Einweihung der neuen Stadtkirche sind auch einige Delitzscher aktiv beteiligt gewesen. Die Bauleitung lag in den Händen des hiesigen Kreisbauinspektors Gensel, der erste ausgeführte Bauentwurf zur Kirche wurde durch den leitenden Lokalbaubeamten Baurat Engehardt von hier aufgestellt und bei der Einweihung wurde die prächtige Orgel von Seminarmusiklehrer Emilius gespielt.

23. März
In Bitterfeld besteht schon seit längerer Zeit ein Verein für Luftschiffahrt "Bitterfeld und Umgegend", dem auch viele Mitglieder aus Delitzsch angehören. Infolge des weiteren Wachsen der Mitglieder von hier ist hierorts eine eigene Ortsgruppe gegründet worden, die aber dem Verein in Bitterfeld angegliedert bleibt. Infolge der Bemühungen der hiesigen Vereinsmitglieder und des einsichtsvollen Entgegenkommens des Vorstandes in Bitterfeld ist mit der überwältigenden Mehrheit von 55 gegen 22 Stimmen beschlossen, dem neuen jetzt ziemlich fertig hergestellten Ballon den Namen "Delitzsch" zu geben.

5. April
Heute vormittag erfolgte die Einweihung der neuen Schule in der Halleschen Vorstadt in feierlicher Weise. Der Magistrat, die Stadtverordneten, das Lehrerkollegium der Volksschulen, die am Bau beteiligten Handwerker und die Schüler hatten sich zur Feier eingefunden, die mit dem Choralgesang "Befiehl du deine Wege" eröffnet wurde. Ein Vertreter der Staatsregierung hatte nicht erscheinen können. Erster Bürgermeister Rampoldt ergriff zunächst das Wort und bezeichnete die neue Schule als ein Denkmal opferwilligen Bürgersinns und gesunder Fortentwicklung unserer Stadt. Am Schluß seiner Rede übergab der Bürgermeister den Schlüssel zur Schule dem Vertreter der Staatsregierung Kreisschulinspektor Superintendent Schäfer. Dieser empfiehlt das Schulhaus im Gebete Gott und übergibt in diesem Geiste den Schlüssel an Rektor Wiener. Den Schlüssel erhält der Vertreter des Rektors Hauptlehrer Pannier, seine beiden Kollegen sind die am 1. April in den städtischen Schuldienst getretenen Meergarten und Miller. Stadtbaumeister Kessel dankte für die ihn vom Magistrat gezollte Anerkennung und mit dem Choralgesang "Sing, bet und geh auf Gottes Wegen" fand die eindrucksvolle Feier ihr Ende. Die Teilnehmer nahmen nun die Räumlichkeiten eingehend in Augenschein und waren sie von dem Gesehenen hochbefriedigt.

6. April
Am Sonntag unternahm der Ballon "Delitzsch" von Bitterfeld aus seine erste Probefahrt mit 5 Personen und 32 Sack Ballast. Die Fahrt gelang vortrefflich. Die Landung erfolgte glatt bei Lübeck. Die Taufe des Ballons "Delitzsch" soll am 24. April in Delitzsch stattfinden.

24. April
Kurz vor seiner Taufe machte der Ballon "Delitzsch" seine Todesfahrt. In der Nähe von Eisenach kam er bei seiner Nachtfahrt in ein Gewitter. Ein Blitzstrahl traf ihn und entzündete ihn. Die 4 Insassen fanden dabei den Tod.

2. Mai
Das Speditionsgeschäft der Firma Köpp und Theer ist durch Kauf in den Besitz des Herrn Köhler aus Köthen übergegangen. Die Übernahme erfolgt am 1. Juli.

4. Mai
Fortbildungsschullehrer Wittig, der zum 1. Oktober nach Fürstenwalde berufen ist, verkaufte sein Haus, Hallesche Straße 33, für den Preis von 30000 Mark an Klempnermeister Geißler.

7. Mai
Auf der gestrigen Hauptversammlung des Vereins für Luftschiffahrt von Bitterfeld und Umgegend berichtete Ing. Fr. Bauer aus Delitzsch auch über das Unglück des Ballons "Delitzsch". Der verunglückte Ballon ist stark zerstört, doch ist besonders von der Hülle noch der größte Teil vorhanden und wieder zu verwenden. Die Versammlung beschließt, einen neuen Ballon herrichten zu lassen. Die Firma A. Niedinger will ihn in drei Wochen hergestellt haben. Der neue Ballon soll wieder den Namen "Delitzsch" erhalten. Die so unerwartet aufgeschobene Tauffeier würde dann hier, wenn auch später, doch noch stattfinden können.

18. Mai
Sechs Herren der schwedischen Gesandtschaft aus Berlin, Gesandter von Trolle, Legationsrat von Essen, Konsularrat Anden, Attachè Freiherr von Bonde, Hauptmann von Schenfeld und Schriftsteller Blomquist besuchten gestern in Begleitung des Berliner Oberpfarrers Bitthorn, früher in Brinnis, unsere Stadt, um die Schwedensignale vom Breiten Turm herab blasen zu hören. Sie wurden von den Bürgermeistern, Stadtrat Freyberg und Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Schulze am Bahnhofe empfangen und in 5 Wagen nach der Breiten Straße geleitet, wo die übrigen Magistratsmitglieder und Stadtverordneten Aufstellung genommen hat. Nach gegenseitiger Vorstellung wurden die Signale zwei Mal vom Breiten Turm geblasen und machten diese auf die Gäste anscheinend eine imposante Wirkung. Es erfolgte dann eine Rundfahrt durch die festlich geschmückten Straßen und Promenaden, worauf sich ein Frühstück im Rathaus anschloß. Die Gäste fuhren dann statt um 2 Uhr, erst um 3 Uhr nach Berlin zurück.

23. Mai
Der schwedische Gesandte von Trolle aus Berlin hat unterm 19. Mai an den Ersten Bürgermeister Rampoldt ein Danktelegramm gerichtet, worin er in tiefempfundenen Worten seinen Dank für die in Delitzsch verbrachten schönen Stunden ausspricht.

24. Mai
Seminar-Musiklehrer Emilius ist vom 1. Juni an das Seminar zu Erfurt berufen worden. An seine Stelle wird Seminar Musiklehrer Klenke aus Rawitsch (Posen) vom gleichen Tage ab treten.

13. Juni
Gestern vormittag fand programmmäßig die s. Z. unerwartet verschobene Taufe des zweiten Ballons "Delitzsch" des Bitterfelder Vereins für Luftschiffahrt in einfachster Form hier statt. Auf dem Grundstück der Gasanstalt, das sich sehr gut dazu eignete, wurde gegen ½ 7 Uhr mit dem Füllen begonnen. Um 8 Uhr war der Ballon startbereit. Nachdem die Teilnehmer an der Fahrt Ingenieur Fritz Bauer, Kaufmann Rudolf Krone von hier und Arno Knauer – Leipzig als Führeraspirant in der geräumigen Gondel Platz genommen hatten, vollzog der zweite Bürgermeister unserer Stadt, Lange, die Taufe. Er schloß mit den Worten: "Du wirst den Namen dieser Stadt, einen Städtenamen altehrwürdig und von gutem Klang, hintragen in die Lande. Mögen dir viele und erfolgreiche Fahrten beschieden sein."

18. Juni
Bei der gestrigen Stadtverordneten-Ersatzwahl wurde Lehrer Louis Richter mit sämtlichen abgegebenen 49 Stimmen gewählt. Der Ballon "Delitzsch" wird sich unter Führung von Fr. Bauer - Delitzsch am kommenden Sonntag in Leipzig an der vom Sportplatz ausgehenden Ballon-Fuchsjagd beteiligen.

20. Juni
Professor Richard Hofmann in Leipzig, ein Delitzscher Kind, Sohn des früheren Delitzscher Stadtmusikdirektors hat eine besondere Ehrung erfahren. Er wurde vom Preisgericht der internationalen Weltausstellung in Brüssel aufgefordert, das Amt eines Preisrichters über die Musikinstrumenten-Industrie der deutsche Abteilung zu übernehmen.

28. Juni
Letzten Sonntag feierte der Gesangverein "Arion" sein 25jähriges Stiftungsfest und hatte sich hierzu manch muntere Sängerschar von nah und fern eingefunden. Eingeleitet wurde die Stiftungsfeier durch einen großen Kommers im "Stadt Leipzig" am Sonnabend abend. In den Morgenstunden des Sonntag wurden die hiesigen und die vielen auswärtigen Gesangvereine empfangen. Nachmittag 2 Uhr ordnete sich der Festzug und hielt seinen Umzug durch die Stadt nach dem geräumigen Garten des "Stadt Leipzig" zurück. Hier entwickelte sich bei schönstem Wetter den ganzen Nachmittag über ein buntes Leben. Nach Beendigung des eigentlichen Festaktes folgten die Gesangsvorträge der einzelnen Vereine in der auf dem Festprogramm angegebenen Reihenfolge. Abends 8 Uhr fand Gartenkonzert und Feuerwerk statt. Daß dann aber auch das Tanzbein recht flott geschwungen wurde, brauch wohl nicht erst erwähnt zu werden.

1. Juli
Der Magistrat hat den Bau einer neuen Leichenhalle beschlossen, die nach dem vom Stadtbaumeister ausgearbeiteten Projekt 8900 Mark kosten würde. Die aus dem Wedel'schen Legat genommen werden. Sie soll im Anschluss an die Friedhofskapelle an deren südliche Seite erbaut werden. Das Gebäude muß umpflanzt werden, um die Temperatur möglichst niedrig zu halten; es wird daher nicht viel von ihm zu sehen sein. Die Halle soll etwas Dauerndes werden und dürfe man deshalb die Ausführung nicht überstürzen. Die Einwohnerzahl unserer Stadt betrug am 1. Juli 14029 Personen.

15. Juli
Der diesjährige Sommer ist bisher reich an schweren Gewittern. Gestern Nachmittag gingen über unsere Stadt hintereinander mehrere schwere Gewitter, das erste war gegen ½ 4, das zweite kurz nach 6 Uhr. Beide können hinsichtlich ihrer Dauer und Schwere zu den stärksten, die in den letzten Jahren über unsere Stadt gekommen sind, gezählt werden. Krachend folgte Blitz auf Blitz und die gewaltigen Regenmassen hatten wolkenbruchartigen Charakter. Blitzschläge folgten in die Fabrikesse der Große'schen Häckselschneiderei in der Berliner Straße, in das Wohnhaus des Maurers Hermann Petzold in der Dübener Straße, in die elektrische Leitung des Dampfsägewerkes F. W. Beyer u. a. m.

28. Juli
Das Ringtheater bringt wieder ein vollständig neues gut ausgewähltes Programm zur Vorführung. Die Bilder, die auf einer Silberwand gezeigt werden, erzielen dadurch die höchste Klarheit und Plastik und sind auch vollständig frei von Flimmern und Unschärfe.

4. August
Einen Federschlagbolzen zur Tötung von Schlachttieren (insonderheit Schweinen und Pferden) hat Lehrer Heinrich Lobenstein konstruiert. Die Erfindung ist unter Nr. 430678 in die Musterschutzrolle eingetragen. Die Apparate sind von nächster Woche ab in hiesigen Eisenhandlungen ausgestellt.

8. August
Heute wurde in unserer Stadt von 12 Bürgern (Kaufleuten und Gastwirten) eine Genossenschaft gegründet, welche den Zweck hat, den Betrieb einer Genossenschaftsbrauerei in Delitzsch zu errichten.

17. August
Die Wirtschaft im hiesigen Sorauer Bahnhof ist vom 1. Oktober an Büfettier Nikolaus Weiß aus Halle verpachtet worden.

19. August
Im Grundstück der früher Baumgarten'schen Gärtnerei stieß man beim Graben dicht an der Grenze vom Nachbargrundstück auf Widerstand und fand beim Nachsehen 25 tönerne Gefäße in Größe eines mittleren Blumentopfes. 12 Stück konnten unbeschädigt geborgen werden. Sie sind ziemlich roh gefertigt und haben eine viereckige Öffnung mit umgebogenen Rand. Die Gefäße waren mit Ton gefüllt und mit der Öffnung nach unten auf eine große Steinplatte gelegt. An derselben Stelle wurden auch eine große Messingmünze mit dem hochgeprägten Brustbild des Hunnenkönigs Attila und zwei kleine Silbermünzen gefunden. Die schwedischen Reitersignale der Stadt Delitzsch, welche in der letzten Zeit viel Interesse erregten, hat sich jetzt die Industrie zu Nutze gemacht. Denn in diesen Tagen hat eine Grammophonplattenfabrik Platten hergestellt, welche das seit 276 Jahren vom breiten Turm geblasene Schwedensignal wiedergeben. Die Platte ist in den nächsten Tagen bei E. Kreutzer im Löwenbräu zu hören und auch käuflich zu erwerben. Jedenfalls werden unsere historischen Signale dadurch weltberühmt. Die Schwedischen Reitersignale sind von dem Armee-Musikächpizienten Grawert in Berlin zur Komposition eines Reitersignalmarsches verwendet worden. Dieser Marsch ist in diesen Tagen gelegentlich des Zapfenstreiches vor dem Kgl. Schlosse in Königsberg dem Kaiser, der Kaiserin und den Kgl. Prinzen von sämtlichen Musikkapellen des 1. Armeekorps vorgespielt worden und soll der Eindruck ein gewaltiger gewesen sein.

25. August
Der hiesige Männer- und Jünglingsverein feierte Sonntag sein 20. Stiftungsfest. Es findet ein Festgottesdienst in unserer Kirche statt. Am Nachmittag ist eine Festsitzung in der Herberge zur Heimat, am Abend ein Familienabend in der "Stadt Leipzig" vorgesehen. Der Seminarchor und der Gesangverein "Arion" haben ihre Mitwirkung zugesagt.

30. August
Auf Einladung hatten sich gestern im Schwan eine Anzahl Herren verschiedener Berufsstände, und zwar nur Väter von Schülerinnen der Gehobenen Mädchenschule, eingefunden, um sich einmal Klarheit über die Frage des Ausbaus dieser Schule zu verschaffen. Der Leiter dieser Schule, Rektor Eichler, hielt ein Referat darüber. Einberufer der Versammlung war Professor Werfel. Er wollte zunächst nur die Frage geklärt wissen, ob es möglich wäre, wie in den Nachbarstädten, auch in Delitzsch die gehobene Mädchenschule in eine höhere Mädchenschule zu verwandeln. Die Aussprache ergab, daß dieser Wunsch allgemein vorhanden war und daß dies mit geringen Mehrkosten geschehen kann.

31. August
Zum Stadtverordneten-Vorsteher wurde in der gestrigen Sitzung der Stadtverordnete für Justizrat Dr. Schulze, der sein Vorsteheramt niedergelegt hatte, der bisherige Stellvertreter Fabrikant M. Schimpf sen. gewählt.

3. September
Die Sedanfeier gestaltete sich in diesem Jahre, in dem die vierzigste Wiederkehr des denkwürdigen Tages des deutsch französischen Krieges begangen wurde in Schulen wie Vereinen zu einer besonders würdigen.

8. September
Erster Bürgermeister Rampoldt ist in gleicher Eigenschaft auf fernere zwölf Jahre gewählt und von der Regierung bestätigt worden.

12. September
Am Sonntag feierte die "Freiwillige Feuerwehr Delitzsch" ihr 50jähriges Jubiläum. Schon am frühen Morgen erschienen die auswärtigen Gäste. Um 10 Uhr fand ein gemeinsamer Kirchgang statt. Nach dem Gottesdienst begab sich die Wehr nach dem Hauptdepot in der Ritterstraße. Hier fand eine Löschübung statt, wobei die neue 20 m lange Leiter verwendet wurde. Die Übung wurde exakt durchgeführt. Um 1 Uhr fand Festtafel im "Schwan" statt, an der annähernd 200 Personen teilnahmen, sodaß der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war. Jeder Teilnehmer erhielt eine Festschrift, die die Entwicklung der Feuerwehr schilderte und alles Wissenswerte über sie enthielt. Sie war von Brandmeister F. W. Schultze verfaßt. Er erwähnte in seiner Rede, daß heute der erste Fall sei, daß eine Freiw. Feuerwehr in der Prov. Sachsen ihr 50jähriges Jubiläum feiere. Es sprachen dann noch Generalinspektor Herbers, der Abgesandte der Städte-Feuersozietät in der Provinz Sachsen, Branddirektor G. Schulze, Feuerlöschdirektor Krameyer – Merseburg, Justizrat Dr. Schulze, Stadtrat Brembach u. a. Es wurden dann die eingegangenen Glückwunsch-Telegramme wie Schreiben verlesen. Von 6 Uhr abends ab fand dann mit den Angehörigen und Gästen eine erhebende Festfeier statt. Zu erwähnen wäre noch, daß Herrn Branddirektor G. Schulze, am Sonntag morgen 8 Uhr ein Lorbeerkranz mit Atlasschleife überreicht wurde, die folgende Widmung trug: Aus Dankbarkeit gewidmet – Feuerwehr Delitzsch 1910. Ferner wurden die sieben Gräber der beiden Begründer und Führer der Feuerwehr Kaufmann August Rathmann und Buchdruckereibesitzer Bernhard Meyner, der beiden Begründer des Feuerwehr-Unterstützungsvereins Kreiswundarzt Rudloff und Rentier Wilh. Dörfel, sowie des Oberspritzenmeisters Fr. Hoffmann und der Oberfeuerwehrmänner Messerschmiedemeister Dietze und Schuhmachermeister Wilhelm Frömmig mit Kränzen geschmückt. Unter den Festteilnehmern befanden sich auch noch zwei Herren, die die Freiw. Feuerwehr mitgegründet haben: Dachdecker W. Uhlig und Schrankenwärter a. D. Große. Sie wurden an dem Tage besonders ausgezeichnet.

26. September
Ein erhebendes Schauspiel bot sich gestern nachmittag den Bewohnern von Delitzsch. 11 Luftballons darunter der Ballon "Delitzsch" überflogen von Bitterfeld her zu einem Wettflug unsere Stadt. Der Ballon "Delitzsch" landete am andern Tage nachmittag 2.47 bei Geestemünde.

27. September
Der Gewerbeverein veranstaltete gestern zu Ehren seines am 1. Oktober scheidenden langjährigen Vorsitzenden, des Fortbildungsschullehrers Wittig im "Schwan" eine Abschiedsfeier. Fischwarenhändler Karl Bültemann erwarb das Hausgrundstück Bismarckstraße 12 von dem Bauunternehmer Kuhne.

10. Oktober
Gestern weilten zwei japanische Gäste, Vorstandsmitglieder der japanischen Genossenschaften, in unserer Stadt, um sich über Zweck und Ziele der Schulze-Delitzsch Genossenschaften hier zu unterrichten.
Der hiesige Verschönerungsverein hat mit Hilfe und im Einvernehmen der Stadtverwaltung im Stadtpark die Brücke über den Lober geschaffen. Sie wurde gestern eingeweiht.

18. Oktober
Eine Schmiedefachschule ist hier eröffnet worden. An dem Unterricht nahmen auch die Lehrlinge der umliegenden Dörfer teil.

18. November
Das Bürgerhospital hat eine durchgreifende Veränderung erfahren und die Hospitalkapelle ist wieder hergestellt worden. Die Arbeiten haben sich lange hingezogen. Das erneuerte Bürgerhospital macht jetzt einen sehr günstigen Eindruck und die Hospitalkirche hat eine elektrische Beleuchtung und Heizungsanlage erhalten neben mehreren bunten Fenstern mit Glasmalereien. Die Erneuerung ist zu verdanken der Stiftung der Frau Pastor Gödicke geb. Gutheil in Halle. Am nächsten Mittwoch wird die Kapelle zum ersten Mal wieder benutzt werden.

30. November
Der Landwirt Otto Hönicke erwarb das in der Schloßgasse 23/25 liegende Grundstück der Ehefrau des Fuhrwerksbesitzers R. Giese.

10. Dezember
Bei der heute früh erfolgten öffentlichen Versteigerung des alten Gerichtsgefängnisses wurde das Höchstgebot von 2425,- Mark von Brauereibesitzer Uhlmann abgegeben, dessen Grundstück daran grenzt.
Die Bewirtschaftung des Schützenhauses übernimmt am 1. April n. J. der Gastwirt Alwin Mertgen aus Schildau.


1911

2. Januar
Schon seit Jahren ist die Eisenbahndirektion in Halle auf die Verkehrsschwierigkeiten in der Dübener- und Beerendorfer Straße durch die die Straßen durchschneidende Eisenbahn aufmerksam gemacht worden. Auf die neuerliche Eingabe des hiesigen Verkehrsvereins betreffend Über- oder Unterführung der Dübener und Beerendorfer Straße ist nun folgendes Schreiben eingegangen: "Auf das gefl. Schreiben vom 17. v. Mts. teilen wir ergebenst mit, daß wir die Frage einer Über- oder Unterführung auf dem Bahnhof Delitzsch wiederholt erwogen haben. Einer Verwirklichung dahinzielender Entwürfe kann jedoch erst dann näher getreten werden, wenn die Wegebaupflichtigen durch Übernahme angemessener Kostenanteile ihr Interesse an der Abänderung der bestehenden Anlagen zu erkennen gegeben haben. Diesbezügliche Verhandlungen haben bisher leider nicht zum Ziel geführt."

16. Februar
Das Gasthaus "Zum Weißen Roß" ist an die Aktienbierbrauerei Bitterfeld verpachtet worden. Die Bewirtschaftung übernimmt ab sofort Gastwirt Richter aus Magdeburg.

17. Februar
Auf Beschluß des Gemeindekirchenrates wird fernerhin das Läuten der Glocke auf der Marienkirche der Begräbnisse 1. und 2. Klasse nicht mehr stattfinden. Die dafür erhobenen Gebühren 1 Mark pro Begräbnis fallen gleichfalls weg. Da die Klänge dieser Glocke nicht gerade besonders zur Andacht stimmen konnten, wird wohl kaum jemand bedauern, wenn sie nun bei Begräbnissen schweigt. Voraussichtlich wird aber in absehbarer Zeit eine Renovation der Marienkirche erfolgen, um sie vor dem Verfall zur schützen.

23. Februar
Am Dienstag abend gab der hiesige Musikverein unter seinem neuen Dirigenten Seminar Musiklehrer J. Klemke ein öffentliches Konzert, das einen vollen, ja glänzenden Erfolg errang. Es wurde aber auch überaus hervorragendes Programm gezeigt. Solosänger wie Sängerchor zeigten tüchtige Leistungen und ließ fleißige Übung erkennen. Auch das Orchester, die Kapelle der 107er aus Leipzig, hielt sich recht wacker. Den Zuhörern wurde ein auserlesener Kunstgenuß geboten.

8. März
Seit einigen Tagen passieren, wie alljährlich um diese Zeit, wieder zahlreiche besondere Arbeiterzüge den Sorauer Bahnhof. Sie bringen – ein Zeichen des nahenden Frühlings – die Wanderarbeiter und Arbeiterinnen aus Schlesien, Posen, Russisch-Polen usw. in unsere Provinz und die angrenzenden Gebiete, wo diese auf den größeren Gütern als Ersatz der mangelnden heimischen Arbeitskräfte willkommen sind. Nach Beendigung der Feldarbeit kehren dann die in größeren Transporten reisenden Arbeiter in ihre Heimat zurück, um im zeitigen Frühjahr – den Zugvögeln gleich – ihre vorjährigen Arbeitsstätten wieder aufzusuchen.

10. März
Daß der Ruf unserer Stadt als Wiege des Genossenschaftswesens weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinausgedrungen ist, beweist ein neuerlicher Besuch, den gestern ein hoher japanischer Beamter der hiesigen Vereinsbank und der Schuhmacher-Rohstoff-Genossenschaft abstattete, um einen Einblick in deren Geschäftsführung zu gewinnen. Der Besucher war ein Herr Dr. J. Udo, Geheimer Regierungsrat im Landwirtschafts- und Handelsministerium zu Tokio.

14. März
Der Gesangverein "Abendstern" beging am Sonnabend den 11. und Sonntag den 12. März sein 50jähriges Jubiläum. Zu dem Kommers vom 11. März im Schützenhaus waren nicht nur die hiesigen, sondern auch eine größere Anzahl auswärtiger Gesangvereine erschienen. Die Festansprache hielt der gegenwärtige Dirigent Lehrer Müller. Er gab einen Rückblick des Gesangvereins von seiner Gründung an bis zum heutigen Tage. Den Abend verschönten Einzelchöre und Massenchöre. Bis zum frühen Morgen blieben die frohen Sänger zusammen. Am Sonntag Morgen wurden Kränze niedergelegt am Grabe des verstorbenen Ehrenmitglieds Seminar Musiklehrer Kuntze und des langjährigen Vorsitzenden und Gründers Zigarrenfabrikant Gröschner. Um 4 Uhr fand im Schützenhause eine Festtafel statt. Nach Aufhebung der Tafel war die eigentliche Festfeier. Den Mittelpunkt bildete die von Vereinsmitgliedern aufgeführte wohlgelungene Operette: "Guten Morgen Herr Fischer". Den Abschluß der Feier bildete ein Ball, an dem sich Alt und Jung rege beteiligten.

23. März
Die wissenschaftliche Lehrerin an der Gehobenen Mädchenschule Frl. Käthe Döhlert ist vom 1. Mai bis 1. Oktober nach Südfrankreich beurlaubt zur weiteren Ausbildung in der französischen Sprache. Ihre Vertretung wird die wissenschaftliche Lehrerin Fräulein Elly Reime übernehmen.

24. März
Die Schützengilde beschloß in ihrer gestrigen Generalversammlung den in Aussicht genommenen Erweiterungsbau des Schützenhausgrundstücks. Die Schießstände sollen umgebaut und vermehrt werden, es sind mindestens 12 Stände zu 175 m und 300 m, sowie Pistolen- und Wildstände vorgesehen. Außerdem sollen die Wirtschaftsräume den neuzeitlichen Anforderungen entsprechend umgebaut und erweitert werden, auch ist eine erhebliche Vergrößerung des Saales in Aussicht genommen.

29. März
Bierverleger Richard Dietrich hier hat sämtliche Aktien der Delitzscher Aktien-Bierbrauerei und damit zugleich die auf die genannte Gesellschaft eingetragenen Grundstücke, nämlich das in der Bitterfelder Straße gelegene Brauereigrundstück sowie die Gastwirtschaften Bürgergarten und Lindenhof käuflich erworben. Die Übernahme findet am 1. April statt.

29. April
Fünf Jahre sind vergangen, seitdem in unserer Stadt der Kindergottesdienst mit Gruppenunterweisung eingerichtet worden ist. Er feiert morgen sein fünftes Jahresfeste. Wie fast überall, so hat er sich auch bei uns gar bald eingebürgert, allsonntäglich sammeln sich 200 bis 300 Kinder im Gotteshaus. Wer vermöchte den Segen zu ermessen, der in einer echten Sonntagsfeier liegt!

5. Mai
Der Verschönerungsverein hielt gestern im Schwan seine diesjährige Generalversammlung statt. Der Vorsitzende erstattete Bericht über die Ausführung der vorjährigen Beschlüsse: Errichtung der Parkbänke, Ausbesserung der Brücke an der Naundorfer Mühle, Anschaffung von Bänken und Erneuerung des Heiligbrunnens. Für dieses Jahr ist geplant, den Lober an der Kläranlage zu überbrücken und eine Verbindung nach dem Wege zum Rosenthal zu schaffen. Außerdem soll ein Weg, parallel dem letzteren, dem Lober entlang geführt und mit Bäumen bepflanzt werden.

14. Juni
Das Restaurant "Zur Rußbutte", welches Gastwirt Mieglitz erst am 15. Oktober übernommen hatte, ging durch Kauf in den Besitz des Kaufmanns Richard Wust über. Die Übernahme erfolgt am 1. Juli.

18. Juni
In ganz Deutschland fand in den ersten Tagen des Juni ein allgemeiner Kornblumentag statt. In Delitzsch war dieser auf Sonntag den 16. Juni festgesetzt. 116 junge Mädchen hatten sich zum Verkauf der Kornblumen, natürlich künstliche, die einzeln oder in kleinen Sträußchen mit abgestempelter weißer Schleife zur Verfügung gestellt. Schon am frühen Morgen klopften wohl an jede Tür zwei Mädchen in blumengeschmücktem weißen Kleide und boten Kornblumen oder schön gemalte Postkarten zum Verkauf an. Einzelne kosteten 10 Pfennige, Sträußchen 2 Mark. Wer ein Sträußchen erwarb, wurde nicht mehr angesprochen und konnte an jeder Veranstaltung des Tages oder am Abend teilnehmen. Von 11 Uhr ab hatten die Mädchen einen bestimmten Standplatz an einer Straße und hielten jedem Vorübergehenden ihre Büchse vor. Auf den Straßen spielten Musikkapellen, sangen Gesangvereine, auf den Plätzen fanden turnerische Vorführungen der Turnvereine statt. Ein Strom von Menschen wälzte sich durch die Straßen, Kinder und Erwachsene geschmückt mit der Kornblume. Abends waren Veranstaltungen in dem Bürgergarten und der "Stadt Leipzig". Der Erlös des Tages war für das Siechenhaus bestimmt und kam den Veteranen und den Veteranen-Witwen zu gute. Nach Abzug der Unkosten war das Ergebnis der Sammelbüchsen etwa 4000 Mark, eingerechnet 1000 Mark, die Frau Pastor Gödecke – Halle für das Siechenhaus stiftete. Wahrlich ein schöner Beweis der Gebefreudigkeit unserer Stadt!

1. Juli
Zum Neubau eines Amtsgerichts mit Gerichtsgefängnis wird ein Bauplatz von ungefähr 50 Ar Größe gesucht. Infolge der Unzulänglichkeit der Räume des Schlosses, in die nach Auflösung der jetzt darin befindlichen Strafanstalt das Amtsgericht kommen sollte, hat man von dieser Verlegenheit entgültig Abstand genommen. Damit bekommen wir ein neues Amtsgericht und haben die Gewißheit, daß uns die Strafanstalt erhalten bleibt. Der erste Flieger über Delitzsch: Gestern morgen wenige Minuten nach 8 Uhr flog der Aviatiker Hirth mit großer Geschwindigkeit und in beträchtlicher Höhe östlich von unserer Stadt vorbei. Er war erst 7.49 Uhr auf dem Flugplatz bei Lindenthal aufgestiegen und landete 9.08 Uhr auf dem Flugplatz bei Berlin, wobei er den von der Firma Kathreiner ausgesetzten 50000 Mark Preis errungen hat.

16. Juli
Am 14. Juli beging der hiesige Radfahrer-Klub von 1886 sein 25jähriges Stiftungsfest auf dem hiesigen Schützenhof. Bei der Gelegenheit hielt der Vorsitzende und Gründer des Vereins, W. Schroeter – Delitzsch einen Vortrag über die Geschäfte des Vereins in sportlicher Hinsicht und zugleich einen Rückblick über die Anfänge des Radfahrens in unserer Stadt sowie Kreis Delitzsch und Bitterfeld. Die Anfänge des Radfahrens datieren in unserem Kreise zurück bis in die Jahre 1866-67. Diese erste Maschine hatte der Zimmermann Rast in Brodau sich selbst gebaut und bestand sie aus Holzrädern mit Eisengestell, kleinerem Hinter- und größerem Vorderrad, an letzterem wurde die Maschine angetreten. Der ganze Bau war sehr primitiv, das Fahren damit sehr anstrengend. Dieses Vehikel wurde später vom Vortragenden angekauft und soll später unserm Museum übergeben werden. Fast in derselben Zeit lernte auch der Vortragende das Radfahren in Halle auf einem von der landw. Maschinenfabrik F. Zimmermann daselbst hergestellten Gefährt. Von England kamen dann 1876-77 Verbesserungen in die Bauart, das Kugellager wurde konstruiert. Ein englisches Hochrad kostete 400 Mark. 1882 erwarb auch der Vortragende ein solches Rad. 2 Jahre lang bis zum Jahre 1884 blieb er der einzige Radfahrer in Delitzsch. Im Jahre 1883 nahm Schroeter selbst die Fabrikation von Hochrädern auf. Nun fand das Radfahren Anhänger, erst in Delitzsch, dann in Bitterfeld und später in Eilenburg. Am 10. Juli 1886 wurde dann im kleinen Zimmer des Hotels zum Goldenen Ring" von wenigen Herren der "Delitzscher Radfahrclub" gegründet. Um diese Zeit wurden auch die ersten Dreiräder eingeführt. Kurze Zeit darauf erschienen die ersten Niederräder und mit diesen verbreitete sich das Radfahren in ganz rapider Weise. Das Jahr 1888 brachte durch Einführung des Luftreifens dem Fahrrad bahnbrechende Vorteile. Im Jahre 1893 wurden dann die ersten Niederräder mit Motorbetrieb hergestellt, Preis 1200 Mark. Einige Jahre später erschienen dann Motor-Dreiräder aus Frankreich. Kurz danach, im Jahre 1898-99 kamen dann die Motorräder auf den Markt.

26. August
An einer alten Linde gegenüber der Badeanstalt (am kleinen Schutz) wurde eine erneuerte Gedenktafel angebracht, die den Abschiedsgruß der sächsischen Grenadiere enthält, die von 1779 bis 1810 in Delitzsch in Garnison gestanden haben. Der Gruß lautet:

"So lebt denn wohl, ihr angenehmen Fluren,
Nicht lange waret Ihr uns Wohnungen der Ruh,
Das Schicksal führt uns auf entfernte Spuren
Und deckt uns eure Reize zu,
So oft ihr grüßt wird der Verlust uns kränken,
Gleich einem Liebenden, der die Geliebte mißt,
Bei deren Schwur er hofft, daß sie sein Andenken
Bei fremden Küssen nicht vergißt.
Nachhall froh erklungener Stunden
der der Stadt Delitzsch stets eingedenk
bleibenden Grenadier-Kompagnie 1810"

2. September
Heute am Sedantage kam die erste Rate des Ertrages vom Kornblumentage in Beträgen von 30 Mark zur Verteilung. Es wurden 22 Veteranen resp. Witwen von solchen bedacht. Die andere Rate wird am Geburtstage des Kaisers verteilt werden. Die seit Tagen am hiesigen Kriegerdenkmal fertiggestellte Inschrift zum Gedächtnis der im Feldzuge 1870/71 gefallenen Bürger der Stadt wurde heute in einer Weiherede des 1. Bürgermeisters Rampoldt und in Anwesenheit der vaterländischen Vereine der Stadt und einer großen Menschenmenge der Öffentlichkeit übergeben. Die Inschrift lautet:

Es starben den Heldentod
für das Vaterland

 

der Seilermeister

der Uhrmacher

Wilhelm Schmidt

Otto Lattermann

Unteroff. im Kaiser Franz Garde

Füsilier im 2. Magd. Inf. Reg.

Grenad. Reg. Nr. 2

Nr. 27

am 18. August 1870

am 30. August 1870

in St. Privat

bei Beaumont

Den Gefallenen zum Gedächtnis,
den Lebenden zur Anerkennung,
den kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung

10. September
Die günstige Lage unserer Stadt an der Strecke Leipzig-Berlin und die Nähe der Luftschiff-Station Bitterfeld hat uns gestern wieder den erhebenden Anblick des neuesten Zeppelin-Kreuzers "Schwaben" verschafft. Durch Extrablatt wurde gestern morgen bekannt gegeben, daß die Abfahrt 6 Uhr von Gotha erfolgt war. Kurz vor 9 Uhr wurde das Luftschiff hier gesichtet und rasch näherte sich das glänzende, leicht einherschwebende Riesenfahrzeug unserer Stadt, deren östlichen Teil es 9.05 Uhr in ziemlich geringer Höhe überflog. Man hörte deutlich das Surren der Propeller und konnte in der mittleren Kabine mit bloßem Auge männliche und weibliche Passagiere wahrnehmen.

23. September
Der Sommer des Jahres war der trockenste und heißeste seit Menschengedenken. Die Hitzeperiode begann am 17. Juli und hielt länger als vier Wochen an. Sogar die Hauptströme wie die Elbe, führten so wenig Wasser, daß man durch sie hindurchwaten konnte. Kartoffel- und Zuckerrübenernte sind infolgedessen schlecht, und es entstehen große Teuerung und großer Futtermangel. Seit vorgestern abend gab es einen sogenannten "Landregen" der zwar nicht gerade kräftig war, aber noch viel Segen schaffen kann. Wenn er auch für die Herbstfrüchte leider zu spät kommt, ist er doch für das Gedeihen der neuen Saaten von großem Nutzen. Wenigstens eine drückende Sorge ist darum wohl manchem Landwirt vom Herzen genommen worden, zumal die Hoffnung auf weitern Regen besteht.

27. September
Das ehemalige Gefängnisgrundstück "Schlossgasse 21" ist von Herrn Uhlmann gekauft worden, dessen Brauerei daran grenzt.

13. Oktober
Die I. elektrische Vollbahn in Preußen wird bei uns eingeführt. Nachdem sich die Probestrecke Dessau-Bitterfeld bewährt hat, wurden jetzt die Anschlußstrecken Bitterfeld-Leipzig, Dessau-Magdeburg für diesen Betrieb eingerichtet. Die ganze Bahnanlage wird vom Kraftwerk Muldenstein gespeist.

27. Oktober
In Delitzsch hat sich ein Ortsverein des vom Preußischen Lehrerverein abgezweigten "Neuen Preuß. Lehrervereins" gebildet. Er führt den Namen "Neuer Preuß. Lehrerverein Delitzsch".

17. November
Als Bauplatz für das Siechenhaus ist nunmehr der ausgedehnte Garten des Bürger-Hospitals am Halleschen Tore in Aussicht genommen. Gestern wurde das Grundstück von einigen Kommissarien der Regierung in Gemeinschaft mit den Vertretern des Hospital- und Siechenhaus-Vorstandes eingehend besichtigt, wobei man sich allerseits mit dem Plan einverstanden erklärte. Es ist beabsichtigt, den Wirtschaftsbetrieb für Hospital und Siechenhaus zunächst gemeinsam zu führen.

24. November
Der Gasthof "zum Preußischen Hof" wurde von Herrn Kittler an Inspektor Lübeck in Kospa verkauft. Die Übernahme erfolgt am 1. Januar 1912.

26. November
Zwischen der Kirchengemeinde und dem Magistrat ist ein Vertrag geschlossen worden, nach dem der Kirchengemeinde das Eigentum an der Marienkirche und dem Kirchplatz verbleibt, während der übrige Teil des alten Friedhofs als städtischer Besitz anerkannt wird. Bedingung ist, daß der Zugang zur Kirche nicht versperrt und bei Erweiterung derselben das nötige Land hergegeben wird. Bei Festsetzung von Reparaturen an der Kirche hat die Stadt kein Einspruchsrecht, und wenn ein Teil des Friedhofes als Baustellen verkauft wird, muß die Hälfte des Kaufpreises der Kirchengemeinde überwiesen werden.

4. Dezember
Der Gasthof "zum Goldenen Ring" ist von Gastwirt Maul käuflich erworben worden.

11. Dezember
Am 9. Dezember verstarb Rektor Richard Wiener im 48. Lebensjahr. Der Entschlafene war seit dem 1. Oktober 1896 als Rektor der hiesigen Knaben-Volksschule und als Leiter der Fortbildungsschulen mit aufopfernder Hingabe und in treuer Pflichterfüllung tätig. Magistrat, Schulkollegium und Vereine widmen ihm ehrende Nachrufe.

17. Dezember
Die Stadtverordneten beschlossen in ihrer Sitzung am 15.12. am Wasserwerk einen zweiten Brunnen anzulegen, da der erste 23 m tiefe Brunnen die Erwartungen nicht erfüllte. Der zweite Brunnen soll 50 m davon entfernt und 25 m tief sein. Die Baufirma Schmidt in Hohenturm verpflichtet sich, daß dieser zweite Brunnen mindestens 1 Kubikmeter Wasser pro Minute liefert.


1912

9. Januar
Der bisherige Winter brachte uns das reine Frühlingswetter, kein Frost, kein Schnee, immer nur milde Luft und viel Regen. Nun kam am 7. Januar eine Wetterveränderung, der erste Schnee des Winters, und zwar ein richtiges Schneetreiben mit absinkender Temperatur.

16 Januar
Der Witterungsumschlag hält weiter an. In der letzten Nacht erreichte die Temperatur ein Minimum unter Null von 17 ½ Grad Celsius.

19. Januar
Gerichtssekretär Kimstedt, ein Sohn des verstorbenen hiesigen Organisten Kimstedt ist vom 1. Februar von Mühlberg nach hier versetzt worden.

24. Januar
Aus Anlaß des zweihundertsten Geburtstags Friedrich des Großen tragen heute alle öffentlichen und Staatsgebäude Flaggenschmuck.

30. Januar
Herr Hönnicke hat sich bereit erklärt, für 750 Mark Jahrespacht die Stadtmühle bis zum 1. Januar 1916 weiter zu behalten.

2. Februar
Der hier bestehende Musikverein tritt mit einer großen Musikaufführung in die Öffentlichkeit. Das Programm besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil wird dem großen dänischen Komponisten Niels Gade gewidmet sein. Der zweite Teil wird von Kompositionen Richard Wagners ausgefüllt werden. Gade war eine Zeit lang neben Mendelssohn zweiter Dirigent der Gewandhauskonzerte in Leipzig und wurde nach dessen Tode sein Nachfolger. In "Frühlingsbotschaft" vernehmen wir Mendelssohn'sche Klänge mit nordischem Einschlag. Von Richard Wagner gelangen zur Aufführung aus "Tannhäuser": Ouvertüre, Einleitung zum dritten Aufzug, 1. u. 2. Szene dieses Aktes und "Einzug der Gäste auf die Wartburg". Als Orchester ist die Kapelle des 107. Inf. Reg. aus Leipzig gewonnen worden. So wird den Delitzschern durch diese Aufführung ein seltener Genuß geboten werden, zumal noch einer der bedeutendsten Harfenvirtuosen der Gegenwart mitwirkt.

5. Februar
Die Delitzscher Schokoladenfabrik A.G., welche im Laufe der Jahre ihren Betrieb ganz bedeutend erweitert hat, steht abermals vor einer sich notwendig machenden Geschäftserweiterung. Zu diesem Zwecke ist von ihr das Nachbargrundstück Dübener Str. 33 angekauft worden. Es soll ein bedeutender Vergrößerungsbau aufgeführt werden.

6. Februar
Eine angenehme Überraschung wurde 100 armen Einwohnern in diesen kalten Tagen zu teil, indem Herr Kaufmann R. Krone unter sie eine Doppel-Lore Briketts gratis verteilte.

10. Februar
Das Hausgrundstück Eilenburger Str. 22 des Herrn Weißwarenhändlers Karl Teubner ging durch Kauf in den Besitz des Kürschnermeisters Karl Gräfe über.

28. Februar
Der neue Besitzer des Ringtheaters Karl Maul bleibt bemüht nur orginelle und gute Filme zur Vorführung zu bringen. Es ist erstaunlich, was für eine außerordentliche Fülle lehrreicher und interessanter Bilder uns schon geboten worden ist, aber jede Woche bringt uns zweimal neue Bilder.

29. Februar
Der Zigarrenhändler Goldemann hat sein Grundstück in der Grünstraße Nr. 40 an den Maschinenfabrikant Hermann Dammhahn verkauft, der dort eine Fabrik errichten wird.

5. März
Die Gründung einer Pferdezuchtgenossenschaft wurde in der gestern nachmittag im "Schwan" stattgefundenen Versammlung beschlossen. Das Waldhaus "Zöckeritz" soll demnächst erweitert werden. Die zum Grundstück gehörige Scheune wird zu einem Tanzsaal ausgebaut.

20. März
Die neue Landeserziehungsanstalt kommt nicht nach Delitzsch. In der gestrigen letzten Sitzung des Provinzial-Landtages zu Merseburg wurde der Antrag der Kommission angenommen, die neue Erziehungsanstalt in Burg bei Magdeburg zu errichten. Bei den Verhandlungen kamen nur Delitzsch mit 13300 und Burg mit 24000 Einwohnern in Betracht.

30. März
In der gestern abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung der Schützengilde wurden weitere Arbeiten für den Saalneubau vergeben. Die Dachdeckerarbeiten erhielt Schöbel jun., die elektrischen Anlagen und Blitzableiter Reyher, den größten Teil der Glaserarbeiten Hugo Scheibe.

1. April
Durch Kauf ist mit dem heutigen Tage die hiesige Löwenapotheke, Breite Straße 15, in den Besitz des Apothekers A. Schunke übergegangen.

4. April
Der Verkehrsverein beschäftigte sich in seiner gestrigen Versammlung im "Schwan" auch mit zwei Fragen, die Delitzsch besonders berühren und zwar mit dem Ausbau des Berliner Bahnhofes und der Abholzung und Auskohlung der Goitzsche. Seit Jahren ist versucht worden, eine Erweiterung des Bahnhofes zu erreichen. Es hat sich aber nur eine kleine Verbesserung durch Umbau ermöglichen lassen. Die Unzulänglichkeit des Berliner Bahnhofes wird weiter vom Magistrat an der richtigen Stelle vorgebracht und auch auf die mangelhafte Beleuchtung des Berliner Bahnhofes hingewiesen werden. Seit anderthalb Jahren sind Nachrichten aufgetaucht, daß die Goitzsche abgeholzt und ausgekohlt werden sollte. Neben Bitterfeld würde auch Delitzsch darunter leiden, da die Goitzsche der nächste größere Wald ist, der sehr gern zu Ausflügen benutzt wird. Eine Abordnung von Bitterfeld und Delitzsch hatte in dieser Angelegenheit eine Audienz bei dem Landwirtschafts- und Finanzminister. Sie erhielten dort die Zusage, daß zunächst von der geplanten Abholzung der Goitzsche Abstand genommen wird.

10. April
Eine Verbilligung des Gaspreises wird ab 1. Mai d. J. in unserer Stadt eintreten. Um den Einwohnern das Gas als billiges Leucht- und Heizmittel immer mehr zugänglich zu machen, berechnet die Gasanstalt in den Sommermonaten den Kubikmeter Gas, gleichviel ob zum Kochen oder Heizen zum Einheitspreis von 12 Pfg., in den Wintermonaten den Kubikmeter zum Einheitspreis von 16 Pfg. Der althistorische Gasthof zum "Roten Löwen", welcher zuletzt über 25 Jahre in den Händen der Familie Schiller-Kaascht war, wurde an den Hausbesitzer Richard Könnicke verkauft. Die Übernahme erfolgt am 15. April.

26. April
Ein drittes Klärbecken der Kläranlage wird erbaut und zugleich die Anlage durch elektrischen Antrieb verbessert. Der Nachfolger des verzogenen Kantors Prinz ist Kantor Otto Müller. Heute morgen erschien über unserer Stadt eine Flugmaschine, die in großer Höhe die Richtung nach Leipzig an der Bahn entlang einhielt. Sie landete in Leipzig auf dem Lindenthaler Flugplatz. Es war ein Albatroß-Militär-Doppeldecker. Die dem Apparat entstiegenen Offiziere waren heute morgen 5 Uhr in Döberitz bei Berlin aufgestiegen und sind um 7 Uhr in Leipzig gelandet.

2. Mai
Unser Landtagsabgeordneter Herr Bauer hat die aus dem Landwirtschaftsministerium stammende Nachricht erhalten, daß uns die Goitzsche als Wald erhalten bleibt. Es ist dies eine recht erfreuliche Nachricht auf für Delitzsch, da recht viele Delitzscher besonders am Sonntag die Goitzsche als Ausflug benutzten.

3. Mai
Der Verschönerungsverein beschloß in seiner gestrigen Versammlung Aufstellung weiterer 10 Bänke im Stadtpark und den Anlagen am Stadtgraben, Aufstellung einer Schutzhütte am Stiefelknecht, Aufstellung einer Bank vor dem Bahnübergang an der Dübener Straße, auch soll für den Elberitzplatz etwas mehr getan werden.

13. Mai
Am gestrigen Sonntage entlud sich abends gegen 10 Uhr, nachdem tagsüber eine starke Gluthitze geherrscht hatte, ein furchtbares Unwetter über Delitzsch und die Umgegend. Ein Gewitter war heraufgezogen. Aus allen Richtungen türmten sich die Wolken unheildrohend zusammen, und der Himmel glich zuweilen einem Feuermeer. Ununterbrochen rollte der Donner schwer. Dazu setzte Hagel. Schloßen und Graupeln ein, denen ein wolkenbruchartiger Regen folgte. Den Schaden, den die tobenden Naturkräfte, besonders die bis zu Taubeneigröße fallenden Hagelstücke im Stadtgebiet anrichteten, ist ganz beträchtlich. Unzählige Fensterscheiben wurden zerschlagen, z.B. in der neuen Knabenschule, der Luisenschule 130 Stück. Schwer betroffen wurden die Gärtnereien, die Obstgärten, die Feldfrüchte. Eine Menge Dächer wurden abgedeckt, Bäume umgerissen. Auch die Umgegend hat großen Schaden erlitten. Zwei Windmühlen umgerissen. Von einem Güterzug wurden bei Klitschmar die darauflagernden Bretter abgehoben und 30 m weiter ins Feld geschleudert. Die Eisenbahnzüge blieben auf der Strecke stehen, weil sie nicht weiter fahren konnten.

20. Mai
Der Verschönerungsverein erläßt einen Aufruf an die Stadt wie im Vorjahr wiederum Fenster und Balkon zu schmücken. Es heißt darin: "Nun ist es Zeit, Hand ans Werk zu legen, unser Delitzsch muß immer schöner werden. Jeder sollte nach seinen größeren und geringeren Mitteln dazu beitragen. Jedes Haus müßte für den Sommer bunten Blumenschmuck anlegen. Ein schöner Wetteifer muß immer mehr erwachen. Wie im Vorjahre so wird auch dies Jahr im Herbst wieder eine Prämierung für die am besten gelungene Ausschmückung der Fenster oder Balkone stattfinden."

7. Juni
Hier hat sich ein Ortsausschuß zur Förderung der Nationalspende gebildet. Diesem gehören eine große Anzahl Personen von Verwaltung, Wirtschaft und Beamtentum an. Der Ortsausschuß erläßt einen Aufruf an die Bürger der Stadt Delitzsch mit der Bitte zu der nationalen Spende beizutragen. Mit der Nationalspende will das deutsche Volk in seiner Gesamtheit dazu beitragen, daß das deutsche Flugwesen eine Entwicklung erfährt, wie sie das Ansehen und die Machtstellung unseres Vaterlandes erfordert. Damit ist eine Aufgabe gestellt, an deren Erfüllung mitzuwirken jedes Deutschen Ehrenpflicht ist.

8. Juni
Die landwirtschaftliche Winterschule soll hier am 1. Oktober eröffnet werden.

15. Juni
Unsere städtischen Anlagen haben eine wertvolle Erweiterung dadurch erfahren, daß der Marienfriedhof jetzt für Spaziergänger freigegeben worden ist. Die Zugänge sind vorläufig vom Kommungut und von der Pforte am Marienplatz aus.

2. Juli
Gestern vormittag geschah die Einführung des neuen Rektors der Knabenvolksschule Hansjürgens, zu der sich Kreisschulinspektor Sup. Schäfer, der erste Bürgermeister Rampoldt, die Rektoren Eichler und Burchhardt eingefunden hatten. Das Lehrerkollegium der Knabenvolksschule, die 1. Knabenklasse und die ersten Schüler jeder Klasse waren ebenfalls anwesend. Kreisschulinspektor Schäfer führte den neuen Rektor im Namen der Regierung in sein Amt ein in einer herzlichen Ansprache, darauf hieß ihn der erste Bürgermeister Rampoldt im Namen des Magistrats und des Schulvorstandes herzlich willkommen. Beide Herren dankten ebenfalls Lehrer Schubert für seine korrekte Vertretung in der Zwischenzeit. Darauf hielt Rektor Hansjürgens eine Ansprache, indem er für die herzliche Begrüßung dankte und versprach, seine ganze Kraft für die Schule einzusetzen. In einer anschließenden Sitzung des Lehrerkollegiums übergab Lehrer Schubert dem Rektor sämtliches der Schule gehörendes Inventar.

22. Juli
Verschiedentlich wurde in Zeitungen angeregt, daß das, was von Schulze-Delitzsch vorhanden war, Briefe, Bilder, Ehrengaben usw. in einem Museum zu sammeln. So wurde Berlin als der geeignetste Ort vorgeschlagen. Die Anreger sind dahingegangen. In den Blättern für Genossenschaftswesen schreibt nun Dr. Hermann Schulze in Delitzsch dazu u. a. folgendes: "Ich möchte hiermit die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit des Baues eines Schulze-Delitzsch Museums in Delitzsch hinlenken. Der Grundstock für das Museum ist hier schon vorhanden. Die zum Teil sehr wertvollen Sachen sind jetzt in unzulänglichen Räumen, einigen unterm Altersmuseum auf Widerruf eingeräumten leeren Schulklassen untergebracht. Da steht ein Glasschrank, der den Schulze'schen Silberschatz enthält. Hier stehen seine Ehrengaben, hängen seltene Bilder des Unvergesslichen usw., usw."

26. Juli
Ein neues Hotel "Fürst Bismarck" ersteht hier. Bauunternehmer Wernicke hat das Haus Auguste Viktoria Promenade 10 mit Restauration von Frau Poenicke angekauft und ist ihm die Übertragung der Konzession auf sein in der Eilenburger Straße, Ecke Poststraße, neu erbautes Haus gestattet worden. Hier werden die Parterreräume als Restauration, die erste Etage als Kaffee und die oberen Räume als Logierzimmer eingerichtet.

10. August
Das Weihfest der Schützengilde findet vom 11. bis 13. August statt. Die Gilde hat einen neuen großen Festsaal, eine neue Schießhalle mit 18 Scheibenständen erbaut und die Wirtschaftsräume bedeutend vergrößert. Der Bau ist vollendet und erfolgt nunmehr die Einweihung.

30. August
An Stelle der bisherigen nebenamtlichen Kreisschulinspektionen Delitzsch, Eilenburg 1 und 2 und Gollme ist zum 1. Oktober d. J. eine hauptamtliche Kreisschulinspektion mit dem Sitz in Eilenburg eingerichtet. Die neue Stelle wird vom genannten Tage an kommissarisch von dem Pfarrer Roß in Gruna verwaltet.

3. September
Gestern, den 2. September, fanden hier im Rathaus die letzten Verhandlungen bezüglich der Errichtung und Einrichtung der Landw. Winterschule statt, zu denen aus Halle der Direktor der Landwirtschaftskammer für die Provinz Sachsen, Landesökonomierat Dr. Rabe, der Generalsekretär Ökonomierat Haacke und der zukünftige Leiter der Schule Landwirtschaftslehrer Conradi erschienen waren. Die Stadt stellt zur Einrichtung eine beträchtliche Summe in dankenswerter Weise zur Verfügung ebenso die nötigen Räumlichkeiten. Der 1. Kursus der Winterschule beginnt am 22. Oktober und zwar mit der Unterklasse, während die Oberklasse erst im nächsten Herbst eingerichtet wird. Anmeldungen und Anfragen sind an Herrn Conradi zu richten, der vorläufig im Hotel zum Schwan Wohnung genommen hat.

19. September
Heute morgen fand zum letzten Male unter dem Vorsitz des bisherigen Kreisschulinspektors die diesjährige Kreislehrerkonferenz im Hotel "Zum Schwan" statt. Am Schluß der Konferenz verabschiedete sich Kreisschulinspektor Superintendent Schäfer in herzlichen Worten von der Lehrerschaft. Lehrer Großkopf – Kyhna richtete warme Abschiedsworte an den scheidenden Kreisschulinspektor und sprach ihm namens der Lehrerschaft den Dank für sein stets gezeigtes Wohlwollen aus. Bei dem sich anschließenden gemeinsamen Mahle richtete Rektor Eichler nochmals Abschiedsworte an den Scheidenden und sprach ihm den Dank dafür aus, daß die Lehrerschaft bei ihm stets Verständnis gefunden hatte. Kreisschulinspektor Schäfer betonte in seiner Erwiderung, daß er sich stets bemüht habe, als Freund der Lehrer zu erscheinen

28. September
In der Aula der städtischen Bürgerschule fand heute morgen die Abschiedsfeier für den nach 50jähriger segens- und arbeitsreicher Tätigkeit in den wohlverdienten Ruhestand tretenden Lehrer Schubert statt. An der Feier nahmen außer dem Lehrerkollegium und den obersten Klassen der Schule Superintendent Schäfer als Kreisschulinspektor, Bürgermeister Rampoldt, Seminardirektor Bär und mehrere Vertreter der Behörde teil. Die drei genannten feierten den Scheidenden in warmen Worten und sprachen ihm den Dank für seine der Schule geleistete langjährige Tätigkeit. Alle wünschten ihm und seiner Familie einen recht langen segensreichen Lebensabend.

29. September
Unsere Gottesackerkirche, die leider ziemlich verfallen ist und deshalb seit einiger Zeit nicht mehr benutzt werden konnte, soll eine Erneuerung erfahren, um sie vor weiterem Verfall zu schützen und sie wieder in Gebrauch nehmen zu können. Wenn sich edle Spender fänden, wäre es wünschenswert zu beschaffen eine neue Orgel, einige bunte Fenster, eine neue Altarbekleidung, Bilderschmuck und dergl. Die Bewohner des östlichen Teils unserer Stadt werden es gewiß mit Freude begrüßen, wenn dann in ihrer Mitte wieder Gottesdienste abgehalten werden würden.

4. Oktober
Stadtsekretär Fricke ist dabei, ein neues Adressbuch der Stadt in aller Kürze in Druck zu geben. Lehrer Otto Müller von der Knabenvolksschule hat am 1. Oktober die hiesige Kantorstelle übernommen. Den Lober entlang südwestlich des Wiesengeländes ist ein neuer Weg von der Parkbrücke außerhalb des Parks bis zum Kertitzer Weg angelegt worden; es ist der Dr. Laue Weg. Dem langgehegten Wunsche der Bevölkerung ist damit entsprochen worden.

7. Oktober
Fahrradhändler und Klempnermeister Willibald Müller hat das Haus des Bäckermeisters Angermann in der Eilenburger Straße, Ecke Kohlstraße käuflich erworben und wird sein Geschäft nach entsprechenden baulichen Änderungen bald dorthin verlegen.

15. Oktober
Mit dem 1. Oktober 1912 sind in dem Kreise Delitzsch zwei neue nebenamtliche Kreisschulaufsichtsbezirke gebildet worden. Die Verwaltung des Bezirks Delitzsch ist dem Seminardirektor Bär in Delitzsch und die Verwaltung des Bezirks Eilenburg II dem Seminardirektor Engelbrecht in Eilenburg übertragen worden.

30. Oktober
Am 29. Oktober fand in der Luisenschule, die zur Knabenvolksschule gehört, die feierliche Eröffnung der Landwirtschaftlichen Winterschule statt. Dazu hatten sich außer den 23 Schülern und deren Vätern eine stattliche Anzahl anderer Herren eingefunden. Vom Magistrat waren erschienen Erster Bürgermeister Rampoldt, Bürgermeister Lange, die Stadträte Freyberg und Thalemann, aus dem Stadtverordnetenkollegium Schimpf, Steindel, Kläning, Oekonomierat Dr. Kunze, Hampe und Leidenroth. Als Vertreter des Landrats nahm Kreisdeputierter Oekonomierat Bieler teil. Den Landwirtschaftlichen Verein vertrat der Vorsitzende Seiffert. Von der Landwirtschaftskammer Halle-Saale wohnten der Eröffnung Direktor Landesoekonomierat Dr. Raabe und Oekonomierat Haake bei. Bürgermeister Rampoldt begrüßte die Anwesenden und dankte den Behörden für das Zustandekommen der Schule in Delitzsch. Dr. Raabe hielt die Eröffnungsansprache und übergab am Schluß derselben die neue Schule dem Direktor Conradi. Dieser hielt eine eindrucksvolle Rede, die besonders den anwesenden Schülern gewidmet war und erntete lebhaften Beifall. Die anwesenden Herren besichtigten noch die mustergültige Einrichtung der Schulräume und die prächtigen neuzeitlichen Lehrmittel.

5. November
Heute vormittag fand auf dem Rathaus eine Abschiedsfeier für den aus dem Amte scheidenden Stadtrat Spangenberg in Gegenwart der Magistratsmitglieder und der städtischen Beamten statt. Erster Bürgermeister Rampoldt dankte Stadtrat Spangenberg in herzlichen Worten für die der Stadt treu geleisteten 12jährigen Dienste als unbesoldetes Magistratsmitglied. Als Dank dafür wurde ihm der Titel eines Stadtältesten verliehen. Durch Verfügung der Regierung ist an seine Stelle Rentier Thalemann zum unbesoldeten Stadtrat bestätigt worden.

7. November
Gestern fand die Grundsteinlegung des Siechenhauses durch eine kurze erhebende Feier statt. Superintendent Schäfer leitete den feierlichen Akt mit einer längeren Ansprache ein. Zum Schluß seiner Rede hob er hervor, daß zum dankbaren Gedächtnis der beiden Hauptstifter das neue Haus "Gutheil Stiftung" genannt wird.


1913

8. Januar
Das den Schneidermeister Döchert gehörige Hausgrundstück, Eilenburgerstraße 31, ist durch Kauf in den Besitz seines Bruders Bruno Döchert übergegangen.

9 Januar
Eine gewaltige Fahrt hat der Ballon "Delitzsch" gemacht. Der Ballon stieg am 30. Dezember in Bitterfeld auf und landete nach 24 ½ stündiger Fahrt sehr glatt beim Dorfe Sosniza westlich Kursk in Mittelrußland. Die Entfernung vom Aufstiegsort bis zur Landungsstelle ist ca. 1600 km Luftlinie. Die eigentliche Fahrtstrecke des Ballons beträgt dagegen 1750 km. Somit ist der "Delitzsch" mit einer stündlichen Durchschnittsgeschwindigkeit von ungefähr 71 ½ km geflogen. Beim Überfliegen der russischen Grenze wurden sie mehrfach beschossen.

7. Februar
Zum Besten des Jahngedenksteines wird das mit so großem Erfolg gespielte Lustspiel "Die relegierten Studenten" nochmals am Dienstag den 11. Febr., im Schützenhause zur Aufführung gelangen.
Zur Erinnerung an den 17. März 1813 wollen, wie im ganzen deutschen Reiche, auch die hiesigen in der Delitzscher Turner Vereinigung zusammengeschlossenen fünf Turnvereine am 17. März eine gemeinsame Feier veranstalten.

8. Februar
Infolge der günstigen Witterung konnten die Bauarbeiten des Siechenhauses so gefördert werden, daß der Bau schon Anfang dieses Jahres unter Dach kam. Und wenn keine besonderen Hindernisse unerwartet eintreten, so wird in der nächsten Zeit der Ausbau des Hauses und seine Einrichtung so betrieben werden, daß es zum 1. Juli d. J., falls zu diesem Zeitpunkt bereits Schwestern zu bekommen sind, spätestens aber zum 1. Oktober eröffnet werden kann.

18. Februar
Das Wohnhaus mit Nebengebäuden und Hausgarten des im Konkurs befindlichen Kaufmanns Bernhard Wiesinger in der Eilenburger Straße nebst Niederlage und Schuppen in der Moltkestraße ist bei der gestern erfolgten meistbietenden Versteigerung an Kaufmann Walter Brade für den Preis von 66100 Mark erstanden.

24. Februar
Eine seltene Feier begingen gestern ehemalige Chorschüler und Kurrendener unserer Stadt. Zirca 30, zum größten Teil schon hochbetagte Herren, fanden sich zusammen, um aus Dankbarkeit ihres unvergeßlichen Kantors Albin Thierbach zu gedenken, welcher am 28. Mai 1873 bei einem Spaziergange mit seinen Schülern durch den Tod im besten Mannesalter von 53 Jahren seinen Lieben und seiner segensreichen Wirkungsstätte entrissen wurde. Ebenso wurde das Andenken von Kantor Haupt und Lehrer Jost dankerfüllt gefeiert. Morgens besuchten die Herren den Gottesdienst. Nachmittags wurden die Gräber der unvergeßlichen Lehrer unter einer herzlichen Ansprache des Kirchenrendanten Emil Obst – Bitterfeld mit Lorbeerkränzen geschmückt. Im Anschluß fand man sich im Kaffee Kreutzer zusammen.

10. März
Die Jahrhundertfeier der Erhebung Preußen wurde heute den 10. März in Schulen und Vereinen in entsprechend würdiger Weise begangen. Gestern fand ein Festgottesdienst statt, an dem sich der Magistrat und Stadtverordneten, die militärischen Vereine, Seminar, Präparande, die oberen Klassen der Oberrealschule und die Jugendwehr geschlossen beteiligten. Der Gottesdienst war der Bedeutung des Tages entsprechend besonders ausgestaltet. Schulen und Vereine hielten heute besondere Gedenkfeiern ab, in denen auf die besondere Bedeutung des 10. März und die Erhebung Preußens im Hinblick auf die großen Erfolge hingewiesen wurde.

21. März
Gestern vormittag fand die Abschlußprüfung des ersten Lehrgangs der hiesigen landwirtschaftlichen Winterschule statt. Eine große Reihe geladener Gäste und Vertreter von Behörden und Korporationen waren dazu erschienen, so Graf von der Schulenburg, der Präsident der Landwirtschaftskammer, Landesökonomierat Dr. Rabe – Halle, Major von Busse, die Landräte der Kreise Bitterfeld und Delitzsch, Erster Bürgermeister Rampoldt, Stadtverordneten-Vorsteher Schimpf und Landtagsabgeordneter Oekonomierat Sernau, außerdem viele Väter und andere Herren, die der Anstalt Interesse entgegen bringen. Dieser Besuch zeigt nun, welche Bedeutung man dieser neuen Schule beilegt.

29. März
In den Ostertagen Mittwoch und Donnerstag fand hier eine Versammlung der Bezirksvereinigung Merseburg des neuen Preußischen Lehrervereins statt. Um 1 Uhr am Mittwoch tagte die Vertreter-Versammlung im Schützenhause. Sämtliche 53 Zweigvereine der 1200 Mitglieder zählenden Bezirksvereinigung hatten hierzu Vertreter entsandt. Zu der am Donnerstag vormittag im Schützenhause veranstalteten Hauptversammlung der Bezirksvereinigung Merseburg des neuen Preußischen Lehrervereins waren etwa 250 Lehrer erschienen. Der Bezirksvorsitzende Lehrer Bindernagel – Delitzsch begrüßte die anwesenden Lehrer, besonders die erschienenen Ehrengäste. Im Namen der Stadt Delitzsch begrüßte Erster Bürgermeister Rampoldt die Versammlung. Superintendent Schäfer dankte namens der kirchlichen Behörden und erbat Gottes Segen für die Beratungen. Lehrer Naumann – Crensitz, der Vorsitzende des Zweigvereins Delitzsch rief den Gästen ein herzliches Willkommen zu. Landtagsabgeordneter Bauer dankte für die ihm gebotene Gelegenheit, neues lernen zu können für seine Stellung als Abgeordneter. Landtagsabgeordneter Dr. Arend betonte, daß wir heute keine Gemeindebildung mehr haben, sondern Allgemeinbildung. Daher seien die Schullasten auch nicht mehr von der Gemeinde, sondern von der Allgemeinheit zu tragen. Dr. Möde – Leipzig sprach sodann über das Thema: "Die Anwendung der experimentellen Psychologie auf die Pädagogik". Der 1 ½ stündige Vortrag fand reichen Beifall. Nunmehr folgte der zweite Vortrag, welchen Lehrer Hädicke – Hall über das Thema: "Welche Wirkung muß die von uns erstrebte Änderung der Schulunterhaltung auf die Entwicklung des Schulwesens und der Wohlfahrtspflege in den ländlichen und kleinstädtischen Gemeinden ausüben?" Ein lebhaftes "Bravo" erscholl nach dem Vortrag von Lehrer Hädicke. An die Versammlung schloß sich ein Festessen im Schützenhause. Mit der Versammlung verknüpft war eine Lehrmittelausstellung, die die hiesigen Buchhändler Pabst und Krause veranstaltet hatten. Am Abend veranstaltete der Zweigverein Delitzsch zu Ehren seiner Gäste einen Festabend im Schützenhause. Gelegentlich dieser Tagung fand auch eine Zusammenkunft der Lehrer statt, die vor 20 Jahren das hiesige Seminar verließen. Das Treffen war im "Fürst Bismarck". Es hatten sich 15 Herren dazu eingefunden.

2. April
Die seit 1911 hier bestehende Jugendwehr "Jungdeutschland" ist überaus tätig. Alle Sonntage kommen diese Jugendlichen zu Übungen zusammen, die gewöhnlich in der Umgegend stattfinden. Ein eigener Trommler- und Pfeiferchor gibt den nötigen Reiz. Mit Musik wird ausgezogen und zur Stadt wieder zurückgekehrt. Auch öfters fanden Übungen mit benachbarten Jugendwehren statt. Am letzten Sonntag hatte unsere Jugendwehr der Einladung zum Stiftungsfeste der Bitterfelder Jugendwehr Folge geleistet. Nach dem Empfang am Bahnhof rückten die vereinigten Wehren zu einer Übung nach den Holzweißiger Wiesen aus. Nach der Übung zogen die versammelten Jugendwehren unter Vorantritt der Bitterfelder Stadtkapelle in Bitterfeld ein und marschierten bis zum "Rheinischen Hof". Die Delitzscher Jugendwehr fuhr dann mit dem Zuge nach Delitzsch zurück, ein Teil nahm am Stiftungsfeste im "Rheinischen Hof" teil und kehrte mit dem Abendzuge zurück.

3. April
Hand in Hand mit der Elektrisierung der Strecke Leipzig-Magdeburg schreitet auch der Erweiterungsbau des Kraftwerkes Muldenstein vorwärts. Die Anlagen sind zum größten Teil unterirdisch gehalten. Nur zwei Riesenschornsteine von über 100 m Höhe deuten auf die gewaltige Zentrale hin, die wohl zu den größten Preußens gezählt werden kann. Auch die Berliner Stadtbahn sollte bekanntlich von Bitterfeld aus mit elektrischem Strom gespeist werden.

10. April
Der Zentralvorstand der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung hat einen Aufruf zur Gründung einer "Dr. Hermann Schulze-Delitzsch Stiftung" erlassen und selbst 10000 Mark hierfür gespendet. Der Magistrat hierselbst hat beschlossen, der Stiftung 300 Mark zuzuwenden, da Delitzsch als Geburtsort von Schulze-Delitzsch mit gutem Beispiel vorangehen muss.

12. April
Nach den prächtigen, frühlingsmäßigen Tagen des März ist seit Anfang der Woche mit dem April kühleres Wetter eingetreten, das uns in der letzten Nacht ziemlichen Frost und am heutigen Morgen reichlichen Schnee brachte. Das Thermometer sank auf minus 4 Grad Celsius. An den Kulturen wurde vielfach Schaden angerichtet.

18. April
Mit dem Neubau der Kohltorbrücke wird nun begonnen, nachdem die alte hölzerne abgebrochen wurde.
Der Bau wird wieder von der Firma "Anhalter Eisenbetonwerk Otto Maye u. Co., Dessau" ausgeführt und kostet einschließlich Pflasterung rund gerechnet 34000 Mark.

24. April
Der Verschönerungsverein beschloß in seiner gestrigen Generalversammlung im Hotel "Zum Schwan" die Aufstellung von Betonbänken auf dem Dr. Laue Weg. Für die Neugestaltung des Heiligbrunnens wurden 500 Mark bewilligt. Für den Oberbau einer Brücke über den Lober nach dem Dr. Laue Weg wurden bis zu 150 Mark bewilligt, während der Unterbau durch die Stadt unter Verwendung alten Materials der Kohltorbrücke hergestellt wird.

8. Mai
Seit längerer Zeit wird wegen eines passenden Bauplatzes für den Neubau des Amtsgerichts verhandelt. Zu den bekannten Projekten in der Leipziger Straße, in der Königlichen Strafanstalt und in Kühne's Garten ist noch ein neuer gekommen, wonach das Amtsgerichtsgebäude auf dem großen Gartengrundstück des Seminars gebaut werden soll. Und zwar soll das neue Gebäude mit der Front nach der Lindenstraße kommen. Um die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen weilt heute eine zusammengesetzte Kommission von etwa 15 Herren aus dem Kultus- und Justizministerium, aus dem Provinzial-Schulkollegium in Magdeburg und der Königl. Regierung in Merseburg und dem Oberlandesgericht in Naumburg hier.

22. Mai
Der Stadt Delitzsch steht ein großer Verlust bevor. Bürgermeister Lange ist zum Bürgermeister in Nauen bei Berlin gewählt worden und wird Delitzsch voraussichtlich schon in wenigen Wochen verlassen.

13. Juni
Unter starker Beteiligung auswärtiger Schützen fand in der Zeit vom 8. bis 12. Juni das 27. Provinzialbundesschießen in Delitzsch statt. Zu Ehren der zahlreichen auswärtigen Gäste (mehr als 400) war am ersten der Festtage ein großer historischer Festzug veranstaltet, wie die Stadt solchen noch nicht gesehen. Fast alle Vereine und Innungen der Stadt beteiligten sich daran sowie viele Landwirte der Umgebung zu Pferde.

17. Juni
Am 15. Juni beging Kaiser Wilhelm II. sein 25jähriges Regierungsjubiläum, das auch im hiesigen Orte von Schulen und Vereinen festlich begangen wurde. Der Festtag war ein Sonntag, und so fand ein Festgottesdienst statt, an dem die vereinigten Kriegervereine geschlossen teilnahmen. Auf besondere Weise feierten diesen Tag die Jugendvereinigungen unserer Stadt. Sie sammelten sich an der Gasanstalt und marschierten unter den Klängen der Musik und mit Gesang durch Beerendorf, am Beerendorfer Forsthaus vorüber zu ihrer Waldfeier an den schön gelegenen Stiefelknecht in unserer Spröde. Unter den schattigen Eichen entwickelte sich ein bunt belebtes Bild, und viele Erwachsene waren zu Fuß, mit dem Rade, ja zu Wagen gekommen. Diakonus Ruhmer – Delitzsch hielt die Festrede. Bei herrlichem Wetter verging der Nachmittag. Mit klingendem Spiel wurde in der Abendstunde über Spröda und das Forsthaus der Heimweg angetreten. Die Schulen feierten am 16. Juni.

18. Juli
In den Tagen vom 13. bis 17. Juli fand in Leipzig das 12. Deutsche Turnfest statt. An demselben nahmen von Delitzsch Turner in großer Zahl ja ziemlich vollzählig teil. In dem für das Turnfest herausgegebenen Festbuch spricht der verdiente Vorsitzende der deutschen Turnerschaft, der greise Geheime Medizinalrat Dr. med. Ferd. Goetz, die Befürchtung aus, daß von denen, die vor 50 Jahren nach Leipzig zogen zum 3. deutschen Turnfest, nicht mehr viele leben und ihrer noch viel weniger sich am diesjährigen Turnfeste in Leipzig beteiligt haben. Hierzu ist zu bemerken, da in Delitzsch noch drei rüstige Jünger Jahns leben, die vor 50 Jahren am Leipziger Turnfest teilnahmen. Es sind dies die Herren Rentier Birke, Rentier Wolfermann und Schuhmachermeister Brade. Auch am diesjährigen Turnfest nahmen sie teil.

20. Juli
In der letzten Stadtverordnetenversammlung wurde beschlossen, daß vom Abbruch der Kohltorbrücke übrig bleibende gute Material für die Erneuerung der Schafbrücke zu verwenden und dann die Brücke etwas zu verbreitern. Dazu wurden Kosten bis zu 1200 Mark bewilligt. Im letzten Jahre hat die Flugzeugindustrie einen ganz gewaltigen Aufschwung genommen. Fast täglich überfliegen Flugzeuge unsere Stadt. Das kommt besonders daher, daß Delitzsch auf der Flugbahn Leipzig-Berlin liegt und daß Bitterfeld einen Flugplatz hat, wo manches Flugzeug landet. Von Flugzeugen sieht man die verschiedensten Typs Eindecker, Doppeldecker, Rumplertauben, Militärflieger, Zeppelinluftschiffe u. a.

21. Juli
Die Einwohnerzahl unserer Stadt beträgt am 20. Juli 13280 Personen.

25. Juli
Die hiesige 2. Bürgermeisterstelle, die durch den Weggang von Bürgermeister Lange erledigt ist, ist nun ausgeschrieben worden. Es sind bis zum heutigen Tage 75 Bewerbungen eingelaufen, davon haben die Hälfte der Bewerber ihr zweites juristisches Examen abgelegt. Die Bewerbungsliste ist nun geschlossen worden.

8. August
In der vergangenen Nacht haben Einbrecher der hiesigen Kreissparkasse einen Besuch abgestattet. Sie haben einen eisernen Bücherschrank gewaltsam geöffnet und dessen Tür vollständig zerstört. Es sind ihnen indes weder Gelder noch geldwerte Sachen in die Hände gefallen, denn diese werden in der Stahlkammer aufbewahrt.

11. August
Ein grässlicher Unglücksfall ereignete sich letzten Sonnabend abend den 9. des Mts. am Bahnübergang der Eilenburger Straße. Oberbahnassistent Franke wollte anscheinend auf der Bahnstrecke von dem Berliner nach dem Sorauer Bahnhof gehen und ist von dem abends 9.26 Uhr hier durchfahrenden D Zuge gefasst, etwa 40 m geschleift und rechts seitlich hingeworfen worden. Auf dieser Strecke lagen Handschuhe, Schlüssel, Stiefel, Fleisch- und Uniformstücke zerstreut. Der Tod ist durch Zertrümmerung der Brust- und Baucheingeweide sofort eingetreten.

14. August
Der Vaterländische Frauenverein hat einen Kinderhort geschaffen und fand die Einweihung desselben gestern in der Mädchenvolksschule statt.

11. September
Für die Feier des 18. Oktober anläßlich der Weihe des Völkerschlacht Denkmals bei Leipzig sind jetzt von fast allen Bundesstaaten einheitliche Bestimmungen getroffen worden. Diese besagen, daß am 18. Oktober der Schulunterricht ausfällt, und daß in sämtlichen Schulen durch Veranstaltung besonderer Gedenkfeiern der großen Zeit vor hundert Jahren gedacht werden soll. Mittag von 12 bis 1 Uhr sind die Glocken sämtlicher Kirchen und Kapellen zu läuten, und am Sonntag den 19. Oktober ist in allen Kirchen der Gottesdienst zu einem festlichen Gedächtnisgottesdienst auszugestalten.

18. September
Die Wahlvorschlags-Kommission der Stadtverordneten hat auf die engere Wahl des zweiten Bürgermeisters drei Bewerber gesetzt und zur persönlichen Vorstellung aufgefordert. Es sind dies die Herren Bürgermeister Grüneberg in Orsol bei Düsseldorf, Assessor Unverfähr in Gotha und Bürgermeister Scheel in Soldau – Ostpreußen.

29. September
Die Jugendwehr Delitzsch (Jungdeutschland) feierte gestern ihre Fahnenweihe und ihr 2. Stiftungsfest. Die Feier wurde um 4 Uhr nachmittag mit einem Festzuge der Jugendwehren und Wehrkraftvereine, die in großer Zahl von auswärts eintrafen, eröffnet. Die Aufstellung der Vereine begann um ¾ 4 Uhr auf der Bismarckstraße. Von hier aus bewegte sich der Festzug durch verschiedene Straßen der Stadt nach dem Schützenhofe, wo der Weiheakt stattfand. Um ½ 7 Uhr begann dann die eigentliche Feier des Stiftungsfestes aus Konzert, Aufführungen der Jugendwehr, Vorführungen von Lichtbildern usw.

10. Oktober
Eine ungeheure Aufsehen erregende Veruntreuung der oberen Beamten der Stadthauptkasse wird durch das allzu lockere Leben des Stadthauptkassenrendanten Rudloff in den ersten Oktobertagen aufgedeckt. Rudloff ist unter Mitnahme von 12000 Mark städtischer Gelder flüchtig und der mitbeteiligte Kontrolleur Meley erschießt sich am 4. Oktober in der Gertitzer Flur. Bei genauerer Nachprüfung hat sich herausgestellt, daß die seit 1908 betriebenen Unterschlagungen die Höhe von mehr als 160000 Mark erreichen.
Durch die Veruntreuungen wird auch die Stellung des Ersten Bürgermeisters erschüttert, dem man zu große Oberflächlich- und Vertrauensseligkeit bei den von ihm vorgenommenen Kassenprüfungen zum Vorwurfe macht. An Stelle des flüchtigen Rudloff tritt als Stadthauptkassenrendant Georg Schimpf, an Meleys Stelle Kontrolleur Hupe.

11. Oktober
40000 Turner werden vom 16. bis 18. Oktober aus allen Richtungen unseres Vaterlandes in 9 Läufen eine Strecke von 1350 Kilometer durchlaufen, um eine Urkunde des Inhaltes, daß der deutschen Turner Herz allezeit dem Vaterlande gehört, zu den Einweihungsfeierlichkeiten des auf jeden seinigen Beschauer durch seine Wucht und Stärke eindringlichst wirkenden Völkerschlacht-Denkmals zu überbringen. Auch die Delitzscher Turnvereine beteiligen sich an diesen Läufen. Jeder Läufer läuft 200 m und wird die Schnelligkeit 3 Minuten für den Kilometer angenommen. Der Lauf 3, der über Delitzsch führt, beginnt in der Nacht vom 16. zum 17. Oktober am Ernst Moritz Arndt-Denkmal auf Rügen und geht über Stettin, Berlin, Bitterfeld nach Leipzig. An ihm beteiligen sich der Turnverein der Oberrealschule bis zur Abzweigung des Weges nach Brodau und dann der Männer-Turnverein Delitzsch mit Turnvereinen der Umgebung bis zur sächsischen Grenze. Ein anderer Lauf Nr. 2 beginnt bei Flensburg in Schleswig und führt über Zörbig, Landsberg, Radefeld nach der Grenze. Von Landsberg bis zur Grenze übernehmen von Delitzsch den Lauf der Männer-Turnverein, der Turnverein Einigkeit, der Turnverein Vorwärts und der Turnverein Delitzsch. Alle Teilnehmer an den Läufen werden in Listen eingetragen, die im Museum des Völkerschlacht-Denkmals niedergelegt werden, außerdem erhält jeder beteiligte Verein eine Urkunde der deutschen Turnerschaft.

10. Oktober
Der hiesige Gesangverein "Harmonie" beging am gestrigen Abend im Saale des Schützenhauses sein 40jähriges Bestehen durch ein Festkonzert. Das städtische Orchester unter der Leitung von Musikdirektor Böttcher eröffnete das Programm mit der Ouvertüre: "Der Fischer an der Nordsee". Den Mittelpunkt des Konzerts bildete das dramatische Tongemälde "Eine Nacht auf dem Meer" von Wilh. Tschirch unter der umsichtigen und temperamentvollen Leitung des Dirigenten Kantor Müller. Der Abend war ein Genuß für alle Zuhörer.

12. Oktober
Zum zweiten Bürgermeister wurde in der gestrigen Stadtverordneten-Sitzung Bürgermeister Grüneberg aus Orsol (Orfoy), der seit dem 1. Oktober in Roßla a. H. als kommissarischer Bürgermeister wirkt mit 12 von 23 abgegebenen Stimmen gewählt. Es wurde beschlossen, Herrn Grüneberg sofort bis zu seiner Bestätigung als juristischen Hilfsarbeiter zu beschäftigen.

20. Oktober
Am 18. Oktober fand in Leipzig das große Ereignis "Die Leipziger Jahrhundertfeier mit der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals" in Gegenwart des deutschen Kaiser Wilhelm II., der deutschen Bundesfürsten, der fürstlichen Vertreter von Österreich, Rußland, Schweden und anderer hoher Persönlichkeiten des In- und Auslandes statt. Auf allen Bahnlinien nach Leipzig wurden die Besucher dieses Festes mit Extrazügen zur Feststadt gebracht. Selbstverständlich haben auch die Delitzscher nicht gefehlt. Mindestens 50% der Bewohner unserer Stadt hat in Leipzig den großen Tag miterlebt. Die Zurückgebliebenen feierten in Delitzsch selbst. Die Oberrealschule hatte bereits am Freitagabend den 17. eine Festfeier abgehalten, ebenso das Seminar und die Präparande. Sie fuhren am 18. nach Leipzig. Die höhere Mädchenschule und die Volksschulen feierten am 18., dem Festtage, vormittags. Am Sonntag den 19 Oktober, war morgens ein Festgottesdienst, an dem die Jugendwehr, Turnvereine, Krieger- und andere Vereine, Oberrealschule, Seminar, Präparande und die oberen Klassen der Volksschulen geschlossen teilnahmen. Am Abend gegen ½ 7 Uhr versammelten sich die oben genannten Vereine und Schulen zu einem Fackelzug durch die Straßen der Stadt, der auf dem Schützenplatz endete.

18. November
Am gestrigen Tage nachm. ½ 1 Uhr fand die Einweihung des Gutheilstiftes in Anwesenheit des Generalsuperintendenten D. Gennrich – Magdeburg, sowie des Regierungsrates Hoche – Merseburg als Vertreter des Regierungspräsidenten, des Herrn Landesrat Motte als Vertreter des Landeshauptmanns, der Landrat von Busse und zahlreicher Vertreter unserer Stadt und Stifter. Die Weiherede hielt der Generalsuperintendent.

2. Dezember
Der Stadtrat a. D. und Branddirektor Gustav Schulze begeht morgen das 50jährige Jubiläum als Mitglied und Führer der freiwilligen Feuerwehr in Delitzsch. Am 14. September 1838 hier geboren, trat er am 3. Dezember 1863 in die freiwillige Feuerwehr ein und brachte sie zu erfreulicher Entwicklung. Im Jahre 1868 übernahm er den Vorsitz des von ihm damals mitbegründeten Sächsisch-Anhaltinischen (jetzigen Merseburger Bezirks) Feuerwehrverbandes welchen er bis zur Bildung des Sächsischen Provinzialfeuerwehrverbandes im Jahre 1877 führte. Seit diesem Jahre, also bereits 34 Jahre lang steht er noch heute an der Spitze dieses Verbandes. Viele Auszeichnungen sind ihm im Laufe der Jahre zu teil geworden und seine Brust schmücken zahlreiche Orden und Verdienstkränze. Die hiesige Feuerwehr wird ihren verdienten Führer heute abend durch einen Fackelzug mit nachfolgendem Kommers im Schützenhause ehren. Morgen mittag findet ein Festessen im "Schwan" statt, an diesem werden zahlreiche Ehrengäste aus der Provinz teilnehmen.

7. Dezember
Die vom Stadtbauführer Kratsch eingeführte Bauweise "System Kratsch" nach welchem in der Roonstraße drei Grundstücke gebaut worden sind, hat jetzt auch die Anerkennung der Ausstellungsleitung der Gartenstadt-Ausstellung in Bromberg gefunden und ist zur Ausstellung in der technischen Abteilung bestimmt worden. Es handelt sich bei der Kratsch'schen Bauweise vornehmlich um eine Erweiterung des Korridors, wodurch gewissermaßen eine Diele geschaffen wird. Gestern fiel hier der erste Schnee, die Temperatur sank bis auf 5 Grad unter Null.

13. Dezember
Auch in unserer Stadt hat das Frauenturnen eine Pflegestätte gefunden. Es haben sich 2 Damenturnvereine gebildet. Der Damenturnverein I hält regelmäßig alle Mittwoche seine Übungsstunde in der städtischen Turnhalle ab.

16. Dezember
Am gestrigen Sonntag nachmittags setzte nach einem Regen ein Unwetter ein, das mit einem Gewitter verbunden war. Zwei grelle Blitze erhellten hintereinander das Firmament, denen auch zwei heftige Donnerschläge folgten. Ein strömender Regen setzte darauf ein, der zeitweise mit Hagel vermischt war.